OGH 1Ob250/05d

OGH1Ob250/05d7.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. Ing. Erhard R*****, 2. Ing. Friedrich K*****, und 3. Manfred R*****, sämtliche vertreten durch Dr. Harald Ofner und Dr. Thomas Wagner, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegner 1. Angela S*****, vertreten durch Dr. Martin Drahos, Rechtsanwalt in Wien, 2. Friedrich W*****, und 3. MMag. Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der O***** GmbH, *****, wegen Ersetzens der Zustimmung zum Abbruch von Gebäuden ua, infolge Revisionsrekurses der Erstantragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. August 2005, GZ 43 R 289/05a-58, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 14. März 2005, GZ 16 Nc 14/04g-44, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Antragsteller sind mit zusammen 9/15 Anteilen, die Antragsgegner mit insgesamt 6/15 Anteilen Miteigentümer einer Liegenschaft in Wien, auf der sich zwei getrennt errichtete Häusertrakte befinden. Die Häuser beinhalten insgesamt 16 Wohnungen. Es besteht eine Benützungsvereinbarung, nach der jeweils mit einem 15-tel Miteigentumsanteil die Benutzung einer bestimmten Wohnung verbunden ist und die 16. Wohnung als Hausbesorgerwohnung dient. Die Miteigentümer stehen zueinander in keinem familiären Verhältnis. Die 84-jährige Erstantragsgegnerin, die 4/15 der Anteile hält, bewohnt die Liegenschaft bereits seit 1948. Beide Häusertrakte sind abgewohnt und entsprechen in keiner Weise den heutigen einfachsten Wohnbedürfnissen. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus handelt es sich um Abrissobjekte. In die Substanz wurde viele Jahre lang nicht investiert, sodass der Grundwert (unbebaut) mittlerweile den Wert in bebautem Zustand übersteigt. Ein im Jahr 2001 eingeholtes Sachverständigengutachten ergab Gesamtsanierungskosten von ATS 11,100.000 was den Wert der Bausubstanz um ein Vielfaches überstiege. Mit Bescheiden der Baupolizei ergingen an sämtliche Miteigentümer umfangreiche Aufträge zur Behebung von Baugebrechen. Diesen Aufträgen entsprachen die Miteigentümer bislang nicht; die punktuelle Erfüllung der Bauaufträge wäre aus wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll. An einer Generalsanierung ist keiner der Miteigentümer interessiert; die Erstantragsgegnerin könnte die hiefür erforderlichen Mittel nicht aufbringen. Im März 2003 stimmten die Miteigentümer „über das weitere Schicksal" der Liegenschaft ab. Die Antragsteller und der Zweitantragsgegner (sohin 2/3 der Miteigentümer) befürworteten aus wirtschaftlichen Erwägungen den Abbruch der Gebäude. Die Antragsgegnerin und deren Tochter - als damalige Eigentümerin eines 1/15 Anteils - sprachen sich gegen den Abbruch unter anderem mit der Begründung aus, dass die Erstantragsgegnerin das Haus seit über 50 Jahren bewohne und auf Grund ihrer tiefen Verwurzelung keinesfalls ausziehen möchte. Zudem verfüge sie über keine andere Wohnmöglichkeit und seien die erforderlichen Baumaßnahmen nicht unwirtschaftlich.

Die Antragsteller begehrten, die fehlende Zustimmung zum oben zitierten Mehrheitsbeschluss vom 5. 3. 2003 durch Beschluss des Außerstreitrichters zu ersetzen. Die Sanierung der desolaten Baulichkeiten sei unrentabel, weshalb das auf der Liegenschaft befindliche Gebäude dringendst abgebrochen werden müsse, zumal die Baubehörde bereits die Ersatzvornahme angedroht habe.

Der Zweitantragsgegner beteiligte sich nicht am Verfahren, der Drittantragsgegner trat dem Begehren der Antragsteller nicht entgegen.

Die Erstantragsgegnerin erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und bestritt vor allem die von den Antragstellern behauptete Unwirtschaftlichkeit der Durchführung der erforderlichen Baumaßnahmen. Überdies bestehe eine Benützungsregelung, wonach bestimmte Teile der Liegenschaft einzelnen Miteigentümern zur alleinigen Nutzung zugewiesen worden seien. Sie befriedige ihr dringendes Wohnbedürfnis in zwei im Gebäude befindlichen Wohnungen, und zwar bereits seit dem Jahr 1948.

