OGH 4Ob47/22y

OGH4Ob47/22y22.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D* GmbH, *, 2. T* LIMITED & Co KG, *, vertreten durch DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Verein V*, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 50.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Dezember 2021, GZ 30 R 169/20y‑46, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00047.22Y.0422.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerinnen und der Nebenintervenient (im Folgenden: Verein) betreiben in Wien internationale Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht. 2016 schloss die Beklagte mit mehreren Internationalen Organisationen mit Sitz in Wien (UNO, IAEO, UNIDO, CTBTO) ein völkerrechtliches Abkommen, das zu BGBl III 2016/151 als Staatsvertrag veröffentlicht wurde. Im Staatsvertrag verpflichtete sich die Beklagte zur Sicherung des Standorts der Internationalen Organisationen in Wien und zur (Mit‑)Finanzierung angemessener Schulbildung für die Kinder von Angestellten. Nach Art 3 des Staatsvertrags stellt die Beklagte zumindest bis Juli 2024 eine derzeit in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft einschließlich Gebäuden und Ausstattung für die ausschließliche Nutzung für Bildungsaktivitäten einer von den internationalen Organisationen auszuwählenden Bildungseinrichtung zur Verfügung. In weiterer Folge schlossen die Beklagte und der (von der UNO dazu ausgewählte) Verein über die klagsgegenständliche Liegenschaft, auf der sich seit 1984 die vom Verein seit 1978 betriebene V* School befindet, einen Baurechtsvertrag bis 2044 zu einem jährlichen Baurechtszins von 1.282.368 EUR, wobei die Beklagte in einem Zusatzvertrag bis zum Jahr 2024 auf den 1 EUR übersteigenden Bauzins verzichtete.

[2] Der Verfassungsgerichtshof verneinte mit seinem Erkenntnis vom 29. September 2021 zu SV 4/2020, G 250/2020 ua die Verfassungswidrigkeit von Art 3 des Staatsvertrags. Eine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Ausübung der Erwerbsfreiheit durch eine Bestimmung eines Staatsvertrags betreffend die ausschließliche Nutzung einer Liegenschaft für Bildungsaktivitäten für in Wien ansässige Internationale Organisationen liege nicht vor. Die Einräumung eines Baurechts an einer Liegenschaft mit einem jährlichen Baurechtszins idHv 1 EUR für schulische Zwecke diene der– sachlich gerechtfertigten – Unterstützung Internationaler Organisationen und nicht der Förderung eines bestimmten Schulträgers.

[3] Die Klägerinnen begehren, der Beklagten zu verbieten, die Liegenschaft dem Betreiber der V* School, insbesondere dem Verein für einen Betrag unter 4 Mio EUR im Jahr oder eine sonstige Liegenschaft unter ihrem Marktwert zu überlassen. Die Beklagte verstoße gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG, weil sie fremden Wettbewerb in marktverzerrender Weise fördere. Dem Verein werde die Liegenschaft in unentgeltlicher Weise zur Verfügung gestellt, damit würde dieser unbegründet bevorzugt. Daneben verstoße die Beklagte gegen das unionsrechtliche Beihilfenverbot (Art 107, 108 AEUV). Nach österreichischem Recht sei der eine der Förderung fremden Wettbewerbs bewirkende Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art 108 Abs 3 AEUV eine sonstige unlautere Handlung iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Rechtsbruch), wobei es hier auf die Vertretbarkeit nicht ankomme.

[4] Die Beklagte argumentierte damit, dass angesichts der in Wien ansässigen UNO‑Organisationen ein öffentliches Interesse an einem internationalen Schulangebot bestehe. Die Einräumung eines Baurechts an der Liegenschaft sei durch Art 2 des Ermächtigungsgesetzes BGBl I 2015/125 gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen das UWG sei daher denkunmöglich. Auch ein Verstoß gegen Beihilfenrecht sei zu verneinen, weil aufgrund der lokalen Wirkung der Maßnahmen der Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinflusst werde. Der Verein betonte die Bedeutung des Angebots internationaler Schulen für Wien als Amtssitz der UNO und wandte ein, dass ein Verhalten der öffentlichen Hand lauterkeitsrechtlich unbedenklich sei, wenn andere Zielsetzungen deutlich überwiegten.

[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

[6] Das Erstgericht ging davon aus, dass die Zurverfügungstellung der Liegenschaft kein Handeln im geschäftlichen Verkehr sei. Aufgrund der völkerrechtlichen Verpflichtung der Beklagten unterliege die Zurverfügungstellung auch nicht den Art 107, 108 AEUV, sodass auch kein Verstoß gegen unionsrechtliches Beihilfenrecht vorliege.

