European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00050.22G.0622.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Der Antrag der Antragsteller auf Zuspruch von Kosten ihres Revisionsrekurses wird abgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten der vom Antragsgegner erstatteten Revisionsrekursbeantwortung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
[1] Die Antragsteller sind jeweils Eigentümer von Liegenschaften mit Ferienhäusern in dem auf rund 1.600 m Seehöhe gelegenen „Dorf G*“. Die Ferienhäuser sind massiv gebaut und ganzjährig bewohnbar; alle Objekte sind mit Strom und Trinkwasser versorgt. Das „Dorf G*“ mit den Liegenschaften der Antragsteller ist als Bauland-Dorfgebiet gewidmet. Die in den 1960er‑Jahren errichteten Ferienhäuser bzw das Dorf waren von Beginn an sowohl im Winter als auch im Sommer über eine Seilbahn („Pendelbahn“; eine von der K* AG errichtete und betriebene Gondelbahn mit einer Mittelstation nahe beim Dorf) erschlossen. Bei einem schweren Unfall im Zuge von Wartungsarbeiten am 2. April 2019 wurde die Pendelbahn stark beschädigt und ihr Betrieb ist seither eingestellt.
[2] Aufgrund einer mit der Bringungsgemeinschaft G* im Jänner 2009 auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vereinbarung („Straßenbenützungsvereinbarung“) sind die Liegenschaftseigentümer im „Dorf G*“ berechtigt, über die „Forststraße G*“ zu ihren Ferienhäusern mit Pkws (und Anhängern) zuzufahren. Diese Forststraße ist eine breit ausgebaute Schotterstraße mit einem Schranken im Talbereich, für den die Antragsteller je zwei Schlüssel haben. Das Befahren dieser Straße ist den Antragstellern jedoch nach der Vereinbarung in den Wintermonaten („während der Winterzeit“; Beilage ./3) nicht gestattet. Im Winter wird diese Forststraße „für Notfälle“ von der G* Bergbahnen GmbH auf einer Länge von 12 bis 13 Kilometern bis etwa 100 Meter vor das „Dorf G*“ vom Schnee, „ausgenommen extreme Wetterereignisse“, geräumt und ist damit für Einsatzfahrzeuge befahrbar und für Personen ganzjährig begehbar.
[3] Im Bereich eines Grundstücks des Antragsgegners befindet sich die Bergstation der seit 2011 von der G* Bergbahnen GmbH betriebenen Umlaufbahn (Gondelbahn). Von dieser Bergstation aus führt ein Weg in einer Breite von etwa 3 Metern, der LKW-befahrbar errichtet wurde, zunächst in nördliche Richtung zum Speicherteich und von dort zum sogenannten „Dorfweg“, der in Richtung Südosten in das „Dorf G*“ bis zum sogenannten „J*“ verläuft. Dieser Weg führt bis zur Mittelstation der bis 2019 in Betrieb befindlichen G*‑Pendelbahn. Bis zum Wintereinbruch wird diese Weganlage einerseits mit Pkw, Traktoren und Lkw befahren und andererseits auch begangen. Ab dem Wintereinbruch in der Regel bis Ostern wird diese Weganlage mit Pistengeräten und ähnlichen Fahrzeugen sowie mit Schiern befahren und als Gehweg von der Bergstation der Umlaufbahn in das „Dorf G*“ genutzt. Der Höhenunterschied zwischen der Bergstation der Umlaufbahn und dem „Dorf G*“ beträgt 150 Meter. Der „Dorfweg“ ist ein privater Forstweg ohne Öffentlichkeitscharakter. Für einen Teil der Weganlage besteht eine aufrechte Pistenbetriebsgenehmigung zugunsten der G* Bergbahnen GmbH.
