OGH 9Ob79/22s

OGH9Ob79/22s17.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei * L*, vertreten durch Dr. Mario Sollhart, Rechtsanwalt in Graz, wegen zuletzt 33.837,76 EUR sA (Revisionsinteresse: 30.525,27 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 25. Juni 2022, GZ 5 R 41/22v‑117, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00079.22S.1117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war von 2011 bis 2016 Mieterin eines Mehrparteienhauses der Beklagten. Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte im Ergebnis zur Zahlung von 32.739,93 EUR sA (überhöht gezogene Bankgarantie [Kaution] für Schäden am zurückgestellten Bestandobjekt).

[2] In ihrer außerordentlichen Revision richtet sich die Beklagte gegen die Schadensberechnung der Vorinstanzen und den Stichtag zur Berechnung des Zeitwerts. Die Klägerin sei vertraglich verpflichtet gewesen, den Mietgegenstand nach Beendigung des Mietverhältnisses „in gleich gutem Zustand unter Berücksichtigung normaler Abnützung zurückzustellen“. Beschädigungen seien daher so zu beseitigen, dass der Zustand der beschädigten Sache zum Zeitpunkt der Übergabe erreicht werde. Das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung zur Dispositivität des § 1109 ABGB abgewichen.

Damit zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[3] § 1109 ABGB sieht vor, dass der Bestandnehmer die Sache bei Beendigung in dem Zustand zurückstellen muss, wie er sie übernommen hat. § 1109 ABGB ist dispositives Recht. Es ist daher eine anderweitige vertragliche Regelung zwischen den Parteien durchaus zulässig (RS0020737). Der Bestandnehmer muss nach ständiger Rechtsprechung zu § 1109 ABGB aber für die durch den vertragsmäßigen Gebrauch bewirkte Abnutzung des Bestandgegenstands nicht aufkommen. Die Entschädigung des Bestandgebers für die gewöhnliche Abnutzung ist bei freier Zinsbildung in dem vereinbarten Mietzins inbegriffen. Nur für übermäßige Abnützung und Missbrauch hat also grundsätzlich der Bestandnehmer zu haften (RS0020760). In diesem Sinne legt auch § 1111 ABGB fest, dass der Mieter haftet, wenn ihn an der Beschädigung des Mietgegenstands oder der „missbräuchlichen“ Abnutzung ein Verschulden trifft. Dies erfasst nicht die gewöhnliche Abnutzung (RS0020760 [T2]).

[4] Der Schadenersatzanspruch nach § 1111 ABGB ist primär auf Naturalrestitution gerichtet. Nach Rückstellung des Bestandobjekts kann stets Geldersatz begehrt werden (RS0020636 [T4]). Es entspricht auch der Rechtsprechung, dass die Höhe des Schadens bei objektiv‑abstrakter Berechnung konkret bei § 1111 ABGB nach dem Rückstellungszeitpunkt zu bemessen ist (zB 4 Ob 3/19y). Dabei ist es ein Grundsatz des Schadenersatzrechts, dass der Geschädigte nur Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens hat, durch die Ersatzleistung aber weder schlechter noch besser als vor dem Schadensereignis gestellt werden darf (RS0010494 [T1]). Dementsprechend spricht die Rechtsprechung in solchen Fällen nicht die vollen Wiederherstellungskosten zu: Der Schaden besteht nicht in der vollen Höhe der Reparaturkosten, sondern nur in der Differenz zwischen dem auch ohne das Schadensereignis verminderten Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verminderten Verkehrswert (RS0010494). Den Differenzbetrag zwischen dem Wert der unbeschädigten und der mit Verwendung von Neuteilen reparierten Sache kann der Schädiger von den Kosten der Schadensbehebung in Abzug bringen (RS0022726 [T2]).

[5] Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. In der Folge erachtete es die von der Beklagten eingewandte Instandhaltungsverpflichtung der Klägerin als rechtlich nicht relevant, weil die Lebensdauer der beschädigten Gegenstände in jedem Fall abgelaufen wäre, sodass ein Schadenersatzanspruch der Beklagten nicht in Betracht komme (vgl idS auch 8 Ob 44/09t: Erneuerung der Sache wäre angesichts der gewöhnlichen Lebensdauer selbst bei ordnungsgemäßem Gebrauch notwendig gewesen). Entgegen den Ausführungen der Beklagten stellt das Berufungsgericht damit aber die Dispositivität des § 1109 ABGB nicht in Frage.

[6] Die von der Beklagten ins Treffen geführte Vereinbarung einer Rückstellung „in gleich gutem Zustand“ steht dem nicht entgegen. Fragen der Vertragsauslegung sind wegen ihrer Einzelfallbezogenheit grundsätzlich nicht revisibel (s RS0042936). Die Vereinbarung steht hier im Zusammenhalt mit den Pflichten des Mieters bei Gebrauch, Erhaltung und Veränderungen, sie regelt aber als solche nicht die Frage des schadenersatzrechtlichen Wertersatzes. Das Verständnis der Beklagten liegt hier auch nicht nahe, würde es doch zu einem Vorteil (Bereicherung) führen, der auf schadenersatzrechtlicher Ebene durch den dargelegten Vorteilsausgleich gerade verhindert werden soll. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO wird auch dadurch nicht aufgezeigt.

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