OGH 6Ob148/21i

OGH6Ob148/21i2.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragsteller 1. Verlassenschaft nach dem am * 2020 verstorbenen E*, vertreten durch Garger Spallinger Rechtsanwälte in Wien, 2. E*, 3(a). U*, Deutschland, 3(b). P*, Deutschland, beide vertreten durch Markus Jaeckel, Rechtsanwalt in München, 4. J*, Deutschland, 5. L*, Luxemburg, beide vertreten durch Axel Conzelmann, Rechtsanwalt in Baden-Baden, 6. Mag. J*, Liechtenstein, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in Wien, 7. Mag. C*, 8. M*, Deutschland, vertreten durch Frank Meinhardt, Rechtsanwalt in Bad Homburg vor der Höhe, 9. M*, Deutschland, 10. Mag. J*, 11(a). B*, 11(b). M* und 11(c). U*, Deutschland, 12. Dr. D*, Deutschland, 13. Y*, Deutschland, vertreten durch Martin Nolle, Rechtsanwalt in Berlin, 14(a). F*, Deutschland, 14(b). M*, 14(c). mj J*, Deutschland, 15(a). C*, Deutschland, 15(b). Dipl.‑Kffr. A*, 15(c). mj C*, Deutschland, 16. C*, 17. N*, 18. L*, Deutschland, 19(a). V*, Deutschland, 19(b). A*, Vereinigte Staaten von Amerika, beide vertreten durch Dr. Martin Weimann, Rechtsanwalt in Berlin, 20. J*, Mauritius, vertreten durch Lars Richter, Rechtsanwalt in Bremen, 21. S*, Deutschland, vertreten durch Mehmet T. Diler, Rechtsanwalt in Bremen, 22. E*, Deutschland, 23. D*, Deutschland, 24. I*, Deutschland, vertreten durch Olaf Hasselbruch, Rechtsanwalt in Bremen, 25. C*, Deutschland, 26. G*, Deutschland, vertreten durch Moritz Reimers, Rechtsanwalt in Berlin, 27. Mag. M*, 28(a). Mag. P*, 28(b). Mag. U*, 29. D*, 30. Prof. Dr. K*, Deutschland, 31(a). A*, 31(b). J*, beide vertreten durch Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in Wien, 32(a). S*, 32(b). C*, Deutschland, 33. G*, 34. C*, 35. MMag. C*, 36(a). Dr. W*, 36(b). P*, 36(c). A*, 36(d). I*, 36(e). M*, 36(f). P*, 36(g). H*, 36(h). P*, 36(i). S*, 36(j). R*, 36(k). S*, diese jeweils vertreten durch Dr. Max Leitner und andere, Rechtsanwälte in Wien, 37. DI S*, 38. H*, 39. C*, 40. M*, Deutschland, 41. K*, Deutschland, vertreten durch Matthias Hußlein, Rechtsanwalt in Würzburg, 42. Mag. V*, 43. Dr. R*, Deutschland, 44. DI D*, 45. Mag. G*, 46. L*, Luxemburg, 18. und 46. vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, 47(a). Mag. Dr. R*, 47(b). Dr. A*, 48. Mag. Dr. A*, 49. Dr. C*, 50. T*, Deutschland, 51. G*, Deutschland, 11., 12., 14., 15., 25. und 51. vertreten durch Martin Arendts und andere, Rechtsanwälte in Grünwald, 52(a). Prof. Dr. E*, Deutschland, 52(b). B*, Deutschland, 52(c). K*, Deutschland, 53(a). G*, Deutschland, 53(b). A*, Deutschland, 53(c). P*, Deutschland, 53(d). S*, Deutschland, 54. O*, Ecuador, vertreten durch Julian Habekost und andere, Rechtsanwälte in Bremen, 55. A*, Deutschland, vertreten durch Hans‑Günther Deubel und andere, Rechtsanwälte in Ochsenfurt, 56. P*, 57. E*, 58. D*, 27., 29., 34., 37., 42. und 58. vertreten durch MMag. Christian Aichinger, Rechtsanwalt in Wien, 59. A*, 60. Mag. U*, 61. B*, 62. C*, Deutschland, 63. B*, Deutschland, 64. A*, Ecuador, vertreten durch Oliver Schnibben, Rechtsanwalt in Bremen, 65. N*, Deutschland, 66. T*, Deutschland, 67. J*, Deutschland, 68. T*, Deutschland, 69. M*, Deutschland, vertreten durch Horst Hoffmann, Rechtsanwalt in Köln, 70. W*, 28., 30., 32., 33., 47., 56., 57. und 70. vertreten durch Garger Spallinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, 71(a). Mag. O*, 71(b). Mag. M*, vertreten durch Dr. Georges Leser, Rechtsanwalt in Wien, 72(a). Mag. G*, 72(b). Dr. T*, beide vertreten durch Mag. Patrick Mandl, Rechtsanwalt in Wien, 73(a). V*, 73(b). DI T*, beide vertreten durch Dr. Bernhard Umfahrer, Rechtsanwalt in Wien, 74. A*, 75. Mag. Dr. W*, vertreten durch MMag. Dr. Verena Brauner LL.M., Rechtsanwältin in Wien, 76. I*, 77. U*, Deutschland, beide vertreten durch Dr. Maria Brandstetter, Rechtsanwältin in Wien, und der gemeinsamen Vertreterin gemäß § 225f AktG Garger Spallinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin W*, vertreten durch die E+H Eisenberger + Herzog Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Überprüfung der Barabfindung (§ 6 Abs 2 GesAusG), über die Revisionsrekurse des Antragstellers zu 6. und der gemeinsamen Vertreterin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 5. Mai 2021, GZ 6 R 47/21f‑224, womit der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 31. Dezember 2020, GZ 35 Fr 954/17m‑197, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00148.21I.0202.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens dritter Instanz bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Begründung:

