OGH 8Ob15/23y

OGH8Ob15/23y29.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde L*, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 14. November 2022, GZ 3 R 146/22w‑35, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Leibnitz vom 18. August 2022, GZ 10 C 58/21a‑31, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00015.23Y.0329.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revsionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte ist Eigentümer einer Liegenschaft, auf der zwei Wege verlaufen. Im Jahr 2021 führte der Beklagte dort Forstarbeiten durch und stellte deshalb Tafeln mit der Aufschrift „Befristetes forstliches Sperrgebiet – Betreten verboten; Gefahr durch Waldarbeit“ auf. Im August 2021 ersetzte er diese Tafeln durch die Verkehrsschilder „Fahrverbot (in beide Richtungen)“ mit der Zusatztafel „Zufahrt nur für Servitutsberechtigte bei Zuwiderhandeln Klage!“.

[2] Die klagende Gemeinde begehrt vom Beklagten, sämtliche Absperrungen der Wege durch Schilder oder sonstige Absperrvorrichtungen zu unterlassen. Es handle sich um öffentliche Gemeindestraßen, die seit 40 Jahren von der Allgemeinheit als Geh- und Fahrweg genutzt und von der Klägerin erhalten würden. Sowohl für die Forstarbeiten als auch für die Sperre der Wege wäre nach § 90 StVO eine behördliche Bewilligung der Klägerin erforderlich gewesen.

[3] Der Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs. Im Fall des Vorliegens eines Gemeindewegs erfolge die Straßenverwaltung ausnahmslos durch hoheitliches Handeln. Hilfsweise beantragte der Beklagte die Abweisung der Klage. Es handle sich um keine öffentlichen Straßen, sondern um Forststraßen im Eigentum des Beklagten, sodass die Straßenverkehrsordnung nicht gelte.

[4] Mit dem in der Tagsatzung vom 30. 9. 2021 gefassten Beschluss verwarf das Erstgericht die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs, woraufhin beide Parteien auf Rechtsmittel verzichteten. Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Bei den Wegen handle es sich um keine öffentlichen Straßen, weil sie nach § 2 Abs 1 LStVG weder mit Verordnung dem öffentlichen Verkehr gewidmet noch in langjähriger Übung allgemein für ein dringendes Verkehrsbedürfnis benützt worden seien. Auch wenn die Straßenverkehrsordnung anwendbar wäre, bestünde doch kein privatrechtlich durchsetzbarer Anspruch der Klägerin, mit dem sie gegen Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung vorgehen könnte.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klägerin habe ihre Klage auf § 90 StVO gestützt, aber nie behauptet, Eigentümerin oder Dienstbarkeitsberechtigte zu sein. Aus § 90 StVO könne die Klägerin keinen privatrechtlich durchsetzbaren Unterlassungsanspruch ableiten, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Norm handle, deren Einhaltung von der Verwaltungsbehörde zu überwachen sei. Daraus folge, dass der ordentliche Rechtsweg für den geltend gemachten Anspruch nicht zulässig gewesen wäre. Da das Berufungsgericht aber an die rechtskräftige Verwerfung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs gebunden sei, wäre die Klage mangels einer „zivilrechtlichen Grundlage“ des geltend gemachten Anspruchs abzuweisen.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil es einer Klarstellung bedürfe, ob sich das Berufungsgericht bei einer verfehlten Bejahung der Zulässigkeit des Rechtswegs auf die Aussage beschränken könne, dass kein privatrechtlicher Anspruchsgrund bestehe.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Beklagte beantragt die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[10] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der rechtskräftige Beschluss des Erstgerichts, mit welchem die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen wurde, nach § 42 Abs 3 JN Bindungswirkung entfaltet (RIS-Justiz RS0039774). Eine allfällige Unzulässigkeit des Rechtswegs kann damit auch in höherer Instanz nicht mehr wahrgenommen werden (RS0035572). Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist aber von der inhaltlichen Berechtigung des behaupteten Anspruchs zu unterscheiden, über die erst in der Sachentscheidung abzusprechen ist (RS0045491).

[11] 2. Dass die Zulässigkeit des Rechtswegs zu Unrecht bejaht wurde, ändert deshalb nichts daran, dass das Gericht den geltend gemachten Anspruch in materiell-rechtlicher Hinsicht überprüfen muss (zur Abgrenzung des streitigen Rechtswegs 1 Ob 197/99y; 1 Ob 250/05d; 5 Ob 148/13w). Es ist daher insoweit die Frage zu beantworten, ob der geltend gemachte Anspruch, wäre er in der richtigen Verfahrensart geltend gemacht worden, in materieller Hinsicht berechtigt ist (1 Ob 250/05d). Auch in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung zu 1 Ob 562/57 hat der Oberste Gerichtshof deshalb das Bestehen des materiell-rechtlichen Anspruchs geprüft, obwohl die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen gewesen wäre.

[12] 3. Damit ist für die Klägerin aber nichts gewonnen. Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, dass aus den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung keine Unterlassungsansprüche abgeleitet werden können, mit denen ein Straßenhalter gegen Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung vorgehen könnte (RS0030105). Auch bilden die Regeln der Straßenverkehrsordnung keine Rechtsgrundlage für die Geltendmachung irgendwelcher Straßenbenützungsrechte (5 Ob 262/08b = RS0030105 [T3]). Das gilt auch im vorliegenden Fall. Die Vorschrift des § 90 StVO, auf die sich die Klägerin beruft, sieht nämlich vor, dass eine Bewilligung der Behörde erforderlich ist, wenn der Straßenverkehr durch Arbeiten auf oder neben der Straße beeinträchtigt wird. Eine Verpflichtung, das Aufstellen von Schildern oder Absperrungen zu unterlassen, lässt sich dieser Vorschrift hingegen nicht entnehmen, weshalb das Klagebegehren schon aus diesem Grund abzuweisen war.

[13] 4. Da die Klägerin ihre Klage auf § 90 StVO gestützt hat, war nicht zu prüfen, ob der Beklagte durch das Aufstellen der Verkehrsschilder in ein Dienstbarkeitsrecht eingegriffen hat (siehe RS0010120). Soweit ausdrücklich ein bestimmter Rechtsgrund geltend gemacht wird, ist das Gericht daran gebunden und darf der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (RS0037610).

[14] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 4150 ZPO.

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