[4] Im Juni 2019 untersagte der Antragsgegner den Antragstellern schriftlich die Benutzung dieses Wegs von der Bergstation zum Dorf („jegliches Begehen und Befahren“). Um das Problem der Anbindung der Ferienhäuser an die Umlaufbahn zu lösen, gründeten zwei Eigentümer im März 2020 den Verein „Dorf G*“. Am 9. November 2020 schlossen dieser Verein, der Antragsgegner und die Agrargemeinschaft S* einen Vertrag, in dem die Liegenschaftseigentümer „dem Verein“ (auszuüben „ausschließlich durch die ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder sowie deren Familienangehörigen und Besucher“) die Nutzung einer näher definierten Transportfläche während der Wintersaison (jeweils 15. Dezember bis 30. April) gestatten, um von der Bergstation der Umlaufbahn zu Transportzwecken zu den „Almhäusern“ des Dorfes zu gehen (Punkt 2.2.2.). In einer Zusatzvereinbarung vom 24. März 2021 erteilten die Grundeigentümer „dem Verein“ die Berechtigung, über die beschriebene Trasse ganzjährig von der Bergstation zu den Häusern des Dorfes zu gehen (Punkt 2.2.4.). Außerdem schloss der Verein am 9. November 2020 mit der G* Bergbahnen GmbH eine Transportvereinbarung, in welcher die Fahrzeiten und nähere Bedingungen der Beförderung von Personen durch „Dorftaxis“ geregelt wurden.
[5] Die in den genannten Verträgen als Transportfläche vorgesehene Weganlage ist der von den Antragstellern als Notweg begehrte Weg. Mehrere (insgesamt sieben der ursprünglichen) Antragsteller zogen ihren Antrag im Lauf des erstinstanzlichen Verfahrens zurück. Die verbliebenen Antragsteller wollen dem Verein „Dorf G*“ nicht beitreten.
[6] Die Antragsteller begehrten mit Antrag vom 12. Dezember 2019 die Einräumung eines Notwegs von ihren Liegenschaften zur Bergstation der Umlaufbahn (auch) über das Grundstück des Antragsgegners. In ihrem Fortsetzungsantrag vom 20. Juli 2020 erklärten sie, das ursprünglich begehrte Fahrtrecht zurückzuziehen, weil es für sie „höchste Priorität“ habe, im Winter über diesen Notweg ins Dorf zu gelangen, das in der Wintersaison 2019/2020 wegen des Verbots des Antragsgegners zu Fuß nicht erreichbar gewesen sei. Sie formulierten zusammengefasst, der Notweg möge auf dem etwa 3 Meter breiten Weg („Dorfweg“) von der Bergstation der Umlaufbahn der G* Bergbahnen GmbH über das Grundstück * (wie in einem beigelegten Plan eingezeichnet) „in der Art und Weise eingeräumt werden, dass der Zugang zur Bewirtschaftung von Ferienhäusern ermöglicht wird“, und zwar zugunsten der (näher angeführten) Liegenschaften der Antragsteller. Die Antragsteller seien auf diesen Notweg angewiesen, um bei winterlichen Bedingungen ihre Ferienhäuser erreichen, um etwa drohende Schäden beseitigen, wie beispielsweise bei extremer Schneelage Dächer „abschaufeln“ zu können. Die Verweigerung des Zugangs auf dem vorhandenen Weg sei schikanös, weil damit keine Beeinträchtigung der schon vorhandenen Weganlage verbunden sei; auch dadurch bedingte Mehrkosten der Wegerhaltung seien ausgeschlossen. Schon nach Fertigstellung der von der G* Bergbahnen GmbH betriebenen Umlaufbahn, als der Winterbetrieb der Pendelbahn auf wenige Fahrten eingeschränkt worden sei, sei die Bewirtschaftung der Ferienwohnhäuser „primär über die Umlaufbahn“ erfolgt. Der beantragte Notweg führe zum öffentlichen Wegenetz, weil die Umlaufbahn direkt zur öffentlichen Straße führe. Der Weg sei auch der einzige direkte Zugang zum Gasthof im Dorf und dieser Weg sei bisher auch von Außenstehenden uneingeschränkt begangen und mit Schi und Rodeln befahren worden. Eine Beeinträchtigung für Schifahrer durch das Gehen zum Dorf sei nicht zu befürchten, denn dieser Bereich werde seit Jahren nicht mehr als Schipiste präpariert und genutzt. Der vom Tal aus zum Dorf führende „Alte Weg“ sei seit Errichtung der Forststraße verwildert und könne auch im Winter zum Gehen nicht benutzt werden; außerdem dauere der Aufstieg mehr als vier Stunden, während man die Liegenschaften über den beantragten Notweg in rund 15 Minuten zu Fuß erreiche. Die Antragsteller benötigten eine gesicherte Erschließung ihrer Ferienhäuser, ohne zum Vereinsbeitritt gezwungen zu werden, sei doch die daraus resultierende Kostenbelastung nicht absehbar. Allein für das bloße Gehen sei jährlich eine Abgabe an den Verein von 500 EUR zu leisten und die Mitgliedschaft stelle infolge des nur eingeschränkten Zugangsrechts nicht sicher, dass Freunde, Handwerker, medizinische Betreuung, Feriengäste und andere Personen den Weg ebenfalls benutzen könnten.