[1] In der Hauptversammlung der damals börsenotierten B* Aktiengesellschaft vom 14. 8. 2017 beschloss deren Hauptgesellschafterin, die nunmehrige Antragsgegnerin, den Ausschluss der Minderheitsaktionäre gemäß §§ 1 ff GesAusG und die Übertragung deren Anteile auf die Hauptgesellschafterin. Die Barabfindung der ausscheidenden Aktionäre wurde mit 16,51 EUR pro Stückaktie festgelegt. Der gerichtlich bestellte sachverständige Prüfer gemäß § 3 Abs 2 GesAusG bestätigte die Angemessenheit der Barabfindung.

[2] Gegenständlich ist ein Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung gemäß § 6 Abs 2 GesAusG iVm §§ 225c ff AktG mit 107 Antragstellern und der gemeinsamen Vertreterin gemäß § 225f AktG.

[3] Die Vorinstanzen sprachen aus, die beschlossene Barabfindung sei nicht angemessen, diese werde mit 23 EUR je Aktie festgesetzt, und die Antragsgegnerin habe zu der in der Hauptversammlung vom 14. 8. 2017 beschlossenen Barabfindung einen weiteren Ausgleich durch bare Zuzahlungen von 6,49 EUR je Aktie zu leisten.

[4] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil eine Klarstellung der Formulierung des Spruchs und der Qualität des Ausspruchs nach dem Verfahren über die Überprüfung der Barabfindung wünschenswert sei. In weiterer Folge würden sich daraus Konsequenzen für die Zinsenentscheidung ergeben. Aufgrund der erga-omnes-Wirkung sei die Entscheidung für eine Vielzahl an Aktionären von Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revisionsrekurse des Sechstantragstellers sowie der gemeinsamen Vertreterin sind mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Verfahrensrechtliches

[6] 1.1. Das Erstgericht hat die Revisionsrekurse der Antragsgegnerin, nicht aber den anderen Antragstellern zugestellt. Die Antragsgegnerin hat eine rechtzeitige Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

[7] 1.2. Nach § 225e Abs 4 Satz 4 AktG iVm § 6 Abs 2 GesAusG sind erhobene Rekurse den anderen Parteien zuzustellen; sie können binnen vier Wochen nach der Zustellung des Rekurses eine Rekursbeantwortung einbringen.

