OGH 9ObA5/22h

OGH9ObA5/22h14.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegel (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) und Karl Schmid‑Wilches (aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. H*, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei R* eGen (mbH), *, vertreten durch Mag.Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert 35.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. November 2021, GZ 7 Ra 53/21z‑24, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00005.22H.0714.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war ab 1. 1. 2004 bei der Beklagten beschäftigt und wurde mit Schreiben vom 12. 4. 2018 zum 31. 10. 2018 gekündigt. Mit Klage vom 26. 4. 2018 begehrte der Kläger, die Kündigung des Dienstverhältnisses nach § 105 ArbVG für rechtsunwirksam zu erklären. Außerdem liege eine Diskriminierung iSd § 17 Abs 1 Z 7 GlBG vor. In der Tagsatzung vom 13. 9. 2018 beantragten die Parteienvertreter übereinstimmend die Unterbrechung des Verfahrens „bis 31. 3. 2019 bzw für den Fall, dass eine rechtskräftige strafrechtliche Erledigung bzw. rechtskräftige Anklageerhebung zu einem vorigen Zeitpunkt eintritt (hinsichtlich des Klägers), die Unterbrechung bis zu diesem Datum“. Daraufhin verkündete die Vorsitzende den Beschluss, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung der Strafsache AZ 25 St 26/16x hinsichtlich des Klägers bzw bis zur rechtskräftigen Anklageerhebung bzw jedoch spätestens bis zum 31. 3. 2019 (für den Fall, dass bis zu jenem Zeitpunkt noch keine rechtskräftige Erledigung vorliegt) zu unterbrechen. Das Verfahren werde nur über Antrag einer der beiden Parteien fortgesetzt.

[2] Nach der Benachrichtigung über die Einstellung des Strafverfahrens vom 12. 3. 2020 beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 26. 3. 2020 die Fortsetzung des Verfahrens.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Durch das Zuwarten von einem Jahr nach Ablauf des vereinbarten Verfahrensstillstands, habe das Verhalten des Klägers aus objektiver Sicht kein Interesse an der Verfahrensführung erkennen lassen, weshalb eine Verletzung der Aufgriffsobliegenheit durch nicht gehörige Fortsetzung des Verfahrens zu bejahen sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[5] 1. Richtig ist, dass es sich bei den Fristen des § 105 ArbVG und bei der 14‑tägigen Anfechtungsfrist nach § 29 Abs 1 GlBG um prozessuale Fristen handelt (RS0052033 [T2, T7]; Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, Gleichbehandlungsgesetz2, § 29 Rz 5). Auf bereits gewahrte prozessrechtliche Fristen haben nachfolgende Vorgänge im Verfahren im Allgemeinen keinen Einfluss.

[6] 2. Daraus ist aber für den Kläger nichts zu gewinnen.

[7] Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers voraussetzende Fortsetzungsanspruch wegen behaupteter Unwirksamkeit einer Auflösungserkärung nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden kann (RS0028233; RS0107828; zuletzt ausführlich zB 9 ObA 42/19w). Der Anspruch auf Fortsetzung des Dienstverhältnisses muss daher innerhalb angemessener Frist durch Klage (Feststellungsklage oder Rechtsgestaltungsklage) geltend gemacht werden (9 ObA 42/19w mwN). Begründet wird dies in ständiger Rechtsprechung damit, dass das Klarstellungsinteresse auch des Dienstgebers eine Aufgriffsobliegenheit des Dienstnehmers bedingt, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses ohne Aufschub gegenüber dem Dienstgeber geltend zu machen. Das eminente Klarstellungsinteresse des Dienstgebers am Bestand oder Nichtbestand des Dienstverhältnisses beruht darauf, dass diesem als Vertragspartner, der auf die Wirksamkeit der von ihm ausgesprochenen Auflösungserklärung vertraut, erhebliche (finanzielle) Nachteile entstehen könnten, falls seine Annahme unrichtig ist (RS0028233 [T12]). Die zeitliche Grenze für die rechtzeitige Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs ist unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des Dienstnehmers als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung oder als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist. Zur Beurteilung der Unverzüglichkeit ist ein angemessener, zur Erkundung und Meinungsbildung objektiv ausreichender Zeitraum heranzuziehen (RS0028233 [T6]). Es kommt nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auch darauf an, ob der Kläger triftige Gründe für sein Zögern ins Treffen führen kann (9 ObA 42/19w mwN; RS0028233 [T5]). Denn die berücksichtigungswürdigen Gründe für die Untätigkeit muss der Kläger vorbringen und unter Beweis stellen (8 ObA 55/12i mwN).

[8] 3. Durch die fristgerechte Klagseinbringung hat der Kläger dieser Aufgriffsobliegenheit zunächst entsprochen und zum Ausdruck gebracht, dass er eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wünscht. In der Folge kam es jedoch zu einem länger dauernden Verfahrensstillstand.