[7] Das Berufungsgericht hielt fest, dass ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch schon deshalb scheitere, weil die unentgeltliche Überlassung der Liegenschaft durch den Staatsvertrag gerechtfertigt sei. Eine unsachliche Bevorzugung einzelner Wirtschaftsteilnehmer bzw die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sei im Sinne des bindenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs zu verneinen. Der Verstoß gegen das Beihilfenrecht wurde verneint. Eine Beihilfe im Sinne des Art 107 AEUV liege nicht vor, weil die Beklagte den UNO‑Organisationen die Entscheidung überlassen habe, welchem Schulbetreiber die Liegenschaft zur Verfügung gestellt werden soll. Die Beklagte habe auf die Entscheidung keinen Einfluss ausüben können.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[9] In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision werfen die Klägerinnen keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[10] 1.1. Als Zulassungsfrage machen die Klägerinnen geltend, dass das Berufungsgericht die Verletzung des unionsrechtlichen Beihilfenrechts unvertretbar verneint habe.

[11] 1.2. Diese Rechtsfrage ist für die Entscheidung nicht präjudiziell. Ungeachtet einer allfälligen Verletzung des Beihilfenrechts scheitert der Unterlassungsanspruch im Anlassfall schon am notwendigen „Handeln im geschäftlichen Verkehr“ bzw an der „Förderung fremden Wettbewerbs“.

[12] 2. Die Klägerinnen argumentieren beim geltend gemachten Unterlassungsanspruch in zwei Richtungen. Sie stellen einen „Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht“ dem „Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 AEUV“ gegenüber. Der „Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht“ wird wegen unzulässiger Beeinträchtigung des Wettbewerbs zwischen den internationalen Schulen geltend gemacht. Die Beklagte würde nach Ansicht der Klägerinnen in diesem Zusammenhang gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG verstoßen. Aber auch soweit die Klägerinnen den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf das unionsrechtliche Beihilfenrecht stützen, machen sie – im Sinne der Rechtsprechung (RS0125709) – (ebenfalls) wegen der Förderung fremden Wettbewerbs eine unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG (als Rechtsbruch) geltend. Ein solcher Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 Satz 3 AEUV (früher Art 88 Abs 3 Satz 3 EG) kann Unterlassungsansprüche von Mitbewerbern nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG begründen (4 Ob 154/09i; 4 Ob 209/13h).

[13] 3. Wie andere Tatbestände des UWG setzt auch § 1 Abs 1 Z 1 UWG ein „Handeln im geschäftlichen Verkehr“ voraus.

[14] 3.1. Dabei muss es sich nicht um die eigene Erwerbstätigkeit des in Anspruch Genommenen handeln. Ansprüche nach dem UWG können auch auf die Förderung fremden Wettbewerbs gestützt werden. Die Beklagte wird im Anlassfall nicht als Marktteilnehmer, sondern nur wegen der Förderung fremden Wettbewerbs in Anspruch genommen.

[15] 3.2. Wegen des generellen Wegfalls der Wettbewerbsabsicht als Tatbestandsmerkmal des § 1 UWG durch die UWG‑Novelle 2007 kommt es nach der ständigen Rechtsprechung nicht mehr auf die Absicht an, fremden Wettbewerb zu fördern, sondern auf die Eignung. Eine derartige tatbestandsrelevante Förderung fremden Wettbewerbs kommt nicht in Betracht, wenn bei objektiver Betrachtung eine andere Zielsetzung eindeutig überwiegt (4 Ob 40/11b, Murpark; 4 Ob 165/11k, Deckungsvergleich; 4 Ob 76/12y, Media‑Analyse II; 4 Ob 38/12k, The Sweet‑CD; 4 Ob 94/14y, Schriftliche Abhandlungspflege; 4 Ob 73/15m, Auskunftsersuchen des Presserats; 4 Ob 74/15h, PR‑Ethik‑Rat; 4 Ob 78/17z, Geheimhaltungsverpflichtung; 4 Ob 77/20g, Normungsorganisation; RS0126548; RS0123244 [T1]; RS0077619 [T20]; vgl für den Bereich einer Markenrechtsverletzung auch 17 Ob 19/10h, amade.at).

[16] 3.3. In solchen Fällen scheitert ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch am fehlenden Handeln im geschäftlichen Verkehr auch dann, wenn einzelne Unternehmer aus solchen Maßnahmen mittelbar (bzw faktisch) als Reflexwirkung einen Vorteil ziehen (4 Ob 222/11t, Reifengroßhändlerin; 4 Ob 77/20g ua).

