OGH 6Ob51/22a

OGH6Ob51/22a25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DDr. F* H*, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. M* L*, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen (restlich) Erstellung und Beeidigung einer Auseinandersetzungsbilanz, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2022, GZ 5 R 158/21y‑37, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00051.22A.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Die Streitteile waren die einzigen Gesellschafter einer Unternehmensberatungs‑OG. Nach dem Gesellschaftsvertrag war der das Auflösungsereignis nicht verursachende Gesellschafter in allen Auflösungsfällen berechtigt, das Gesellschaftsvermögen ohne Liquidation zu übernehmen. Dem ausscheidenden Gesellschafter gebührte in diesen Fällen eine Abfindung, die nach dem Substanzwert der Gesellschaft zu ermitteln war. An schwebenden Geschäften war er nicht zu beteiligen.

[2] In einem zwischen den Streitteilen geführten Vorprozess vertrat der (auch dort) Kläger den Standpunkt, die Gesellschaft zum 31. 12. 2015 wirksam gekündigt zu haben; diese habe sich seitdem in Liquidation befunden. Das wurde vom Beklagten im Vorprozess zunächst bestritten. Der Kläger teilte dem Beklagten überdies mit, ab 1. 7. 2016 einer anderen Tätigkeit nachgehen zu wollen. Eine Einigung über die Aufteilung der möglicherweise aus dem noch nicht abgeschlossenen Auftrag „Kinder-Reha“ der Gesellschaft noch zufließenden Erfolgsprämien konnte nicht erzielt werden. Der Beklagte erklärte in der Folge in der Klagebeantwortung des Vorprozesses, aufgrund des Scheiterns sämtlicher Einigungsversuche sei eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar; er nehme die Kündigung des Klägers zum 30. 6. 2016 an und erkläre die Übernahme des Gesellschaftsvermögens. In der vorbereitenden Tagsatzung des Vorprozesses vom 30. 11. 2016 erklärte der Kläger – für den Beklagten überraschend –, die Übernahme des Vermögens der Gesellschaft durch den Beklagten zum 30. 6. 2016 sowie die damit verbundene Auflösung der Gesellschaft ohne Liquidation zu akzeptieren. Der Beklagte hatte den Kläger nicht darüber informiert, dass kurz vor dieser Tagsatzung hinsichtlich des Projekts „Kinder‑Reha“ dem Kunden der Gesellschaft der Zuschlag im Ausschreibungsverfahren erteilt worden war und die Gesellschaft Rechnung über das diesbezügliche Erfolgshonorar gelegt hatte. Ob der Beklagte den Kläger dadurch gezielt um seine Rechte bringen wollte, steht nicht fest.

[3] Revisionsgegenständlich ist nur noch das auf Vertragsanpassung nach § 872 ABGB gestützte Eventualbegehren des Klägers auf Erstellung und Beeidigung einer Auseinandersetzungsbilanz zum 30. 11. 2016 und die Zahlung des sich dann daraus ergebenden Guthabens.

[4] Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche „Teilend‑Urteil“ dahin ab, dass es (auch) dieses Begehren abwies.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[6] 1. Die Irrtumsregeln haben den Zweck, jenen Zustand herbeizuführen, der bei irrtumsfreiem Handeln bestünde. Durch die Vertragsanpassung darf den Parteien aber kein Vertrag aufgezwungen werden, den sie nie abgeschlossen hätten (RS0082957 [T3]; RS0014770 [T5]). Die Anpassung des Vertrags nach § 872 ABGB setzt daher voraus, dass auch der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hypothetisch den Willen gehabt hätte, den Vertrag zu den Bedingungen abzuschließen, an die der Irrende nunmehr den Vertrag angepasst wissen will (10 Ob 4/21t [ErwGr 4.2.]; RS0016237). Die Behauptungs- und Beweislast für diese Umstände trifft die Vertragsanpassung begehrende Partei (4 Ob 39/17i [ErwGr 2.1.]; 2 Ob 176/10m [ErwGr 5.1.]; RS0016262). Die Vertragsanpassung ist (nur) dann abzulehnen, wenn positiv feststeht, dass der Vertragspartner nicht zu den geänderten Bedingungen abgeschlossen hätte; andernfalls ist darauf abzustellen, mit welchem Inhalt redliche, nicht in einem Irrtum verfangene Parteien den Vertrag abgeschlossen hätten (2 Ob 176/10m [ErwGr 5.2.]).

[7] 2.1. Gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach der Beklagte gemäß dem Gesellschaftsvertrag ein unbedingtes Recht zur Vermögensübernahme hatte und es auf eine diesbezügliche Zustimmung des Klägers nicht ankam, wendet sich die Revision nicht; ebenso wenig dagegen, dass bei Akzeptanz der Kündigung des Klägers durch den Beklagten der Stichtag für die Auseinandersetzungsbilanz der 31. 12. 2015 gewesen wäre, sodass der Kläger (wie auch beim Stichtag 30. 6. 2016) wegen des damals schwebend unwirksamen Geschäfts nicht am Erfolgshonorar aus dem Projekt „Kinder‑Reha“ zu beteiligen gewesen wäre.

[8] 2.2. Zwar wurde – auch mangels diesbezüglichen Vorbringens – eine Feststellung, dass der Beklagte das Gesellschaftsvermögen zum Stichtag 30. 11. 2016 nicht übernommen hätte, nicht getroffen. Weshalb redliche Gesellschafter in der vorliegenden Situation eine einvernehmliche Auflösung und Übernahme des Vermögens mit Stichtag 30. 11. 2016 vereinbart hätten, um damit dem Kläger zum Nachteil des Beklagten eine bis dahin überdies strittige Partizipation am Erfolgshonorar zu ermöglichen, legte der Kläger jedoch weder in erster Instanz noch in der Revision dar (vgl 4 Ob 39/17i [ErwGr 2.1.]) und liegt auch sonst nicht auf der Hand. Denn bei der Auseinandersetzung der Gesellschaft geht es um eigennützige Rechte des Gesellschafters, die primär seinen Interessen dienen (vgl 6 Ob 190/08x [ErwGr 2.]: Der Inhalt der Treuebindung unter den Gesellschaftern besteht zwar darin, dass auf gesellschaftliche Interessen anderer Mitbeteiligter Rücksicht genommen werden muss; die Verletzung von Treuepflichten durch Gesellschafter im Liquidationsstadium einer Gesellschaft hat indessen nicht mehr das gleiche Gewicht wie während der Geschäftstätigkeit einer werbenden Gesellschaft).

[9] 2.3. Schon deshalb ergäbe sich auch bei Zugrundelegung der vom Erstgericht getroffenen (vom Beklagten bekämpften) Feststellungen, wonach der Kläger die Übernahme des Gesellschaftsvermögens nicht rückwirkend zum 30. 6. 2016, sondern nur zum 30. 11. 2016 akzeptiert hätte, wenn ihn der Beklagte über die (zwischenzeitig erfolgte) Zuschlagserteilung an den Kunden der Gesellschaft im Ausschreibungsverfahren beim Projekt „Kinder‑Reha“ informiert hätte, die in der Revision begehrte Vertragsanpassung im Sinne einer einvernehmlichen Auflösung und Vermögensübernahme (erst) zum 30. 11. 2016 nicht.

[10] 2.4. Der in der Revision als erheblich angesehenen Rechtsfrage, ob den Beklagten im vorliegenden Fall hinsichtlich des Umstands der genannten Zuschlagserteilung eine Aufklärungspflicht getroffen hätte, deren Verletzung gemäß § 871 Abs 2 ABGB als Geschäftsirrtum angesehen hätte werden können, kommt daher gegenständlich keine Relevanz zu.

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