European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00083.22Z.1006.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller ist schuldig, dem Antragsgegner die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Antragsteller ist seit 1. 5. 2015 Mieter einer Wohnung im Haus 1190 Wien, Cobenzlgasse *, Feilergasse *. Der Antragsgegner ist Vermieter dieser Wohnung.
[2] Die Liegenschaft liegt nicht in einem Gründerzeitviertel; sie befindet sich im Kern von Grinzing, dessen Ensemble wegen seiner historischen Bedeutung unter Denkmalschutz gestellt wurde. Grinzing hat ein sehr hohes Standortimage und ist gerade bei wohlhabenden Interessentenschichten sehr beliebt. Diese Interessenten sind weniger an städtischer Infrastruktur, sondern an einer exklusiven Wohnlage interessiert. Die Grundstückspreise sind sehr hoch.
[3] Die Liegenschaft ist eine Eckparzelle zwischen Cobenzlgasse und Feilergasse. Sie ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Autobuslinie 38A) nur durchschnittlich erreichbar. Die Buslinie 38A führt von der Endstelle der U4 Heiligenstadt über die Grinzingerstraße/Sandgasse in das Ortszentrum von Grinzing mit Anschluss an die Straßenbahnlinie 38, die zum Schottentor, 1010 Wien, führt, und verläuft weiter entlang der Cobenzlgasse in Richtung Cobenzl, Kahlenberg bzw Leopoldsberg. Die Liegenschaft ist mit dem Pkw gut erreichbar, die Parksituation ist für städtische Verhältnisse beengt, allerdings befindet sich auf der Liegenschaft eine Tiefgarage.
[4] Die Cobenzlgasse wird in diesem Bereich als Einbahn in Richtung Höhenstraße geführt, die Feilergasse als Einbahn in Richtung Himmelstraße, beide Straßen sind durchschnittlich stark befahren und in beiden Straßen verkehrt die Autobuslinie 38A. Die Verkehrsbelastung ist nicht unerheblich, gemäß der Lärmkarte überschreitet der Tag‑, Abend‑, Nachtlärmpegel im 24 Stundendurchschnitt gemessen in 4 Meter Höhe über dem Boden im Straßenbereich den Schwellenwert von 60 Dezibel um bis zu 5 Dezibel.
[5] Die Liegenschaft befindet sich in einem Gebiet mittlerer Bebauungsdichte. „Vorhanden“ sind Bildungseinrichtungen (eine HBL in der Straßergasse 37, eine Volksschule in der Mannagettagasse 1), Ärzte (ein Zahnarzt in der Himmelstraße 18 und weitere Ärzte in der Cobenzlgasse 46), Lebensmittelgeschäfte (eine Bäckerei in der Himmelstraße 21, eine Konditorei in der Himmelstraße 7, ein Spar in der Himmelstraße 11 sowie ein weiterer Lebensmittelhandel in der Cobenzlgasse 32), eine Apotheke (in der Cobenzlgasse 10), eine BIPA Filiale (in der Himmelstraße 17), eine Schneiderei, ein Frisör sowie eine Trafik. Die Entfernung von der Liegenschaft bis zum Anfang der Himmelstraße beträgt rund 430 m, sämtliche der angeführten Ärzte und Geschäfte befinden sich in dem Bereich vom Anfang der Himmelstraße bis zu der Liegenschaft.
[6] Der Antragsteller begehrte die Überprüfung des gesetzlich zulässigen Mietzinses.
[7] Das Erstgericht stellte die Höhe des zulässigen Hauptmietzinses für die Wohnung mit dem Betrag fest, der dem vereinbarten Mietzins entspricht, und wies den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung für den den zulässigen Hauptmietzins übersteigenden Betrag ab.
[8] Im Zusammenhang mit dem – im Revisionsrekursverfahren strittigen – Lagezuschlag führte das Erstgericht aus, dass als Referenzgebiete Gebiete mittlerer Bebauung heranzuziehen seien. Diese fänden sich in zahlreichen Wiener Stadtbezirken, so etwa in dem vom Sachverständigen herangezogenen Bereich des 16. Wiener Gemeindebezirks (im Bereich der äußeren Thaliastraße noch vor Beginn der Gallitzinstraße), aber auch in Bereichen des 10., 11., 21. und 22. Wiener Gemeindebezirks. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens sei das Gebiet des alten Ortskerns von Grinzing im Vergleich beispielsweise zu der Lage im 16. Wiener Gemeindebezirk als wesentlich bessere Lage einzustufen; dies aufgrund des Prestiges generell der Lagen im 19. Bezirk, des besonderen Flairs des Heurigenorts Grinzing mit seinem gesamten unter Denkmalschutz stehenden Ensemble und der Nähe zu den Wienerwald‑Gebieten. Auch die Referenzgebiete im 22. Bezirk seien wohl weniger gut zu bewerten. Bei der Beurteilung der Lagequalität sei auch den Marktusancen Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, wie begehrt die Wohnlage sei. Die – im Übrigen durchaus gegebene – Ausstattung mit Bildungseinrichtungen, Geschäften und Ärzten sei gerade im hochpreisigen Segment kein ausschlaggebendes Kriterium. Der äußere Ortsrand des Grinzinger Ortskerns sei als sehr begehrte und daher überdurchschnittliche Lage anzusehen. Ein Lagezuschlag sei daher berechtigt.
