European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00026.22I.0525.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.199,42 EUR (darin 366,57 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin war seit 8. 6. 1995 beim Beklagten beschäftigt und mit der Leitung eines Souvenirshops betraut. Da die Betriebsstätte des Beklagten aufgrund der COVID‑Maßnahmen geschlossen war, vereinbarten die Parteien für die Zeit von April bis September 2020 Kurzarbeit. Der Beklagte forderte die Klägerin mehrfach auf, der Verlängerung der Kurzarbeit bis Dezember 2020 zuzustimmen, womit die Klägerin aber nicht einverstanden war. Da die Betriebsstätte des Beklagten weiterhin geschlossen war, erbrachte die Klägerin keine Arbeitsleistung. Der Beklagte leistete deshalb ab Oktober 2020 keine weiteren Zahlungen, obwohl die Klägerin das offene Entgelt mehrfach urgierte. Schließlich endete das Dienstverhältnis am 30. 12. 2020 durch den vorzeitigen Austritt der Klägerin.
[2] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage 19.683,84 EUR brutto sA an Entgelten bis Dezember 2020, Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und den fälligen Abfertigungsteil, die Feststellung ihres weiteren Abfertigungsanspruchs sowie die Ausstellung eines Dienstzeugnisses.
[3] Der Beklagte wendete ein, dass die Klägerin aufgrund der Schließung der Betriebsstätte keine Arbeitsleistungen erbringen habe können und durch die Verweigerung der Kurzarbeit gegen ihre Treuepflicht verstoßen habe.
[4] Das Erstgericht gab der Klage – mit Ausnahme eines auf eine Entgeltdifferenz entfallenden Teilbetrags des Zahlungsbegehrens von 311,08 EUR brutto sA – statt. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Klägerin zum Austritt berechtigt gewesen sei, weil sie der Kurzarbeit nicht zustimmen habe müssen und sie nach § 1155 Abs 3 ABGB trotz Schließung des Betriebs des Beklagten ihre Entgeltansprüche behalten habe.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
[6] Der Beklagte strebt mit seiner Revision die Aufhebung der Entscheidung und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht an.
[7] Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Rechtsmittelbeantwortung die Revision ab‑, in eventu zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist wegen des Fehlens von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
[9] 1. Kurzarbeit ist eine arbeitsmarktpolitisch geförderte Maßnahme zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, mit der Kündigungen bei vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten vermieden werden sollen (Pfeil, Corona‑Kurzarbeit und Bestandsschutz, DRdA 2021, 179; Wolf/Potz/Krömer/Jöst/Stella/Hörmann/Holuschka/Scharf, Kurzarbeit und Kurzarbeitsbeihilfe, in Resch, Corona-HB1.06 Kap 4 Rz 1). Die Voraussetzungen, unter denen Kurzarbeitsbeihilfen beansprucht werden können, sind in § 37b AMSG (vgl zu den Richtlinien § 37b Abs 4 AMSG) und den Sozialpartnervereinbarungen geregelt. Während der COVID‑19‑Pandemie bestand etwa die Möglichkeit, dass dem Arbeitgeber die über das Entgelt für die tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen hinausgehenden Kosten ersetzt werden und die Arbeitnehmer – gestaffelt nach der Höhe des früheren Nettoentgeltes – trotz der Reduktion ihrer Arbeitszeit zumindest 80 % ihres bisherigen Nettogehalts beziehen (dazu Zechner, Die Corona-Kurzarbeit, DRdA-infas 2020, 206 [208 f] und Brokes, Phase III – Die Corona‑Kurzarbeit geht in die Verlängerung, DRdA‑infas 2020, 461 [462]).
[10] 2. Die Kurzarbeit ist mit einer Änderung des Arbeitsvertrags verbunden, die zu einer Verringerung der Normalarbeitszeit und einer entsprechenden Kürzung des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers führt. Die Einführung der Kurzarbeit erfordert deshalb entweder eine Betriebsvereinbarung nach § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG oder eine Einzelvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Winter/Thomas, Kurzarbeit – Grundsatzfragen und geplante Neuregelungen, ZAS 2009/10, 71 f; Auer-Mayer, Ausgewählte Fragen zur Kurzarbeit, ZAS 2020/36, 223). Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber eine solche Änderung des Umfangs der Arbeitspflicht angesichts der damit verbundenen Reduktion des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers selbst dann nicht einseitig anordnen kann, wenn betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im bisherigen Umfang entgegenstehen (9 ObA 54/89).
[11] 3. Im vorliegenden Fall stellt der Beklagte gar nicht in Abrede, dass die Einführung von Kurzarbeit der Zustimmung der Klägerin bedurft hätte, meint aber, dass die Klägerin durch die Verweigerung ihrer Zustimmung gegen ihre Treuepflicht verstoßen habe. Richtig ist, dass den Arbeitnehmer eine Treuepflicht trifft, die ihn dazu verhält, auf betriebliche Interessen des Arbeitgebers entsprechend Rücksicht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0021449). Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits ausgesprochen, dass die Treuepflicht nicht so weit geht, dass der Arbeitnehmer am unternehmerischen Risiko seines Arbeitgebers partizipieren und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens auf einen Teil seines Einkommens verzichten müsste (9 ObA 287/92; ebenso Burger, Rechtsfragen der Kurzarbeit, DRdA 2022, 3 [4]). Stimmt der Arbeitnehmer einer Reduktion seiner Arbeitszeit nicht zu, so bleibt dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit einer – allenfalls Änderungs‑ – Kündigung (9 ObA 54/89).
[12] 4. Der Beklagte hat aber keine solche Kündigung ausgesprochen, sondern stattdessen der Klägerin die Fortzahlung des Entgelts verweigert. Nach § 26 Z 2 AngG ist es als ein wichtiger Grund, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt, anzusehen, wenn der Dienstgeber das dem Angestellten zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder vorenthält. Von einer ungebührlichen Schmälerung oder einem ungebührlichen Vorenthalten des Entgeltes kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber gewusst hat oder infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht hätte wissen müssen, dass seine Vorgangsweise unrechtmäßig ist (RS0028896). Kein Austrittsrecht besteht etwa dann, wenn über das Bestehen gewisser Zulagen verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden könnten und daher der Ausgang eines diesbezüglichen Rechtsstreites nicht abzusehen war (9 ObA 115/88). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
[13] 5. Mit dem 2. COVID‑19‑Gesetz BGBl I 16/2020 wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID‑19‑Maßnahmengesetz BGBl I 12/2020 nicht zustande kommen, ihren Entgeltanspruch behalten. Nach § 1503 Abs 14 ABGB trat § 1155 Abs 3 ABGB rückwirkend mit 15. 3. 2020 in Kraft und mit 31. 12. 2020 außer Kraft. Die Entgeltansprüche der Klägerin fallen in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Im Übrigen wird der Fortbestand des Entgeltanspruchs nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in diesem Zusammenhang für verschiedenste Konstellationen vertreten (Gerhartl, Entgeltfortzahlung bei Coronavirus – Das Elend der neutralen Sphäre, AsoK 2020, 162 [164]; Aichberger‑Beig, Entfall des Entgelts bei Arbeitsausfällen mit Ursache in der sogenannten „neutralen Sphäre“? DRdA 2020, 411 [416f]). Die gesetzlichen Vorgaben waren jedenfalls eindeutig.
[14] 6. Das Abweichen von einer klaren Gesetzeslage ohne sorgfältige Überlegungen und Darlegung der Gründe bedeutet eine unvertretbare Rechtsansicht und ein ungebührliches Vorenthalten des Entgelts (RS0028896; vgl auch RS0049969 [T1]; RS0107814). Die Behauptung, dass die Verpflichtung zur Fortzahlung des vereinbarten Entgelts einen unverhältnismäßigen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht des Beklagten bedeute, ist nicht nachvollziehbar, weil er ja die Möglichkeit gehabt hätte, den Arbeitsvertrag – wenn auch unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Fristen – zu kündigen. Die Rechtsansicht des Beklagten, dass die Klägerin ihren Entgeltanspruch verlieren soll, wenn sie einer Kurzarbeit nicht zustimmt, ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar und findet weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur eine Stütze.
[15] 7. Im Ergebnis hätte dem Beklagten infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht bekannt sein müssen, dass er, auch wenn die Klägerin eine Fortsetzung der Kurzarbeit abgelehnt hat, nach § 1155 Abs 3 ABGB zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet war, weshalb die Klägerin zum vorzeitigen Austritt berechtigt war.
[16] 8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 Abs 1 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)