[7] Der Antragsgegner wendete im Wesentlichen ein, die Antragsteller hätten selbst für eine Anbindung ihrer Ferienhäuser an das Wegenetz sorgen müssen; bei der Errichtung ihrer Häuser in hochalpiner Lage hätten sie gewusst und in Kauf genommen, dass sie diese im Winter mit Fahrzeugen nicht erreichen könnten. Die Seilbahn sei keine Wegeverbindung im Sinn des Notwegegesetzes. Auf der als Notweg begehrten Fläche herrsche im Winter Pistenbetrieb, weshalb dem Antragsgegner Schadenersatzansprüche des Pistenbetreibers und damit erhebliche Nachteile drohten. Die Antragsteller könnten dem Verein „Dorf G*“ beitreten, der für seine Mitglieder ein Transportservice zwischen der Bergstation und dem Dorf anbiete, das sich bereits bewährt habe; das Ausschlagen der Inanspruchnahme der Möglichkeit eines Vereinsbeitritts sei auffallend sorglos.
[8] Das Erstgericht wies den Antrag ab.
[9] Die Gondelbahn sei kein öffentlicher Weg im Sinn des Notwegegesetzes (NWG); ein Notweg zur Bergstation der Umlaufbahn über das Grundstück des Antragsgegners komme daher nicht in Betracht. Dass die Antragsteller keine Vorsorge für eine ganzjährige Weganlage getroffen hätten und außerdem dem Verein nicht beitreten wollten, begründe jeweils eine auffallende Sorglosigkeit im Sinn des § 2 NWG.
[10] Das Rekursgericht nahm den Rekurs zum Anlass, die Abweisung der Anträge derjenigen Antragsteller, die ihre Anträge auf Einräumung eines Notwegs bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens zurückgezogen hatten, aus dem Spruch herauszunehmen, und bestätigte im Übrigen die Antragsabweisung.
[11] Die Antragsteller begehrten keine Anbindung ihrer Liegenschaften an das öffentliche Straßennetz, sondern nur den Zugang zur Bergstation einer Seilbahn. Der Oberste Gerichtshof habe aber bereits zu 3 Ob 278/06p und insoweit vergleichbar ausgesprochen, dass eine bloße Anbindung an das öffentliche Wassergut, welches nicht Teil des öffentlichen Wegenetzes sei, keinen Notweg darstelle. Die Antragsteller hätten außerdem schon beim Erwerb ihrer Liegenschaften in subjektiv vorwerfbarer Weise in Kauf genommen, dass diese im Winter nur über eine Seilbahn und nicht über öffentliche Straßen erreichbar seien. Nicht vorwerfbar sei den Antragstellern hingegen, dass sie nicht dem Verein beitreten wollten. Da aber durch den beantragten Notweg das öffentliche Wegenetz ohnehin nicht erreichbar sei, komme es auf weitere Anspruchsvoraussetzungen nicht an.