[9] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Es bestätigte den Sachbeschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass es den Sachantrag auf Feststellung des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses für die Wohnung abwies. Wenn sich die Behauptung, der vereinbarte Hauptmietzins überschreite den gesetzlich zulässigen Betrag, als unrichtig herausstelle, sei der gesamte Antrag abzuweisen.
[10] Das Erstgericht habe den von der Judikatur für die Beurteilung der Lagequalität geforderten wertenden Vergleich nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens vorgenommen, wenn es das Prestige des 19. Bezirks, insbesondere einer Lage am Rand des alten Ortskerns von Grinzing mit seinem Ensembleschutz und der Nähe zum Wienerwald betont habe. Demgegenüber trete die optimale Erreichbarkeit von Nahversorgung, Bildungseinrichtungen, Ärzten und dergleichen doch ein wenig in den Hintergrund. Dem Erstgericht sei auch beizupflichten, dass diese Wohngegend verglichen mit den anderen Gebieten mittlerer Bebauungsdichte außerhalb des Gürtels bzw in anderen Randgebieten Wiens, etwa in Favoriten, Simmering, Floridsdorf oder Donaustadt, nach der Verkehrsauffassung zweifellos eine bevorzugte, den Lagezuschlag rechtfertigende Lage sei.
[11] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil zu den maßgeblichen Kriterien für die Zuerkennung eines Lagezuschlags in Gebieten mit mittlerer Bebauungsdichte noch keine gefestigte oberstgerichtliche Judikatur vorliege.
[12] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers. Er macht die Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen im antragstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[13] Der Antragsgegner beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[15] 1. Gegenstand des Revisionsrekurses ist (nur mehr) die Frage, ob bei der Ermittlung des höchstzulässigen Richtwertmietzinses ein Lagezuschlag nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG zu berücksichtigen ist. Soweit im Revisionsrekurs pauschal auf die Ausführungen im Rekurs verwiesen wird, ist dies auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren unzulässig und unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0043616 [T13, T14]; RS0043579 [T20, T21]; RS0007029 [T8, T9]).
[16] 2. Gemäß § 16 Abs 4 MRG ist ein Lagezuschlag nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG).
[17] Ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen (RS0111204 [T2]). Dazu bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen).
[18] In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812).
[19] Maßgeblich für die Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ sind unterschiedliche Faktoren und Standorteigenschaften, so etwa die Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr), Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs‑ und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, kulturelles Angebot, Sport‑ und Freizeitanlagen, Parks, Grünflächen und Gewässer (also die „Infrastruktur“ im weitesten Sinn; 5 Ob 100/21y [Rz 30]). Ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der (Über‑)Durchschnittlichkeit vor allem einer innerstädtischen Lage ist auch der Umstand, ob die zu beurteilende Liegenschaft – gemessen an vergleichbaren Lagen – eine besondere (Grün‑)Ruhelage aufweist oder im Gegenteil über das zu erwartende Ausmaß von Verkehr, Abgasen und Lärm belastet wird (5 Ob 104/21m [Rz 21 f] mwN; 5 Ob 20/22k [Rz 6]). Auch das Image der Wohnumgebung kann in die Beurteilung miteinzubeziehen sein (vgl 5 Ob 104/21m [Rz 25]; Schinnagl, Einige Überlegungen zum Lagezuschlag im Lichte der Entscheidung OGH 20. 1. (richtig: 11.) 2017, 5 Ob 74/17v, wobl 2018, 268 [272]).
[20] Die (Über‑)Durchschnittlichkeit der Lage ist dabei in einer Gesamtschau und unter Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Vorzunehmen ist eine Gesamtschau, weil die Lagequalität nur insgesamt erfasst werden kann. Die Auflistung und Bewertung einzelner Lagefaktoren kann nur ein Kontrollinstrument sein. Den Gerichten ist bei der Beurteilung der Lagequalität ein gewisser Wertungs‑ und Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser nicht überschritten wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (5 Ob 20/22k [Rz 3] mwN).
