OGH 10ObS141/22s

OGH10ObS141/22s13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber, den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. K*, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65–67, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2022, GZ 9 Rs 54/22 k‑37, mit dem aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Jänner 2022, GZ 5 Cgs 177/19z‑31, samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00141.22S.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Rekursgegenständlich ist die Zulässigkeit des Rechtswegs für die vorliegenden Klagebegehren auf Feststellung, dass die (näher bezeichnete) Gesundheitsstörung Folge einer Berufskrankheit sei, und auf Leistung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß.

[2] Mit E‑Mail vom 16. September 2018 an die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt teilte der Kläger unter dem Betreff „Meldung einer Berufskrankheit“ mit, dass er seit 2005 für das Rote Kreuz beruflich tätig und den größten Teil seiner Tätigkeit im Ausland eingesetzt sei. Im Zuge einer Entsendung im Jahr 2017 habe er aufgrund der Luftverschmutzung am Entsendungsort seine erste Lungenerkrankung gehabt. Im Jahr 2018 habe er eine weitere Lungenentzündung erlitten, die unter anderem zu einer kritischen Sepsis und einer Pneumothorax‑Operation geführt habe. In weiterer Folge habe er eine multiple Neuropathie erlitten, die durch besagte Infektion ausgelöst worden sei. Er beantragte, dass seine Erkrankung als berufsbedingt eingestuft/anerkannt werde (Leistungsakt ./1 [Seite 248]).

[3] Mit Schreiben vom 5. November 2018 gab die Beklagte dem Kläger bekannt, dass sie erst durch den Antrag von der Erkrankung erfahren habe. Sie ersuchte ihn zwecks Verifizierung einer vermeintlichen Berufskrankheit um Übersendung von Befunden und Rücksendung eines Fragebogens (Leistungsakt ./1 [Seite 118]). Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018 forderte die Beklagte den Kläger (neuerlich) zur Übermittlung von Unterlagen und des Fragebogens auf (Leistungsakt ./1 [Seite 125]).

[4] Im ausgefüllten Fragebogen vom 19. September 2019 beantwortete der Kläger die Frage „Wann zeigten sich erstmals Beschwerden?“ mit „Ab 2015 nach einer Tropenkrankheit bei einem Einsatz für das ÖRK in Malawi“.Auf die Frage „Wie machten sie [die Beschwerden] sich bemerkbar?“ antwortete er „ITP → Lupus Erythematodes siehe Befunde“.

[5] Der Kläger übermittelte in der Folge mit E‑mail vom 9. Oktober 2019 ua einen ärztlichen Befundbericht, aus dem hervorgeht: „St.p. chronische ITP (Kortion refraktär) seit 2015 nach Tropenfieber im Februar 2015“ und „Gesicherter Systemischer Lupus Erythematodes mit Nierenbeteiligung. In Zusammenschau aller Befunde und des bisherigen Krankheitsverlaufs ist es durchaus vorstellbar, dass alle bisherigen Erkrankungen (ITP, AIHA, GN, GBS, TVT) tatsächlich Manifestationen des SLE waren.“ (Leistungsakt ./1 [Seiten 110 bis 113]).

[6] Mit Bescheidvom 11. Dezember 2019sprach die Beklagte aus, dass die gemeldete Lungenerkrankung sowie multiple Neuropathie „nicht als Berufskrankheit anerkannt“ würden und „kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung“ bestehe. In der Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass die bestehenden Beschwerden aufgrund der vorliegenden Erhebungen, Befunde und der gutachterlichen Beurteilung nicht durch die berufliche Beschäftigung verursacht seien und daher keine Berufskrankheit vorliege.

