European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00011.22V.1017.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rechtsmittelbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Antragsteller lebt zumindest seit 2001 in Österreich und ist seit 2001 österreichischer Staatsbürger. Die Antragsgegnerin lebt zumindest seit 1997 in Österreich und ist seit 5. 12. 2000 österreichische Staatsbürgerin. Der letzte gemeinsame Aufenthalt der Parteien befand sich in 1030 Wien; nunmehr leben sowohl der Antragsteller als auch die Antragsgegnerin im Sprengel des Erstgerichts.
[2] Der Antragsteller beantragte die Anerkennung des Urteils des Gewohnheitsrechtlichen Gerichtshofs des Bundesstaats Anambra von Nigeria vom * 2017 über das Bestehen der Ehe zwischen ihm und der Antragsgegnerin sowie die Feststellung, dass die Parteien am * 2000 in * in Nigeria die Ehe geschlossen hätten und diese Ehe nach wie vor aufrecht sei.
[3] Die Antragsgegnerin sprach sich gegen den Antrag aus.
[4] Das Erstgericht wies den Antrag auf Anerkennung der ausländischen Entscheidung ab (Punkt I.); den Feststellungsantrag wies es zurück (Punkt II.).
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Rechtlich führte es aus, es liege der Anerkennungsverweigerungsgrund des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG vor. Zu Punkt II. erörterte es, die begehrte Feststellung wäre mit Klage geltend zu machen gewesen. Da das Erstgericht nach § 76 Abs 1 JN örtlich nicht zuständig sei, sei die Zurückweisung zu Recht erfolgt.
[6] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil zur Frage, ob die Heilung des Mangels der internationalen Zuständigkeit in Ehe- und Partnerschaftssachen durch rügeloses Einlassen nach § 104 Abs 3 JN möglich sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[8] 1.1. Im Revisionsrekurs wird nicht in Zweifel gezogen, dass die internationale Zuständigkeit des Gewohnheitsrechtlichen Gerichtshofs des Bundesstaats Anambra unter spiegelbildlicher Anwendung des hier einschlägigen § 76 Abs 2 JN nicht gegeben war. Der Antragsteller steht aber auf dem Standpunkt, die Antragsgegnerin habe sich rügelos in das Verfahren vor dem Gewohnheitsrechtlichen Gerichtshof des Bundesstaats Anambra eingelassen; dadurch, spätestens aber mit Rechtskraft der Entscheidung sei bei spiegelbildlicher Anwendung des § 104 JN die internationale Zuständigkeit jenes Gerichts begründet worden.
[9] 1.2. Gemäß § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG hat die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaats durch eine spiegelbildliche Anwendung des österreichischen internationalen Zuständigkeitsrechts zu erfolgen („österreichische Jurisdiktionsformel“; RS0002369). Maßgebliche Bestimmungen sind nach Rechtsprechung und Lehre insbesondere § 76 Abs 2 und § 114 Abs 4 JN (6 Ob 115/19h [ErwGr 4.2.]; 1 Ob 21/17w [ErwGr 3.1.]; Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht² [2022] § 97 AußStrG Rz 16; Deixler‑Hübner in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 97 Rz 8; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht² [2017] Rz 05.129). Nach Neumayr (in Burgstaller/Neumayr, IZVR Bd 2 [2007] § 97 AußStrG Rz 38) und Fuchs (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² [2019] §§ 97–100 Rz 27) kann die Zuständigkeit iSd § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG auch durch rügelose Einlassung im Sinn von § 104 Abs 3 und 4 JN begründet werden.
[10] 1.3. Ob bei der Prüfung des Versagungsgrundes des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG auch eine spiegelbildliche Anwendung des § 104 Abs 3 JN in Betracht kommt, ist im vorliegenden Fall aber nicht entscheidungswesentlich, weil das Rekursgericht selbst unter spiegelbildlicher Anwendung des § 104 Abs 3 JN eine Heilung durch rügelose Einlassung der Antragsgegnerin in das Verfahren vor dem Gewohnheitsrechtlichen Gerichtshof des Bundesstaats Anambra zutreffend verneinte:
[11] 1.4. Aus § 104 Abs 5 JN ist abzuleiten, dass die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit und die Heilung der internationalen Unzuständigkeit durch rügeloses Einlassen insoweit ausgeschlossen sind, als „besondere gesetzliche Anordnungen ausdrücklich anderes“, nämlich keine Prorogation vorsehen. Zu derartigen „besonderen gesetzlichen Anordnungen“ zählen nach einhelligem Meinungsstand jene Bestimmungen, in denen die Voraussetzungen für die internationale Zuständigkeit Österreichs im Gesetz taxativ aufgezählt sind, wie dies unter anderem in § 76 Abs 2 und § 114a Abs 4 JN der Fall ist (Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 42 Rz 3, § 104 Rz 16; Simotta in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 104 JN Rz 116/1; ErläutRV 898 BlgNR 20. GP 38). Eine Heilung der internationalen Unzuständigkeit durch rügeloses Einlassen in ein Verfahren über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe iSd § 76 JN ist daher ausgeschlossen.
[12] Auf die vom Rekursgericht in der Zulassungsbegründung aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es für die Lösung des konkreten Falls daher nicht an, sodass ihr keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt (vgl RS0088931 [T15]).
[13] 1.5. Soweit im Rechtsmittel aus der Rechtskraft der ausländischen Entscheidung (spiegelbildlich) die Heilung der internationalen Unzuständigkeit und Beseitigung des Versagungsgrundes des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG abgeleitet wird, wird damit ebenfalls keine Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt. Die unprorogable internationale Unzuständigkeit kann zwar nach Rechtskraft der Sachentscheidung nicht mehr wahrgenommen werden (9 Ob 57/19a; Garber in Fasching/Konecny³ § 42 JN Rz 4; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 42 JN Rz 3; vgl auch RS0103598). Dass es darauf bei der Prüfung nach § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG nicht ankommt, ergibt sich aber bereits aus dem klaren Wortlaut und der Systematik des § 97 Abs 1 AußStrG, nach dem die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung stets deren Rechtskraft voraussetzt. Bei der vom Antragsteller gewünschten Beachtung der Nicht‑Aufgreifbarkeit der internationalen Unzuständigkeit nach Rechtskraft der Sachentscheidung liefe der Versagungsgrund des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG gänzlich ins Leere. Dies kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.
[14] 2. Das weitere Rechtsmittelvorbringen, die Antragsgegnerin habe kein Vorbringen zum Versagungsgrund des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG erstattet, gegebenenfalls sei es verspätet gewesen, widerspricht nicht nur dem – gemäß § 215 Abs 1 ZPO idF vor BGBl I 2022/61 – vollen Beweis liefernden Protokoll der Tagsatzung vom 21. 6. 2021, dem auch das Bestreitungsvorbringen des Antragstellers entnommen werden kann, sondern lässt darüber hinaus außer Acht, dass das Rekursgericht dem Erstgericht bereits in seinem im ersten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss vom 3. 7. 2020 die Verfahrensergänzung im Hinblick auf die sich aus dem Akt ergebenden Anhaltspunkte für das Vorliegen dieses Versagungsgrundes auftrug.
[15] 3. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RS0007236). Der im Rekurs nicht geltend gemachte Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit kann daher im Verfahren dritter Instanz nicht mehr nachgetragen werden (RS0041773). Der Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit kann auch nicht als Ersatz für eine im Revisionsrekursverfahren unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RS0117019 [T4]; 1 Ob 216/17x).
[16] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG, wobei die Korrektur eines Additionsfehlers vorzunehmen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)