OGH 6Ob239/22y

OGH6Ob239/22y24.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, wider die beklagte Partei C*, vertreten durch Stolitzka und Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen (zuletzt) 77.724,14 EUR sA und Räumung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. September 2022, GZ 38 R 13/22a‑25, womit das Teilurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 22. November 2021, GZ 57 C 288/20f‑19, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00239.22Y.0324.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.863,72 EUR (darin enthalten 310,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Vermieterin eines Bestandobjekts mit einer Fläche von insgesamt 1.667,43 m² über zwei Geschoße umfassend auch die Fassaden, Innenhöfe, Grundflächen zur Montage von Werbetafeln sowie Technikflächen im Keller.

[2] Die Beklagte ist Mieterin dieses Bestandobjekts. Sie betreibt darin ein Restaurant, einen Club, eine Business Lounge, einen Bazaar, ein Hammam (türkisches Bad) und ein Café (samt Lagerflächen sowie Büroräumlichkeiten).

[3] Das Teilurteil des Erstgerichts,mit dem es der Klägerin 27.140,07 EUR sA zusprach und das Mehrbegehren von 50.584,07 EUR sA abwies, betrifft den von der Klägerin begehrten Mietzins für die Monate März bis Oktober 2020, also für innerhalb und außerhalb des sogenannten „harten Lockdowns“ liegende Zeiträume. Entscheidungswesentlich war für das Teilurteil des Erstgerichts vor allem seine Feststellung, dass die für die Monate März bis Juni sowie September und Oktober 2020 erlittenen Umsatzrückgänge auf behördliche Vorschriften zur Eindämmung der Covid‑19‑Pandemie, und zwar sowohl (auf) die zeitweiligen Betretungsverbote als auch (auf) die außerhalb des „harten Lockdowns“ geltenden Beschränkungen wie Abstandsregeln im Lokal, Beschränkungen der Personenzahl von Besuchergruppen und Sperrstundenregelungen, zurückzuführen sind.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte das Teilurteil hinsichtlich seines Zuspruchs. Es hegte aber aufgrund der Beweisrüge der Klägerin Bedenken gegen die (zuvor wiedergegebene) Feststellung zur Kausalität der behördlichen Beschränkungen für die Umsatzrückgänge und übernahm sie (ohne eine Beweiswiederholung durchzuführen) nicht. Es gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Teilurteil im Umfang von 50.584,07 EUR sA auf und verwies die Rechtssache insbesondere zur Erörterung der Gebrauchsbeeinträchtigungen hinsichtlich der einzelnen Teilbereiche in die erste Instanz zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig.

[5] Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist der von der Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin nicht zulässig. Entscheidend für die Zulässigkeit eines nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zugelassenen Rekurses ist nämlich, dass darin eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO konkret releviert wird (vgl RS0102059; RS0048272 [T1]; vgl 9 ObA 46/21m), was hier nicht der Fall ist:

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Einleitend sei klargestellt, dass es der Klägerin – anders als die Rekursbeantwortung behauptet – nicht an der Beschwer fehlt. Die formelle Beschwer der Klägerin ist schon deshalb gegeben, weil das Berufungsgericht ihrem in der Berufung primär gestellten Abänderungsantrag nicht folgte (7 Ob 259/07z)

[7] 2. Gegen die mit dem Beschluss erfolgte Aufhebung und Zurückverweisung in die erste Instanz kann die Klägerin schon deshalb keinen korrekturbedürftigen Fehler aufzeigen, weil das Berufungsgericht – wie bereits erwähnt – nach Befassung mit einer Aussage der Geschäftsführerin der Beklagten erhebliche Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts zur Kausalität der behördlichen Maßnahmen für die Umsatzrückgänge hegte und diese Feststellung nicht übernahm. Dass dies ohne Beweiswiederholung erfolgte, bleibt im Verfahren dritter Instanz ohne Bemängelung. Fehlt es aber an der (entscheidungswesentlichen) Feststellung über die Behauptung der Beklagten, sie habe als unmittelbare Folge von behördlichen Maßnahmen das Mietobjekt nicht bzw eingeschränkt nutzen können, muss die mit dem Rekurs verfolgte Abänderung der Entscheidungen in eine Klagsstattgebung auch hinsichtlich weiterer 50.584,07 EUR schon an diesem Feststellungsmangel scheitern.

[8] 3. Auch anlässlich der Rechtfertigung ihrer Behauptung, sie sei durch die mit diesem Beschluss (in den Gründen) auf die erste Instanz überbundene Rechtsansicht beschwert (vgl RS0007094), kann die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage ansprechen.

[9] Sie sieht die Rechtssache als spruchreif an, weil die Beklagte ihr „detailliertes“ Vorbringen (dem das Erstgericht ohnehin nicht zur Gänze folgen konnte), in welchen Zeiträumen keine Nutzungsbeschränkungen vorgelegen hätten, nur unsubstantiiert bestritten haben soll. Damit geht es ihr um die Auslegung des Prozessvorbringens durch die Vorinstanzen, welcher Frage in der Regel keine erhebliche Bedeutung zukommt (vgl RS0042828 [T25]).

[10] Angesichts des Vorbringens der Beklagten im Verfahren erster Instanz, sämtliche ihrer Räumlichkeiten hätten bis 15. 5. 2020 nicht betreten werden dürfen, es hätten auch danach von gesetzlichen Betretungsverboten (Hammam, Clubbetrieb) umfasste Bereiche bestanden im Restaurantbereich habe beispielsweise wegen der verminderten Tischanzahl (aufgrund der Abstandsregel) sowie der Gästezahl (wegen der Beschränkung auf 6 Personen pro Tisch) von einem Normalbetrieb keine Rede sein können, kann die Klägerin eine klare Fehlbeurteilung in dieser Frage nicht aufzeigen. Die Beklagte hat überdies zu den jeweiligen Teilbereichen Flächenausmaße in m² genannt und ausgeführt, dass der Restaurantbetrieb maximal eine Fläche von 20 % des Bestandobjekts umfasse, und in der Folge ihre verminderten Umsatzzahlen dargestellt. Zu bedenken ist überdies, dass das Erstgericht – ausgehend von seiner Feststellung und der daraus abgeleiteten Spruchreife des Verfahrens zugunsten der Beklagten – naturgemäß keine Notwendigkeit einer weiteren Erörterung mit dieser Partei sah. Wenn angesichts des Vorbringens der Beklagten, insbesondere vor dem Hintergrund des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung (schon) im September 2021 und der erst danach ergangenen (bzw im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlichten) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl nur 3 Ob 109/21g [veröffentlicht am 7. 10. 2021]; 3 Ob 209/21y; 9 Ob 84/21z; 10 Ob 9/22d; 10 Ob 46/22w), auf die sich das Berufungsgericht auch zum Teil berufen hat, dieses dem Erstgericht auftrug, mit der Beklagten die Gebrauchsbeeinträchtigungen näher zu erörtern, und zwar im Hinblick auf die einzelnen Teilbereiche und unter Bezugnahme auf die einzelnen Mietzinsperioden, gelingt es der Klägerin nicht, eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aufzuzeigen.

[11] 4.1. Geklärt wurde vom Obersten Gerichtshof (zwischenzeitig) bereits, dass es für die Frage einer Mietzinsminderung auf die unmittelbar auf behördliche Maßnahmen zurückgehende Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit des Mietobjekts (3 Ob 209/21p [ErwGr 7.3.3.]; 7 Ob 207/21y [ErwGr 3.3.2.]; 9 Ob 84/21z [ErwGr 3.]; 10 Ob 46/22w [ErwGr 7.3.2.]; 4 Ob 221/22m [ErwGr 2.]) hinsichtlich des vertraglichen Geschäftszwecks (7 Ob 207/21y [ErwGr 3.1.]; 4 Ob 221/22m [ErwGr 2.2.]) ankommt. Gegen diese Rechtsprechung wenden sich die Streitteile nicht, ebenso wenig gegen die vom Berufungsgericht in Aussicht genommene Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (zuletzt 9 Ob 31/22g [ErwGr 2.2.]). In der Lehre ergangene Kritik wird von ihnen nicht angesprochen.

[12] Erst jüngst wurde überdies vom 4. Senat zu den zuvor angesprochenen behördlichen Maßnahmen klargestellt, dass als solche nicht nur Betretungsverbote zu verstehen sind, sondern auch mit weniger gravierenden Folgen verbundene (aber ebenfalls durch die Pandemie verursachte) behördliche Eingriffe, wie etwa Zutrittsbeschränkungen durch die Begrenzung der zulässigen Kundenzahl und die Anordnung von einzuhaltenden Mindestabständen, darunter fallen können (vgl 4 Ob 221/22m [ErwGr 2.1. f; anders dagegen zur Maskenpflicht in einem Bekleidungsgeschäft ErwGr 2.3.]).