[8] Nach Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 § 225e AktG Rz 30 entspricht diese Anordnung der Ausgestaltung des Rekursverfahrens durch das neue AußStrG in dessen § 48. Danachsei ein Rekurs jeder anderen aktenkundigen Partei zuzustellen; diese anderen Parteien könnten eine Rekursbeantwortung anbringen.

[9] 1.3. Nach einhelliger Ansicht im Schrifttum ist unter einem Rekurs iSd § 225e Abs 4 AktG auch der Revisionsrekurs zu verstehen (Szep in Artmann/Karollus, AktG6 § 225e Rz 11; Schörghofer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 § 225e Rz 14; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 § 225e AktG Rz 31).

[10] Im AußStrG 2003 wird zwar terminologisch zwischen „Rekurs“ und „Revisionsrekurs“ unterschieden, sodass einRevisionsrekurs in der Regel nicht unter den Begriff Rekurs subsumiert werden kann. Andernfalls wäre etwa § 71 Abs 4 AußStrG insoweit unnötig, als dort für das Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof grundsätzlich die Bestimmungen über den Rekurs für anwendbar erklärt werden.

[11] Für den Fall des § 225e Abs 4 AktG ist dieses eingeschränkte Verständnis des Begriffs „Rekurs“ jedoch nicht sachgerecht: Die Bestimmung wurde – seither unverändert – mit dem EU‑GesRÄG 1996, BGBl 1996/304, eingeführt. Damals galt noch das AußStrG 1854, dessen § 14, der den Revisionsrekurs regelte, mit „Rekurs an den Obersten Gerichtshof“ überschrieben war. Dies zeigt, dass damals der Begriff „Rekurs“ im Außerstreitverfahren auch im Zusammenhang mit an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rechtsmitteln verwendet wurde. Überdies kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass etwa die in § 225e Abs 4 AktG normierte, von der auch damals allgemein geltenden vierzehntägigen Rekursfrist (§ 11 Abs 1 AußStrG 1854) abweichende vierwöchige Rekursfrist nur für an die zweite Instanz gerichtete Rechtsmittel, nicht aber für an den Obersten Gerichtshof gerichtete Rechtsmittel gelten sollte.

[12] Die in § 225e Abs 4 AktG für den Rekurs getroffenen Anordnungen gelten daher auch für den Revisionsrekurs.

[13] 1.4. § 225e Abs 4 AktG ist (hier betreffend die Anordnungen über die Rekursbeantwortung) gegenüber §§ 48 und 68 AußStrG die speziellere Norm. Im vorliegenden Fall kommt es somit auf die in den genannten Bestimmungen des AußStrG vorkommende Wendung „jeder anderen aktenkundigen Partei“ nicht an.

[14] 1.5. Im Licht des Wortlauts des § 225e Abs 4 AktG stellt sich hier die Frage, ob die beiden Revisionsrekurse von Antragstellerseite nicht nur der Antragsgegnerin, sondern auch allen anderen Antragstellern zuzustellen gewesen wären und diese eine Revisionsrekursbeantwortung erstatten hätten können.

[15] 1.6. In der Kommentarliteratur zur Parallelbestimmung des § 48 AußStrG wird zwar darauf verwiesen, dass die Bestimmung für manche Fälle teleologisch zu reduzieren sei (vgl nur G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 48 Rz 14 f). Ein dem vorliegenden Fall vergleichbarer Fall wird aber dabei nicht erwähnt.

[16] 1.7. Hier stehen einander – nicht anders als in einem typischen Zivilprozess – zwei Arten von Verfahrensparteien mit jeweils gegensätzlichen Interessen gegenüber. Die (meist zahlreichen) Antragsteller auf der einen Seite haben das gemeinsame Interesse an einer möglichst hohen Abfindung für die enteigneten Gesellschaftsbeteiligungen. Die Antragsgegnerin (Hauptgesellschafterin) auf der anderen Seite strebt hingegen typischerweise eine möglichst niedrige Abfindung an.

[17] Antragsteller, die kein Rechtsmittel erhoben haben, haben daher von Rechtsmitteln anderer Antragsteller nichts zu befürchten, weil sich kraft der gleichgerichteten Interessen bei Stattgebung der Rechtsmittel auch die Position der Antragsteller, die nicht rekurriert haben, nur verbessern, nicht aber verschlechtern kann. Es bedarf daher diesfalls nicht des Schutzes der nicht rekurrierenden Antragsteller durch Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit. Eine solche würde hier bedeuten, dass die nicht rekurrierenden Antragsteller in Form einer „Beantwortung“ die Argumente der von anderen Antragstellern eingebrachten Rechtsmittel unterstützen könnten und somit im Ergebnis eine im Gesetz nicht vorgesehene nochmalige vierwöchige Frist für Rechtsmittelausführungen zur Verfügung hätten. Schließlich macht auch die Bezeichnung „Rekursbeantwortung“ deutlich, dass es dabei um eine Entgegnung zu den Rechtsmittelargumenten, nicht aber um eine Unterstützung derselben geht.

[18] Aus diesen Erwägungen ist ein Rekurs (Revisionsrekurs) eines Antragstellers den übrigen Antragstellern nicht zuzustellen; diese haben auch kein Recht, dazu eine Rekursbeantwortung (Revisionsrekursbeantwortung) zu erstatten. § 225e Abs 4 AktG ist insoweit teleologisch zu reduzieren. Die in Punkt 1.1. dargestellte Vorgangsweise des Erstgerichts war somit gesetzeskonform.

2. In der Sache

[19] 2.1. Die Rechtsmittelwerber machen geltend, das Gericht habe im Überprüfungsverfahren nach § 6 GesAusG zugunsten der Inhaber von unter ISIN ... verbrieften Nachbesserungsrechten der Gesellschaft einen Leistungsausspruch zu tätigen, der auch über die Zinsen abspreche und unmittelbar vollstreckbar sei. Für diejenigen ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafter, die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gesellschafterausschlusses Unternehmer gewesen seien, gebührten die unternehmerischen Zinsen nach § 456 UGB.

[20] 2.2. Der erkennende Senat hat die in der Begründung des Rekursgerichts für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses sowie in den Revisionsrekursen angesprochenen Rechtsfragen in der ausführlich begründeten Entscheidung vom 12. 5. 2021, 6 Ob 246/20z (GesRZ 2021, 241 [Foglar‑Deinhardstein/Aichinger; Vanovac/Löffler] = ZFR 2021, 560 [Hubcheva] = AnwBl 2021, 489 und 621 = ecolex 2021, 841 = RdW 2021, 692 = GES 2021, 247; vgl Rüffler, Zur Verzinsung der Barabfindung und zugesprochener barer Zuzahlungen gemäß § 6 GesAusG – Zugleich eine Kritik an OGH 12. 5. 2021, 6 Ob 246/20z, GesRZ 2021, 209) bereits beantwortet. Der Senat ist zu folgenden Ergebnissen gekommen:

[21] 2.2.1. Im Verfahren über die Höhe der Barabfindung des ausgeschlossenen Minderheits-gesellschafters sind keine individuellen, ziffernmäßig bestimmten Leistungszusprüche vorzunehmen. Ein Ausspruch über die Verzinsung der baren Zuzahlung ist im Überprüfungsverfahren nicht erforderlich (so auch 6 Ob 113/21t).

[22] 2.2.2. Die ausgeschlossenen Gesellschafter haben für den Zuzahlungsbetrag Anspruch auf Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung folgenden Tag bis zwei Monate nach dem Tag der Veröffentlichung des Beschlusses in der Ediktsdatei. Für den darauf folgenden Zeitraum sind Zinsen in Höhe des gesetzlichen Verzugszinssatzes geschuldet. Es kommt einheitlich der Verzugszinssatz des § 1000 Abs 1 ABGB zur Anwendung.

[23] 2.3. Die Entscheidung 6 Ob 246/20z wurde – wie in Punkt 2.2. ersichtlich – in der Literatur mehrfach besprochen:

[24] Foglar-Deinhardstein/Aichinger stimmen der Entscheidung in den hier relevanten Aspekten zu.

[25] Rüffler stimmt den unter 2.2.1. angeführten Aussagen zu, kritisiert aber die zur Höhe der Verzinsung gemachten Ausführungen insofern, als nach seiner Ansicht für die Verzugszinsen dann, wenn der Hauptgesellschafter und der ausgeschlossene Gesellschafter Unternehmer sind, nicht § 1000 Abs 1 ABGB, sondern § 456 UGB anzuwenden sei.

[26] Vanovac/Löffler lehnen die Entscheidung überwiegend ab. Sie missachte die Interessen des Kapitalmarkts und der funktionierenden Justiz. Der fehlende Exekutionstitel im Überprüfungsverfahren führe dazu, dass Leistungsklagen von ausgeschlossenen Gesellschaftern am allgemeinen Gerichtsstand des Hauptgesellschafters zu erheben seien. Dies mache Überprüfungsverfahren de facto nahezu sinnlos, weil Kleinaktionäre Leistungsklagen gegen einen Hauptgesellschafter im Ausland, insbesondere im Nicht-EU-Ausland, scheuen würden. Dies füge dem österreichischen Kapitalmarkt einen offenkundigen Schaden zu. Selbst wenn in Österreich geklagt werden könne, werde die Justiz mit womöglich tausenden Verfahren belastet. Gerade weil die Minderheitsaktionäre unfreiwillig ausschieden, wäre für unternehmerisch tätige Minderheitsaktionäre eine Gleichbehandlung mit einer freiwilligen Deinvestition und somit für die Verzugszinsen die Anwendung des § 456 UGB geboten.

[27] Hubcheva äußert zur Höhe der Verzugszinsen Zweifel, ob unfreiwillige Eigentumsbeschränkungen einem Rechtsgeschäft gleichgehalten werden könnten. Auch der Zweck der §§ 455 ff UGB, eine bessere Zahlungsmoral im unternehmerischen Verkehr zu erzielen, spreche nicht zwingend für ihre Anwendbarkeit beim Gesellschafterausschluss. Denn für den Hauptgesellschafter sei eine frühere Zahlung mangels Kenntnis des Nachzahlungsbetrags nicht möglich. Gleichbehandlungsargumente seien weniger überzeugend für die Anwendbarkeit der unternehmerischen Verzugszinsen, denn die Entschädigung für den Eigentumseingriff sei für alle ausgeschlossenen Gesellschafter gleich.

2.4. Der Kritik ist Folgendes zu entgegnen:

[28] 2.4.1. Schon in Rz 75 der Vorentscheidung wurde unter Hinweis auf die insoweit einhellige Lehre und die Bestimmung des § 455 UGB („Rechtsgeschäfte zwischen Unternehmern“) festgehalten, dass § 456 UGB ein beiderseitiges Unternehmergeschäft voraussetzt. Ein solches liegt aber beim für den ausgeschlossenen Gesellschafter unfreiwilligen Gesellschafterausschluss nach dem GesAusG nicht vor. Es käme daher nur eine analoge Anwendung des § 456 UGB in Betracht, die aber eine planwidrige Gesetzeslücke voraussetzte (RS0008866; RS0008757). Gegen eine solche spricht schon der Umstand, dass sich – wie insbesondere die Erwägungen von Hubcheva zeigen – mehr oder weniger gute Argumente in beide Richtungen finden lassen. In der Entscheidung 6 Ob 126/18z hat der Senat sogar einen Geschäftsanteilsabtretungsvertrag, der im Unterschied zum Gesellschafterausschluss ein von beiden Seiten gewolltes Rechtsgeschäft ist, (ausnahmsweise) nur dann als unternehmerisch angesehen, wenn beide Gesellschafter ein Unternehmen betreiben, zu dessen Betrieb der Erwerb und die Veräußerung von Geschäftsanteilen gehört.

