OGH 8ObA92/22w

OGH8ObA92/22w23.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Hawel Eypeltauer Gigleitner Huber & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. November 2022, GZ 12 Ra 55/22b‑42, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. Juni 2022, GZ 32 Cga 71/21p‑37, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00092.22W.0223.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.709,72 EUR (darin 451,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte ist ein österreichisches Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Wien. Der Kläger war bei der Beklagten als Flugkapitän auf einem Flugzeug der Type Dash 8 beschäftigt. Als Dienstort wurde Salzburg vereinbart. Der auf das Dienstverhältnis anzuwendende Kollektivvertrag für das Bordpersonal 2015 (KV‑Bord) enthält folgende Regelungen:

 

39. Versetzung

Eine örtliche Versetzung, die den Zeitraum von 13 Wochen übersteigt, kann nur im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt werden und ist vertraglich zu regeln. (…)

65.9 (...) Umschulung bzw. Zuteilung zu einzelnen Flugzeugtypen auf Senioritätsränge des Verwendungsbereichs ‘Mainline‘

65.9.1 Sind Stellen in einem Senioritätsrang des Verwendungsbereiches ‘Mainline‘ zu besetzen, so sind zunächst jene Stellen auszuschreiben, die innerhalb dieses Senioritätsranges durch Umschulungen besetzt werden sollen. Die Besetzung erfolgt aus dem Kreis der Bewerber nach aufsteigender Reihenfolge der Senioritätsnummern aus der Senioritätsliste ‘M‘. (...)

68. Objektiv betriebsbedingte Kündigung und Wiedereinstellung

68.1 Objektiv betriebsbedingte Kündigungen erfolgen – unter Würdigung sozialer Umstände – in aufsteigender Reihenfolge der Kündigungsnummern unabhängig von Senioritätsrang und Flugzeugtype. (…)

68.2 Kündigungsreihenfolge bzw. Kündigungsnummer

Die Kündigungsnummer ergibt sich aus der fortlaufenden Reihung aller Piloten in der absteigenden Reihenfolge ihrer Senioritätsdaten (jüngstes Senioritätsdatum zuerst). (...)

69. (Teil-)Betriebsübergang, (Teil-)Betriebsstilllegung (…)

69.2 Auch bei Teil-Betriebsstilllegungen ist bei einem erforderlichen Personalabbau Punkt 68. anzuwenden.“

[2] Im Jahr 2017 evaluierte die Beklagte die Rentabilität der Regionallinien, woraufhin sie sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Schließung der Standorte in den Bundesländern und zur sukzessiven Ausflottung der verhältnismäßig kleinen Flugzeuge des Typs Dash 8 entschied.

[3] Die Umschulung auf einen anderen Flugzeugtyp erfordert im Unternehmen der Beklagten, dass sich der Pilot auf eine ausgeschriebene Stelle bewirbt. Der Kläger hätte seit 2017 die Möglichkeit gehabt, eine der ausgeschriebenen Stellen als Flugkapitän auf einem Airbus A320 oder einer Embraer 195 zu erlangen, was aber mit der Verlegung seines Dienstorts nach Wien verbunden gewesen wäre. Stattdessen hat sich der Kläger auf die ausgeschriebenen Stellen mit dem Vorbehalt beworben, dass sein Dienstort entgegen den Ausschreibungsbedingungen unverändert bleibe, was von der Beklagten nicht akzeptiert wurde.

[4] Als die Flugzeuge der Type Dash 8 mit 31. 3. 2021 ausgeflottet wurden und alle ausgeschriebenen Flugkapitän-Stellen besetzt waren, bot die Beklagte dem Kläger noch eine Umschulung zum Co-Pilot ohne Einkommenseinbuße an, womit der Kläger aber wegen der damit verbundenen Verlegung des Dienstorts nach Wien nicht einverstanden war. Der Kläger verwies auf das bestehende Dienstverhältnis und forderte die Umschulung auf einen anderen Flugzeugtyp.