[12] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Notweg zur Anbindung einer Liegenschaft an eine Seilbahn (Bergstation) eingeräumt werden könne.
[13] In ihrem Revisionsrekurs beantragen die Antragsteller, die Entscheidung dahin abzuändern, dass ihrem Antrag stattgegeben werde.
[14] Der Antragsgegner beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[15] Der Revisionsrekurs ist zulässig und mit seinem Aufhebungsantrag berechtigt.
[16] 1.1 Entbehrt eine Liegenschaft der für die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung erforderlichen Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz, so kann deren Eigentümer gemäß § 1 Abs 1 NWG die gerichtliche Einräumung eines Notwegs über fremde Liegenschaften begehren.
[17] 1.2 Unter der für eine ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung erforderlichen Wegeverbindung ist jener Nutzen zu verstehen, den die Liegenschaft nach ihrer Natur und Beschaffenheit gewähren kann (RS0070994). Maßgeblich ist jede nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässige Bewirtschaftungsart (8 Ob 91/14m; 3 Ob 183/03p [öffentlich‑rechtliche Widmung als Bauland] JBl 2004, 320 [Egglmeier‑Schmolke]; 7 Ob 228/10w [Baulandwidmung]).
[18] 1.3 Die Liegenschaften der Antragsteller sind als „Bauland-Dorfgebiet“ gewidmet und es befinden sich darauf jeweils ganzjährig bewohnbare Ferienwohnhäuser. Liegenschaften, die Wohnzwecken dienen, sind zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses zugänglich zu machen. Das bedeutet, dass ein – ganzjährig genutztes – Wohngebäude in aller Regel die Möglichkeit der Zufahrt haben muss, um insbesondere Lebensmittel, Brennmaterial, Haushaltsgegenstände und ähnliche Bedarfsgüter zuliefern, dringend notwendige Reparaturen durchführen und Notfallsituation begegnen zu können (vgl 1 Ob 40/86; 3 Ob 183/03p JBl 2004, 320; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 1 NWG Rz 14 mwN).
[19] 1.4 Die Liegenschaftseigentümer sind aufgrund einer Vereinbarung („Straßenbenützungsvereinbarung“) mit der Bringungsgemeinschaft berechtigt, über eine breit ausgebaute Forststraße zu ihren Ferienhäusern mit Pkws (und Anhängern) zuzufahren. Das Befahren dieser Straße ist den Antragstellern nach der bestehenden Vereinbarung jedoch in den Wintermonaten („während der Winterzeit“) nicht gestattet. In dieser Zeit ist sie für die Antragsteller nur begehbar. Es widerspricht allerdings einer zeitgemäßen Nutzung als Ferienwohnhaus in den Wintermonaten, Bedarfsgüter über eine rund 12 bis 13 Kilometer lange Strecke bergauf zu tragen.
[20] 1.5 Als erstes Zwischenergebnis folgt somit: Außerhalb der „Winterzeit“ sind die Ferienhäuser der Antragsteller mit Fahrzeugen über eine gut ausgebaute Forststraße erreichbar. In dieser Zeit ist eine Wegverbindung zum öffentlichen Wegenetz gegeben, die zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses entsprechend der bestehenden Widmung ausreicht. Für diesen Zeitraum ist das Begehren nach einem Notweg jedenfalls nicht gerechtfertigt. Das vom Erstgericht entschiedene Begehren der Antragsteller ist so weit gefasst, dass es auch die Zeit außerhalb der „Winterzeit“ umfasst. Der sofortigen Antragsabweisung in diesem zeitlichen Umfang steht allerdings entgegen, dass bislang unerörtert und ungeklärt blieb, welcher konkrete Zeitraum unter „Winterzeit“ im Sinn der „Straßenbenützungsvereinbarung“ gemeint war. Dies wird im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein, worauf dann der Antrag, soweit er sich auf den Zeitraum außerhalb der „Winterzeit“ bezieht, ohne weitergehende Erwägungen abzuweisen ist.