Das Erstgericht wies die Einwendung der Unzulässigkeit „des ordentlichen Rechtswegs" ab und „bewilligte" den Mehrheitsbeschluss vom 5. 3. 2003, wonach die Baulichkeiten auf der antragsgegenständlichen Liegenschaft abgerissen werden, die Kosten hiefür die Miteigentümer nach ihren Miteigentumsanteilen zu tragen haben, jeder Miteigentümer verpflichtet ist, für die ehebaldigste Freimachung der ihm im Rahmen der bisherigen Benützungsvereinbarung zugewiesenen Wohnung Sorge zu tragen, und das Hausbesorgerdienstverhältnis von der Miteigentümergemeinschaft gekündigt wird, wozu es aussprach, dass „diese Zustimmung" die fehlenden Zustimmungen der Erstantragsgegnerin und des Drittantragsgegners ersetzten. Der Außerstreitrechtsweg sei richtigerweise bestritten worden, der Abriss der Baulichkeit und die von der Mehrheit der Miteigentümer getroffenen „Nebenvereinbarungen" stünden im wohlverstandenen Interesse der Gesamtheit aller Miteigentümer. Im Hinblick auf den katastrophalen Zustand der Gebäude sei dem dringenden Wohnbedürfnis der Erstantragsgegnerin nur eingeschränkte Bedeutung beizumessen und könne auch deren emotionale Bindung kein Grund dafür sein, sämtliche anderen Miteigentümer zu verpflichten, völlig unökonomische Investitionen zu tätigen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es teilte ausdrücklich die Rechtsansicht des Erstgerichts über die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs und führte aus, die Generalsanierung oder auch der Abbruch eines Gebäudes seien zu den in § 834 ABGB genannten wichtigen Veränderungen zu zählen, sodass mangels Einigung der Miteigentümer der Richter im Außerstreitverfahren zu entscheiden habe. Es sei zwar zu berücksichtigen, dass die Erstantragsgegnerin „bereits seit Jahrzehnten ihre Wurzeln in der betroffenen Liegenschaft" habe, doch könne dies nicht dazu führen, dass ein abbruchreifes Gebäude entgegen den wirtschaftlichen Interessen aller übrigen Miteigentümer unter enorm hohem Kostenaufwand benutzbar gemacht werden müsse.

Der Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelausführungen zur Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs sind unbeachtlich. Das Erstgericht bejahte in seiner Entscheidung die Zulässigkeit des außerstreitigen Verfahrens für das von den Antragstellern gestellte Begehren, ihrem Mehrheitsbeschluss vom 5. 3. 2003 die gerichtliche Zustimmung zu erteilen, und billigte das Rekursgericht diese Entscheidung ausdrücklich. Demnach hat sich das Rekursgericht mit dem Vorliegen einer Prozessvoraussetzung (Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs) auseinandergesetzt, diese bejaht und die Nichtigkeit des Verfahrens aus diesem Grund verneint. Dann liegt aber eine den Obersten Gerichtshof bindende Entscheidung vor, weshalb die Unzulässigkeit des Außerstreitverfahrens nicht mehr wahrgenommen werden kann. Über die geltend gemachten Ansprüche der Antragsteller ist demnach „nach den sonst geltenden Bestimmungen" im Rahmen des außerstreitigen Verfahrens zu entscheiden (EvBl 2000/156; SZ 70/45).

Der Erstantragsgegnerin ist zuzubilligen, dass der von den Antragstellern beabsichtigte Abbruch der Gebäude keine „Verwaltungshandlung" für die Gemeinschaft der Miteigentümer darstellt, sondern eine „Verfügung über das Gemeinschaftsgut", weil in die Substanz der Gemeinschafts- oder Anteilsrechte eingegriffen wird. Wichtige bauliche Veränderungen - insbesondere der Abriss eines Gebäudes - sind Maßnahmen, die über den bloßen Erhaltungszweck hinausgehen (1 Ob 47/04z mwN). Richtig ist auch, dass die Rechtmäßigkeit einer solchen Substanzveränderung eine einhellige Willensbildung der Miteigentümer voraussetzt und die fehlende Einwilligung der Erstantragsgegnerin in die geplante Substanzveränderung durch einen Beschluss des Außerstreitrichters nicht ersetzbar ist (1 Ob 47/04z; RIS-Justiz RS0117159). Der Umstand, dass infolge Vorliegens einer bindenden Entscheidung über die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs im vorliegenden Fall im Rahmen eines Außerstreitverfahrens zu entscheiden ist, besagt aber nur, dass die Verfahrensart bindend feststeht, im Verfahren selbst aber „nach den sonst geltenden" (materiell-rechtlichen) „Bestimmungen" (EvBl 2000/156) entschieden werden muss. Es ist daher die Frage zu beantworten, ob das Begehren der Antragsteller, wäre es im streitigen Rechtsweg gestellt worden, in materieller Hinsicht berechtigt ist.