[5] Nachdem das Landesgericht Korneuburg mit Urteil vom 13. 10. 2020 zu 38 Cga 15/20x der Beklagten gemäß § 101 ArbVG die Zustimmung zur Versetzung des Klägers nach Wien erteilte, informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass er ab 1. 6. 2021 nach Wien versetzt werde. Der Kläger kam dieser seines Erachtens rechtswidrigen Versetzung nur unter Protest nach und kündigte die Geltendmachung von Ersatzansprüchen an.

[6] Am 6. 7. 2021 wurde der Kläger vom Flugdienst freigestellt. Am 19. 8. 2021 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers zum 31. 12. 2021. Der Kläger hat die Kündigung nach § 105 ArbVG angefochten, wobei das Verfahren zu 30 Cga 29/21y des Landesgerichts Korneuburg noch anhängig ist.

[7] DerKläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands seines Dienstverhältnisses. Da bei der Beklagten zahlreiche Kapitäne und Co‑Piloten mit jüngerem Senioritätsdatum beschäftigt seien, habe die Kündigung gegen Punkt 68. KV‑Bord verstoßen. Stattdessen wäre die Beklagte nach Punkt 65.7 KV-Bord verpflichtet gewesen, den Kläger auf einen anderen Flugzeugtyp umzuschulen. Die Kündigung sei sittenwirdrig und rechtsmissbräuchlich, weil sie nur darauf zurückzuführen sei, dass der Kläger auf seine dienstvertraglichen Rechte bestanden habe.

[8] Die Beklagte wendet ein, dass Punkt 68. KV‑Bord nicht anwendbar sei, weil die Kündigung nicht betriebsbedingt gewesen sei. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, sich auf eine der ausgeschriebenen Stellen zu bewerben. Erst das Beharren des Klägers auf seiner dienstrechtlichen Stellung habe dazu geführt, dass er nicht mehr einsetzbar sei.

[9] Das Erstgericht wies die Klage ab. Eine Änderung des Dienstorts sei nur mit der Zustimmung des Klägers möglich gewesen. Da der Kläger diese Zustimmung verweigert habe, könne er sich nicht darauf berufen, dass die Beklagte keine Umschulung veranlasst habe. Es liege deshalb eine „personenbedingte Kündigung“ vor, die nicht den Beschränkungen nach Punkt 68. KV-Bord unterliege. Selbst wenn man von einer objektiv betriebsbedingten Kündigung ausginge, sei der Kollektivvertrag dahin auszulegen, dass sich keiner der an einem Standort tätigen Dienstnehmer auf seine Seniorität berufen könne, wenn sämtliche Dienstnehmer dieses Standorts gekündigt werden. Da der Kläger alle Angebote, die ihm einen Verbleib im Unternehmen der Beklagten ermöglicht hätten, abgelehnt habe, sei die Kündigung weder sittenwidrig noch rechtsmissbräuchlich.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zum Vorliegen einer objektiv betriebsbedingten Kündigung nach Punkt 68. iVm Punkt 69. KV-Bord noch nicht Stellung genommen habe.

[11] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, dass seiner Klage stattgegeben werde.

[12] Die Beklagte beantragt die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[14] 1. Der Auslegung der im Kollektivvertrag enthaltenen Kündigungsbeschränkungen kommt schon wegen des größeren Personenkreises der davon betroffenen Dienstnehmer über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, weshalb die Revision zulässig ist (RIS-Justiz RS0042819; RS0109942).

[15] 2. Nach Punkt 39. KV-Bord ist eine örtliche Versetzung nur möglich, wenn sie im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer erfolgt. Nach ständiger Rechtsprechung kann bei einer vertragsgründenden Versetzung die Zustimmung des Dienstnehmers nicht durch eine Zustimmung des Betriebsrats nach § 101 ArbVG ersetzt werden (RS0051120). Der Oberste Gerichtshof hat auch zu Punkt 39. KV‑Bord zu 8 ObA 40/22y ausgesprochen, dass das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 13. 10. 2020 nichts daran ändert, dass die betroffenen Dienstnehmer nicht verpflichtet sind, ihren Dienstort nach Wien zu verlegen. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, den Kläger zu kündigen.