[21] 2.1 Folgend ist das Begehren auf Einräumung eines Notwegs (nur mehr) für die „Winterzeit“ zu prüfen, weil für diesen Zeitraum eine widmungsadäquate Erschließung über die Forststraße jedenfalls nicht gegeben ist. Insoweit stellt sich dann zunächst die vom Rekursgericht relevierte Zulassungsfrage, ob es zulässig ist, einen Notweg zur Anbindung einer Liegenschaft (nur) an eine Seilbahn einzuräumen, also einen Notweg zu begründen, der nicht unmittelbar das öffentliche Wegenetz erreicht, sondern nur mittelbar über eine weitere Verkehrsverbindung dorthin führt.
[22] 2.2 Eine Wegeverbindung ist gemäß § 1 Abs 2 NWG ein „gebahnter Weg“ oder eine ohne Bestand einer Weganlage ausgeübte „Weggerechtigkeit“, also eine Servitut (Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 1 NWG Rz 31). Das „öffentliche Wegenetz“ im Sinn des § 1 NWG besteht aus Wegen oder Straßen, die entweder im Eigentum der öffentlichen Hand stehen und von dieser erhalten werden (Bundes- und Landesstraßen), oder aus Privatstraßen, die dem öffentlichen Verkehr dienen oder diesem gewidmet sind (Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 1 NWG Rz 32; Egglmeier-Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1 NWG Rz 3).
[23] 2.3 Die Frage, ob die Wegeverbindung mit dem „öffentlichen Wegenetz“ unmittelbar sein muss, oder ob es für die Anwendbarkeit des NWG ausreicht, dass über den beantragten Notweg eine andere Verbindung – etwa eine Seilbahn, Eisenbahn oder ein Schiffstransport – als Anbindung an das öffentliche Wegenetz erreichbar wird, lässt sich aus den Bestimmungen des NWG selbst nicht direkt beantworten. Der Wortlaut der „Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz“ lässt offen, ob eine solche Verbindung unmittelbar oder auch mittelbar (über ein allgemein zugängliches Transportmittel) gemeint ist. In der vom Rekursgericht für seine Rechtsansicht zitierten Entscheidung 3 Ob 278/06p hat der Senat zwar ausgesprochen, dass eine – im dort zu beurteilenden Fall beim „notleidenden“ Grundstück vorhandene – Anbindung an das öffentliche Wassergut keine solche Verbindung zum öffentlichen Wegenetze sei. Damit hat der Senat jedoch – entgegen dem Verständnis des Rekursgerichts – nur zum Ausdruck gebracht, dass diese Verbindung zum öffentlichen Wassergut und eine daraus resultierende mittelbare Verbindung zum öffentlichen Wegenetz, das Begehren nach einem Notweg durch – unmittelbaren – Zugang zum öffentlichen Wegenetz in der dort vorgelegenen Konstellation nicht von vornherein ausschließt (vgl dagegen 1 Ob 216/17x [ausreichende Versorgung durch Liftanschluss]). Aus der Entscheidung 3 Ob 278/06p lässt sich daher gerade nicht ableiten, dass für eine bloß indirekte Verbindung zum öffentlichen Wegenetz kein Notweg begehrt werden könne.
[24] 2.4 Die Bestimmung des § 1 Abs 1 NWG entspricht nahezu wortgleich der Regelung des § 917 Abs 1 BGB: „Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege, so kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden.“ Nach der zu dieser Bestimmung vorliegenden deutschen Lehre muss ein Notweg nicht unbedingt über Grund und Boden führen, sondern er kann auch „über oder unter dem Boden“ verlaufen (Herrler in Grüneberg, BGB81 § 917 Rz 6a; Roth in Staudinger, BGB [2020] § 917 Rz 34 mwN). Nach Meinungen zur deutschen Rechtslage dürfe daher – im Gebirge – auch eine Seilbahn, ein Steg oder eine Brücke als Notweg dienen; daneben komme etwa auch eine Untertunnelung in Betracht (Roth in Staudinger, BGB [2020] § 917 Rz 34 mwN). Allgemein muss der Notweg nicht nur eine notwendige Verbindung darstellen, sondern der Duldungspflichtige darf dadurch auch nur möglichst wenig belastet werden (Herrler in Grüneberg, BGB81 § 917 Rz 6a; Elzer in Erman, BGB16 § 917 Rz 8 je mwN). Ebenso ordnet im österreichischen Recht die Bestimmung des § 4 Abs 1 NWG ausdrücklich eine Interessenabwägung an, denn für die Art, den Umfang und die Richtung des Notwegs und die näheren Modalitäten seiner Benützung ist zwar das Bedürfnis der notleidenden Liegenschaft maßgebend, zugleich aber darauf Rücksicht zu nehmen, dass die fremden Liegenschaften möglichst wenig belastet werden („Prinzip der schonenden Ausübung“; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 4 NWG Rz 2).
[25] 2.5 Dieser Intention des § 1 Abs 1 NWG entspricht es, für die Anwendbarkeit des NWG nicht zwingend ein Begehren nach einer unmittelbaren Anbindung an das öffentliche Wegenetz zu verlangen. Dies muss gerade dann gelten, wenn der Eigentümer des notleidenden Grundstücks mit seinem Begehren nach einer bloß mittelbaren Anbindung an das öffentliche Wegenetz letztlich geringere Belastungen der betroffenen Liegenschaften verursacht, als dies etwa durch eine zwar unmittelbar zum öffentlichen Wegenetz führende, aber viel längere und/oder aufwändigere Verbindung der Fall wäre.
[26] 2.6 Für den hier zu beurteilenden Fall kann zunächst kein Zweifel darüber bestehen, dass der begehrte Zugang zur Bergstation selbst ein „Weg“ im Sinn des NWG ist. Dass dieser dann erst mittelbar über die Gondelverbindung den Zugang zum öffentlichen Wegenetz vermittelt, schließt nach den zuvor angestellten Erwägungen („Prinzip der schonenden Ausübung“) die Anwendbarkeit des NWG nicht vorweg aus. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen ist daher der Antrag auf Einräumung eines Notwegs nicht mit der Begründung abzuweisen, es werde damit keine direkte (unmittelbare) Anbindung an das öffentliche Wegenetz angestrebt.
[27] 3.1 Einem Begehren auf Einräumung eines Notwegs ist gemäß § 2 Abs 1 NWG dann nicht zu entsprechen, wenn die fehlende oder unzureichende Wegeverbindung auf eine „auffallende Sorglosigkeit“ des Eigentümers der notleidenden Liegenschaft zurückzuführen ist. Der Begriff der „auffallenden Sorglosigkeit“ gemäß § 2 Abs 1 NWG entspricht jenem des § 1324 ABGB, dem Antragsteller muss daher grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können (RS0071130; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 2 NWG Rz 7 mwN; Egglmeier-Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 2 NWG Rz 3). Auffallende Sorglosigkeit wird in der Rechtsprechung dann angenommen, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise vernachlässigt wurde und dieser objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auch subjektiv vorwerfbar ist (RS0071130 [T2]). Die Fehleinschätzung eines Wegbedarfs durch den Eigentümer der notleidenden Liegenschaft indiziert gewöhnlich eine auffallende Sorglosigkeit (RS0071074 [T1; T2]; RS0071038), es sei denn, dass ein tatsächlich eingetretener Wegebedarf in seiner Art, seinem Ausmaß und seiner Intensität bei einer früheren vertraglichen Gestaltung der die notleidenden Liegenschaften treffenden Rechtsbeziehungen nicht leicht vorhersehbar war (RS0071130 [T6]).