[7] In der Klage vom 23. Dezember 2019 begehrte der Kläger seine „durch Systemischen Lupus Erythematodes ausgelösten gesundheitlichen Einschränkungen“ als Berufskrankheit anzuerkennen und eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Er sei 2015 in Malawi in Katastrophenhilfekoordination tätig gewesen und mit einer Tropenkrankheit infiziert worden, was dazu geführt habe, dass er eine chronische Thrombozythopenie erlitten habe. Die Tropenkrankheit habe bei ihm Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) ausgelöst, wodurch in weiterer Folge weitere Erkrankungen begründet seien. Auf das SLE sei eine Lungenentzündung im Jahr 2018 und in weiterer Folge auch ein Herzinfarkt zurückzuführen. Er leide aufgrund des SLE an einer Lungenfunktionseinschränkung, einer Kreislauffunktionseinschränkung und Durchblutungsstörungen des Gehirns und in den Extremitäten. In der Verhandlung vom 28. Jänner 2022 (ON 28) brachte der Kläger überdies unter Verweis auf den Fragebogen vom 19. September 2019 vor, dass die Klage zulässig sei, weil der Kläger im Verfahren vor der Beklagten die Erkrankung als Tropenkrankheit angegeben habe, sodass darüber auch abzusprechen gewesen wäre.

[8] Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Eine Pneumonie sei eine Infektionserkrankung und könne nicht durch Umweltverschmutzung verursacht werden. Auch etwaige durch die Pneumonien ausgelöste neurologische Folgeerkrankungen seien daher nicht als berufskausal anzusehen. Bei Lupus Erythematodes handle es sich um eine Autoimmunerkrankung, deren Genese unbekannt und die im konkreten Fall nicht berufsbedingt entstanden sei. Mit Schriftsatz vom 25. Jänner 2022 (ON 27) brachte die Beklagte außerdem vor, dass SLE und Malaria ursprünglich nicht als Berufskrankheit geltend gemacht worden seien und darüber im Bescheid auch nicht abgesprochen worden sei, sodass die Klage als unzulässig zurückzuweisen sei.

[9] Das Erstgericht wies die Klagebegehren nach Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Der SLE sei keine in Anlage 1 zum ASVG genannte Krankheit, insbesondere keine in Ausübung in einem in der Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursachte Infektions- oder Tropenkrankheit. Eine Anerkennung als Berufskrankheit im Einzelfall iSd § 177 Abs 2 ASVG scheitere daran, dass der SLE zwar durch eine Tropeninfektion ausgelöst, aber nicht verursacht worden sei.

[10] Aus Anlass der Berufung des Klägers hob das Berufungsgerichtdas Ersturteil samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig auf und wies es die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Der Kläger habe im Antrag nur eine durch mangelhafte Luftqualität am Arbeitsort verursachte Lungenerkrankung und die daraus resultierende Neuropathie als Berufskrankheit gemeldet. Die Tatsache, dass er im Fragebogen auch eine Tropenkrankheit und SLE erwähnt habe, ändere nichts daran, dass nur die beiden im Antrag genannten Erkrankungen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen seien. In der Klage nenne der Kläger sohin andere rechtserzeugende Tatsachen und ein Begehren, über das die Beklagte im bekämpften Bescheid nicht abgesprochen habe. Er beziehe somit einen anderen Versicherungsfall in das gerichtliche Verfahren ein.

[11] Dagegen richtet sich der Rekursdes Klägers mit dem er beantragt, dass der Beschluss des Berufungsgerichts aufgehoben und diesem die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen werde.

[12] In der Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, weil sich das Berufungsgericht mit dem zur Klagszurückweisung führenden Nichtigkeitsgrund erstmals auseinandergesetzt hat (RIS‑Justiz RS0116348). Soweit der Kläger im Rekurs den Standpunkt vertritt, dass das Erstgericht bereits dadurch bindend die Zulässigkeit des Rechtswegs bejaht habe, dass es meritorisch entschied, trifft dies nach der ständigen Rechtsprechung nicht zu (RS0039857 [T1, T3]; RS0039811 [T5, T7, T8]).

[14] 2. Gemäß § 67 Abs 1 ASGG darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 ASGG sowie über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG – vorbehaltlich des § 68 ASGG – vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden oder den Bescheid nicht innerhalb der in § 67 Abs 1 Z 2 ASGG genannten Fristen erlassen hat.

