European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00171.21D.0126.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] Die Betroffene erlitt im Juli 2018 ein Schädel-Hirn-Trauma. Daraufhin regten ihre Kinder D* P*, T* B* und Dr. R* B* jun jeweils die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters an.
[2] Das Erstgericht bestellte für die Betroffene Dr. C* W*, gemäß § 271 ABGB zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter. Sein Wirkungsbereich umfasst die
• Vertretung in Verwaltungsverfahren
• Vertretung in gerichtlichen Verfahren
• Vertretung im Verlassenschaftsverfahren nach ihrem Ehegatten R* B*
• Verwaltung des Einkommens
• Verwaltung des Vermögens
• Verwaltung der Girokonten
• Verwaltung der Sparguthaben und Guthaben in allen anderen Veranlagungsformen
• Vertretung beim Abschluss von Rechtsgeschäften, die über den Umfang bloß alltäglicher Rechtsgeschäfte hinausgehen.
[3] Aufgrund des durchgeführten Verfahrens sei offenkundig, dass die Betroffene ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen könne. Ihre besondere Situation erfordere die Bestellung eines fachkundigen, familienfremden Vertreters. Dr. W* scheine das Vertrauen der Betroffenen und deren Kinder zu genießen und habe sich zur Übernahme des Amtes bereit erklärt.
[4] Das Rekursgericht gab dem ausschließlich gegen die Person des bestellten Erwachsenenvertreters gerichteten Rekurs der Tochter keine Folge. Die Aussagekraft des in der Rekursbeantwortung klar geäußerten Wunsches der Betroffenen auf Bestellung von Dr. W* zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter sei zwar im Hinblick auf ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen beschränkt. Unbestritten bestehe aber ein Vertrauensverhältnis der Betroffenen zu ihrem Erwachsenenvertreter. Eine mögliche Interessenkollision könnte bislang nur in der von der Rekurswerberin dargelegten Situation begründet sein, dass Dr. R* B* jun Schuldner der Betroffenen sein solle. Dieser Umstand alleine bedeute aber nicht, dass der gerichtliche Erwachsenenvertreter seine Funktion nicht unbeeinflusst wahrnehmen könne. Ob und wenn ja, welche Schritte in diesem Zusammenhang für die Betroffene allenfalls gesetzt werden müssen, sei derzeit nicht abschätzbar. Diese Frage werde wohl erst nach Vorliegen eines Statusberichts beantwortet werden können. Inwieweit Dr. W* bei Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen möglicherweise gegen die Interessen eines Dritten (zB eines Kindes) handeln werde müssen und ob er dazu in der Lage sein würde, sei derzeit reine Spekulation.
[5] Dagegen wendet sich der Revisionsrekurs der Tochter mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[6] Die Betroffene beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
[8] 1.1. Gemäß § 127 Abs 1 iVm Abs 3 AußStrG steht bestimmten nächsten Angehörigen (zB volljährigen Kindern), deren Verständigung die betroffene Person nicht abgelehnt hat, gegen den Beschluss über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters im Hinblick auf dessen Person der Rekurs und – aufgrund einer analogen Anwendung dieser Bestimmung – gegen die Entscheidung des Rekursgerichts der Revisionsrekurs (RS0124570 [T1]) zu.
[9] 1.2. Die Rechtsmittellegitimation der nächsten Angehörigen beschränkt sich auf das Vorbringen, die Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters sei nicht im Einklang mit §§ 273, 274 ABGB erfolgt (vgl 6 Ob 70/19s). Der Angehörige kann dabei geltend machen, das Gericht habe sich über die hierarchische Ordnung, die in dieser Bestimmung für das Verhältnis der in Betracht kommenden Personen vorgesehen ist, hinweggesetzt und nicht die am besten geeignete Person bestellt (7 Ob 136/19d; 1 Ob 147/20d). Wenn der Angehörige Rekurs erhebt, so kann dies immer nur im Interesse der betroffenen Person an der Förderung deren Wohls geschehen (6 Ob 70/19s).
[10] 1.3. Die Tochter der Betroffenen macht in ihrem Revisionsrekurs die mangelnde Eignung des bestellten Erwachsenenvertreters wegen einer (behaupteten) Interessenkollision geltend, sodass ihre Rechtsmittellegitimation zu bejahen ist.
[11] 2. Die Auswahl und Bestellung des Erwachsenenvertreters wird in den §§ 273, 274 ABGB geregelt.
[12] 2.1. Nach § 273 Abs 1 ABGB ist auf die Bedürfnisse der volljährigen Person und deren Wünsche, die Eignung des Erwachsenenvertreters und auf die zu besorgenden Angelegenheiten Bedacht zu nehmen. Auch nach dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz besteht für die Betroffene aber kein Recht auf freie Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters. Maßgebend ist allein das Wohl der Betroffenen (RS0132245; RS0048982 [T5]).
[13] 2.2. Bei der Beurteilung der Eignung einer Person zum Erwachsenenvertreter ist auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (RS0048982), wobei zu deren Annahme bereits ein objektiver Tatbestand genügt (RS0048982 [T1]). Bei bestehenden Hinweisen auf Interessengegensätze reicht bereits eine mögliche Interessenkollision, sofern sie auch nur wahrscheinlich ist, um der Eignung eines nahen Angehörigen als Erwachsenenvertreter entgegenzustehen (2 Ob 129/20i; 6 Ob 147/21t; RS0049104 [T9]). Die Möglichkeit einer Interessenkollision ist jedoch bei nicht nahestehenden Personen als Erwachsenenvertreter ebenso ernst zu nehmen (2 Ob 164/16f). Ob eine Interessenkollision zu befürchten ist, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (2 Ob 129/20i; 10 Ob 317/00s).
[14] 2.3. In der Entscheidung 5 Ob 44/06s wurde etwa die Ansicht der Vorinstanzen für vertretbar erachtet, es liege eine Interessenkollision vor, wenn ein Rechtsanwalt, der Rechtsberater und Rechtsvertreter der Eltern ist, gleichzeitig Sachwalter deren Sohnes ist. In der Entscheidung 6 Ob 147/21t wurde die Ansicht des Rekursgerichts, dass angesichts der vehementen Auseinandersetzungen zwischen den Söhnen der Betroffenen eine Interessenkollision zwischen dem jüngeren Sohn und der Betroffenen wahrscheinlich sei und dies auch für die im Bestellungsverfahren einschreitende gewählte rechtsfreundliche Vertreterin der Betroffenen gelte, die gleichzeitig auch den jüngeren Sohn vertrete, für nicht korrekturbedürftig erachtet.
[15] 2.4. Im vorliegenden Fall brachte die Revisionsrekurswerberin vor, es würden innerhalb der Familie massive Streitigkeiten, insbesondere im Zusammenhang mit der R* B* Immobilien AG bestehen, der Sohn Dr. R* B* jun sei bei der Betroffenen schwer verschuldet und der gerichtliche Erwachsenenvertreter habe nicht nur ein Vertrauensverhältnis zur Betroffenen, sondern aufgrund aufrechter Mandate auch zu den Kindern. Damit ist die konkrete Gefahr einer Interessenkollision zwischen den Interessen der Betroffenen und ihrer Kinder evident. Daran vermag auch der Wunsch der Betroffenen in Bezug auf die Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters nichts zu ändern, kommt es doch ausschließlich auf ihr Wohl an.
[16] Da die Vorinstanzen aber keine Feststellungen zu den von der Rechtsmittelwerberin behaupteten Interessenkollisionen getroffen haben, ist das Verfahren ergänzungsbedürftig.
[17] 3. Dem Revisionsrekurs war daher mangels ausreichenden Tatsachensubstrats Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und das Verfahren insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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