OGH 8Ob137/22p

OGH8Ob137/22p16.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* K*, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, gegen die beklagten Parteien 1. K* G*, und 2. K* G*, beide vertreten durch Dr. Hans-Moritz Pott, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Feststellung, Unterlassung und Einverleibung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 16. September 2022, GZ 1 R 168/22f‑25, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00137.22P.1216.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Wie erst jüngst vom Senat festgehalten, ist es mittlerweile allgemein anerkannt, dass ein zur Grunddienstbarkeit ausgeweitetes Fruchtgenussrecht nicht dazu führen darf, dass es zu einer Aushöhlung des Eigentumsrechts kommt und statt dessen eine Art Nutzungseigentum geschaffen wird. Um dauerhaft geteiltes Eigentum zu verhindern, lässt der Oberste Gerichtshof eine Begründung und Verbücherung eines Fruchtgenussrechts als Grunddienstbarkeit in ständiger Rechtsprechung nur mit einer zeitlichen Begrenzung zu (8 Ob 42/22t [Rz 16] mwN).

[2] Die zeitliche Beschränkung ist an den Wertungen des § 612 ABGB zu messen. Ist aber § 612 ABGB auf die als Grunddienstbarkeiten bestellten Fruchtgenussrechte analog anzuwenden, so kann das – ohne zeitliche Begrenzung begründete – Nutzungsrecht zwar auf Zeitgenossen, die bei Vertragserrichtung bereits geboren sind, als spätere Eigentümer des herrschenden Gutes in unbegrenzter Zahl, bei solchen Rechtsnachfolgern hingegen, die bei Bestellung der Dienstbarkeit noch nicht geboren sind, nur auf den ersten von ihnen erstreckt werden (9 Ob 65/20d = immolex 2021/84 [zust Till] mwN).

[3] Das Berufungsgericht hat sich an dieser Rechtsprechung orientiert.

[4] 2. Die Beklagten wenden in ihrer außerordentlichen Revision ein, dass es sich bei ihrem Recht an der Alm um gar kein Fruchtgenussrecht handle. Sie gestehen ein, dass der Wortlaut des 1929 geschlossenen Vertrags von einem solchen spricht („[…] behalten sich die Übergeber sowohl für sich als auch für die jeweiligen Besitzesnachfolger auf der Liegenschaft E.Z. 3* das volle Fruchtgenussrecht hinsichtlich des halben Erträgnisses der Liegenschaft E.Z. 2* bevor [...]“). Aus der Feststellung dass „seit jeher“ die Alm für beide Höfe „von wirtschaftlicher Bedeutung [ist], da beide Höfe im Tal zu wenig Grünflächen haben, um ihr Vieh das ganze Jahr über versorgen zu können“, ergebe sich aber der Wille der Vertragsparteien des Jahres 1929, dass die Alm der herrschenden Liegenschaft (im vereinbarten halben Ausmaß) unbefristet dienen solle, dies zumindest solange, als auf ihr eine Landwirtschaft betrieben wird. Dafür spreche auch, dass der Hof auf der herrschenden Liegenschaft an den einzigen Sohn gegangen sei und aufgrund der Gesellschaftsverhältnisse der damaligen Zeit und des bäuerlichen Milieus anzunehmen sei, dass die dauerhafte wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Hofes auf der herrschenden Liegenschaft vertraglich abgesichert werden sollte.

[5] Ob eine Vereinbarung im Einzelfall – insbesondere unter Erforschung der im konkreten Fall verfolgten Parteiabsicht – richtig ausgelegt wurde, stellt nach ständiger Rechtsprechung nur dann eine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) dar, wenn in krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes Auslegungsergebnis erzielt wurde, was etwa dann der Fall ist, wenn die Interpretation mit Sprachregeln, allgemeinen Erkenntnissätzen oder gesetzlichen Auslegungsregeln in (unversöhnlichem) Widerspruch steht (RS0042776 [T31]; 7 Ob 226/15h [Pkt 2]). Dies ist hier nicht der Fall, entspricht doch die Auslegung durch das Berufungsgericht nicht nur dem klaren Vertragswortlaut, sondern indiziert auch die im Vertrag enthaltene weitere Regelung, „dass die mit dem Eigentum an der Liegenschaft E.Z. 2* verbundenen Lasten, als das sind: Instandhaltung des Gutes, insbesondere der Baulichkeiten, Bezahlung der Steuern, samt wie immer Namen habender Umlagen, die Arbeitsleistung auf dem Gute und die Kosten für dessen Bewirtschaftung von den Übergebern * bez. deren Besitzesnachfolgern am *gut und von den Übernehmern * je zur Hälfte zu tragen sind“, dass tatsächlich ein Fruchtgenussrecht beabsichtigt war. Durch diese weitere Regelung wurden die Übergeber und ihre „Besitzesnachfolger“ sehr weitgehend zum (Mit-)Tragen der mit der dienenden Liegenschaft verbundenen „Lasten“ verpflichtet. Dies wäre nicht verständlich, sollte bloß etwa ein Recht nach § 477 Z 3 und 4 ABGB, auf der dienenden Liegenschaft Vieh zu hüten und zu weiden oder Holz zu fällen, beabsichtigt gewesen sein (vgl die dispositiven §§ 513 ff ABGB).

[6] 3. Die festgestellte Errichtung einer neuen Hütte auf der Alm neben dem alten Bauernhaus nach dem Jahr 1929 indiziert kein anderes Verständnis, waren es doch gerade nicht die Rechtsvorgänger der Beklagten, sondern jene des Klägers, die die neue Hütte bauten. Dass der Kläger nach seiner Hofübernahme im Jahr 2014 weiterhin den Fruchtgenuss der Beklagten akzeptierte und die Parteien noch um das Jahr 2017 gemeinsam eine Wiederaufforstung mit 2.000 Setzlingen durchführten, beruht darauf, dass der Kläger sowie die Beklagten damals noch ohne weiteres – aber irrig – annahmen, an dem seit 1929 bestehenden Fruchtgenussrecht (samt korrespondierender Verpflichtung der Beklagten zum Tragen der hälftigen Lasten) habe sich nichts geändert. Inwieweit durch die langjährige Ausübung eine Servitut entstanden ist, war hier nicht zu prüfen (§ 477 Z 3, 4 ABGB).

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