OGH 7Ob14/22t

OGH7Ob14/22t28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI T* S*, vertreten durch Mag. Angelika Fehsler‑Posset, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei K* W*, vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und Zuhaltung eines Vertrags, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. November 2021, GZ 39 R 201/21d‑61, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00014.22T.0428.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Dem Kläger wurde – als Bestandnehmer des von ihm um‑ und ausgebauten Objekts Top 18 – für die Dauer des Mietverhältnisses eine Mietoption hinsichtlich weiterer konkret bezeichneter Dachbodenräume zum Ausbau eingeräumt. Der Kläger begehrt 1. festzustellen, dass die ihm im Mietvertrag eingeräumten Rechte und Regelungen für die Dauer des Mietvertrags aufrecht seien, 2. die Beklagte schuldig zu erkennen, der Bauführung gemäß konkret bezeichnetem Einreichplan zuzustimmen und 3. festzustellen, dass er unter der Bedingung des Eintritts der Rechtskraft der Baubewilligung Mieter der entsprechenden Flächen sei.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1.1 Nach der jüngeren oberstgerichtlichen Rechtsprechung ist es bei der Beurteilung des Missverhältnisses des Werts (§ 934 Abs 3 ABGB) sachgerechter, die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen, erst dann erlangt nämlich das von den Parteien im Optionsvertrag zunächst bloß in Aussicht genommene Rechtsgeschäft volle Wirksamkeit, lässt wechselseitige Leistungspflichten zu und kann damit als „abgeschlossen“ im Sinn des § 934 Abs 3 ABGB angesehen werden (RS0115632; RS0107619 [T2], vgl auch 6 Ob 86/18t), was der Beklagte nicht anzweifelt.

[3] 1.2 Das Missverhältnis muss sich allein aus dem Vertragsinhalt, genau dem Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen ergeben (RS0018871 [T6]). Die Bestimmung des § 934 ABGB betreffend die Schadloshaltung wegen Verkürzung über die Hälfte gilt auch für Bestandverträge (RS0018917). Für die Beurteilung im Bestandverhältnis ist der marktübliche Mietzins bzw der angemessene Hauptmietzins nach § 16 Abs 1 MRG der „gemeine Wert der Gegenleistung“ (RS0018917 [T3]; vgl auch 3 Ob 324/04z mwN).

[4] 1.3 Die Vorinstanzen verneinten ein Missverhältnis der Leistungen. Bei Ausübung der Option steht dem Kläger das Recht zu, die Flächen selbst auszubauen. Den beklagten Vermieter trifft ausschließlich die Verpflichtung der Zurverfügungstellung der unausgebauten Dachbodenflächen. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dem vom Kläger zu leistenden Mietzins (1,14 EUR/m²) sei daher der für die Vermietung eines Rohdachbodens erzielbare Mietzins (1,93 EUR/m²) gegenüber zu stellen und nicht der für einen ausgebauten Dachboden marktmäßig erzielbare Mietzins, bei mietzinsmindernder Abzinsung der durchschnittlichen Ausbaukosten des Klägers, entspricht daher der oberstgerichtlichen Rechtsprechung.

[5] 2.1 Für einen Optionsvertrag gilt die clausula rebus sic stantibus ebenso wie für einen Vorvertrag (RS0019195). Ein Vertrag darf dann gelöst werden, wenn im Festhalten am Vertrag, im Beharren auf Verpflichtungen, deren Erfüllung dem Schuldner nicht mehr zumutbar ist, geradezu ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erblickt werden muss. Dieses Recht muss einem Vertragspartner insbesondere dann eingeräumt werden, wenn die objektive Geschäftsgrundlage fortgefallen ist, also der im Vertragsinhalt zum Ausdruck gelangte, von beiden Teilen anerkannte wesentliche Vertragszweck (Endzweck im Sinn des § 901 ABGB) – auch ohne dass die Leistung als solche unmöglich geworden wäre – nicht nur zeitweilig unerreichbar geworden ist. Wesentlicher Vertragszweck kann hiebei auch die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung sein (RS0017498). Eine Vertragspartei kann sich auf eine Änderung der Sachlage, deren Fortdauer eine typische Voraussetzung des Geschäfts bildet, nicht berufen, wenn die Änderung keine unvorhersehbare ist, wenn also mit der Möglichkeit einer Änderung gerechnet werden muss. Wer angesichts einer solchen Möglichkeit vorbehaltlos ein Geschäft schließt, trägt das Risiko des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (RS0017593). So muss etwa jeder mit einer Änderung von Warenpreisen und mit einer Minderung der Kaufkraft einer Valuta rechnen (RS0017593 [T3]). Der Umstand, dass der Wert einer verkauften Sache in der Folge steigt, ist im Regelfall ebenso vorhersehbar (RS0017593 [T22]). Die Lehre von der Geschäftsgrundlage ermöglicht es dem Vermieter in der Regel nicht, von der getroffenen Mietzinsvereinbarung abzugehen (RS0069853).

[6] 2.2 Der Beklagte verweist auf den zwischen Vereinbarung und Effektuierung der Option liegenden Zeitraum und stützt den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Wesentlichen auf die währenddessen eingetretene 70%ige Mietzinssteigerung. Die Vorinstanzen verneinten den Wegfall der Geschäftsgrundlage: Dass der politisch stets umstrittene Bereich des Wohnrechts laufend rechtlichen Veränderungen (in Form von Einschränkungen und Liberalisierungen – je nach entsprechender Änderung der parlamentarischen Machtverhältnisse) ausgesetzt sei, sei ebensowenig unvorhersehbar wie gerade im Immobilienbereich eine Steigerung des Objektwerts.