[17] 3.4. Es hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Handeln im geschäftlichen Verkehr vorliegt oder andere Zwecke eindeutig überwiegen (vgl 4 Ob 38/12k, 4 Ob 74/15h).

[18] 3.5. Bei Leistungen der öffentlichen Hand, die im überwiegenden öffentlichen Interesse erbracht werden, ist der unternehmerische Charakter und damit ein Handeln im geschäftlichen Verkehr im Allgemeinen zu verneinen (4 Ob 40/11b; 4 Ob 59/19h, ÖVS‑Liste). Keine marktbezogene wirtschaftliche Tätigkeit liegt demnach auch vor, wenn staatliche oder supranationale Organe in Wahrnehmung ihrer gesetzlichen oder statutarischen Befugnisse ihre typischen Aufgaben erfüllen und die Verfolgung öffentlicher Interessen oder Ziele eindeutig im Vordergrund steht (4 Ob 77/20g). Eine unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand wird etwa dann ausgeschlossen, wenn sich das in Frage stehende Verhalten an öffentlich‑rechtlichen Schutz- und Ordnungsfunktionen orientiert und keine marktbezogene Preisbildung stattfindet oder wenn die öffentliche Hand typische ihr zufallende Aufgaben der Daseinsvorsorge oder der Schaffung von Infrastruktur erfüllt (4 Ob 2/15w, Hygienepapier; 4 Ob 267/17t, Gratisbuslinie; RS0127139)

[19] 3.6. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass der behauptete „Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht“ schon deshalb nicht vorliegt, weil die Beklagte durch die Überlassung der Liegenschaft ihre völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber den Internationalen Organisationen aus dem Staatsvertrag erfüllt hat. Dass die Beklagte durch die Erfüllung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen damit allenfalls auch faktisch den Wettbewerb des Vereins förderte, ist ein bloßer Reflex dieser eindeutig einem anderen Zweck dienenden Tätigkeit (4 Ob 222/11t).

[20] 3.7. Diese Rechtsansicht wird im Rechtsmittel in beim behaupteten „Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht“ nicht näher hinterfragt. Die Klägerinnen argumentieren lediglich damit, dass staatliches Handeln im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung dann nicht mehr lauterkeitsrechtlich immun ist („Gegenausnahme“), wenn der Gleichheitsgrundsatz durch unsachliche Bevorzugung verletzt wird (idS 4 Ob 59/19h).

[21] Eine solche Ausnahme liegt hier aber nicht vor. In seinem über den Antrag der Klägerinnen auf Normenkontrolle ergangenen Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 29. September 2021 zu SV 4/2020 ua, G 250/2020 verneinte dieser ua die Verfassungswidrigkeit von Art 3 des Staatsvertrags. Eine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Ausübung der Erwerbsfreiheit durch eine Bestimmung eines Staatsvertrags betreffend die ausschließliche Nutzung einer Liegenschaft für Bildungsaktivitäten für in Wien ansässige Internationale Organisationen liege nicht vor. Die Einräumung eines Baurechts an einer Liegenschaft mit einem jährlichen Baurechtszins idHv 1 EUR für schulische Zwecke diene der – sachlich gerechtfertigten – Unterstützung Internationaler Organisationen und nicht der Förderung eines bestimmten Schulträgers. Damit verneinte der Verfassungsgerichtshof bindend (§ 528b Abs 3 ZPO) eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch die (faktisch kostenfreie) Zurverfügungstellung der Liegenschaft durch die Beklagte.

[22] 4. Insoweit die Klägerinnen den Unterlassungsanspruch auf Verstöße gegen Beihilfenrecht stützen, machen sie einen Rechtsbruch nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG geltend, der ebenfalls ein Handeln im geschäftlichen Verkehr der jeweils in Anspruch genommenen beklagten Partei voraussetzt (in diesem Sinn für behauptete Kartellrechtsverstöße: 4 Ob 77/20g Pkt 4.4). Wegen des fehlenden Handelns im geschäftlichen Verkehr (mangels Förderung fremden Wettbewerbs) konnte der Unterlassungsanspruch damit auch nicht auf (allfällige) Verstöße gegen das unionsrechtliche Beihilfenrecht gestützt werden.

[23] 5. Bei dieser Sachlage käme somit der Lösung der von den Klägerinnen als erheblich angesehenen Rechtsfrage nur theoretische Bedeutung zu. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist aber nach § 502 Abs 1 ZPO nur zulässig, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, die angeschnittene Rechtsfrage also für die Entscheidung präjudiziell ist (RS0088931). Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerinnen zurückzuweisen.

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