Nun kann kein Zweifel daran bestehen, dass das hier vorliegende Begehren der Antragsteller, gerichtet auf Ersetzen der Zustimmung anderer Miteigentümer zur Vornahme einer (substanzändernden) Maßnahme im streitigen Rechtsweg zulässig wäre, stehen doch einem Teilhaber „zum Schutz" seines Anteilsrechts alle aus dem Eigentum entspringenden Klagen bzw sonstigen Rechtsbehelfe - auch gegen andere Teilhaber - zu (vgl SZ 69/228; Gamerith in Rummel ABGB³ Rz 4 zu § 829; Klang in Klang III² 1096). Es ist daher zu prüfen, ob die von den Antragstellern beabsichtigte gravierende Veränderung von der Minderheit der Miteigentümer, hier insbesondere der Erstantragsgegnerin, unter Bedachtnahme auf die Interessen der Gesamtheit der Miteigentümer geduldet werden muss. Dies ist in Übereinstimmung mit der Ansicht der Vorinstanzen - wenngleich diese von der Zulässigkeit „außerordentlicher Verwaltungsmaßnahmen" ausgingen - zu bejahen:

Vorauszuschicken ist, dass bei einer bestehenden Miteigentumsgemeinschaft im Streitfall, also auch bei nur auf dem Willen der Miteigentümermehrheit beruhenden geplanten Substanzveränderungen, die Regeln der §§ 834 f ABGB sinngemäß Anwendung zu finden haben (Klang aaO 1093). Es ist also vom Richter zu prüfen, ob die geplante Veränderung vom Standpunkt der Gesamtheit der Miteigentümer aus offenbar vorteilhaft oder dermaßen nachteilig ist, dass sie bei Abwägung der Gesamtinteressen zu unterbleiben hätte. Bei der Prüfung der Nachteiligkeit einer von der Mehrheit beabsichtigten Maßnahme kommt es nicht nur auf die finanziellen Interessen an. Es sind die gesamten Umstände des Falls zu berücksichtigen, insbesondere auch ein persönliches (immaterielles) Interesse eines Miteigentümers am Weiterbestehen seiner Wohnmöglichkeit (vgl RIS-Justiz RS0013690). Die Pflicht zur Wahrung der Interessen der anderen Miteigentümer kann aber niemals so weit gehen, dass die offenbar vorteilhafte Durchsetzung einer geplanten Veränderung gegen einen Teilhaber schon daran scheiterte, dass dieser ein Unterliegen im Verfahren psychisch nicht verkraften würde (RIS-Justiz RS0013698). Bei der Abwägung der für den Abriss des Gebäudes einerseits und für das Weiterbestehen des Gebäudes nach der erforderlichen Sanierung andererseits sprechenden Gründen sind den Vorinstanzen keine Rechtsirrtümer unterlaufen. Geht man davon aus, dass die auf der Liegenschaft befindlichen Gebäude abbruchreif sind und nur mit enormem Kostenaufwand eine Sanierung vorgenommen werden könnte, wobei dieser Aufwand die finanziellen Möglichkeiten der Teilhaber überstiege und insbesondere einer Fülle von Aufträgen der Baubehörde nachgekommen werden müsste, dann tritt das durchaus verständliche Interesse der Erstantragsgegnerin an der Beibehaltung ihrer Wohnmöglichkeit in der ihr gewohnten Umgebung selbst unter Bedachtnahme auf ihr hohes Alter und die damit verbundende Verwurzelung an der Liegenschaft ebenso in den Hintergrund wie die Tatsache, dass die Miteigentümer eine Benützungsregelung getroffen haben. Insgesamt gesehen gereicht die geplante Substanzveränderung (Abriss des Hauses mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen) der Eigentümergemeinschaft zum offenkundigen (eindeutigen) Vorteil (vgl 5 Ob 278/04z), was zur Folge hat, dass die fehlenden Zustimmungen zur geplanten Maßnahme tatsächlich zu ersetzen sind.

Dem Revisionsrekurs ist demnach ein Erfolg zu versagen.

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