[28] 3.2 Hier haben die Antragsteller ihre Ferienwohnhäuser zu einem Zeitpunkt erworben, in dem das Dorf durch die seit den 1960er‑Jahren betriebene Pendelbahn erschlossen war. Wenngleich ein Seilbahnbetrieb aus verschiedenen Gründen eingestellt werden kann, lässt sich daraus nicht ableiten, dass die Antragsteller bereits beim Erwerb ihrer Liegenschaften damit hätten rechnen müssen, dass die rund sechs Jahrzehnte hindurch betriebene (alte) Seilbahn plötzlich eingestellt werden würde und dann keine vergleichbare Erschließung des Bergdorfs mehr bestehen werde. Eine „auffallende Sorglosigkeit“ der Antragsteller im Sinn des § 2 Abs 1 NWG beim Erwerb der Ferienwohnhäuser liegt daher nicht vor.
[29] 4. Es kann – entgegen der Ansicht des Antragsgegners – auch keine Rede davon sein, dass die Antragsteller bloße „Bequemlichkeitsgründe“ geltend machten und der „einzige Unterschied (...) in der Weglänge“ bestehe. Für den Einwand des Antragsgegners, dass ihm Schadenersatzansprüche infolge der Nutzung eines Teils der Trasse als Schipiste drohten, haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, wird doch „derzeit“ dieser Bereich „nicht als Piste präpariert“.
[30] 5.1 Es verbleibt schließlich noch der – vom Rekursgericht verneinte, vom Erstgericht jedoch als weiteres Argument gegen die Einräumung eines Notwegs herangezogene – Vorwurf des Antragsgegners, die Antragsteller hätten von der Möglichkeit eines Vereinsbeitritts nicht Gebrauch gemacht. Dieser Umstand betrifft die Frage, ob eine solche Vereinsmitgliedschaft im Sinn der – jederzeit wahrzunehmenden (4 Ob 182/19x bbl 2020/120 [Egglmeier‑Schmolke] = immolex 2020/82 [Streller]) – Selbstvorsorge nach § 2 Abs 1 NWG (dazu Egglmeier‑Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1 NWG Rz 6 und § 2 NWG Rz 3 mwN) für die Antragsteller zumutbar ist. Dies lässt sich auf der Grundlage der bislang vorliegenden Verfahrensergebnisse noch nicht abschließend beurteilen:
[31] 5.2 Eine „auffallende Sorglosigkeit“ im Sinn des § 2 Abs 1 NWG wird nach herrschender Auffassung auch dann angenommen, wenn zumutbare Maßnahmen zur Ermöglichung von Wegeverbindungen im Rahmen der Selbstvorsorge unterlassen wurden (vgl RS0071033; RS0070966 [T2]; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 2 NWG Rz 13 mwN; Egglmeier‑Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 2 NWG Rz 4 ff). Für die Erschließung der Ferienwohnhäuser der Antragsteller „während der Winterzeit“ könnte daher auch eine „zumutbare Selbstvorsorge“ darin bestehen, diese über den von anderen Dorfbewohnern bereits gegründeten Verein zu erlangen. Allerdings haben die Antragsteller vorgebracht, ein solcher Vereinsbeitritt sei ihnen nicht zumutbar, weil damit unverhältnismäßige Kosten verbunden seien und ihre Rechtsposition nicht hinreichend gesichert sei.
