OGH 1Ob64/23b

OGH1Ob64/23b23.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Klaus Neumann, Rechtsanwalt in Traun, gegen die beklagten Parteien 1. E*, 2. M*, beide vertreten durch die Karbiener Rechtsanwalts KG in Lambach, und 3. H*, vertreten durch die Aigner Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Pasching, wegen Naturalrestitution, über die außerordentlichen Revisionen der erstbeklagten Partei und der drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Februar 2023, GZ 1 R 129/22d‑39, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00064.23B.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens sind Schadenersatzansprüche der Klägerin wegen fehlerhafter Beratung über eine (im Jahr 2018 gezeichnete) Vermögensanlage „B*“, wonach man für eine Einlagerung von Gold bei der (deutschen) P* GmbH (kurz P*) „Bonusgold“ bekommen sollte.

[2] Die Klägerin war Eigentümerin von fünf Barren Gold zu je einem Kilogramm, deren kleinere Stückelung sie anstrebte. Der Drittbeklagte war als Vermittler von Kundenverträgen für die P* tätig und erhielt für die Vermittlung von dieser eine Provision. Ihm fehlte allerdings die Gewerbeberechtigung zum Goldhandel. Aus diesem Grund wandte er sich, nachdem er bei einem Unternehmensnetzwerktreffen das Geschäftsmodell und das Produkt der P* präsentiert und ihm ein dort anwesender Sohn der Klägerin von deren Wunsch nach Stückelung der Goldbarren erzählt hatte, an die Erstbeklagte, die ein auf den Handel mit Goldbarren sowie den Ankauf von Altgold und Verkauf von Schmuck gerichtetes Einzelunternehmen führte und über eine Gewerbeberechtigung zur gewerblichen Vermögensberatung verfügte. Der Zweitbeklagte war der Lebensgefährte der Erstbeklagten und in ihrem Unternehmen als Angestellter beschäftigt.

[3] Nach einem Beratungsgespräch in Anwesenheit aller drei Beklagten sowie der Klägerin und ihres Sohnes in den Büroräumlichkeiten der Erstbeklagten investierte die Klägerin (nach einer bereits im Jahr 2017 getätigten gleichartigen Veranlagung) 2018 den Gegenwert von rund dreieinhalb Kilogramm Gold, und zwar 119.800 EUR, in das Produkt der P*. Sie veräußerte (wie im Jahr zuvor) zunächst das Gold an das Unternehmen der Erstbeklagten und bevollmächtigte dieses Unternehmen mit der Abwicklung. Dem „Auftrag“ zufolge sollten von der P* für den Betrag insgesamt 3,425 Kilogramm Gold gekauft und (zur Gänze) bei ihr eingelagert werden.

[4] Im Jahr 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der P* eröffnet. Die Klägerin erhielt auf ihre Forderung eine Abschlagszahlung von 11.433,96 EUR.

[5] Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, verpflichtete das Berufungsgericht die Erst‑ und den Drittbeklagten zur ungeteilten Hand, der Klägerin 108.366,04 EUR sA Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte und Pflichten aus der Veranlagung zu zahlen, und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Weder die Erstbeklagte noch der Drittbeklagte zeigen in ihrer außerordentlichen Revision eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

I. Zur außerordentlichen Revision des Drittbeklagten:

[7] 1. Der Drittbeklagte zieht die Beurteilung der Vorinstanzen, dass zwischen ihm und der Klägerin schlüssig ein Auskunftsvertrag nach § 1300 ABGB zustande gekommen sei und ihm die Erst‑ und der Zweitbeklagte als Erfüllungsgehilfen zuzurechnen seien, nicht in Zweifel. Er meint aber, dass er über den Punkt „Sicherungsübereignung“ in den AGB der P*, wonach die Klägerin lediglichMiteigentumsanteile an den im Eigentum der P* befindlichen Goldbeständen erwerben sollte, nicht hätte aufklären müssen, weil diese AGB nicht Vertragsinhalt geworden seien.

[8] Damit ist für ihn aber schon deshalb nichts zu gewinnen, weil er sich nicht mit der Argumentation des Berufungsgerichts auseinandersetzt, dass die erteilten Auskünfte falsch gewesen seien, auch wenn man – wie er – nur die Anträge als Vertragsinhalt ansehe: Die Klägerin sei aufgrund ihrer Investition im Jahr 2018 mangels Verfügungsgeschäfts zu keinem Zeitpunkt Eigentümerin auch nur irgendeiner Menge Goldes geworden, obwohl ihr alle drei Beklagten dies nach den Feststellungen zugesagt hätten. Insoweit fehlt es an einer gesetzmäßigen Ausführung der Revision (RS0043312 [T13], RS0043603 [T9, T16]).

[9] 2. Überdies hat das Berufungsgericht seinem Einwand, er hätte über das eingetretene – jeder Fremdveranlagung immanente – Veruntreuungsrisiko nicht aufklären müssen (vgl RS0124492), entgegengehalten, dass nach der Rechtsprechung dann, wenn die Zusicherung völliger Risikolosigkeit – ohne dass entsprechende besondere Informationen vorgelegen wären – für den Anleger die Gefahr erhöht, eine Anlage zu wählen, die nicht seinen Risikovorstellungen entspricht, der Rechtswidrigkeitszusammenhang ungeachtet der Gründe für den späteren Ausfall zu bejahen ist (RS0127012 [T3]).

[10] Genau das war hier nach den Feststellungen der Fall, wonach die Beklagten, insbesondere der Zweitbeklagte, gegenüber der Klägerin beteuert haben, die Veranlagung wäre – im Ergebnis sicherer als Gold im Banktresor – völlig risikolos und Gerüchte über deren Unsicherheit auf missgünstige Mitbewerber zurückzuführen.

[11] 3. Die Frage, ob sich ein Anleger ein Mitverschulden am Scheitern seiner Veranlagung anrechnen lassen muss, etwa weil er Risikohinweise nicht beachtet hat, oder etwa eine grobe Pflichtverletzung des Beraters dieses in den Hintergrund treten lässt, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0102779 [T8]).

[12] Nach der Rechtsprechung kann ein Mitverschulden insbesondere dann zu verneinen sein, wenn sich der Kunde eigenen Bedenken zuwider vom wiederholten fachkundigen Rat der Beklagten überzeugen ließ (RS0102779 [T12]).

[13] Damit steht die Beurteilung des Berufungsgerichts in Einklang, der Klägerin könne zumindest nicht als ins Gewicht fallende Sorglosigkeit angelastet werden, den festgestellten Beteuerungen aller drei Beklagter geglaubt zu haben, dass die im Internet kursierenden Artikel über eine Unsicherheit der Veranlagung falsch und rufschädigend seien, zumal die Beklagten auch das Geschäftsmodell der P* plausibel mit dem Zugang zu günstigem Gold in der Türkei und einem Erwerb durch Schmuckhandel erläutert hätten.

[14] Dem setzt der Drittbeklagte mit der bloßen Behauptung, die Klägerin hätte als ehemalige Bankangestellte die Ausführungen der Beklagten, insbesondere auch des Zweitbeklagten, dass Gold in einem Tresor bei der Bank unterversichert und unsicher sei, kritisch hinterfragen müssen, nichts Stichhältiges entgegen. Nicht zuletzt lässt er außer Acht, dass die bereits im Jahr 2017 getätigte Veranlagung der Klägerin ja tatsächlich – und insofern ihr Vertrauen in die Beratung bekräftigend – zum Erwerb von „Bonusgold“ geführt hatte.

