OGH 11Os43/23t

OGH11Os43/23t9.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Mai 2023 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Gigl in der Strafsache gegen * K* und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des gewerbsmäßigen und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) StGB, AZ 317 Hv 132/22g des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 9. November 2022 (ON 79.5) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, sowie des Verteidigers Mag. Malek zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00043.23T.0509.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 317 Hv 132/22g des Landesgerichts Korneuburg verletzt das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 9. November 2022 (ON 79.5)

(A) in den Strafaussprüchen § 130 Abs 2 StGB sowie

(B) im Ausspruch des Verfalls

(I) § 260 Abs 1 Z 3 (iVm § 443 Abs 3) StPO, § 20 Abs 1, Abs 3 StGB und

(II) § 20a Abs 2 Z 3 StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) und im Ausspruch des Verfalls aufgehoben.

Insoweit wird in der Sache selbst erkannt:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 22. September 2022, „die Vermögenswerte, die durch die mit Strafe bedrohten Handlungen erlangt wurden,“ für verfallen zu erklären (ON 61 S 2), wird, soweit er sich auf (Wertersatz für) einen Pkw im Wert von 35.000 Euro (3) bezieht, abgewiesen.

Im verbleibenden Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 9. November 2022, GZ 317 Hv 132/22g‑79.5, wurden * K* und * Kr* jeweils eines Verbrechens des gewerbsmäßigen und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 (richtig) Z 1, 130 Abs 2 (gemeint) erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) StGB schuldig erkannt und hiefür K* zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren sowie Kr* zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

[2] „Gemäß § 20 Abs 1 und Abs 3 StGB“ erklärte das Gericht „105.000 Euro“ für verfallen.

[3] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben die Genannten (zusammengefasst) im Herbst 2021 in S* in vier Angriffen mit einer gesondert verfolgten weiteren Person als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) gewerbsmäßig (§ 70 StGB) und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz fremde bewegliche Sachen in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert (von zusammen 105.000 Euro) im Urteil genannten Personen weggenommen, indem sie mit widerrechtlich erlangten Schlüsseln in Transportmittel eindrangen, und zwar (1 und 2) zwei Pkw im Wert von jeweils 25.000 Euro, (3) einen Pkw im Wert von 35.000 Euro und (4) einen Pkw im Wert von 20.000 Euro.

[4] Das Urteil ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen (ON 79.4 S 42). Die verhängten Freiheitsstrafen werden gegenwärtig vollzogen (ON 89 und 90).

Rechtliche Beurteilung

 

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzt dieses Urteil in mehrfacher Hinsicht das Gesetz:

 

[6] (A) § 130 Abs 2 StGB sieht eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor.

[7] Zwar brachte das Gericht zum Ausdruck, den Strafrahmen für jeden von beiden Angeklagten – auf der Feststellungsbasis des angefochtenen Urteils zutreffend – (in Anwendung des § 29 StGB) nach § 130 Abs 2 StGB zu bilden (US 2 und 6). Dabei ging es jedoch explizit (vgl 11 Os 65/20y; siehe im Übrigen RIS-Justiz RS0133691) von einem – somit falschen – Strafrahmen von jeweils „einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe“ aus (US 6).

[8] Dies begründet Rechtsfehlerhaftigkeit der Strafaussprüche. Dass die ausgesprochene Sanktion jeweils innerhalb des zutreffenden Rahmens liegt, ändert daran nichts (RIS‑Justiz RS0099852 [T7], RS0099957, RS0099762, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 668/3).

[9] (B) Obwohl sich das Verfallserkenntnis auch auf § 20 Abs 1 StGB stützt (US 2), spricht es – der Sache nach (vgl US 4) – Wertersatz für jene Vermögenswerte aus, die durch die von den Schuldsprüchen umfassten Taten erlangt (§ 20 Abs 1 StGB) wurden (also für die vier tatverfangenen Pkw im Wert von zusammen 105.000 Euro). Damit ist es inhaltlich als Verfallsausspruch (allein) nach § 20 Abs 3 StGB aufzufassen (11 Os 76/17m, 13 Os 96/18v).

[10] (I) Nur (aber immerhin) aus den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) kann erschlossen werden, dass dieser Ausspruch (US 2) „[d]ie Angeklagten“ betrifft (US 4; vgl zum ebenfalls möglichen Verfall bei Dritten Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 3 ff).