[16] 3. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen (RS0008807; RS0008782; RS0010088). In erster Linie ist bei der Auslegung eines Kollektivvertrags deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Den Kollektivvertragsparteien ist dabei zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RS0008828).

[17] 4. Da die Kündigung des Klägers darauf zurückzuführen ist, dass sich die Beklagte aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Schließung der Standorte in den Bundesländern und zur Ausflottung der Flugzeuge des Typs Dash 8 entschlossen hat, handelt es sich zwar entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen um eine objektiv betriebsbedingte Kündigung im Sinne des Verständnisses des § 105 Abs 2 ArbVG in der Folge einer (Teil-)Betriebsstilllegung. Eine andere Frage ist aber die Auslegung des Begriffs der „betriebsbedingten Kündigung“ im Sinne des KV‑Bord und in welcher Form bei der Schließung eines Standorts für den erforderlichen Personalabbau nach Punkt 69.2 KV‑Bord das Senioritätsprinzip gilt.

[18] 5. Die Rechtsansicht des Klägers, dass er erst nach allen anderen für die Beklagte tätigen dienstjüngeren Piloten gekündigt werden dürfe, würde dazu führen, dass er faktisch nicht gekündigt werden könnte. Der Oberste Gerichtshof hat im Übrigen bereits zu 9 ObA 52/95 zu einem Senioritätsprinzip in einer früheren Regelung darauf hingewiesen, dass sich der Schutz des Senioritätsprinzips nur auf den Fall einer Kündigung wegen Pilotenüberschusses bezieht, im Übrigen aber ein freies Kündigungsrecht des Dienstgebers besteht.

[19] 6. Angesichts der Schließung des Standorts in Salzburg würde es keinen Sinn machen, wenn die Beklagte anstelle des Klägers dienstjüngere Piloten am Standort in Wien kündigen würde, obwohl dort gar kein Pilotenüberschuss besteht und diese Piloten zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs benötigt werden, der Kläger aber gar nicht bereit ist, von dort aus zu arbeiten. Nach dem Wortlaut des Punkt 69.2 KV-Bord, gilt die das Senioritätsprinzip im Fall einer (Teil-)Betriebsstilllegung für den „erforderlichen“ Personalabbau. Beim Kläger wäre eine Kündigung aber gar nicht „erforderlich“ gewesen, vielmehr wurden ihm verschiedenste Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Da der Kläger sich der von der Beklagten angeordneten Verlegung des Dienstorts nach Wien widersetzt hat und die Versetzung ohne seine Zustimmung auch nicht möglich war, kann er sich nicht auf seine Seniorität gegenüber Piloten berufen, die in Wien beschäftigt und vom erforderlichen Personalabbau gar nicht betroffen sind.

[20] 7. Eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger unter Beinhaltung des bisherigen Dienstorts auf einen anderen Flugzeugtyp umzuschulen, lässt sich dem Kollektivvertrag nicht entnehmen. Nach Punkt 65.9 Bord-KV sind die durch Umschulung zu besetzenden Stellen vielmehr auszuschreiben und aus dem Kreis der Bewerber nach dem Senioritätsprinzip zu besetzen. Die Beklagte hat dem Kläger auch tatsächlich die Möglichkeit eingeräumt, eine solche Stelle zu erlangen, was dieser aber aufgrund der damit verbundenen Verlegung seines Dienstorts abgelehnt hat. Die den Ausschreibungsbedingungen widersprechende Bewerbung des Klägers musste die Beklagte nicht berücksichtigen. Ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten ist darin nicht erkennbar.

[21] 8. Soweit der Kläger behauptet, dass er nur deshalb gekündigt worden sei, weil er sich auf seine dienstvertraglichen Rechte berufen habe, so entspricht dies dem Anfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG, dessen Beurteilung dem Parallelverfahren über die Kündigungsanfechtung vorbehalten ist (RS0018163).

[22] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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