[15] 2.1. Außerhalb von Säumnisfällen setzt jede Klage einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers voraus, der „darüber“, das heißt über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein muss; dies gilt auch für Feststellungsbegehren nach § 65 Abs 2 ASGG (RS0085867). Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens identisch sein, da ansonsten eine „darüber“ ergangene Entscheidung des Versicherungsträgers fehlt (RS0124349). Der mögliche Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens in Sozialrechtssachen ist (außer in den Säumnisfällen [§ 67 Abs 1 Z 2 ASGG]) daher grundsätzlich dreifach eingegrenzt durch den Antrag, den bekämpften Bescheid und das Klagebegehren (RS0105139 [T1]). Soweit der Versicherungsträger ausnahmsweise von Amts wegen vorzugehen hat, kommt dem Antrag diese eingrenzende Bedeutung freilich nicht zu (Neumayr, Zum Klagebegehren und Urteilsspruch im sozialgerichtlichen Verfahren über Bescheidklagen, ÖJZ 2009/113, 1031). Da die Leistungsansprüche in der Unfallversicherung (auch) von Amts wegen festzustellen sind (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG), liegt ein solcher Ausnahmefall hier vor. Die mögliche, das Klagebegehren eingrenzende Wirkung ist im gegenständlichen Verfahren somit anhand des Entscheidungsgegenstands des nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG bekämpften Bescheid zu prüfen.

[16] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut auszulegen (RS0008822 [T2]). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (RS0049680 [T1]); die Reichweite des Bescheidspruchs ist schließlich auch nach dem Entscheidungsgegenstand des bekämpften Bescheids zu interpretieren (RS0105139). Da der Entscheidungswille des Versicherungsträgers im Zweifel – etwa mangels sich aus dem Bescheid ergebender gegenteiliger Anhaltspunkte – sämtliche Anbringen und Gegenstände erfasst, über die ein Bescheid zu erlassen ist, kann etwa auch den Erklärungen, die der Versicherte im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Versicherungsträger abgibt, Bedeutung zukommen.

[17] 2.2.1. Im das Verwaltungsverfahren einleitenden E‑Mail vom 16. September 2018 machte der Kläger geltend, dass er bei Auslandseinsätzen im Oktober 2017 und im Juni 2018 Lungenentzündungen erlitten habe, die unter anderem zu einer kritischen Sepsis und einer Pneumothorax‑Operation geführt hätten, weswegen er in weiterer Folge eine – damals noch andauernde – multiple Neuropathie erlitten habe. Er beantragte ausdrücklich (nur), dass seine Erkrankung als berufsbedingt (im Zusammenhalt mit dem Betreff der E‑Mail: als Berufskrankheit) anerkannt werde. Da nach diesem Vorbringen die einzige damals noch andauernde Erkrankung die multiple Neuropathie war und er auch nur die „Erkrankung“ (Singular) zum Gegenstand seines Begehrens machte, ist sein Antrag auf Feststellung, dass diese Gesundheitsstörung (die als weiterhin bestehend geschilderte multiple Neuropathie) Folge einer Berufskrankheit sei, zu verstehen. Die Nennung der anderen Erkrankungen (insbesondere der Lungenerkrankungen) stellen nach dem klaren Inhalt des Antrags Tatsachenbehauptungen über den Kausalzusammenhang zwischen dieser Gesundheitsstörung und der Berufsausübung dar. Gegenstand dieses Antrags waren daher lediglich die multiple Neuropathie als Gesundheitsstörung, der aus den Lungenerkrankungen ableitbare Kausalzusammenhang zur versicherten Tätigkeit (in den Jahren 2017 und 2018) und das daraus abgeleitete Begehren auf Anerkennung als Berufskrankheit. Ein SLE als Gesundheitsstörung oder ein (Leistungs‑)Begehren auf Versehrtenrente sind daraus – wie das Berufungsgericht zutreffend aufzeigt – nicht ersichtlich.