[11] Dem Gebot, das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 3 iVm § 443 Abs 3 StPO) so klar und bestimmt zu fassen, dass über die Zuordnung der vermögensrechtlichen Anordnung zu den davon betroffenen Personen und über ihren Vollzug kein Zweifel entstehen kann (dazu Lendl, WK-StPO § 260 Rz 34 f; Fuchs/Tipold, WK-StPO § 443 Rz 18; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 269 f), entspricht das Urteil jedoch nicht.

[12] Ebenso wie dem Verfall unterliegende Vermögens- (§ 20 Abs 1 StGB) und Ersatzwerte (§ 20 Abs 2 StGB) darf zudem auch der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) nur dem tatsächlichen Empfänger mittels Verfall abgenommen werden. Sind daher Vermögenswerte mehreren Personen im Sinn des § 20 Abs 1 StGB zugekommen, ist bei jedem dieser Empfänger nur der dem jeweils tatsächlich rechtswidrig erlangten Vermögenswert entsprechende Betrag für verfallen zu erklären (RIS-Justiz RS0129964). Demzufolge ist Kumulativ- oder Solidarhaftung mehrerer Personen – wie sie das Schöffengericht für einen Wertersatzbetrag von 105.000 Euro aussprach (US 4 [iVm US 2]: „[d]ie Angeklagten“) – nach § 20 StGB gleichermaßen verfehlt (13 Os 96/18v) wie, einer Person allein den Wertersatz für mehreren Personen zugekommene Vermögenswerte aufzuerlegen (13 Os 67/21h [Rz 44]).

[13] Vielmehr ist ein Verfallsausspruch nach § 20 Abs 3 StGB in Ansehung des entsprechenden, betraglich bestimmten (Teils des) Wertersatzes (jeweils) dem einzelnen Empfänger zuzuordnen (11 Os 92/22x [Rz 23], 11 Os 110/22v [Rz 21]), was das Gericht vorliegend unterließ. Tatsachenfeststellungen, die eine solche Zuordnung ermöglichen würden, – nämlich darüber, ob einer (vgl die festgestellte Mitwirkung einer weiteren, gesondert verfolgten Person [US 3 f]), wenn ja welcher von beiden Verurteilten welche(n) der (zu 1, 2 und 4) tatverfangenen Pkw tatsächlich im Sinn des § 20 Abs 1 StGB erlangt hat – enthält das angefochtene Urteil ebenso wenig. Damit wurde insoweit keine ausreichende Entscheidungsbasis für einen Ausspruch des Verfalls nach § 20 Abs 3 StGB geschaffen (vgl 13 Os 55/18i, 13 Os 67/21h [Rz 44]).

[14] (II) Hingegen traf das Gericht Feststellungen, auf deren Grundlage Verfall in Bezug auf (Wertersatz für) den zu 3 tatverfangenen Pkw (im Wert von 35.000 Euro) von vornherein ausscheidet:

[15] Gemäß § 20a Abs 2 StGB ist der Verfall insoweit ausgeschlossen, als der Betroffene zivilrechtliche Ansprüche aus der Tat befriedigt hat (Z 2) oder die Wirkung des Verfalls durch andere rechtliche Maßnahmen erreicht wird (Z 3).

[16] Nach dem Urteilssachverhalt wurde der betreffende Pkw kurz nach der Tat (3) sichergestellt und seinem Eigentümer „rückausgefolgt“ (US 4).

[17] Durch diese rechtliche Maßnahme (§ 114 Abs 2 zweiter Satz StPO) wurde somit – noch vor der Fällung des angefochtenen Urteils – der Rückforderungsanspruch (§§ 366, 372 ABGB; vgl Spenling, WK-StPO § 367 Rz 5 und 9) des Opfers in Betreff des durch die Tat erlangten Vermögenswerts (§ 20 Abs 1 StGB) befriedigt, die Wirkung des Verfalls demnach erreicht (13 Os 124/18m, RIS-Justiz RS0132362; Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 17).

[18] Demzufolge ist der Ausspruch des Verfalls von Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) für diesen Teil der Diebesbeute (auch schon deshalb) verfehlt.

 

[19] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil der Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[20] Von den aufgehobenen Urteilsaussprüchen rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichermaßen als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

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