[21] 3. Die Vorinstanzen haben die hier zu beurteilende Lage des Hauses in Grinzing im 19. Gemeindebezirk mit Lagen in anderen Gebieten mit mittlerer Bebauungsdichte außerhalb des Gürtels und in anderen Randgebieten Wiens verglichen. Der Verweis des Erstgerichts auf das Gebiet im Bereich des 16. Gemeindebezirks ist lediglich beispielhaft, in der rechtlichen Beurteilung verweist es auch auf andere, durch die dem Sachbeschluss angeschlossene Referenzgebietskartierung der MA 18 konkretisierte Gegenden in den Bezirken 10, 11, 21 und 22. Auch das Rekursgericht nennt beispielhaft auch Gebiete in Favoriten, Simmering, Floridsdorf oder Donaustadt. Die Maßgeblichkeit dieser Referenzgebiete ist im Revisionsrekursverfahren nicht (mehr) strittig.
[22] Das Rekursgericht und – diesem folgend – der Antragstellerbegründen die Zulässigkeit des Revisionsrekursesdamit, dass keine gefestigte oberstgerichtliche Judikatur zu den maßgeblichen Kriterien für die Zuerkennung eines Lagezuschlags in diesen Gebieten mit mittlerer Bebauungsdichte vorliege.
[23] Der Fachsenat hatte zwar bislang keine Lage zu beurteilen, bei der Gebiete mit einer ausschließlich mittleren Verbauung als Referenzgebiet heranzuziehen waren. Die zu 5 Ob 143/21x beurteilte Lage im 18. Gemeindebezirk in unmittelbarer Nähe zum Cottage‑Viertel liegt lediglich an der Grenze zum Gebiet mit mittlerer Bebauung. Aber allein der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer solchen Lage noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, begründet für sich noch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (vgl RS0102181; RS0110702; RS0107773). Eine solche liegt insbesondere dann nicht vor, wenn die Frage der Lagequalität – wie im vorliegenden Fall – anhand der von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Leitlinien gelöst werden kann und gelöst wurde (RS0042656 [T48]; RS0042742 [T13]; RS0107773 [T3]).
[24] 4. Eine im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurs des Antragstellers nicht auf.
[25] Die Vorinstanzen bejahten die Überdurchschnittlichkeit der Lage des hier zu beurteilenden, im 19. Wiener Gemeindebezirk im Kern von Grinzing gelegenen Hauses. Als die ihrer Auffassung nach dafür entscheidenden Merkmale hoben sie übereinstimmend das Prestige des 19. Bezirks im Allgemeinen und der Lage am Rande des alten Ortskerns von Grinzing mit seinem Ensembleschutz und der Nähe zum Wienerwald im Besonderen hervor. Demgegenüber trete die optimale Erreichbarkeit von Nahversorgung, Bildungseinrichtungen, Ärzten und dergleichen in den Hintergrund.
[26] Bei dieser Beurteilung gingen die Vorinstanzen von den zutreffend dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aus. In der danach gebotenen Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika haben sie letztlich dem Standortimage die ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Damit haben sie den dem Rechtsanwender bei der Beurteilung der Qualität der Lage (Wohnumgebung) grundsätzlich eingeräumten Wertungs- und Ermessensspielraum nicht verlassen. Die gegenteilige Argumentation des Antragstellers überzeugt nicht. Die durch eine nicht geschlossene und nur geringgeschoßige Bauweise sowie einen großen Grünanteil gekennzeichneten Randlagen schließen an das dicht verbaute innerstädtische Gebiet zum Stadtrand hin an und weisen daher zwangsläufig nicht das Lagekriterium Zentrumsnähe auf. Im Allgemeinen ist in diesen Lagen auch keine Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr), Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung und kulturelles Angebot wie in dicht verbauten innerstädtischen Gebieten zu erwarten. Die hier zu beurteilende Lage zeichnet sich daher dadurch aus, dass trotz der Lage am Stadtrand und des kleinstädtischen, fast dörflichen Charakters die für innerstädtische Lagen typische Erreichbarkeit von Geschäften des täglichen Bedarfs und Ärzten gegeben ist. Zudem ist etwa die Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 38 zu Fuß erreichbar und damit ein direkter Anschluss an das Stadtzentrum mit dem öffentlichen Verkehr gegeben.
[27] 5. Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
[28] Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die danach anzustellenden Billigkeitserwägungen rechtfertigen einen Kostenzuspruch, wenn der Rechtsmittelgegner – wie der Antragsgegner hier – in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen hat.
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