[29] Der Senat sieht sich somit nicht veranlasst, von der in der Vorentscheidung vertretenen Ansicht abzugehen. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist hier aber ebenso wenig geboten wie ein von Rüffler gefordertes Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), weil – was Rüffler wohl erkannt hat – die diesbezüglichen Äußerungen der Vorentscheidung bloß obiter erfolgten und auch hier die Frage nicht entscheidungswesentlich ist.

[30] 2.4.2. Die Kritik von Vanovac/Löffler an der Aussage der Vorentscheidung, dass im Barabfindungsverfahren keine individuellen ziffernmäßig bestimmten Leistungsansprüche vorzunehmen sind, erweist sich bei näherer Betrachtung in mehrfacher Weise als unzutreffend und daher unberechtigt.

[31] 2.4.2.1. Die ausgeschlossenen Gesellschafter können in der Regel auch dann, wenn der zahlungspflichtige Hauptgesellschafter im Ausland sitzt, ihren Barabfindungsanspruch entweder bei ihrem Wohnsitzgericht oder in Österreich einklagen.

[32] 2.4.2.1.1. Hat der Hauptgesellschafter seinen (Wohn‑)Sitz im EWR‑Ausland, gilt Folgendes: Nach Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO 2012 (Art 5 Nr 1 lit a LGVÜ 2007) kann vor dem Gericht des Erfüllungsorts geklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden.

[33] Der Begriff des Vertrags wird vom EuGH autonom ausgelegt. Danach kommt es entscheidend für die Qualifikation eines Rechtsverhältnisses als vertraglich darauf an, ob die von den Parteien abgegebene Verpflichtungserklärung freiwillig abgegeben wurde (EuGH C‑27/02 Janus Versand/Engler Rz 51, C‑77/04 Réunion européenne/Soptrans; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 7 EuGVVO Rz 15; vgl 6 Ob 18/17s [ErwGr 2.3.5.]). Daher ist der Anspruch auf angemessene Barabfindung nach dem GesAusG vertraglicher Natur. Diesfalls ist der Hauptgesellschafter die Verpflichtung zur Zahlung zwar nicht freiwillig eingegangen, jedoch hat er vorher einen freiwilligen Akt gesetzt, der die Grundlage des Anspruchs bildet (Gesellschafterausschluss; Czernich aaO Rz 18; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht [2010] 482 f, 603 ff). Die ausgeschlossenen Gesellschafter können daher nach Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO 2012 (Art 5 Nr 1 lit a LGVÜ 2007) ihren Anspruch am Gericht des Erfüllungsorts einklagen (so auch Eckert aaO 480).

[34] Da ein Fall mit Auslandsbezug vorliegt, ist zu klären, nach welchem materiellen Recht der Erfüllungsort zu bestimmen ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dieser Ort nicht autonom nach Unionsrecht, sondern nach dem auf das streitige Rechtsverhältnis anwendbaren Recht zu bestimmen (EuGH C‑440/97 , Groupe Concorde ua; Eckert aaO 483). Es ist der Ort zu ermitteln, an dem die Verbindlichkeit zu erfüllen wäre (Eckert aaO 484).