[18] 2.2.2. Im Fragebogen vom 19. September 2019, den der Kläger über Aufforderung der Beklagten zur Verifizierung der gemeldeten Berufskrankheit ausfüllte, sind als Beschwerden jedoch weitere Gesundheitsstörungen („ITP → Lupus Erythematodes“) und ein anderer Kausalverlauf (Folge einer bereits 2015 bei einem Auslandseinsatz erlittenen Tropenkrankheit) angeführt. Außerdem verwies der Kläger darin auf weitere Befunde. Einen solchen übermittelte er mit E‑Mail vom 9. Oktober 2019, in dem (nunmehr) ein (gesicherter) SLE diagnostiziert wurde und ein kausaler Zusammenhang dieser Diagnose mit allen bisherigen Erkrankungen (darunter auch ITP) als Manifestationen dieser Erkrankung hergestellt wird.

[19] 2.2.3. Die im Rekurs thematisierte Frage, ob mit diesem Anbringen der in der E‑Mail vom 16. September 2018 enthaltene Antrag im Hinblick auf die Gesundheitsstörung und den Kausalzusammenhang geändert wurde, spielt im vorliegenden Fall keine Rolle. In der Unfallversicherung sind Leistungsansprüche nämlich ohnedies (auch) von Amts wegen festzustellen (§ 361 Abs 1 ASVG). Zu diesem Zweck lässt der Unfallversicherungsträger nach Einlangen einer Unfallmeldung unverzüglich die Tatsachen feststellen, die für die Ermittlung, ob und in welcher Höhe eine Entschädigung in Betracht kommt, erforderlich sind (§ 364 ASVG). Über die amtswegige Feststellung einer Versehrtenrente und über die Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Berufskrankheit ist, ist nach § 367 Abs 1 Satz 2 ASVG sodann jedenfalls ein Bescheid zu erlassen, also unabhängig vom Verfahrensergebnis oder vom Willen der Parteien (unbedingte Bescheidpflicht; Kneihs in SV‑Komm [236. Lfg] § 367 ASVG Rz 21 iVm Rz 23 und 26). Dementsprechend entstehen bei auch amtswegig zu erbringenden Leistungen die Leistungs- und Entscheidungspflicht des Versicherungsträgers bereits in dem Zeitpunkt, in dem alle materiellen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind, wenn der Versicherungsträger darüber Kenntnis erlangt (RS0083725). In Frage kommen dafür nach der Rechtsprechung Meldungen der Leistungsempfänger, Unfallsanzeigen der Dienstgeber, Anzeigen von Berufskrankheiten durch Ärzte, Anträge der Leistungsempfänger usw; diese Meldungen und Anträge sind bei von Amts wegen zu erbringenden Leistungen aber keine selbständigen formellen Leistungsvoraussetzungen, weil die bloße Kenntnis der materiellen Voraussetzungen für das Tätigwerden des Versicherungsträgers genügt und es nicht darauf ankommt, wie er diese Kenntnis erlangt hat (10 ObS 42/08m SSV‑NF 22/30; 10 ObS 188/02y; 10 ObS 83/94 SSV‑NF 8/41).

[20] 2.2.4. Die Angaben des Klägers im Fragebogen, insbesondere in Verbindung mit dem danach vorgelegten Befund, versetzten die Beklagte in die Lage, ein Feststellungsverfahren einzuleiten und die Tatsachen feststellen zu lassen, die für die Ermittlung, ob und in welcher Höhe die Gewährung einer Versehrtenrente in Betracht kommt, erforderlich sind. Die Behauptung der Beklagten in der Rekursbeantwortung, es hätten sich keine Hinweise auf das Vorliegen eines SLE ergeben, sind angesichts dieser Umstände nicht nachvollziehbar.

