OGH 8ObA93/22t

OGH8ObA93/22t25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, 8021 Graz, Göstinger Straße 26, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei DI A*, vertreten durch Dr. Gunther Ledolter, Rechtsanwalt in Graz, sowie die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A* AG, *, vertreten durch die Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, wegen 171.638,60 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2022, GZ 6 Ra 31/22h‑159, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00093.22T.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Nebenintervenientin errichtete eine Versuchsanlage zum Einsatz von SCR-Katalysator-Einheiten, die an den Rauchgasabzug des Schwarzlaugenkessels einer Papierfabrik angeschlossen war. Der Beklagte war für die Nebenintervenientin als Projektleiter tätig. Am 12. 3. 2015 kam es bei der Kaltinbetriebnahme der Anlage zu einem ungeplanten Druckanstieg, der dazu führte, dass ein Inspektionsdeckel abgesprengt wurde und den Beklagten sowie einen Techniker der Nebenintervenientin schwer verletzte.

[2] Die Anlage war für den drucklosen Betrieb konzipiert worden. Der Grund für den Druckanstieg ist nicht feststellbar, wobei sowohl eine Fehlbedienung als auch technische Mängel der Anlage in Betracht kommen. Der Unfall hätte durch eine druckfeste Bauweise oder ein Überdruckventil verhindert werden können. Das Entstehen von Druck in der abgesperrten Anlage war nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht ohne weiteres vorhersehbar. Wohl aber wäre diese Gefahr bei einer sorgfältig erstellten Risikobewertung nach der Ö‑Norm EN ISO 12100, erkennbar gewesen, wenngleich nicht feststellbar war, ob der Unfall dann verhindert worden wäre.

[3] Die Klägerin begehrt 171.638,60 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche Pflichtleistungen, welche sie dem verletzten Techniker künftig erbringen müsse.

[4] Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil die Klägerin kein grobes Verschulden des Beklagten nachweisen habe können.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1. Der Beklagte ist als Projektleiter nach § 333 Abs 4 ASVG dem Dienstgeber gleichgestellt, weshalb seine Haftung gegenüber der Klägerin voraussetzt, dass er den Arbeitsunfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung der Pflicht zur Unfallverhütung vorliegt, sodass der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RIS‑Justiz RS0030359; RS0030644). Die Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit stellt eine Frage des Einzelfalls dar, die nur im Fall einer groben Fehlbeurteilung der Vorinstanzen nach § 502 Abs 1 ZPO an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden kann (RS0026555 [T5]; RS0087606).

[7] 2. Der Vorwurf der Klägerin, dass das Berufungsgericht ohne hinreichende Feststellungen von einem Mitverschulden des verletzten Technikers ausgegangen wäre, ist nicht berechtigt, weil das Berufungsgericht zwar darauf verweist, dass der Verletzte mit der Funktion der Anlage vertraut war, ihm aber insoweit kein Verschulden anlastet. Die von der Klägerin als aktenwidrig kritisierte Annahme, dass der Druckanstieg für den Beklagten nicht vorhersehbar gewesen sei und kein grob fahrlässiger Planungsfehler vorliege, weil nicht feststellbar gewesen sei, dass eine vorherige Risikobewertung den Unfall verhindert hätte, und die Ursache des Druckanstiegs nicht bekannt sei, ist eine (rechtliche) Schlussfolgerung, die als solche keine Aktenwidrigkeit begründen kann (RS0043189; RS0043256; RS0043324).

[8] 3. Die Klägerin verweist auf die Rechtsprechung, wonach bei Schutzgesetzverletzungen vermutet wird, dass dadurch jener Schaden verursacht wurde, den das Schutzgesetz gerade verhindern wollte (RS0027640; RS0027462). Richtig ist, dass sich der Beklagte nicht damit entschuldigen kann, dass nicht festgestellt werden konnte, ob eine sorgfältige Risikobewertung den Unfall verhindert hätte. Damit ist für die Klägerin aber nichts gewonnen. Das Berufungsgericht hat die Anwendbarkeit der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) verneint, weil die Anlage im Zeitpunkt des Unfalls noch gar nicht in Betrieb war, ohne dass die Klägerin dem in ihrer Revision konkret etwas entgegensetzen würde. Soweit die Klägerin geltend macht, dass kein Konformitätsbewertungsverfahren nach der Maschinen-Sicherheitsverordnung (MSV) und keine Risikobewertung nach der Ö‑Norm EN ISO 12100 durchgeführt wurde, ist sie darauf zu verweisen, dass nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift bereits grobe Fahrlässigkeit bedeutet (RS0026555; RS0052197).

[9] 4. Auch der Hinweis der Klägerin, dass der Beklagte aufgrund seiner Funktion als Projektleiter dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB unterlag, kann noch nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen, weil auch dieser Sorgfaltsmaßstab nicht überspannt werden darf (RS0026535). Angesichts des Umstandes, dass die Anlage für den drucklosen Betrieb konzipiert und das Risiko eines ungeplanten Druckanstiegs, dessen Ursache auch im Gerichtsverfahren nicht festgestellt werden konnte, für den Beklagten nicht ohne weiteres erkennbar war, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten nicht nachgewiesen worden sei, nicht korrekturbedürftig.

[10] 5. Die außerordentliche Revision der Klägerin war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

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