OGH 6Nc11/22b

OGH6Nc11/22b30.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Dr. Friederike Wallentin‑Hermann, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei B*, Vereinigtes Königreich, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060NC00011.22B.0330.000

 

Spruch:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin beabsichtigt, Ansprüche aufgrund der Fluggastrechte‑Verordnung (EG) Nr 261/2004 geltend zu machen. Sie stützt ihre Ansprüche auf die Verspätung des von ihr gebuchten Flugs BA701 am 12. 7. 2019 von Wien nach London, weswegen sie ihren Anschlussflug nach Los Angeles verpasst habe.

[2] Die Klägerin beantragt, gemäß § 28 JN aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die gegenständliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat.

[3] Sie habe ihren Wohnsitz in Österreich; auch der Abflugort liege in Österreich. Daher bestehe jedenfalls ein Naheverhältnis zum Inland. Die Beklagte sei eine Fluggesellschaft mit Sitz in London. Eine Rechtsverfolgung wäre dort aussichtslos bzw unzumutbar. Von der Klägerin sei eine Exekutionsführung in Österreich beabsichtigt, und zwar insbesondere auf Vermögensgegenstände, die von der Beklagten im Zuge ihrer Geschäftstätigkeit immer wieder nach Österreich verbracht werden (wie insbesondere Flugzeuge und sonstige Betriebsmittel) bzw auf Forderungen, welche der Beklagten aus ihrer Geschäftstätigkeit in Österreich und gegen Schuldner in Österreich erwachsen.

[4] Eine allfällige Entscheidung eines britischen Gerichts würde in Österreich nicht anerkannt werden, weil aufgrund des Brexit die EuGVVO nicht mehr anzuwenden sei. Großbritannien gehöre auch nicht zum Lugano Übereinkommen. Nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag zwischen Österreich und Großbritannien aus dem Jahr 1962 seien nur Entscheidungen „oberer Gerichte“ („Superior Courts“) anzuerkennen und zu vollstrecken. Darunter fielen jedoch nicht Entscheidungen, die aufgrund von Rechtsbehelfen im Verfahren, in denen ein unteres Gericht in erster Instanz entschieden hat, erlassen worden sind. Daher sei kein ausreichender Rechtsschutz im Ausland gewährleistet. Zudem wären für die Klägerin, eine Verbraucherin, auch in Anbetracht des geringen Streitwerts die Kosten für ein Verfahren in Großbritannien unverhältnismäßig.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben.

[6] Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet (Z 1) oder der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2) oder die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (Z 3).

[7] Die Fluggastrechte‑Verordnung, auf die sich die Klägerin beruft, ist Bestandteil des europäischen Unionsrechts. Für dieses gilt der Grundsatz der effektiven Umsetzung („effet utile“; dazu EuGH C‑76/90 ; 2 Ob 243/12t), der ebenfalls dafür spricht, (jedenfalls) Fluggästen, die aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat von einem in der Europäischen Union liegenden Flughafen abfliegen (sollten), die Geltendmachung und Durchsetzung von in der Verordnung begründeten Ansprüchen nicht zu erschweren. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ist daher in diesem Fall ein inländisches Gericht als zuständig zu bestimmen (6 Nc 1/19b; 6 Nc 1/22g; RS0132702 [insb T2, T9, T10]).

[8] Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts (in örtlicher Hinsicht) enthält § 28 JN zwar keine ausdrücklichen Vorgaben; es ist dabei jedoch auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der Sache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, lag doch der Abflugort im vorliegenden Fall in dessen Sprengel (vgl auch 6 Nc 1/19b; 6 Nc 1/22g).

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