[21] 2.2.5. Der tatsächliche Entscheidungsgegenstand (das nunmehr behauptete Vorliegen des SLE und der angeführte Kausalzusammenhang mit der Berufsausübung) ist bei der Frage der Reichweite des bekämpften Bescheids zu berücksichtigen. Ausgehend vom Wortlaut des Spruchs des bekämpften Bescheids wurden zwar ausdrücklich zunächst nur andere Erkrankungen (Lungenerkrankung und multiple Neuropathie) „nicht als Berufskrankheit anerkannt“. Dieser Teil des Spruchs widerspricht aber ohnedies dem § 367 Abs 1 ASVG, der die Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist, vorsieht (vgl RS0084069). Der Bescheid spricht allerdings darüber hinaus auch (völlig unbestimmt; vgl RS0084069 [T1]) aus, dass „kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung“ bestehe. Nach dem Wortlaut des Spruchs ist davon aber jedenfalls ein – nach dem Gesagten amtswegig zu prüfender – Anspruch auf Gewährung einer Versehrtenrente erfasst. In der Bescheidbegründung wird auf die „bestehenden Beschwerden“ abgestellt, was zwanglos – insbesondere im Zusammenhang mit dem durch die Angaben des Klägers und den erwähnten Befund gebildeten Verfahrensgegenstand – auch den SLE, die davon ausgelösten Gesundheitsstörungen und den behaupteten Kausalzusammenhang mit der Berufsausübung umfasst. Einen Hinweis auf ein einschränkendes Verständnis dahingehend, dass nur über einen aus der Lungenerkrankung oder der Neuropathie abgeleiteten Anspruch auf Versehrtenrente abgesprochen werden sollte, enthält der Bescheid umgekehrt nicht, sondern es war erkennbar eine abschließende (End-)Erledigung beabsichtigt. Die Beklagte behauptet in der Rekursbeantwortung auch gar nicht, dass mittlerweile ein weiterer Bescheid über die ihrer Ansicht nach vom bekämpften Bescheid nicht erfassten Teile ergangen sei. Mit dem bekämpften Bescheid wurde somit auch über die Feststellung des behaupteten SLE als Folge einer Berufskrankheit und einen davon ableitbaren Anspruch auf Leistung einer Versehrtenrente abgesprochen.

[22] 2.3. Die Klagebegehren im vorliegenden Verfahren halten sich im Rahmen dieses Entscheidungsgegenstands. Darin begehrt der Kläger zwar die „Anerkennung“ seiner „durch systemischen Lupus Erythematodes ausgelösten gesundheitlichen Einschränkungen“ als Berufskrankheit, was nicht dem § 65 Abs 2 ASGG (im Verwaltungsverfahren: § 367 Abs 1 ASVG; vgl RS0084069) entspricht und als iSd § 65 Abs 2 ASGG zulässige Feststellung zu verstehen und zu modifizieren ist (RS0108304). Soweit das Erstgericht dem Klagebegehren (nur) den SLE als Gesundheitsstörung zugrunde legte, blieb dies vom Kläger unbekämpft, sodass die darüber hinaus genannten (anderen) gesundheitlichen Einschränkungen aus dem Verfahren ausschieden (RS0041490). Als klagsgegenständlich sind somit (nunmehr) die Begehren auf Feststellung, dass der SLE Folge einer Berufskrankheit sei, und auf Leistung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu betrachten.

[23] 2.4. Zusammenfassend macht der Kläger im Rekurs zutreffend geltend, dass die dem Klagebegehren zugrunde liegenden Ansprüche bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor der Beklagten und auch des bekämpften Bescheids waren. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts und der Beklagten ging die Klage über den Entscheidungsgegenstand des bekämpften Bescheids somit nicht hinaus, sodass der Rechtsweg nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig war. Auf die im Rekurs thematisierten Fragen einer allfälligen Rechtswegzulässigkeit nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG oder einer Manuduktionspflicht der Beklagten im Verwaltungsverfahren muss mangels Relevanz nicht eingegangen werden.

[24] 3. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Klägers aufzutragen.

[25] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte