European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00093.22V.0131.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Im Verfahren AZ 33 Hv 46/21a des Landesgerichts Innsbruck verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten am 2. Februar 2022 § 427 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 221 Abs 2 (iVm § 488 Abs 1) StPO.
Das Abwesenheitsurteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Gründe:
[1] Mit Abwesenheitsurteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2. Februar 2022, GZ 33 Hv 46/21a‑29, wurde der in Serbien wohnhafte serbische Staatsangehörige * L* des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Der sichergestellte, total gefälschte bulgarische Personalausweis wurde gemäß § 26 Abs 1 StGB eingezogen.
[2] Zur Durchführung des Verfahrens in Abwesenheit des Angeklagten erachtete sich das Gericht berechtigt, weil dieser zur Hauptverhandlung am 2. Februar 2022 „trotz ausgewiesener Ladung mit IRS vom 22.11.2021 (ON 17) unentschuldigt nicht erschienen ist“ (ON 28 S 2). Die am 26. November 2021 im Rechtshilfeweg veranlasste Ladung samt angeschlossenem Strafantrag und Übersetzung der Schriftstücke in die serbische Sprache (ON 22 und 24) konnte * L* am 31. Jänner 2022 eigenhändig zugestellt werden (ON 27 S 11), wovon das Landesgericht Innsbruck jedoch erst am 23. Februar 2022 Kenntnis erhielt.
[3] Das Urteil – nicht jedoch eine Ausfertigung des Protokolls der Hauptverhandlung (vgl § 271 Abs 6 letzter Satz StPO) – wurde dem Angeklagten am 18. Mai 2022 im Rechtshilfeweg übermittelt (ON 34 S 5, 11 und 13), woraufhin dieser am 24. Mai 2022 (verspätet – §§ 466 Abs 2, 489 Abs 1 StPO) ein an das Erstgericht adressiertes Schreiben zur Post gab, in welchem er dagegen mit der (zusammengefassten) Behauptung, die ihm angelastete Straftat nicht begangen zu haben, eine als Schuldberufung zu wertende „Beschwerde“ erhob (ON 33).
Rechtliche Beurteilung
[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten mit dem Gesetz nicht in Einklang:
[5] Gemäß § 427 Abs 1 StPO setzt die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten – unter anderem – dessen „persönliche“ (RIS‑Justiz RS0117620) Vorladung zum Termin unter Wahrung der in § 221 Abs 2 StPO (hier iVm § 488 Abs 1 StPO) vorgesehenen Vorbereitungsfrist voraus. Dabei schadet es nicht, wenn der Zustellnachweis erst nachträglich bei Gericht einlangt (RIS‑Justiz RS0101583 [T3]). Im Ausland ist die Zustellung, sofern keine vertragliche Sonderregelung greift, im Rechtshilfeweg zu erwirken (vgl Bauer, WK-StPO § 427 Rz 9 ff).
[6] Die vom Landesgericht Innsbruck veranlassten Vorladungen des * L* zur Hauptverhandlung genügen den aufgezeigten Erfordernissen nicht.
[7] Aufgrund eines Anwendungsvorbehalts der Republik Serbien zum Zweiten Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl III 2018/22) ist dessen Art 16, wonach die zuständigen Justizbehörden einer Vertragspartei Personen, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen unmittelbar auf dem Postweg übermitteln können, nicht anwendbar. Hinsichtlich der im Rechtshilfeweg am 31. Jänner 2022 – zulässig – bewirkten Zustellung der Ladung des Angeklagten zu der für den 2. Februar 2022 anberaumten Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck war indes die Vorbereitungsfrist von acht Tagen (§ 488 Abs 1 iVm § 221 Abs 1 StPO) nicht gewahrt.
[8] Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung waren demnach rechtlich verfehlt.
[9] Diese – mit dem prozessualen Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 6 MRK; § 6 StPO) unvereinbare – Gesetzesverletzungen gereichen dem Angeklagten zum Nachteil.
[10] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, das Abwesenheitsurteil aufzuheben und dem Landesgericht Innsbruck die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO).
[11] Die Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.
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