OGH 5Ob22/23f

OGH5Ob22/23f23.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O*, vertreten durch Siarlidis Huber‑Erlenwein Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. D*, 2. E*, ebenda, dieser vertreten durch die Erwachsenenvertreterin D*, beide vertreten durch Stipanitz‑Schreiner und Partner Rechtsanwälte GbR in Graz, wegen Räumung und Zahlung von 29.950 EUR über den (richtig:) Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 28. September 2022, GZ 5 R 184/21x‑23, in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 1. Februar 2023, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑West vom 18. November 2021, GZ 16 C 140/21y‑8, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00022.23F.0323.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.122,14 EUR (darin 187,03 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Zweitbeklagten wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger und die Erstbeklagte waren verheiratet, ihre Ehe wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 2. 7. 2019 rechtskräftig geschieden. Beim Erstgericht ist zu 408 Fam 22/19w ein Aufteilungsverfahren zwischen ihnen anhängig. Der Zweitbeklagte ist ihr Sohn.

[2] Der Kläger ist Alleineigentümer einer Liegenschaft mit dem darauf errichteten Haus mit zwei Wohneinheiten. Die Erstbeklagte bewohnt gemeinsam mit dem Zweitbeklagten die im Obergeschoss gelegene Wohnung, die zuvor die Ehewohnung war.

[3] Der Kläger begehrt von beiden Beklagten die Räumung dieser Wohnung sowie Zahlung von Benutzungsentgelt und Betriebskosten in Höhe von insgesamt 29.950 EUR für den Zeitraum September 2018 bis August 2021. Die Beklagten nützten die Wohnung im Obergeschoss titellos, die Erstbeklagte habe kein dringendes Wohnbedürfnis an der ehemaligen Ehewohnung mehr. Im Aufteilungsverfahren habe sie die Zuweisung der Liegenschaft nicht begehrt, sie sei daher dort nicht verfahrensgegenständlich.

[4] Die Beklagten wendeten die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ein. Der Vorrang des Aufteilungsverfahrens gelte auch für Räumungsansprüche betreffend die Ehewohnung, für Ansprüche wegen des aus einer zum ehelichen Gebrauchsvermögen gehörigen Sache erzielten Nutzens und auf Rückersatz der zur Erhaltung einer solchen Sache getätigten Aufwendungen.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag ab, die Klage wegen Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs zurückzuweisen.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten teilweise Folge. Es bestätigte den angefochtenen Beschluss in Ansehung des Zweitbeklagten, dies ist nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens. Hinsichtlich der Erstbeklagten änderte es ihn dahin ab, dass es den streitigen Rechtsweg für das Räumungs‑ und Zahlungsbegehren für unzulässig erklärte und die Rechtssache insoweit in das beim Erstgericht anhängige Aufteilungsverfahren überwies. Nach dem Vorbringen des Klägers selbst sei die im Obergeschoss seines Hauses gelegene Wohnung bis 1. 7. 2017 Ehewohnung gewesen. Dass sie aus den in § 82 Abs 1 EheG aufgezählten Gründen nicht der Aufteilung unterliege, habe er nicht behauptet. Sie sei daher Bestandteil der Aufteilungsmasse und Gegenstand des Aufteilungsverfahrens, selbst wenn die Erstbeklagte dort die Zuweisung der Liegenschaft mit der Ehewohnung an den Kläger gegen Ausgleichszahlung von 400.000 EUR beantragt habe.

[7] Mit Beschluss des erkennenden Senats vom 21. 12. 2022 wurden die Akten an das Rekursgericht zwecks Bewertung des Entscheidungsgegenstands und Ausspruchs iSd § 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO zurückgestellt.

[8] Das Rekursgericht ergänzte seine Entscheidung dahin, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige und gegen seinen Beschluss im Umfang der Abänderung der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Eine eindeutige Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob der Vorrang des Aufteilungsverfahrens auch dann für mit der vormaligen Ehewohnung in Zusammenhang stehende Räumungsansprüche des über die Wohnung Verfügungsberechtigten gelte, wenn der andere Teil ein Verhalten setze, das wegen seiner Rechtsmissbräuchlichkeit den im Aufteilungsverfahren fortlebenden Anspruch des Wohnungsbedürftigen auf Erhaltung der Wohnmöglichkeit nach § 97 ABGB zum Erlöschen bringe.

[9] In seinem als Rekurs bezeichneten, als Revisionsrekurs zu wertenden, Rechtsmittel wendet sich der Kläger gegen die Überweisungsentscheidung des Rekursgerichts mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass auch hinsichtlich der Erstbeklagten die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs verworfen werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[10] Beide Beklagten beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[11] Der Revisionsrekurs des Klägers ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig, er kann keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen. Die Revisionsrekursbeantwortung des Zweitbeklagten ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Der Revisionsrekurs bezieht sich nur auf den abändernden Teil der Rekursentscheidung, somit nur auf die Erstbeklagte. Der Zweitbeklagte ist nicht Partei des Revisionsrekursverfahrens. Soweit die Revisionsrekursbeantwortung auch von ihm erstattet wurde, war sie daher zurückzuweisen.

[13] 2.1. Der in ständiger Rechtsprechung anerkannte (vgl RIS‑Justiz RS0111605) Vorrang des Aufteilungsverfahrens bedeutet, dass – soweit aufzuteilendes Vermögen der Ehegatten betroffen ist – dessen Rechtszuständigkeit im Außerstreitverfahren geklärt werden soll. Aus dem Vorrang des Aufteilungsverfahrens ist abzuleiten, dass die Eigenschaft eines Vermögenswerts als Teil des ehelichen Gebrauchsvermögens oder der ehelichen Ersparnisse auch für die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs zu prüfen ist (1 Ob 26/15b; 1 Ob 83/20t mwN).

[14] 2.2. Der Vorrang des Aufteilungsverfahrens soll verhindern, dass das in einem Rechtsstreit gewonnene Ergebnis durch eine noch mögliche Rechtsgestaltung im Außerstreitverfahren umgestoßen oder überholt wird (RS0111605). Er gilt auch für Ansprüche auf Benützungsentgelt aus der behaupteten titellosen (Mit‑)Benützung der ehemaligen Ehewohnung und auf (anteiligen) Ersatz der für die ehemalige Ehewohnung angefallenen Betriebskosten (RS0111605 [T3]). Der geschiedene Ehepartner kann dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren auch das im Aufteilungsanspruch fortlebende Benützungsrecht an der Ehewohnung wirksam entgegenhalten, solange über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist (RS0009537).

[15] 2.3. Dass die im Obergeschoss des Hauses gelegene Wohnung, die die Beklagten noch bewohnen, jedenfalls bis 1. 7. 2017 Ehewohnung war, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers selbst und ist nicht strittig. Gemäß § 81 Abs 2 EheG gehört die (ehemalige) Ehewohnung aber zum ehelichen Gebrauchsvermögen. Einer der in § 82 Abs 2 EheG genannten Fälle, der die Einbeziehung der Ehewohnung in das Aufteilungsverfahren allenfalls verhinderte, war nach der einzelfallabhängigen (vgl RS0042828) und jedenfalls nicht korrekturbedürftigen Auslegung des Prozessvorbringens des Klägers durch das Rekursgericht hier nicht erkennbar. Dass er sie in die Ehe eingebracht, von Todes wegen erworben odersie ihm ein Dritter geschenkt hätte, ergibt sich nicht einmal aus dem von ihm in seinem Revisionsrekurs zitierten eigenen Prozessvorbringen.