[9] Zu dieser Problematik hat der Oberste Gerichtshof bereits Stellung genommen und ausgesprochen, dass auch in einer mehrmonatigen Untätigkeit und nicht gehörigen Fortsetzung eines (dort) ruhenden Verfahrens auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses eine Verletzung der Aufgriffsobliegenheit gelegen sein kann (9 ObA 145/03v‑18 Monate).

[10] In der auch vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 9 ObA 270/97i (dreijähriger Verfahrensstillstand nach Ruhensvereinbarung) wurde ausgeführt, dass Verzögerungen nach der rechtzeitigen Verfahrensfortsetzung neuerlich iSd § 863 ABGB dahin zu beurteilen seien, ob ihr Verhalten nunmehr als stillschweigender Verzicht auf die Weiterführung des Rechtsstreites, als Anerkenntnis des Rechtes der Beklagten, sohin iSd § 1497 ABGB anzusehen sei. Es könnten daher analog die zur gehörigen Fortsetzung des Verfahrens entwickelten Grundsätze angewendet werden.

[11] 4. Eine gehörige Fortsetzung ist nicht anzunehmen, wenn der Kläger eine ungewöhnliche Untätigkeit an den Tag legt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm an der Erreichung seines Prozesszieles nichts gelegen ist. Dabei ist nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern vor allem auf die Gründe Bedacht zu nehmen. Die Gründe für die Untätigkeit müssen im Verhältnis zwischen den Parteien gelegen sein (RS0034849 [T1]). Von einer gehörigen Fortsetzung der Klage kann im Falle einer Unterbrechung des Verfahrens nur gesprochen werden, wenn nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes die unverzügliche Fortsetzung des Verfahrens verlangt wird (RS0034612).

[12] Die Frage, ob ein längeres Zuwarten mit der Verfolgung eines Anspruchs iSd § 1497 ABGB noch hingenommen werden kann oder ob eine ungewöhnliche Untätigkeit vorliegt, aus der entnommen werden muss, dass es der Partei an dem erforderlichen Ernst zur Erreichung des Prozesszieles fehlt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des einzelnen Falls zu beantworten (RS0034805; RS0034765 [T1, T18, T29])

[13] 5. Im konkreten Fall haben die Parteien eine Unterbrechung des Verfahrens „bis 31. 3. 2019 bzw. für den Fall, dass eine rechtskräftige strafrechtliche Erledigung bzw. rechtskräftige Anklageerhebung zu einem vorigen Zeitpunkt eintritt (hinsichtlich des Klägers), die Unterbrechung bis zu diesem Datum“ beantragt und hat das Erstgericht diesem Antrag entsprochen. Das Verfahren sollte nur über Antrag einer der Parteien fortgesetzt werden. Eine Fortsetzung des Verfahrens erfolgte erst mit Schriftsatz vom 26. 3. 2020.

[14] Damit war zwar zwischen den Parteien das Abwarten des Strafverfahrens ein Motiv für den Unterbrechungsantrag, zugleich war dieses Zuwarten aber zeitlich limitiert. Es bestand daher kein Einvernehmen darüber, dass unbefristet auf den Ausgang des Strafverfahrensgewartet wird. In der Folge hat der Kläger nach Ablauf des im Beschluss genannten Termins der Beklagten gegenüber ohne weitere Begründung mehr als 11 Monate nicht zum Ausdruck gebracht, an einer Fortsetzung des Verfahrens interessiert zu sein. Berücksichtigt man, wie bereits zuvor dargelegt, das Klarstellungsinteresse des Dienstgebers, dem der Gesetzgeber gerade auch in den kurzen Fristen zur Einleitung des Verfahrens Rechnung getragen hat, hält sich die Ansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger damit aus objektiver Sicht kein Interesse an einer Verfahrensfortführung erkennen ließ, im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[15] 6. Ob eine befristete Unterbrechung im Gesetz vorgesehen ist, hat auf diese Beurteilung keinen Einfluss. Die Entscheidung auf Unterbrechung des Verfahrens, mit der im Übrigen nur dem Antrag der Parteien Rechnung getragen wurde, wurde rechtskräftig, weshalb von einer wirksamen Unterbrechung des Verfahrens entsprechend dem Beschluss auszugehen ist (vgl 1 Ob 418/97w). Dass der Kläger unabhängig vom Inhalt dieses Beschlusses ein Abwarten des Ausgangs des Strafverfahrens über den 31. 3. 2019 hinaus vor Fortsetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtete, mag nachvollziehbar sein, war aber nicht Inhalt des Unterbrechungsbeschlusses und wurde vom Kläger auch nach dem 31. 3. 2019 gegenüber der Beklagten nicht kommuniziert.

[16] 7. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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