[13] Es wird daher im weiteren Verfahren an der Beklagten liegen, näheres Vorbringen – insbesondere zum Ausmaß der dadurch bewirkten mangelnden Brauchbarkeit des Bestandobjekts bezogen auf die jeweiligen von den Maßnahmen unterschiedlich erfassten Teilbereiche und Mietzinsperioden – zu erstatten (vgl 1 Ob 178/22s [Rz 3]).

[14] 4.2. Freilich wird dabei nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, dass wegen der Schwierigkeit der Ermittlung des Restnutzens die Anwendung von § 273 ZPO naheliegt (5 Ob 192/21b [ErwGr 2.8.]; 4 Ob 218/21v [ErwGr 1.2.]). Auch dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits erläutert, dass als Parameter dafür Umsatzeinbußen, soweit sie auf anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügte behördliche Maßnahmen zurückgehen, heranzuziehen sein können (9 Ob 84/21z [ErwGr 7.3.2.]; 10 Ob 46/22w [ErwGr 3.2.]).

[15] Wenn das Berufungsgericht für den vorliegenden Fall nicht allein auf Veränderungen des Umsatzes, sondern insgesamt auf die Reduktion des geschäftlichen Ertrags unter Berücksichtigung von Fixkosten und der allfälligen Reduktion variabler Kosten abstellte und die Klägerin dem sogar beitritt, liegt auch darin keine erhebliche Rechtsfrage, zumal es immer bloß um eine (aus mehreren Blickwinkeln mögliche) Annäherung an die Frage gehen muss, inwieweit eine auf behördliche Maßnahmen unmittelbar zurückgehende Einschränkung der Nutzbarkeit (der Teilbereiche) des Bestandobjekts (während der einzelnen Mietzinsperioden) vorliegt. Dafür können die vorgenannten Faktoren im Regelfall eben nur Indizwirkung haben und die Grundlage für die Entscheidung nach § 273 Abs 2 ZPO bilden, aber nicht zu einer exakten „Errechnung“ führen. Fragen zur von der Klägerin pauschal thematisierten Berücksichtigung von (nicht näher umrissenen) „staatlichen Hilfen“ stellen sich derzeit nicht. Der Fixkostenzuschuss ist nach bereits bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung keine Zuwendung, die dazu gedacht ist, den gesetzlichen Mietzinsentfall der Geschäftsraumvermieter wettzumachen (3 Ob 184/21m [ErwGr 4.1. ff]; 5 Ob 192/21b [ErwGr 4.1. ff]). Die Voraussetzungen für die Gewährung von Umsatzersatz liegen im Übrigen schon zeitlich (geht es doch um Mietzins bis einschließlich Oktober 2020) nicht vor.

[16] Als Grundlage für die Ermessensentscheidung nach § 273 Abs 1 ZPO könnte im hier zu beurteilenden Fall auch die Betrachtung der den „Teilbetrieben“ zugeordneten Flächen (jeweils für Hammam, Club, etc) im Verhältnis zur Gesamtfläche unter Berücksichtigung der (unterschiedlichen) Dauer von (die Teilbereiche auch divergierend treffenden) Betretungsverboten oder sonstigen Einschränkungen zweckdienlich sein. Das Berufungsgericht meinte (anlässlich der Verneinung eines in der Berufung relevierten sekundären Feststellungsmangels) zwar, die Flächenausmaße und ‑zugehörigkeit zu den einzelnen Teilbetrieben gingen aus dem dem Ersturteil angehefteten Plan hervor; soweit darauf Bezug genommen wird, wäre es aber angesichts der Unlesbarkeit dieser Beilage zweckdienlich, die Ausmaße festzuhalten.

[17] 5. Zuletzt bedarf es auch zur Frage, ob die Vereinbarung einer Umsatzmiete die Mietzinsreduktion bereits von vornherein ausschließt, keiner Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof, zumal der Schwellenwert, ab dem eine Umsatzmiete und nicht bloß die bedungene Mindestmiete zu zahlen gewesen wäre, seit Vertragsschluss im Jahr 2001 nie – also auch nicht im hier zu beurteilenden Zeitraum – erreicht wurde. Ist aber diese Regelung bisher noch nie „schlagend“ geworden (und eine umsatzabhängige Miete folglich bisher nicht zugestanden), käme der Frage, ob bei umsatzabhängiger Miete Mietzinsminderungsansprüche bereits abgegolten sind, nur theoretisch abstrakte Bedeutung zu. Die Klärung solcher Fragen ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]).

[18] 6. Im Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist die Kostenentscheidung nicht nach § 52 ZPO vorzubehalten (RS0123222). Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher nach §§ 41, 50 ZPO Anspruch auf Kostenersatz (RS0123222 [T2, T8]).

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