[35] Die Rom I‑VO ist nicht anwendbar, weil der Anspruch auf Barabfindung (auch nach dem GesAusG) eine Frage des Gesellschaftsrechts betrifft und somit die Bereichsausnahme nach Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO gilt (Eckert aaO 485). Die gesellschaftsrechtliche Beziehung der Gesellschaft zu ihren Mitgliedern unterliegt dem Personalstatut (2 Ob 1218/30 SZ 12/315 = RS0049344; Eckert aaO 256 mwN). Dem Personalstatut unterliegen auch Rechte, die aus der Mitgliedschaft erwachsen, aber schon selbständig übertragbar sind, wozu auch der Anspruch auf Barabfindung gehört (Eckert aaO 257). Maßgeblich ist daher nach § 10 IPRG das Personalstatut der Gesellschaft, hier somit österreichisches Recht (Eckert aaO 485).

[36] Nach § 907a Abs 1 ABGB, der gemäß § 1503 Abs 2 ABGB im vorliegenden Fall zeitlich anwendbar ist, ist eine Geldschuld am Wohnsitz oder an der Niederlassung des Gläubigers, also hier des ausgeschlossenen Gesellschafters zu erfüllen.

[37] Ein ausgeschlossener Gesellschafter kann daher nach Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO 2012 (Art 5 Nr 1 lit a LGVÜ 2007) die Barabfindung vom im EWR‑Ausland ansässigen Hauptgesellschafter an seinem Wohnsitzgericht einklagen.

[38] 2.4.2.1.2. Hat der Hauptgesellschafter seinen (Wohn-)Sitz im Ausland, aber nicht im EWR, eröffnet sich der Wahlgerichtsstand für Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis gemäß § 92b iVm § 51 Abs 1 Z 6 JN am (inländischen) Sitz der Gesellschaft, wodurch – sofern nicht ausnahmsweise das Völkerrecht (etwa bilaterale Abkommen) dem entgegensteht – auch die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist (§ 27a JN).

[39] Ergänzend sei noch angemerkt, dass überdies in gewissen Konstellationen auch der Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 JN in Betracht kommt (vgl etwa RS0046891; 4 Nd 507/96: Geschäftsanteil des Hauptgesellschafters an der inländischen GmbH ist Vermögen im Inland; für Aktiengesellschaften vgl allerdings RS0117750). Sitzt der nach § 2 Abs 3 GesAusG zu bestellende Treuhänder in Österreich, wäre auch das Treuhandgut (vgl dazu § 2 Abs 3 Satz 5 GesAusG: 50‑prozentiger Aufschlag bei der Bankgarantie, wenn Hauptgesellschafter im Nicht‑EWR‑Ausland sitzt) Vermögen in Österreich, das den Gerichtsstand nach § 99 JN begründete.

[40] 2.4.2.1.3. Der Vorwurf von Vanovac/Löffler, die ausgeschlossenen Gesellschafter seien bei einem im Ausland sitzenden Hauptgesellschafter gezwungen, diesen an dessen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland zu klagen, trifft somit nicht zu.

[41] 2.4.2.2. Überdies wäre den ausgeschlossenen Gesellschaftern mit dem von den Rechtsmittelwerbern begehrten Leistungsausspruch („zugunsten der Inhaber von unter ISIN …. verbrieften Nachbesserungsrechten der Gesellschaft“) nicht gedient: Ein derartiger Leistungstitel entspräche nicht den inhaltlichen Anforderungen an einen Exekutionstitel gemäß § 7 Abs 1 EO, wonach die Exekution nur bewilligt werden darf, wenn aus dem Exekutionstitel nebst der Person des Berechtigten und Verpflichteten auch Gegenstand, Art, Umfang und Zeit der geschuldeten Leistung oder Unterlassung zu entnehmen sind. Die Bezeichnung auch der Person des Berechtigten muss so beschaffen sein, dass schon auf dieser Grundlage dessen Individualisierung möglich ist. Genügt der Exekutionstitel diesen Anforderungen nicht, ist es Sache des betreibenden Gläubigers, im Weg der Titelergänzungsklage nach § 10 EO eine entsprechende Klarstellung zu erlangen (vgl statt vieler Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 7 Rz 12; ausführlich zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Titelergänzungsklage zuletzt etwa 3 Ob 1/20y mwN). Diese Grundsätze gelten auch im Außerstreitverfahren (vgl § 80 AußStrG; 5 Ob 41/09d).

