OGH 4Ob96/22d

OGH4Ob96/22d24.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj D* E*, geboren * 2015; Vater: T* E*, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner ua, Rechtsanwälte in Melk; Mutter: Y* S*, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Dr. Anton Pirringer, Rechtsanwalt in Bruck/Leitha, über den außerordentlichen Revisionrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 8. April 2022, GZ 23 R 106/22v‑58 in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00096.22D.0524.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der inzwischen siebeneinhalbjährige Minderjährige wird im Haushalt des Vaters betreut, seit sich vor sechs Jahren bei seiner Mutter paranoide Schizophrenie manifestierte und die Lebensgemeinschaft seiner Eltern zerbrach. Trotz Kontaktrechtsregelung konnten Kontakte zwischen Mutter und Sohn wegen der schwierigen Lebenssituation der Mutter mit Phasen stationärer Aufenthalte, Unterbringungen und Wohnungslosigkeit nur sporadisch stattfinden.

[2] Seit einem nicht erfolgreichen Antrag des Vaters auf alleinige Obsorge im Jahr 2019 haben sich die Umstände vor allem in zweierlei Hinsicht verändert: Zum einen wurde für die Mutter inzwischen ein Erwachsenenvertreter unter anderem für Vermögensangelegenheiten und die Vertretung bei Rechtsgeschäften bestellt. Zum anderen beschuldigte die Mutter (möglicherweise als Ausfluss ihrer Krankheit) den Vater, den Minderjährigen sexuell zu missbrauchen. Eine Abklärung dieser Vorwürfe durch Jugendwohlfahrtsträger und Krankenhaus widerlegte diese Vermutung, verstörte den Minderjährigen jedoch. Bei den Kontakten ist nun eine professionelle Betreuung des Kindes, etwa in einem Besuchscafé, von entscheidender Bedeutung, um Belastungen durch die psychische Erkrankung der Mutter von ihm fernzuhalten.

[3] Mit der angefochtenen Entscheidung beendete das Rekursgericht die gemeinsame Obsorge beider Eltern und übertrug dem Vater die alleinige Obsorge. Es begründete dies damit, dass die Mutter aufgrund ihrer eigenen eingeschränkten Geschäftsfähigkeit die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen bei Rechtsgeschäften nicht übernehmen könne. Zur Ausübung der Obsorge in den Teilbereichen Pflege und Erziehung sei die Mutter aufgrund ihrer psychischen Krankheit auch nicht in der Lage. Das derzeitige Fehlen einer ausreichenden Kommunikationsbasis zwischen den Eltern sei in diesem Zusammenhang nicht mehr von entscheidender Bedeutung.

[4] Die Mutter strebt mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge an. Sie zeigt jedoch keine erheblichen Rechtsfragen auf.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, wer die Obsorge für ein Kind ausüben soll, kann nur unter Berücksichtigung der beteiligten Personen und sonstigen Lebensumstände im Einzelfall getroffen werden, sodass dabei in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen ist (vgl RS0007101 [insbes T17]; vgl auch RS0128812 [T4]).

[6] Eine solche Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit eine eklatante Überschreitung dieses Ermessens korrigiert werden müsste (vgl RS0044088).

[7] Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

[8] 2. Richtig weist die Mutter darauf hin, dass die Entziehung der Obsorge als äußerste Notmaßnahme nur dann angeordnet werden darf, wenn sie im Interesse des Kindes zur Abwendung einer drohenden Gefährdung dringend geboten ist, wobei bei Beurteilung dieser Frage grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (RS0132193, vgl RS0048699).

[9] Wenn aus Gründen im Verhalten eines Elternteils sogar das Kontaktrecht eingeschränkt und Besuchsbegleitung angeordnet werden muss, so ist dieser Sachverhalt aber in gleicher Weise als drohendes Gefahrenpotential im Zusammenhang mit der Obsorge zu erachten und es bedarf auch diesbezüglich einer Änderung (vgl 4 Ob 171/21g Rz 15 bei einer drogenkranken Mutter).

[10] Damit ist auch im vorliegenden Fall eine Kindeswohlgefährdung zu bejahen. Nach den Verfahrensergebnissen ist derzeit wegen des Verhaltens der Mutter, das ihre psychische Erkrankung hervorruft, eine professionelle Besuchsbegleitung erforderlich, um Belastungen des Minderjährigen zu vermeiden.

[11] 3. Außerdem argumentiert die Mutter, dass es für die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge ausreiche, wenn die Gesprächsbasis der Eltern in absehbarer Zeit möglich sei.

[12] Dabei übersieht sie, dass eine ausreichende Gesprächsbasis nach den Feststellungen erst hergestellt werden müsste. Im Übrigen war die fehlende Kommunikationsbasis zwischen den Eltern ohnehin nicht der Grund für die Anordnung der alleinigen Obsorge.

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