European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00163.21F.0329.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit beginnt mit der Zustellung der Klage an den Beklagten (§ 232 ZPO) und endet erst mit der (rechtskräftigen) Beendigung des Rechtsstreits, mag diese durch Sachurteil oder aus einem anderen formellen Grund auch ohne Sachentscheidung erfolgen, wie etwa im Fall eines Vergleichs, einer Klagsrücknahme oder einer rechtskräftigen Klagszurückweisung (vgl RS0039482; 2 Ob 133/19a mwN).
[2] Umstände, die bloß einen Stillstand des Verfahrens bewirken, beenden oder unterbrechen die Streitanhängigkeit hingegen nicht; dies gilt nach der Rechtsprechung auch für ein – selbst jahrzehntelanges oder „ewiges“ – Ruhen des Verfahrens (4 Ob 60/18d mwN; RS0036697 [insbes T1]). Die Streitanhängigkeit ist nämlich der Disposition der Parteien entzogen. Die Rechtsfolgen des § 233 ZPO können daher nicht dadurch vermieden werden, dass sich die Parteien darüber einigen, dass die zweite (oder eine weitere) Klage vorrangig behandelt werden soll. Vielmehr ist die Unzulässigkeit weiterer Verfahren in § 233 ZPO zwingend angeordnete Rechtsfolge der Streitanhängigkeit. Den Parteien steht eine Dispositionsmöglichkeit nur insofern zu, als sie das erste Verfahren durch Klagsrückziehung beenden könnten (vgl 6 Ob 212/19y).
[3] 1.2. Gemäß § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen (vgl RS0112945 [T4]); trotz Streitanhängigkeit geführte Verfahren sind nichtig (RS0039233).
[4] 2.1. Der Kläger stellt nicht in Frage, dass das zweiseitig gewordene Verfahren über die von ihm früher vor einem anderen Gericht erhobenen Begehren (Vorverfahren) ruht, nicht jedoch im oben dargelegten Sinne rechtskräftig beendet wurde. Die Ansicht des Rekursgerichts, dass dies die Streitanhängigkeit nicht beendete, und die von ihm daraus gezogene Konsequenz, die vorliegende spätere Klage (teilweise) zurückzuweisen, entsprechen der Rechtsprechung.
[5] 2.2. Soweit sich der Kläger auf Mayr (in Fasching/Konecny³ § 233 ZPO Rz 23) stützt, wonach es zu einer Prüfung der Streitanhängigkeit nur kommen darf, wenn beide angerufenen Gerichte für den (identen) Rechtsstreit tatsächlich zuständig sind, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Ausführungen Mayrs – wie auch dessen Verweis auf Konecny in Fasching/Konecny³ I Einl Rz 167 ff zeigt – beziehen sich auf die Prüfungsreihenfolge des die Zurückweisung aussprechenden Gerichts.
[6] In Fällen der Klageänderung nach Klagezustellung – wie hier im Vorverfahren – treten die Wirkungen der Streitanhängigkeit jedenfalls mit dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung ein (vgl RS0050070). Das im vorliegenden Verfahren nunmehr angerufene Handelsgericht Wien ist zweifellos zuständig (vgl § 56a MSchG). Damit liegen aber zwei anhängige Verfahren über denselben Streitgegenstand vor. Für eine Spekulation über den möglichen weiteren Verfahrensgang des Vorverfahrens besteht im Rahmen der Entscheidung über die Streitanhängigkeit kein Raum; das Vorverfahren ist vielmehr so lange anhängig, bis es im oben dargelegten Sinne erledigt ist. Dabei kann auch keine Rede davon sein, dass der Kläger „vom markenrechtlichen Rechtsschutz völlig abgeschnitten“ wäre, läge es doch ausschließlich am Kläger, das Vorverfahren, soweit sich der Streitgegenstand mit dem nunmehr vorliegenden Verfahren deckt, etwa durch Klagsrückziehung oder Klagseinschränkung zu beenden.
[7] 2.3. Die Ansicht des Rekursgerichts, der auf das MSchG gestützte Anspruch sei bereits im Vorverfahren streitanhängig, woran sich vor Beendigung dieses Prozesses im oben dargelegten Sinne nichts ändere, auch wenn das früher angerufene Gericht nicht das vom ausschließlichen Gerichtsstand des § 56a MSchG vorgeschriebene sein mag, ist daher nicht korrekturbedürftig.
[8] 3.1. Die Auslegung von Prozessvorbringen wirft in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0042828).
[9] 3.2. Soweit der Revisionsrekurs nunmehr damit argumentieren will, Streitanhängigkeit liege nicht vor, weil der Kläger im Vorverfahren im Umfang der hier noch gegenständlichen Klagszurückweisung nicht denselben markenrechtlichen Anspruch geltend gemacht habe, ist dem entgegenzuhalten, dass beide Vorinstanzen das Klagebegehren und Vorbringen in den beiden Verfahren dahin verstanden haben, dass sich das Begehren im zurückgewiesenen Umfang deckt. In Anbetracht des Umstands, dass sich der Kläger im Vorverfahren ausdrücklich auf sein Markenrecht berufen und wörtlich ausgeführt hat, er stütze „die Klagsansprüche auch auf sein Markenrecht wie beschrieben“, ist auch diese Auffassung der Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig.
[10] 4.1. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
[11] 4.2. Die vor Zustellung einer Mitteilung nach § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO erstattete Rechtsmittelbeantwortung des Beklagten ist nicht zu honorieren (vgl RS0043690).
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