OGH 2Ob217/22h

OGH2Ob217/22h17.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikingerals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Dr. Gerald Kreuzberger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch Mag. Gerald Leitgeb, Rechtsanwalt in Stallhofen, wegen 68.830 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. September 2022, GZ 5 R 21/22f‑68, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Dezember 2021, GZ 39 Cg 12/20v‑63, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00217.22H.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren, Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen klagsabweisenden und klagsstattgebenden Teile insgesamt zu lauten hat:

„1. Die Klagsforderung besteht mit 33.367 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 33.367 EUR samt 4 % Zinsen seit 13. 2. 2020 binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, 35.463 EUR sA zu zahlen, wird abgewiesen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.273,50 EUR (Barauslagen) bestimmten Prozesskosten der ersten und zweiten Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.409,16 EUR (darin 313,86 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Streitteile sind Schwestern, ihre Mutter verstarb am 18. 9. 2008, der Vater am 15. 2. 2017. Der Nachlass nach dem Vater wurde den Streitteilen je zur Hälfte rechtskräftig eingeantwortet. Seit 2008 wurde der Vater von den Schwestern abwechselnd betreut und gepflegt. Ab Ende September 2013 pflegte und betreute die Klägerin den Vater allein, es kam danach zu keinen Leistungen der Beklagten. Zwischen dem Vater und den Streitteilen war im Zusammenhang mit den Pflege‑ und Betreuungsleistungen keine Unentgeltlichkeit vereinbart.

[2] Die Klägerin begehrt 68.830 EUR als Ersatz der Hälfte ihrer Pflegeleistungen seit September 2013.

[3] Die Beklagte hielt der Klagsforderung als Gegenforderung die Hälfte ihres Betreuungsaufwands für den Zeitraum Jänner 2008 bis September 2013 entgegen. Nur diese Gegenforderung bildet den Gegenstand des Revisionsverfahrens.

[4] Die Beklagte stützte die Gegenforderung auf Bereicherungsrecht (§ 1435 ABGB) und brachte dazu vor, dass sie die Pflege‑ und Betreuungsleistungen auch in Erwartung einer Gegenleistung erbracht habe. Darüber hinaus liege auch eine Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 1037 ABGB vor, weil die Pflegeleistungen der Beklagten zum klaren und überwiegenden Vorteil des Vaters erfolgt seien. Diesem sei dadurch eine Fremdpflege und die Heimunterbringung erspart geblieben.

[5] Die Vorinstanzen stellten die Klagsforderung mit 33.367 EUR und die Gegenforderung mit 30.333 EUR jeweils als zu Recht bestehend fest. Der Klage wurde daher im Ausmaß von 3.034 EUR sA stattgeben, das Mehrbegehren von 65.796 EUR sA abgewiesen. Der Zuspruch erwuchs ebenso in Rechtskraft wie die Abweisung des Klagebegehrens im Ausmaß von 35.463 EUR sA und die Abweisung bezüglich der begehrten Zinsen für die Zeit vom 15. 2. 2017 bis 12. 2. 2020.

[6] Die Vorinstanzen gingen – für das Verfahren in dritter Instanz noch von Relevanz – davon aus, dass die Gegenforderung der Beklagten auf § 1037 ABGB gestützt werden könnte. Wegen der umfangreichen Pflegeleistungen an den Vater sei von einem klaren, überwiegenden Vorteil iSd § 1037 ABGB auszugehen. Hingegen scheide ein bereicherungsrechtlicher Anspruch (§ 1435 ABGB) der Beklagten aus, weil diese ihren Vater nicht in erkennbarer Erwartung einer Gegenleistung gepflegt habe.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision wegen vorliegender Rechtsprechung zu den von ihm beurteilten Fragen nicht zu.

[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, festzustellen, dass die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe. Der Klagszuspruch möge um 30.333 EUR sA erhöht werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte macht in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision geltend; sie tritt ihr auch inhaltlich entgegen.

[10] Entgegen der Einwendung der Beklagten hat die Klägerin das Rechtsmittel gegen das ihr am 26. 9. 2022 zugestellte Berufungsurteil rechtzeitig eingebracht (nämlich am 24. 10. 2022).

Rechtliche Beurteilung

[11] Die außerordentliche Revision ist zulässig und berechtigt, weil die angefochtene Entscheidung einer Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung bedarf.

