OGH 10ObS16/23k

OGH10ObS16/23k21.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Thomas Juen, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2022, GZ 23 Rs 25/22 f‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00016.23K.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Am 15. Jänner 2021 rutschte der Kläger bei einem Einsatz als freiwilliger Feuerwehrmann auf einer Stiege aus und erlitt ein Umknicktrauma, das mit einer Prellung und einer Zerrung des rechten Sprunggelenks einherging. Die Verletzungen wurden durch eine Gipsruhigstellung behandelt und sind – aufgrund einer Vorverletzung zwar verzögert aber doch – folgenlos ausgeheilt. Seit dem 16. März 2021 liegt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr vor. Eine beim Kläger nachfolgend diagnostizierte Psoriasis Arthropathie (rheumatische Erkrankung) kann durch ein Umknicktrauma nicht ausgelöst werden.

[2] Mit Bescheid vom 13. August 2021 sprach die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass das Ereignis vom 15. Jänner 2021 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

[3] Das Erstgerichtwies die auf die Feststellung der Verletzungen des rechten Sprunggelenks als Folge des Arbeitsunfalls vom 15. Jänner 2021 sowie auf Gewährung einer Versehrtenrente gerichtete Klage ab. Zwar liege ein Arbeitsunfällen gleichgestellter Unfall iSd § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG vor. Das Feststellungsbegehren scheitere jedoch daran, dass keine bestimmte Gesundheitsstörung als Folge des Arbeitsunfalls (mehr) bestehe. Da seit 16. März 2021 keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr vorliege, sei auch das Leistungsbegehren nicht berechtigt.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[6] 1.1. Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können – auch in Sozialrechtssachen (RIS-Justiz RS0043061) – in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963). Anderes gilt nur, wenn das Berufungsgericht infolge einer unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0040597 [T4]; RS0043086 [T5]). Derartiges zeigt der Kläger nicht auf. Die schon in der Mängelrüge der Berufung angesprochenen, vom Berufungsgericht aber nicht im Sinn des Klägers beantworteten Fragen, ob einem Sachverständigengutachten gefolgt werden kann oder ob ein weiteres Gutachten einzuholen gewesen wäre (RS0043320 [insb T1, T27]; RS0043163 [T16]), fallen nämlich ebenso wie die Beurteilung, ob der Sachverständige über das notwendige Fachwissen verfügt (RS0040586 [T4]; RS0043235 [T13]), in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung. Dass das Berufungsgericht den Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus einem anderen medizinischen Fachbereich zusätzlich noch als Erkundungsbeweis qualifiziert hat, ändert daran nichts.

[7] 1.2. Die behaupteten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens wegen Verstößen gegen die Anleitungspflicht sowie die Pflicht nach § 87 Abs 1 ASGG (vgl RS0042477) wurden in der Berufung nicht geltend gemacht und können daher in der Revision nicht nachgetragen werden (RS0043111; RS0074223). Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe seinerseits gegen die „Offizialmaxime“ (vgl aber RS0103347) verstoßen, ist nicht nachvollziehbar.

[8] 2. Voraussetzung für die begehrte Feststellung (§§ 65 Abs 2, 82 Abs 5 ASGG) ist, dass beim Versicherten zumindest bei Schluss der Verhandlung erster Instanz eine bestimmte Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit besteht, weil § 65 Abs 2 Satz 2 ASGG davon losgelöste Feststellungsbegehren nicht erfasst (10 ObS 146/07d SSV‑NF 22/1; 10 ObS 221/01z SSV‑NF 16/33 ua). Fehlt es daher zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz überhaupt an einer auf einen Arbeitsunfall (oder eine Berufskrankheit) zurückgehenden Gesundheitsstörung, kann eine Feststellung im Sinn der genannten Bestimmungen nicht getroffen werden (10 ObS 104/18v SSV‑NF 32/63, 10 ObS 54/18s; 10 ObS 156/02t ua). Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung. Diese ist entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht auf den Fall beschränkt, dass kein Arbeitsunfall vorliegt. Die begehrte Feststellung setzt vielmehr (kumulativ) voraus, dass sowohl ein Arbeitsunfall als auch eine kausale Gesundheitsstörung vorliegen. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt es auf die andere nicht mehr an (vgl 10 ObS 156/02t).

[9] 3. Der Kläger zeigt insgesamt somit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.

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