European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00226.15H.0127.000
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Beklagten, die über Bestandobjekte im Haus des Klägers und im ‑ im Eigentum Dritter stehenden ‑ Nachbarhaus verfügten, strebten eine Verbindung zwischen beiden Häusern auf Dachebene an, um auch die im Nachbarhaus gelegene Wohnung bequem mit dem Aufzug des Hauses des Klägers erreichen zu können. Der Rechtsvorgänger des Klägers wollte sich durch einen erhöhten Mietzins und eine Beteiligung an den Instandhaltungs‑ und Erhaltungskosten des Aufzugs die bei Vorliegen des Durchgangs erwartete gesteigerte Benützung des Aufzugs und des damals an die Beklagten nicht vermieteten Trockenbodens und der Waschküche abgelten lassen.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS‑Justiz RS0007484). Darüber hinaus muss ein Widerspruch im Spruch selbst oder ein Mangel der Gründe überhaupt vorliegen; eine mangelhafte Begründung ‑ wie hier von den Beklagten behauptet ‑ reicht nicht aus (RIS‑Justiz RS0042133).
2. Ob eine Vereinbarung im Einzelfall ‑ insbesondere unter Erforschung der im konkreten Fall verfolgten Parteiabsicht ‑ richtig ausgelegt wurde, stellt nach ständiger Rechtsprechung nur dann eine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) dar, wenn in krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes Auslegungsergebnis erzielt wird, was etwa dann der Fall ist, wenn die Interpretation mit Sprachregeln, allgemeinen Erkenntnissätzen oder gesetzlichen Auslegungsregeln in (unversöhnlichem) Widerspruch steht (RIS‑Justiz RS0042776 [T31]).
3.1 Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RIS‑Justiz RS0017915). Unter der gemäß § 914 ABGB zu erforschenden „Absicht der Parteien“ ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen (RIS‑Justiz RS0017915 [T27, T29]). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0017915 [T29]).
3.2 Da ‑ entgegen der Ansicht der Beklagten -aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung ein vom Urkundeninhalt abweichender Parteiwille nicht feststeht, ist die Absicht der Parteien im Rahmen der rechtlichen Beurteilung allein aus den vorgelegten Urkunden nach dem objektiven Aussagewert des Textes und dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung im Zusammenhang mit dem Zweck der Vereinbarung zu ermitteln (RIS‑Justiz RS0017833).
3.3 Wenn das Berufungsgericht vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung unter Bedachtnahme auf den festgestellten Zweck und die Textierung im Mietvertrag davon ausgegangen ist, dass die im Vertrag vorgesehene Mietzinserhöhung nicht auf den Fall der Schaffung eines Übergangs durch einen Durchbruch der Feuermauer beschränkt sei, sondern vielmehr auch im Fall der Herstellung eines anderen im Wesentlichen niveaugleichen unbeschwerlichen Übergangs zwischen den Häusern (hier ein über den Lichthof des Nachbarhauses zur Dachumrandung des Hauses des Klägers führender Verbindungssteg) zum Tragen kommen sollte, ist dies jedenfalls vertretbar. Gleiches gilt auch für die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass durch den zwei Jahre später über ein anderes Bestandobjekt unter Einbeziehung eines weiteren Mieters abgeschlossenen Mietvertrag diese Zahlungsvereinbarung nicht (konkludent) entfallen sei.
3.4 Ebensowenig ist die Ansicht, dass eine Rauchfangkehrerleiter keinen derartigen, eine erhöhte Zahlungsverpflichtung auslösenden (niveaugleichen, unbeschwerlichen) Durch‑ bzw Übergang darstelle, korrekturbedürftig.
4. Ob die dem Vertragsabschluss nachfolgende Herstellung des Verbindungsstegs dem Kläger verheimlicht wurde, ist nicht von Relevanz. Richtig verweist der Kläger zwar darauf, dass bei der Vertragsauslegung auch das dem Abschluss vorgehende oder nachfolgende Verhalten der Vertragspartner zur Beurteilung der Parteiabsicht heranzuziehen ist (RIS‑Justiz RS0017815, RS0110838); nachfolgendes Verhalten aber nur dann, wenn sich darin die bei Vertragsabschluss bestandene Parteiabsicht manifestiert (RIS‑Justiz RS0110838). Selbst wenn der Vorwurf zutreffend wäre, wäre daraus nicht der Schluss zulässig, eine übereinstimmende Parteiabsicht hätte bei Vertragsabschluss dahingehend bestanden, dass die erhöhte Zahlungsverpflichtung bereits bei Überklettern der Grundstücksgrenze mit Hilfe der Rauchfangkehrerleiter ausgelöst werden sollte.
5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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