[42] Soweit der Gesetzgeber anlässlich der Einführung des Überprüfungsverfahrens nach § 6 Abs 2 GesAusG in den Materialien (ErläutRV 32 BlgNr 20. GP  104) demgegenüber die Auffassung vertrat, eine Ergänzungsklage nach § 10 EO sei in diesem Fall nur erforderlich, sofern die Berechtigung aus dem Exekutionstitel nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden könne, so bezieht sich dieser Hinweis erkennbar auf § 7 Abs 2 S 2 EO. Die Erwägung nimmt allerdings nicht darauf Bedacht, dass Nachweise mit den Mitteln des § 7 Abs 2 S 2 EO, also durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden, nur in den dort genannten Fällen zum Nachweis der materiellen Vollstreckbarkeit zulässig sind, nicht aber zur Ergänzung eines nicht den Anforderungen des Abs 1 leg cit entsprechenden Exekutionstitels (vgl Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO [33. Lfg 2021] § 7 Rz 109, 125; Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 7 Rz 36).

[43] An der „Titelergänzungsklage“ (auch im Außerstreitverfahren) führte also bei einem Leistungsausspruch zugunsten der „jeweiligen Inhaber“ der verbrieften Nachbesserungsrechte von vornherein kein Weg vorbei.

[44] 2.4.2.3. Abschließend ist noch anzumerken, dass das von Vanovac/Löffler entworfene Szenario von tausenden, die Justiz über Gebühr belastenden Klagen ausgeschlossener Gesellschafter kaum realistisch erscheint: Mit dem rechtskräftigen Entscheid im Barabfindungsverfahren stehen sowohl Grund als auch Höhe des jeweiligen Barabfindungsanspruchs fest. Im Regelfall hat dann aber der Hauptgesellschafter kein Interesse, sich klagen zu lassen, weil – abgesehen von Sonderkonstellationen (etwa eine behauptete strittige Gegenforderung) – sein Unterliegen im Prozess so gut wie feststeht und er sich derart noch zusätzlich mit den Prozesskosten belastete. So meint auch Rüffler (aaO 210), der Hauptgesellschafter werde in der Regel ohne Einklagung zahlen.

[45] Sofern beim Treuhänder noch ein Treuhandgut vorhanden ist (vgl § 2 Abs 3 Satz 5 GesAusG), hat auch dieser keinen Grund, nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung im Barabfindungsverfahren nicht sofort (allenfalls) aliquot auszuzahlen. Eine Verzögerung könnte ihn nämlich zumindest gegenüber dem Hauptgesellschafter wegen der weiterlaufenden Zinsen haftbar machen.

[46] Unter diesen Umständen kann auch von einer (von Vanovac/Löffler angedeuteten)Unzumutbarkeit für die ausgeschlossenen Gesellschafter, notfalls ihren Anspruch (in aller Regel ohnehin in Österreich oder in ihrem Wohnsitzstaat) einzuklagen, keine Rede sein.

[47] 3. Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne (hier: stichhaltige) Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384).

[48] Soweit an der Vorentscheidung 6 Ob 246/20z Kritik betreffend die Zinsenhöhe geübt wurde, sind deren Ausführungen nicht entscheidungsrelevant.

[49] Soweit sich die Kritik von Vanovac/Löffler dagegen richtet, dass im Barabfindungsverfahren kein Exekutionstitel zu schaffen ist, ist sie durch die obigen Ausführungen jedenfalls in den wesentlichen Punkten widerlegt.

[50] Die Voraussetzungen für die Annahme einer gesicherten Rechtsprechung liegen daher durch die Entscheidung 6 Ob 246/20z vor, weshalb die Revisionsrekurse zurückzuweisen waren.

[51] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 letzter Halbsatz AußStrG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte