OGH 10Ob4/21t

OGH10Ob4/21t30.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. L*****, Rechtsanwalt, *****, wegen Unterlassung (Streitwert: 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Juni 2020, GZ 40 R 124/20m‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. April 2020, GZ 44 C 157/19v‑14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00004.21T.0330.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 138,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin und Vermieterin der Wohnung Top ***** im Haus *****. Der Beklagte mietete diese Wohnung mit Mietvertrag vom 5. 12. 2018 auf unbestimmte Zeit.

[2] Der Mietvertrag vom 5. 12. 2018 lautet auszugsweise:

„Vermietet wird ausschließlich der Innenraum der Wohnung im Hause … bestehend aus Vorzimmer, WC extra, Abstellraum, 3 Zimmer, Kabinett, Küche, Badezimmer mit Wanne.“

[3] Straßenseitig ist an die Wohnung ein Balkon angeschlossen, welcher vom Wohnzimmer über eine Balkontüre zu erreichen ist.

[4] Hofseitig ist an die Wohnung eine „Loggia“ angeschlossen. Diese war bei Beginn des Mietvertrags nicht über eine Tür aus der Wohnung und auch sonst über keine Tür erreichbar. Die Wohnung wies hofseitig nur zur „Loggia“ gerichtete Fenster auf.

[5] Zu „Loggia“ und Balkon und/oder deren Benützung wird im Mietvertrag schriftlich nichts erwähnt.

[6] Der Beklagte ging bei Mietvertragsabschluss davon aus, dass die an die Wohnung hofseitig angeschlossene „Loggia“ mitgemietet wird. Dies entsprach auch seinem Willen bei Abschluss des Mietvertrags. Die Klägerin hatte bei Mietvertragsabschluss nicht die Absicht, diese „Loggia“ an den Beklagten mit der Wohnung mitzuvermieten. Es steht nicht fest, ob die Parteien ihre Absichten bei Mietvertragsabschluss gegenseitig einander oder gegenüber den ihnen zurechenbaren Personen mitteilten. Es steht auch nicht fest, ob die Parteien oder die für sie einschreitenden Personen vor/bei Mietvertragsabschluss besprachen, dass dem Beklagten die Benützung der hofseitigen „Loggia“ eingeräumt wird.

[7] Die „Loggia“ wurde – ebenso wie die direkt oberhalb gelegenen Loggien – erst kurz vor Beginn des Mietvertrags des Beklagten errichtet. Die Baubehörde bewilligte die Errichtung der Loggien sowie die Errichtung einer Tür von der jeweiligen Wohnung auf die jeweilige „Loggia“ entsprechend dem Einreichplan. Durch die Errichtung der Loggien wollte die Klägerin in den Stockwerken mehr Nutzfläche schaffen, um auch in dem in Ausbau befindlichen Dachgeschoss mehr Nutzfläche zu erhalten.

[8] Mit E‑Mail vom 19. 3. 2019 an die Hausverwaltung kündigte der Beklagte gegenüber der Klägerin an, dass er beabsichtige, eine Tür von seiner Wohnung zur „Loggia“ errichten zu lassen.

[9] Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Unterlassung der Benützung der hofseitig vor der gemieteten Wohnung gelegenen „Loggia“. Der Beklagte habe die „Loggia“ nicht gemietet, die Klägerin habe keine Zustimmung zum Einbau einer Außentür von der Wohnung zur „Loggia“ erteilt.

[10] Der Beklagte hielt dem entgegen, dass die „Loggia“ mitgemietet sei und er sie daher benützen dürfe. Auch durch die von der Klägerin nicht widersprochene Anzeige des Einbaus einer Tür zu dieser „Loggia“ habe er ein Gebrauchsrecht erworben.

[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da der Mietvertrag zu Wohnzwecken abgeschlossen worden sei, sei davon auszugehen, dass redliche Parteien auch Balkon und „Loggia“ als Teile des Mietobjekts verstanden hätten. Ein anderes Verständnis habe keinen Sinn, weil die „Loggia“ auch sonst über keine Tür betreten werden könne und nicht davon auszugehen sei, dass die Klägerin die Loggien nur zum Schein errichtet hätte.

[12] Das Berufungsgericht gab der Klage infolge Berufung der Klägerin statt. Schon nach seinem Wortlaut sei der Mietvertrag dahin auszulegen, dass nur die Innenräume der Wohnung vermietet seien. Der Balkon sei – anders als die „Loggia“ – von der Wohnung aus über eine Tür zugänglich, sodass er sich von dieser unterscheide. Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass eine vom schriftlichen Vertragstext abweichende übereinstimmende Parteienabsicht vorgelegen wäre. Für eine ergänzende Vertragsauslegung verbleibe mangels Bestehens einer Vertragslücke kein Raum. Die Absicht des Beklagten, die „Loggia“ mit der Wohnung mitzumieten, sei der Klägerin gegenüber nicht erklärt worden, sodass sie für die Vertragsauslegung keine Rolle spiele. Weder der Einwand des Irrtums, noch jener der Schikane oder jener der Sittenwidrigkeit seien berechtigt. Die Revision erklärte das Berufungsgericht nachträglich für zulässig, weil sich aus der Entscheidung 5 Ob 164/19g ergeben könne, dass auch eine „Loggia“ als Innenraum anzusehen sei.

[13] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung des Klagebegehrens beantragt.

[14] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[15] 1. Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 6. 11. 2019 (ON 5) gemäß § 40a JN ausgesprochen, dass über das Begehren der Klägerin, den Beklagten zur Unterlassung der Benützung der „Loggia“ zu verpflichten, im streitigen Verfahren zu entscheiden ist. An diesen unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Beschluss ist der Oberste Gerichtshof gebunden (RIS‑Justiz RS0108772 [T2]).

[16] 2. Die behauptete unrichtige Wiedergabe des Parteienvorbringens begründet nicht den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO (RS0043402).

[17] 3. Fragen der Vertragsauslegung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0042936; RS0042776). Nach dem Wortlaut des Mietvertrags sind nur die Innenräume der Wohnung vermietet, diese sind im Vertrag einzeln angeführt.

[18] Richtig ist, dass der (schon seit längerer Zeit vorhandene) straßenseitige Balkon im Mietvertrag nicht erwähnt ist: dieser unterscheidet sich jedoch, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, schon deshalb deutlich von der hofseitig gelegenen „Loggia“, weil er über eine Tür von der Wohnung aus erreichbar ist. Demgegenüber wurde die „Loggia“ erst kurz vor Beginn des Mietvertrags errichtet, nicht aber eine Tür dahin. Nach der Aussage des Beklagten war, worauf das Erstgericht hingewiesen hat, an den zur „Loggia“ weisenden Fenstern der vom Beklagten gemieteten Wohnung ein Bretterverschlag angebracht, welcher das Betreten der „Loggia“ über die Fenster verhindern sollte.

[19] Es steht nicht fest, ob die Parteien einander ihre unterschiedlichen Ansichten zur Frage der „Loggia“ mitgeteilt haben: Wurde – wie das Berufungsgericht ausgeführt hat – nicht bewiesen, dass für den einen Vertragspartner aus dem Erklärungsverhalten des anderen eine vom Inhalt der Urkunden abweichende Erklärungsbedeutung zu erschließen war, ist die Absicht der Parteien im Rahmen der rechtlichen Beurteilung allein aus der Urkunde nach dem objektiven Aussagewert des Textes und dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung im Zusammenhalt mit dem Zweck der Vereinbarung zu ermitteln (RS0017833). Vor diesem Hintergrund zeigt der Revisionswerber keine Korrekturbedürftigkeit der Auslegung des Mietvertrags durch das Berufungsgericht auf:

[20] 4.1 Der Beklagte hält dem Klagebegehren entgegen, dass er aufgrund des Mietvertrags zur Benützung der hofseitig gelegenen „Loggia“ berechtigt sei. Gegenstand der von ihm für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 5 Ob 164/19g war jedoch die Frage der Auslegung des § 17 Abs 2 letzter Satz MRG. Eine „Loggia“ im Sinn des § 17 Abs 2 MRG (vgl RS0069968) kann unter der Voraussetzung ihrer Integration in den Baukörper (5 Ob 130/03h) für die Berechnung der Nutzfläche in bestimmten Fällen relevant sein. Abgesehen davon, dass es im vorliegenden Fall mangels Vorliegens einer Verbindungstür schon an einer Integration in den Baukörper im Sinn des § 17 Abs 2 MRG fehlt, ist nicht die Berechnung der Nutzfläche des Mietgegenstands, sondern die Frage zu beurteilen, ob die hofseitig der Wohnung gelegene „Loggia“ an den Beklagten vermietet wurde.

[21] 4.2 Der Beklagte macht geltend, dass sich das Berufungsgericht nicht mit seinem Irrtumseinwand auseinandergesetzt habe. Der Vertrag sei infolge eines wesentlichen Geschäftsirrtums gemäß § 872 ABGB „um die Einbeziehung des Nutzungsrechts an der Loggia“ anzupassen.

[22] Die Irrtumsregeln haben den Zweck, jenen Zustand herbeizuführen, der bei irrtumsfreiem Handeln bestünde. Durch die Vertragsanpassung darf den Parteien kein Vertrag aufgezwungen werden, den sie nie abgeschlossen hätten (RS0082957 [T3]; RS0014770 [T5]). Die Anpassung des Vertrags nach § 872 ABGB setzt daher voraus, dass auch der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereit gewesen wäre, den Vertrag zu den Bedingungen abzuschließen, an die der Irrende nunmehr den Vertrag angepasst wissen will ( Riedler in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 872 ABGB Rz 2; RS0016237). Hier steht die Absicht der Klägerin, die „Loggia“ nicht an den Beklagten zu vermieten, unangefochten fest. Auch das vorliegende Verfahren dokumentiert diese Absicht. Selbst eine erfolgreiche Irrtumsanfechtung könnte daher nicht zu dem vom Beklagten im Weg der Vertragsanpassung gewünschten Benützungsrecht führen, sodass das Berufungsgericht mängelfrei auf diesen Einwand nicht weiter eingegangen ist.