[12] 1. Die Beklagte kann den von ihr compensando eingewandten Ersatz ihres Pflegeaufwands nicht auf die – mit dem ErbRÄG 2015 eingeführten – Bestimmungen über das Pflegevermächtnis (§§ 677 ff ABGB) stützen, weil sie ihren Vater in den letzten drei Jahren vor seinem Tod nicht mehr gepflegt hat, was aber ein Pflegevermächtnis nach §§ 677 ff ABGB voraussetzen würde.

[13] 2. Zu prüfen sind daher nur Anspruchsgrundlagen außerhalb des Erbrechts. Die Beklagte stützt ihre Gegenforderung zum einen auf Bereicherung, zum anderen auf Geschäftsführung ohne Auftrag.

[14] 3.1. Bereits zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 war in der Rechtsprechung anerkannt, dass einem Pflegenden – teilweise auch unter Hinweis auf § 1152 ABGB – in Analogie zu § 1435 ABGB ein Bereicherungsanspruch dann zustehen konnte, wenn Pflegeleistungen in der zumindest erkennbaren (aber enttäuschten) Erwartung einer Gegenleistung, meist einer letztwilligen Zuwendung, erbracht wurden (6 Ob 149/14a; 2 Ob 2/16g; 8 Ob 37/16y; jeweils mwN; RS0033606 [T6]; RS0033952 [T19]; RS0130644).

[15] 3.2. Im Anlassfall steht allerdings ausdrücklich fest, dass die Beklagte „sämtliche Leistungen aus Liebe und zur Unterstützung ihres Vaters erbracht (hat), sie hat aber nicht in Erwartung einer Gegenleistung gehandelt. Weder die Pflegeleistungen, noch sonstige Unterstützung verfolgten einen in die Zukunft liegenden konkreten Zweck in Form einer erwarteten konkreten Gegenleistung. Vielmehr erfolgten sie aus familiärer und sittlicher Verpflichtung und Zuneigung zu ihrem Vater.

[16] 3.3. Die analoge Anwendung des § 1435 ABGB verlangt das Vorliegen einer Erwartung, die enttäuscht wurde (RS0115480 [T2]; 6 Ob 149/14a; 5 Ob 86/19m; 2 Ob 191/20g;  2 Ob 198/20m; 6 Ob 190/20i). Aufgrund der Feststellungen kann die Gegenforderung der Beklagten damit im Sinne der zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen nicht auf diese bereicherungsrechtliche Grundlage gestellt werden.

[17] 4. Die Vorinstanzen haben die Gegenforderung allerdings wegen § 1037 ABGB bejaht.

[18] 4.1. Im Fall des § 1037 ABGB handelt es sich um eine Geschäftsführung ohne Auftrag, die zur Förderung des Nutzens des Geschäftsherrn erfolgt. Eine solche Geschäftsführung ohne Auftrag liegt dann vor (vgl § 1035 ABGB), wenn weder Vertrag, noch Gesetz, noch richterliche Anordnung eine Pflicht gegenüber dem Begünstigten zur betreffenden Handlung begründen (Meissel in Rummel/Lukas 4 § 1035 ABGB Rz 9 mwN). Wesentlich ist, dass die Geschäftsführung eigenmächtig erfolgt, der Geschäftsführer maßt sich damit die Geschäftsbesorgung an (2 Ob 55/16a; RS0019737; Lurger in Kletečka/Schauer 1.08 § 1035 ABGB Rz 7).

[19] 4.2. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag musste im Anlassfall schon deshalb scheitern, weil die Beklagte bei der Pflege nicht eigenmächtig, sondern vielmehr (zumindest konkludent) im Einvernehmen mit dem Vater handelte (siehe auch Baldovini, Das Pflegevermächtnis [2020] 11; Herndl, NZ 2016/124 [Entscheidungsanmerkung zu 8 Ob 37/16v]). Eine „Einmengung in die Geschäfte eines anderen“ (Schurr in Schwimann/Neumayr 5 § 1035 ABGB Rz 1) durch die Beklagte liegt nicht vor. Vielmehr nahm der Vater die Leistungen seiner Tochter entgegen, weshalb damit auch das typische Unbeteiligtsein des Geschäftsherrn fehlte (Fischer‑Czermak, Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger, FS Eccher [2017] 363; ihr folgend Jetzinger, Das Pflegevermächtnis im Gefüge des Erb‑, Schuld‑ und Sozialrechts [2022] 216). Dass sich der Vater in einem Zustand befunden hat, in dem er nicht in der Lage war, über die Annahme der Leistung zu entscheiden (Fischer‑Czermak aaO), wurde weder behauptet noch festgestellt. Vielmehr brachte die Beklagte – bezugnehmend auf die Zeit bis September 2013 – ausdrücklich vor, der Vater habe nicht in das Pflegeheim gewollt; es sei ihm wichtig gewesen, dass sich beide Töchter um ihn kümmern, was sich aus der von ihm erteilten Generalvollmacht vom Juni 2012 ergebe. Schon wegen seiner (laufenden) zustimmenden Entgegennahme der Pflegeleistungen finden die §§ 1035 ff ABGB keine Anwendung (Baldovini, aaO 11; Schurr aaO Rz 5).