[32] 5.3 Fest steht in diesem Zusammenhang bisher nur, dass es den Antragstellern „möglich ist“, dem Verein „Dorf G*“ als außerordentliche Mitglieder beizutreten, sofern sie zuvor den Rechtsstreit mit dem Antragsgegner beenden (Rückziehung des Antrags), dass „allenfalls“ ein „größeres Shuttle angeschafft“ und „die Mitgliedsbeiträge adaptiert“ werden müssten. Daraus könnte sich ableiten lassen, dass jedem der Antragsteller grundsätzlich eine außerordentliche Mitgliedschaft beim Verein eingeräumt werden würde. Zur damit derzeit verbundenen bzw künftig zu erwartenden Kostenbelastung fehlen allerdings jegliche Feststellungen. Diese Kosten wären in Relation zur Nutzung des Wegs zur Erschließung der Ferienhäuser im Winter zu setzen, um die Zumutbarkeit eines solchen Beitritts für die Antragsteller beurteilen zu können. Außerdem wäre klarzustellen, welche nutzungsberechtigten Personen als „Besucher“ von den Vereinbarungen des Vereins mit den Grundeigentümern umfasst sind, hat doch das Erstgericht zum Vorbringen der Antragsteller über den personellen Umfang des den Vereinsmitgliedern eingeräumten Nutzungsrechts ebenfalls keine konkreten Feststellungen getroffen.
6. Zusammengefasst folgt daher:
[33] 6.1 Außerhalb der „Winterzeit“ sind die Ferienhäuser der Antragsteller mit Fahrzeugen über eine gut ausgebaute Forststraße erreichbar. Für diesen Zeitraum ist die Einräumung eines Notwegs jedenfalls nicht gerechtfertigt. Insofern ist im fortgesetzten Verfahren ergänzend zu klären, welcher Zeitraum als „Winterzeit“ zu gelten hat. Für den darüber hinausgehenden Zeitraum ist der Antrag jedenfalls abzuweisen.
[34] 6.2 Für die „Winterzeit“ ist zunächst davon auszugehen, dass die Verbindung zur Bergstation der Seilbahn als mittelbarer Anschluss zum öffentlichen Wegenetz grundsätzlich ein tauglicher Notweg sein kann. Dazu ist allerdings noch ergänzend klärungsbedürftig, ob der Vereinsbeitritt ein den Antragstellern zumutbarer Akt der Selbstvorsorge ist. Dies erfordert konkrete und aussagekräftige Feststellungen zu den mit dem Vereinsbeitritt verbundenen derzeitigen und künftigen Kosten sowie zur damit vermittelten Rechtsposition, also den nach einem Vereinsbeitritt gebührenden Nutzungsmöglichkeiten. Erst danach lässt sich entscheiden, ob der Vereinsbeitritt für die Antragsteller eine zumutbare Alternative zum beantragten Notweg sein kann.
[35] 6.3 Sollte dies nicht zutreffen und für die „Winterzeit“ ein Notweg einzuräumen sein, wird das Erstgericht zu berücksichtigen haben, dass die Antragsteller gemäß den §§ 5, 6 NWG für einen einzuräumenden Notweg eine angemessene Entschädigung zu leisten haben (näher dazu Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II §§ 5, 6 NWG Rz 10 ff). Das Gericht hat sich gemäß § 12 Abs 1 NWG für die Feststellung der Entschädigung sowie zur Begründung und Ausgestaltung des Notwegs eines Sachverständigen zu bedienen, der mit den wirtschaftlichen und örtlichen Verhältnissen der Gegend vertraut ist (näher dazu Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 12 NWG Rz 1 ff). Gemäß § 13 Abs 2 NWG hat das Gericht außerdem den Notweg im Beschluss genau, allenfalls auch unter Bezugnahme auf eine Skizze, darzustellen.
[36] 6.4 Eine abschließende Entscheidung über den Antrag kommt erst nach diesen Verfahrensergänzungen in Betracht.
[37] 7. Gemäß § 25 Abs 1 NWG idF des AußStrG-BegleitG kommt nur eine Kostenersatzpflicht des Eigentümers des notleidenden Grundstücks, hier also der Antragsteller, in Betracht (3 Ob 154/09g mwN). Da ein Kostenersatz des Gegners der Eigentümer der notleidenden Grundstücke (Antragsgegner) generell ausscheidet, ist bereits jetzt der Antrag der Antragsteller auf Zuspruch der Kosten für ihren Revisionsrekurs abzuweisen. Erst bei der Endentscheidung wird feststehen, ob die Kosten des Antragsgegners zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich waren. Daher war die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung vorzubehalten.
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