[23] 4.3 Verträge sind nach ständiger Rechtsprechung sittenwidrig, wenn nach dem Gesamteindruck der Vereinbarung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen vorliegt (RS0113653 [T4]; RS0022884 [T13]). Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist entgegen der Auffassung des Revisionswerbers eine Frage des Einzelfalls, die nicht aufzugreifen ist, wenn das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung wie hier die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten hat (RS0042881 [T8]). Warum eine Beschränkung der Vermietung auf die Innenräume an sich sittenwidrig sein sollte, vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen. Insbesondere nennt er auch keine dispositive Regelung, nach der der Vermieter alle an den Mietgegenstand angrenzenden Flächen in Bestand zu geben hätte. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass der Vertrag seines Vormieters – dem ein Präsentationsrecht eingeräumt war – das „gesamte“ Bestandobjekt umfasst habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass die „Loggia“ erst kurz vor Beginn seines Mietvertrags errichtet wurde und daher vom Nutzungsrecht des Vormieters nicht umfasst war.

[24] 4.4 Der Revisionswerber beruft sich darauf, dass die Bestimmung des schriftlichen Mietvertrags, nach der die Innenräume vermietet seien, gegen § 879 Abs 3 ABGB sowie gegen § 6 Abs 3 KSchG verstoße. Wäre dies der Fall, wäre diese Klausel nichtig, der Beklagte würde dadurch keine Rechte erlangen, welche er sonst weder nach Vertrag oder Gesetz hätte ( Bollenberger/P. Bydlinski in KBB 6 § 879 ABGB Rz 30 mwH; vgl auch RS0128735 zu missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen). Auch diese Einwände führen daher nicht zum Ergebnis, dass die „Loggia“ automatisch mitvermietet wäre. Den auch im Zusammenhang mit diesen Punkten behaupteten Mängeln des Berufungsverfahrens kommt daher keine Relevanz zu (RS0043027).

[25] 5. Der Revisionswerber wirft der Klägerin unter Berufung auf die Entscheidung 1 Ob 120/98y schikanöse Rechtsausübung vor, weil ihr ein berechtigtes Interesse an der Beschränkung seiner Mietrechte nicht zuzubilligen sei. In dieser Entscheidung heißt es jedoch: „Hauseigentümer, die bemüht sind, auf die Einhaltung der vom Mieter vertraglich übernommenen Verpflichtungen zu dringen und zugleich bestrebt sind, hiedurch eine Erweiterung der dem Mieter zugestandenen Rechte zu verhindern, verteidigen damit letzten Endes nur die sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte. Die Wahrung und Verfolgung solcher Rechte schließt die Annahme einer schikanösen Rechtsausübung aus ….“ Ausgehend davon, dass die „Loggia“ nicht vom Mietvertrag umfasst ist, liegt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Klägerin keine Schikane vorzuwerfen sei, innerhalb des ihm offen stehenden Beurteilungsspielraums.

[26] Daran ändert auch die Behauptung des Klägers, ihm stehe zufolge der Zustimmungsfiktion des § 9 MRG ein Nutzungsrecht an der „Loggia“ zu, nichts: Der Anwendungsbereich des § 9 MRG betrifft nur Veränderungen innerhalb des Mietgegenstands (RS0069646, ausgenommen Veränderungen im Rahmen des § 9 Abs 2 Z 5 MRG; RS0069646 [T1]). In der jüngeren Rechtsprechung ist zwar eine Tendenz erkennbar, den Anwendungsbereich des § 9 MRG etwas weiter zu ziehen (RS0069646 [T4], 6 Ob 175/20h mzwH). Nach ständiger Rechtsprechung fallen jedoch jene Fälle, in denen der Hauptmieter beabsichtigt, den Umfang des Mietgegenstands zu verändern, nicht in den Anwendungsbereich des § 9 MRG (RS0069635). Ein Mieter ist zur Ausdehnung der ihm eingeräumten Bestandrechte nicht berechtigt, sodass er Veränderungen des Umfangs des Mietgegenstands nicht einseitig herbeiführen kann (1 Ob 120/98y = RS0069635 [T1]). Die Zustimmungsfiktion greift daher nicht Platz, wenn die geplante Veränderung als „Ausweitung der Mietrechte“ wie hier nicht unter § 9 MRG zu subsumieren ist ( Pletzer in GeKo Wohnrecht I [Stand 1. 10. 2017, rdb.at] § 9 MRG Rz 8).

[27] Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

[28] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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