II. Zur außerordentlichen Revision der Erstbeklagten:

[15] 1. Nach ständiger Rechtsprechung kann es zu einer eigenen Haftung des Erfüllungsgehilfen kommen, wenn sein Verhalten keinem Geschäftsherrn zugerechnet werden kann, wenn er ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrags hatte oder wenn er bei den Vertragsverhandlungen im besonderen Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nahm (RS0019726 [insb T13]). Außerdem ist die Eigenhaftung des Anlagevermittlers als Ausnahme von der abschließenden Regelung des § 1313a ABGB auch bei zumindest schlüssigem Zustandekommen eines Auskunftsvertrags iSd § 1300 ABGB anzunehmen. Regelmäßig wird der stillschweigende Abschluss eines Auskunftsvertrags angenommen, wenn die Umstände des Falls bei Bedachtnahme auf die Verkehrsauffassung und die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs den Schluss rechtfertigen, dass beide Teile die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten machen, etwa wenn klar zu erkennen ist, dass der Auskunftswerber eine Vermögensdisposition treffen und der Berater durch die Auskunft das Zustandekommen des geplanten Geschäfts fördern will (RS0019726; 10 Ob 62/15p mwN). Diese Frage stellt wegen ihrer Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (8 Ob 60/11y).

[16] Die Erstbeklagte wendet sich gegen die vom Berufungsgericht auf ihr wirtschaftliches Eigeninteresse an dem Geschäft einerseits und den stillschweigenden Abschluss eines Auskunftsvertrags nach § 1300 ABGB (auch) zwischen ihr und der Klägerin andererseits gestützte Eigenhaftung.

[17] Sie meint, auch wenn klar gewesen sei, dass die Klägerin Vermögensdispositionen treffen wollte, sei entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der An- und Verkauf des Goldes, mit dem sie – wie festgestellt – im Jahr 2018 ca 1.000 EUR verdiente, nicht als notwendiges „Vorbereitungsgeschäft“ mit der späteren Investition in einem untrennbaren Zusammenhang gestanden und habe sie das Geschäft zwischen der Klägerin und der P* auch nicht fördern wollen, zumal sie in erster Linie ein anderes Produkt vorgeschlagen habe.

[18] Dabei übergeht sie insbesondere die Feststellungen, wonach sie ihrerseits eine laufende Geschäftsbeziehung zur P* hatte (Kundenverträge der P* entgegennahm, Schmuck für diese verkaufte, von dort Gold bezog etc) und daher eigene Kenntnisse über das von der P* angebotene Produkt hatte, die sie der Klägerin – wie festgestellt – auch mitteilte.Darüber hinaus übernahm sie nach den Feststellungen die Abwicklung des Geschäfts der Klägerin mit der P*. Davon ausgehend vermag sie die Schlussfolgerung der zweiten Instanz nicht zu erschüttern, dass sie durch ihre Auskünfte das Zustandekommen des geplanten Geschäfts sehr wohl fördern wollte, mag ihr 2018 auch ein anderes Geschäft (noch) „vorteilhafter“ erschienen sein, sodass schlüssig ein Auskunftsvertrag zwischen ihr und der Klägerin zustande kam.

[19] 2. Soweit die Erstbeklagte das Vorliegen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs bezweifelt, ist sie auf die Ausführungen unter Punkt I.2. zur Revision des Drittbeklagten zu verweisen. Warum diese Beurteilung nicht auch auf die Erstbeklagte zutreffen sollte, zeigt sie nicht nachvollziehbar auf.

[20] 3. Dasselbe gilt für den Ausschluss eines Mitverschuldens der Klägerin. Aus der Feststellung, dass die Erstbeklagte die Klägerin 2018 darauf hinwies, eine Investition des Goldes in eine andere Veranlagung wäre „vorteilhafter“, ergibt sich nicht, dass die Erstbeklagte der Klägerin zu einer risikoärmeren Veranlagung geraten oder von der tatsächlichen Veranlagung gar abgeraten hätte. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin hier sorglos – wider einem Rat der Erstbeklagten – gehandelt haben sollte.

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