[20] 4.3. Die Vorinstanzen stützten ihr Ergebnis auf die Entscheidung 8 Ob 37/16y, wonach die Anwendung des § 1037 ABGB nicht ausgeschlossen ist, wenn die Pflegeleistungen auf Wunsch des Gepflegten erfolgten (Pkt 6.4). Diese Entscheidung blieb allerdings vereinzelt (vgl auch 2 Ob 198/20m Rz 29: „gelegentlich wurde auch § 1037 ABGB als Anspruchsgrundlage genannt“) und ist im Schrifttum umstritten (kritisch: Baldovini, Pflegevermächtnis 11; Herndl, NZ 2016/124 [Entscheidungsanmerkung]; Herndl, Zur Abgeltung von Pflegeleistungen im Todesfall, NZ 2020/93 322; Fischer‑Czermak in FS Eccher 363; Kerschner in Klang3 § 1435 ABGB Rz 27 FN 85; zustimmend: Kietaibl/Ladler in Klang3 §§ 1002 bis 1044 ABGB Rz 15; Stefula, EF‑Z 2016/125; neutral referierend: Apathy/Wilfinger in Schwimann/Kodek 5 § 1040 ABGB Rz 3 FN 29; Jetzinger, Der Umfang des Ersatzanspruchs nach § 1037 ABGB – Eine Änderung der höchstgerichtlichen Rechtsprechungspraxis? Zak 2020/148; Koziol/Spitzer in KBB6 § 1037 ABGB Rz 2; Lurger in Kletečka/Schauer 1.08 § 1435 ABGB Rz 6; Schoditsch, ecolex 2016/326 [Entscheidungsanmerkung]; Schurr in Schwimann/Neumayr 5 § 1037 ABGB Rz 5; Swoboda, AnwBl 2016/8454 [Entscheidungsanmerkung]).

[21] 4.4. Aus den zu 4.2. angeführten Gründen (in Zusammenhang mit der im Schrifttum an der Entscheidung 8 Ob 37/16y geäußerten Kritik von Baldovini, Herndl, Fischer‑Czermak und Kerschner)lehnt der Senat die Anwendung des § 1037 ABGB mangels eigenmächtigen Eingriffs der Beklagten in die Rechtssphäre ihres Vater ab.

[22] 5. Die geltend gemachten Ansprüche können daher weder aus dem Bereicherungsrecht noch aus der Geschäftsführung ohne Auftrag abgeleitet werden, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Revision abzuändern sind.

6. Kostenentscheidung

[23] 6.1. Die Klägerin obsiegte im erstinstanzlichen Verfahren mit 48,5 % und mit 50,7 % im Berufungsverfahren, sodass die Kosten nach § 43 Abs 1 ZPO aufzuheben waren. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz der Hälfte ihrer Barauslagen iSd § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO (= Gerichtsgebühren vor dem Erst‑ und dem Berufungsgericht; Sachverständigengebühren) abzüglich der halben Barauslagen der Beklagten (= Sachverständigengebühren). Die Notwendigkeit und die Durchführung der von der Klägerin verzeichneten Kommissionen wurden nicht bescheinigt. Das wendete die Beklagte ein, sodass die in diesem Zusammenhang verzeichneten Barauslagen nicht zuzusprechen waren. Entsprechendes gilt für die rücküberwiesenen Kostenvorschüsse, dies ungeachtet des Umstands, dass insoweit von den Streitteilen gegen die jeweiligen Kostenverzeichnisse der Gegenseite keine Einwendungen erhoben wurden (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.75).

[24] 6.2. Im drittinstanzlichen Verfahren hat die Klägerin zur Gänze obsiegt, die entsprechende Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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