European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00135.22D.0324.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die beklagte Abschlussprüferin haftet aufgrund des rechtskräftigen Zwischenurteils des Erstgerichts für den Schaden der geprüften Gesellschaft, den diese durch die verzögerte Insolvenzeröffnung erlitten hat, weil die Geschäftsführer aufgrund des unrichtig erteilten uneingeschränkten Bestätigungsvermerks nicht schon früher einen Insolvenzantrag gestellt hatten.
[2] Die Vorinstanzen gaben nun dem Klagebegehren des Masseverwalters der geprüften Gesellschaft statt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[4] 1.1. Die §§ 273 bis 275 UGB haben nach ständiger Rechtsprechung primär den Zweck, die geprüfte Gesellschaft vor Vermögensschäden zu schützen (RS0114297 [T1]; vgl jüngst 4 Ob 145/21h [ErwGr 1.]; 1 Ob 185/21v [ErwGr 3. und 6.]). Schutzobjekt ist das eigene Vermögen der Gesellschaft (8 Ob 76/15g [ErwGr 4.]).
[5] 1.2. Bei Schadensfällen, die – wie im vorliegenden Fall – auf die Fehlerhaftigkeit des unter der Verantwortung der gesetzlichen Vertreter der geprüften Gesellschaft aufgestellten Jahresabschlusses zurückgehen und vom Abschlussprüfer wegen dessen pflichtwidrigen Verhaltens nicht aufgedeckt wurden, ist die geschädigte geprüfte Gesellschaft unter Berücksichtigung ihres Gesamtvermögens so zu stellen, wie sie ohne das schädigende Ereignis stünde. Der konkrete Schaden ist daher mit Hilfe der Differenzmethode (Differenzhypothese) zu errechnen (6 Ob 207/20i [ErwGr 8.1.]). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass auch die Berechnung eines durch verzögerte Insolvenzeröffnung entstandenen Schadens der geprüften Gesellschaft durch Vergleich des Unterschieds ihrer Aktiva minus Passiva an den zwei maßgeblichen Stichtagen zu ermitteln ist. Diese Berechnung, bei der nicht nur eine Verringerung der Aktiva, sondern auch das Entstehen von Verbindlichkeiten berücksichtigt werden, bildet die weitere Verringerung des (bereits im Zeitpunkt der Erteilung des Bestätigungsvermerks negativen) Vermögens der Gesellschaft bis zur Insolvenzeröffnung ab (8 Ob 76/15g [ErwGr 2.]; zust Isola/Weileder, Insolvenzverschleppungshaftung des Abschlussprüfers, RWZ 2021, 252; Reckenzaun, Haftung des Abschlussprüfers – Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter, ZIK 2016, 128; zur Schadensberechung auch Piringer, Insolvenzverschleppung: Schadenspositionen und Berechnung, Der Sachverständige 2020, 146; für Deutschland kommt der Bundesgerichtshof zum gleichen Ergebnis BGH 6. 6. 2013 IX ZR 204/12). Ob der so berechnete Schaden der Höhe nach dem „Quotenschaden“ der Gläubiger entspricht oder nicht, ist hingegen nicht maßgeblich (8 Ob 76/15g [ErwGr 1.]).
[6] 1.3. Die mit Hilfe dieser Differenzmethode erfolgte Schadensberechnung der Vorinstanzen findet Deckung in den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen.
[7] 1.4. Einen Wertungswiderspruch dieser Rechtsprechung zeigt die Revision mit ihrem Hinweis auf die Schadensbegrenzung mit dem Gesamtgläubigerschaden bei der Haftung eines Geschäftsführers nach dem Sondertatbestand des § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG nicht auf. Denn die letztgenannte Haftungsnorm betrifft nicht den der Gesellschaft durch einen (vergrößerten) Betriebsverlust entstandenen Schaden. Sie ermöglicht vielmehr die Abwicklung des den Gläubigern der Gesellschaft durch Zahlungen nach Insolvenzreife entstandenen Schadens über das Gesellschaftsvermögen. Der Zweck dieses Zahlungsverbots besteht darin, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (6 Ob 164/16k [ErwGr 2.1.]).
[8] 2.1. Auch eine nachrangige Verbindlichkeit ist eine von der Gesellschaft zu befriedigende Schuld (1 Ob 15/21v [ErwGr 4.2.]). Schutzobjekt der Abschlussprüfung ist primär das eigene Vermögen der Gesellschaft (dazu Punkt 1.1.). Es wurde bereits ausgesprochen, dass es daher dem Schadenersatzanspruch der Gesellschaft nicht entgegengehalten werden kann, wenn Gesellschaftern durch die Haftung des Abschlussprüfers mittelbar Vorteile erwachsen würden (8 Ob 76/15g [ErwGr 4.]).
[9] 2.2. Nach der oben unter Punkt 1. erörterten Rechtsprechung ist nicht die Beeinträchtigung der Gläubiger, sondern der Schaden der Gesellschaft maßgeblich, der sich durch Gegenüberstellung des Gesamtvermögens errechnet. Auf die Argumentation der Vorinstanzen, die ausgehend davon auch die nachrangigen Verbindlichkeiten in diese Gegenüberstellung einbezogen, geht die Revision nicht ein, sondern verweist neuerlich auf den von ihr behaupteten (unzutreffenden) Schutzzweck der Haftungsnorm des § 275 UGB, nach dem richtigerweise jener Schaden, den die Gläubiger durch die Insolvenzverschleppung erleiden, maßgeblich sei; die nachrangigen Verbindlichkeiten seien daher bei der Schadensberechnung nicht zu berücksichtigen, weil sie im Insolvenzverfahren faktisch wie Eigenkapital zu betrachten seien und feststehe, dass sie im vorliegenden Fall niemals befriedigt würden. Im Hinblick auf die erörterte gegenteilige Rechtsprechung zum Schutzzweck der §§ 273 ff UGB bringt die Revision mit diesen Ausführungen somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung.
[10] 3. Auch mit dem nicht näher begründeten Hinweis, die unterbliebene schadensmindernde Berücksichtigung von Anfechtungserlösen und Schadenersatzzahlungen anderer Abschlussprüfer durch die Vorinstanzen sei unrichtig, versäumt es die Revision, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzulegen. Im Übrigen käme diesen Fragen im vorliegenden Fall auch keine Relevanz zu, weil der verbleibende Vermögensverlust der Gesellschaft selbst unter Berücksichtigung dieser Positionen (zugunsten der Beklagten) den Klagsbetrag überstiege.
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