[16] 2.4. Damit hat es aber zu einer zumindest wertmäßigen Einbeziehung der Ehewohnung in das Aufteilungsverfahren zu kommen, selbst wenn die Erstbeklagte nicht die Zuweisung der Ehewohnung selbst oder auch nur obligatorischer Benützungsrechte daran, sondern nur eine Ausgleichszahlung beantragt hat. Wie der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall (1 Ob 83/20t [mangelnde Zuweisbarkeit der Ehewohnung, weilDienstwohnung des Mannes] bereits ausgesprochen hat, können sich im Zusammenhang mit der wertmäßigen Einbeziehung und Ausmessung einer Ausgleichszahlung einer nicht mehr zuweisbaren Ehewohnung unterschiedliche im Außerstreitverfahren zu lösende Fragen stellen. Es kann um während der Ehe getätigte Verbesserungen der Ehewohnung gehen, der Gebrauchsvorteil, den ein Ehepartner dadurch erlangt hat, dass er während des Aufteilungsverfahrens die Ehewohnung benutzt und sich die Kosten einer anderen Wohnmöglichkeit erspart hat, kann im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigen sein (RS0131883). Allenfalls mag dem Umstand Rechnung zu tragen sein, dass derjenige, der aus der Ehewohnung ausziehen muss, vom Ehegatten, der die Wohnung behält, durch eine Geldzahlung bei der Beschaffung einer neuen Wohnung zu unterstützen ist (RS0057574). Da im Aufteilungsverfahren ein für beide Teile tragbares wirtschaftliches Ergebnis gefunden werden soll (RS0057910), würde dessen Zweck unterlaufen, wenn ein Ehegatte noch vor Aufteilung der ehelichen Errungenschaft die Ehewohnung zu räumen hätte, obwohl er möglicherweise erst durch die Aufteilung die Mittel erhält, mit denen er selbst für eine Wohnung aufkommen kann.

[17] 2.5. Das Rekursgericht hat diese in ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung judizierten Grundsätze zum Vorrang des Aufteilungsverfahrens auf den vorliegenden Fall in nicht korrekturbedürftiger Weise angewendet und folgerichtig dem Umstand, dass die Erstbeklagte im Aufteilungsverfahren nur eine Ausgleichszahlung begehrte, keine rechtliche Relevanz zuerkannt. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO zeigt der Kläger dazu nicht auf.

[18] 3.1. Zur Zulassungsbegründung des Rekursgerichts ist auf die ständige Rechtsprechung (RS0088931) zu verweisen, dass die Zulässigkeit eines Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof voraussetzt, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage tatsächlich abhängt. Dies ist hier nicht der Fall.

[19] 3.2. In seinen Revisionsrekursausführungen befasst sich der Kläger nämlich nur mit der Frage, ob die Ehewohnung hier tatsächlich Gegenstand der Aufteilung sein kann und verneint dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Erstbeklagte im Aufteilungsverfahren deren Zuweisung oder Einräumung obligatorischer Rechte daran nicht begehrt habe, sondern nur eine Ausgleichszahlung verlange. Auf die vom Rekursgericht aufgeworfene Frage, ob der Vorrang des Aufteilungsverfahrens für die vormalige Ehewohnung auch dann noch gelten kann, wenn der andere Teil (hier die Erstbeklagte) ein Verhalten setzt, das wegen seiner Rechtsmissbräuchlichkeit den im Aufteilungsverfahren fortlebenden Anspruch auf Erhaltung der Wohnmöglichkeit nach § 97 ABGB zum Erlöschen bringt, geht der Revisionsrekurswerber in seinem Rechtsmittel nicht ein. Die Überlegungen des Rekursgerichts hiezu (vgl Punkte 4.4.1 und 4.4.2 der Rekursentscheidung) zieht er nicht in Zweifel, inhaltliche Ausführungen hiezu finden sich in seinem Rechtsmittel nicht einmal ansatzweise. Eine nähere Auseinandersetzung mit der vom Rekursgericht als erheblich gewerteten, im Revisionsrekurs aber gar nicht relevierten Rechtsfrage erübrigt sich somit (vgl RS0102059).

[20] 4. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

[21] 5. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat der Kläger der Erstbeklagten die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen, in der sie auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat. Da beide Beklagte eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet haben, jene des Zweitbeklagten allerdings zurückgewiesen wurde, war davon auszugehen, dass sie ihren Rechtsfreundnach Kopfteilen bezahlen und daher nach außen hin nur den jeweils auf sie entfallenden Kopfteil der gemeinsamen Gesamtkosten zu fordern haben (RS0035937). Ein Zuspruch an die Erstbeklagte war daher auf die halben Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu beschränken. Die Bemessungsgrundlage nach RATG betrug dafür nur 31.500 EUR.

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