OGH 4Ob11/22d

OGH4Ob11/22d23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka, Dr. Faber sowie Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Erlagsache der Erlegerin V*, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien gegen die Erlagsgegnerin B* GmbH, *, vertreten durch DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Erlag nach § 1425 ABGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Erlagsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. November 2021, GZ 45 R 493/21i-11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00011.22D.0223.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Erlegerin ist Mieterin einiger Wohnungen der Erlagsgegnerin, ihrer Vermieterin. Zunächst waren im Firmenbuch zwei Personen als vertretungsbefugte Geschäftsführer der Erlagsgegnerin eingetragen. Aufgrund eines auf einer Generalversammlung am 26. 3. 2020 gefassten Beschlusses wurden deren Funktion am 9. 4. 2020 gelöscht; zwei andere Personen wurden als Geschäftsführer eingetragen.

[2] Der gegen die Firmenbucheintragungen erhobene Rekurs der Gesellschaft blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht vertrat dabei die Rechtsansicht, dass der Generalversammlungsbeschluss wirksam sei. Der Wechsel der Geschäftsführer sei beachtlich, solange er nicht durch ein einer Anfechtungsklage stattgebendes Urteil umgestoßen werde. Der firmenbuchrechtliche Fachsenat des Obersten Gerichtshofs wies mit Beschluss vom 16. 9. 2020 zu 6 Ob 167/20g den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurück. Er wies darauf hin, dass allfällige Mängel den Beschluss nur anfechtbar, nicht aber von Anfang an unwirksam machen. Es liege kein absolut nichtiger Beschluss vor, die Einberufung sei nämlich durch Gesellschafter erfolgt, die über eine Mehrheit der Anteile verfügten.

[3] Mit Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. 9. 2021 zu 22 Cg 31/20g wurde die Klage einer Gesellschafterin der Erlagsgegnerin gegen diese auf Feststellung der Nichtigkeit bzw Nichtigerklärung des Generalversammlungsbeschlusses vom 26. 3. 2020 in erster Instanz abgewiesen. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

[4] Die Erlegerin beantragte am 31. 8. 2021 die Annahme von 35.470,20 EUR als Bestandzins „bis zur Klarheit über die Frage der Identität des Anspruchsberechtigten zur Einziehung des Mietzinses“. Der Antrag richtete sich auch gegen zwei als Hausverwaltungen tätige Gesellschaften. Es sei aufgrund der internen Rechtsstreitigkeiten bei der Erlagsgegnerin unklar, ob die von den nunmehrigen Geschäftsführern bestellte Hausverwaltung oder die frühere Hausverwaltung zuständig sei. Es lägen unterschiedliche Anweisungen vor, an wen der Mietzins zu zahlen sei. Es sei unklar, wer wirksam als Hausverwaltung bestellt und wer wirksam Geschäftsführer der Vermieterin sei.

[5] Das Erstgericht nahm den Erlag hinsichtlich der Erlagsgegnerin und auch hinsichtlich der beiden als Hausverwaltungen tätigen Gesellschaften an und wies darauf hin, dass die Voraussetzungen „Gläubiger unbekannt bzw unklar“ vorlägen.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erlagsgegnerin Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass der Erlag nur hinsichtlich der Erlagsgegnerin angenommen wird. Hingegen wurde der Antrag betreffend die beiden Hausverwaltungs‑Gesellschaften abgewiesen. Es ergänzte den Beschluss um einen Spruchpunkt 4 dahin, dass die Ausfolgung des Erlags „erst nach Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer“ der Erlagsgegnerin erfolgt.

[7] Lediglich gegen die Bedingung für die Ausfolgung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Erlagsgegnerin mit dem Antrag, Spruchpunkt 4 ersatzlos zu streichen. Unter Hinweis auf die dem Verfahren 6 Ob 167/20g zugrundeliegenden Entscheidungen vertritt die Erlagsgegnerin den Standpunkt, dass sie „die unzulässige Bedingung“ erfüllt habe. Aus anwaltlicher Vorsicht sei dennoch ein Revisionsrekurs einzubringen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Das Rechtsmittel ist unzulässig.

[9] 1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (RS0002495). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (RS0041868; RS0006497). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RS0041746; RS0043815). Ist das nicht der Fall, ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (RS0041868 [T14, T15]). Diese Grundsätze gelten auch im Verfahren außer Streitsachen (RS0002495 [T81]; RS0006598).

[10] 2. Im vorliegenden Fall liegen bereits zwei rechtskräftige Entscheidungen über die aufrechte Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer der Erlagsgegnerin vor. Im firmenbuchrechtlichen Verfahren wurde mit Billigung des Obersten Gerichtshofs ausgesprochen, dass der Wechsel der Geschäftsführer beachtlich und wirksam ist. Die wirksame Bestellung hat zur Folge, dass die nunmehrigen Geschäftsführer für die Erlagsgegnerin handeln können. Auch in dem Verfahren, das der Entscheidung 4 Ob 155/21d zugrundeliegt, wurde ausdrücklich bejaht, dass die nunmehrigen Geschäftsführer für die Erlagsgegnerin wirksam Vertretungshandlungen (Erteilung einer Prozessvollmacht) setzen können. Die im Erlagsantrag vermisste Klarheit, wer wirksam als Geschäftsführer handeln kann, ist bereits hergestellt und damit auch Spruchpunkt 4 erfüllt. Dieser Spruchpunkt stellt nur allgemein auf eine rechtskräftige Entscheidung über die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer ab, sodass es für die Erfüllung dieser Bedingung nicht darauf ankommt, ob die mit dem Generalversammlungsbeschluss verbundene Umbestellung der Geschäftsführer auch einer Anfechtungsklage standhalten muss.

[11] 3. Eine Klärung der Zulässigkeit der Ergänzung des angefochtenen Beschlusses (Spruchpunkt 4) durch das Rekursgericht bzw der Frage, ob der Erlagsantrag so zu verstehen ist, dass er eine Ausfolgungsbedingung enthält, könnte daher nur noch von theoretischem Interesse sein. Auf die Rechtssphäre der Erlagsgegnerin hat sie aber keinen Einfluss mehr. Ihr Rechtsmittel ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

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