[7] 2.3 Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, wogegen der Beklagte keine stichhaltigen Argumente bringt. Die Entscheidung 5 Ob 798/81 ist nicht einschlägig. Soweit er sich auf die Entscheidung 8 Ob 504/92 bezieht, lässt er die auch dort vorgenommene Einschränkung (Vorhersehbarkeit der Änderung des Mietzinses) außer Acht.

[8] 3.1 In ständiger Judikatur hält der Oberste Gerichtshof fest, dass bei Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, besondere Vorsicht geboten ist (RS0014420). Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen darf aus der Nichtausübung eines Rechts im Einzelfall oder aus der Unterlassung des Widerspruchs gegen vereinzelte Eingriffe noch nicht auf einen Verzicht geschlossen werden. Ein stillschweigender Verzicht darf nur dann angenommen werden, wenn kein Zweifel möglich ist, dass das Verhalten des Berechtigten dessen Verzichtswillen zum Ausdruck bringen soll (RS0014217). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0107199).

[9] 3.2 Die Vorinstanzen verneinten – ebenfalls nicht korrekturbedürftig – einen schlüssigen Verzicht des Klägers auf die Ausübung des ihm unbefristet eingeräumten Optionsrechts allein aufgrund des Zeitablaufs. Auch der Umstand, dass der Kläger 1982 an den Voreigentümer mit dem Gedanken an eine Erweiterung seiner Bestandräumlichkeiten im Sinne seines Optionsrechts herangetreten sei, letztlich von der Ausübung des Optionsrechts aber Abstand genommen hat, rechtfertige die Annahme eines stillschweigenden Verzichts nicht.

[10] 4.1.1 Der Beklagte bestritt weiters, dass die Vereinbarung die Zulässigkeit der bloß teilweisen Inanspruchnahme des Options- und Ausbaurechts durch den Kläger trägt.

[11] 4.1.2 Zunächst hat die wörtliche (grammatikalische) Auslegung eines schriftlichen Vertrags zu erfolgen, sofern dessen Inhalt klar und deutlich ist (RS0017791 [T1]). Nur bei Vorliegen einer „Vertragslücke“ hat eine ergänzende Vertragsauslegung Platz zu greifen (RS0017829). Eine Vertragslücke setzt voraus, dass der Vertrag planwidrig unvollständig geblieben ist (RS0017829 [T2]); sie besteht darin, dass im Vertrag für bestimmte Problemfälle keine Regelung getroffen wurde (RS0017829 [T4]). Dabei ist Voraussetzung, dass beide Parteien den später eingetretenen Fall nicht bedacht haben (RS0017899 [T2]). Treten nach Abschluss des Geschäfts Konfliktsfälle auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden, dann ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten (RS0017758). Haben die Vertragsschließenden den eingetretenen Problemfall nicht geregelt, so ist der Vertrag ergänzend auszulegen. Dafür kommen vor allem der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs (Verkehrssitte) sowie Treu und Glauben in Frage (RS0017758 [T3, T9]; RS0113932). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Vertragsauslegung grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (RS0042936, RS0044358), was auch für die ergänzende Vertragsauslegung zu gelten hat, die sich am hypothetischen Willen der konkreten Vertragsparteien zu orientieren hat (6 Ob 40/20f). Eine erhebliche Rechtsfrage läge zwar vor, wenn von den Vorinstanzen infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt worden sein sollte (RS0042936); ein solches kann hier jedoch nicht erkannt werden.

[12] 4.1.3 Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass der Fall der Einbeziehung lediglich eines Teils des Dachbodens durch den Kläger – somit die hier vorgenommene teilweise Optionsausübung – im Vertrag nicht geregelt sei. Eine ergänzende Vertragsauslegung führe dazu, dass beide Vertragsteile auch mit einer nicht auf alle Flächen bezogenen Ausübung der Option einverstanden gewesen wären. Dies wäre im Interesse des Mieters gelegen, weil er nicht benötigte Flächen nicht einbeziehen müsste und im Interesse des Vermieters, weil ihm diese zur freien Verfügung überlassen blieben. Für den Fall, dass eine solche (teilweise) Optionsausübung zur Folge hätte, dass die dem Vermieter verfügbaren Teile von Außen nicht mehr zugänglich wären, hätten sie auch die Errichtung eines neuen Zugangs – wie vom Kläger im Einreichplan vorgesehen – vereinbart.

[13] 4.2.1 Von diesem vertretbaren Auslegungsergebnis, gegen das der Beklagte keine stichhaltigen Argumente bringt, ist die Frage zu unterscheiden, ob diegeplante Bautätigkeit des Klägers auch den vertraglichen Bestimmungen entspricht.

[14] 4.2.2 Ob das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang unrichtig einen Verstoß des Beklagten gegen das Neuerungsverbot annahm, kann dahingestellt bleiben. Selbst bei Berücksichtigung des entsprechenden erstgerichtlichen Vorbringens des Beklagten bleibt offen, ob bzw in welchem Umfang der nach dem Einreichplan des Klägers beabsichtigte neue Dachbodenzugang das vertraglich – mit dem Optionsrecht – eingeräumte Ausbaurecht überschreitet.

[15] 4.3 Die Ausführungen zur Unzulässigkeit der Verurteilung des Beklagten zur Duldung sind nicht nachvollziehbar; ein Duldungsbegehren wurde nicht gestellt.

[16] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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