European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129691
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Das Erstgericht bestellte dem Betroffenen einen Rechtsanwalt zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für die „Vertretung bei Rechtshandlungen über bestehende Verträge und bei allen neuen Vertragsabschlüssen über das Liegenschaftsvermögen“ betreffend seinen geschlossenen Hof.
Das Rekursgericht wies den gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Ehegattin zurück und gab dem Rekurs des Betroffenen nicht Folge. Es sprach aus, dass mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Gegen diesen Beschluss richten sich die außerordentlichen Revisionsrekurse der Ehegattin und des Betroffenen, die mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen sind.
Zum Revisionsrekurs der Ehegattin:
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 127 Abs 3 AußStrG steht den in Abs 1 leg cit genannten Angehörigen – zu denen die Ehegattin des Betroffenen zählt – gegen den Beschluss über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters „im Hinblick auf die Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters“ der Rekurs (und aufgrund einer analogen Anwendung dieser Bestimmung gegen die Entscheidung des Rekursgerichts der Revisionsrekurs; RIS‑Justiz RS0124570 [T1]) zu. Dass überhaupt ein Erwachsenenvertreter bestellt oder mit welchem Wirkungsbereich dieser betraut wurde, kann von einer solchen Person hingegen nicht angefochten werden. Ihre Rechtsmittellegitimation beschränkt sich im Wesentlichen auf das Vorbringen, die Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters sei nicht im Einklang mit § 274 ABGB erfolgt, weil sich das Gericht über die dort vorgesehene hierarchische Ordnung der auszuwählenden Personen hinweggesetzt und nicht die am Besten geeignete Person bestellt habe (vgl 6 Ob 70/19s; 7 Ob 136/19d; 1 Ob 72/20z = RS0124570 [T2]).
2. Die Ehefrau des Betroffenen strebte im gemeinsam mit diesem erhobenen Rekurs die Einstellung des Erwachsenenschutzverfahrens an, weil sie als gewillkürte Erwachsenenvertreterin tätig sein könne. Zielte ihr Rechtsmittel aber auf das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gesetzliche Erwachsenenvertretung und damit auf die Einstellung des Verfahrens ab, fehlt ihr – wovon das Rekursgericht im Ergebnis zutreffend ausging – die Rekurslegitimation. Wenn im Revisionsrekurs darauf verwiesen wird, dass ihr nach § 127 Abs 3 AußStrG ein (eingeschränktes) Rekursrecht zugestanden wäre, vermag sie nicht darzulegen, dass dem Rekursgericht, das die Rekursausführungen – entsprechend ihrem Wortlaut – als bloße Bekämpfung der Vertreterbestellung „dem Grunde nach“ verstanden hat, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RS0042828 [T3, T13]).
Zum Revisionsrekurs des Betroffenen:
3. Gemäß § 271 ABGB ist einer volljährigen Person von Amts wegen auf ihren Antrag oder von Amts wegen insoweit ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen, als sie bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann (Z 1), sie dafür keinen Vertreter hat (Z 2), sie einen solchen nicht wählen kann oder will (Z 3) und eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt (Z 4).
Die Voraussetzung nach § 271 Z 3 ABGB für die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters betrifft einerseits den Fall, dass die betroffene Person nicht mehr ausreichend entscheidungsfähig ist, andererseits aber auch Situationen, in denen sie zwar (eingeschränkt) entscheidungsfähig ist, aber niemanden hat, der ihr nahesteht, oder nahe stehende Personen die Vertretung nicht übernehmen wollen oder ungeeignet sind oder die volljährige Person selbst keinen Vertreter wählen will (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 43; Zierl/Schweighofer/Wimberger, Erwachsenenschutzrecht2 Rz 470; Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts3 768; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 271 Rz 6).
Ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter ist nur zu bestellen, wenn eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt (§ 271 Z 4 ABGB); die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist also subsidiär zu dieser. Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist gleichsam „ultima ratio“ und kann nur dann angewendet werden, wenn keine der übrigen Vertretungsarten greift. Das entspricht dem Anliegen des Gesetzgebers, die Sachwalterschaft so weit wie möglich zurückzudrängen (3 Ob 148/19i [4.3.2.] mwN). Von § 271 Z 4 ABGB betroffen sind Fälle, in denen eine gesetzliche Erwachsenenvertretung deshalb nicht in Betracht kommt, weil keine oder nur ungeeignete Angehörige vorhanden oder ein Widerspruch der volljährigen Person vorliegt (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 43; Zierl/Schweighofer/Wimberger aaO; Barth/Ganner aaO).
Der Betroffene leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung, die zur Entscheidungsschwäche und Suggestibilität führt, wobei er vor allem von seiner Ehefrau emotional abhängig und nicht in der Lage ist, einen eigenen Willen, geleitet von seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen, in Bezug auf sein Liegenschaftsvermögen zu bilden. Der Betroffene ist im Hinblick auf das Liegenschaftsvermögen nicht in der Lage, einen eigenen Willen in Bezug auf die Auswahl und Beauftragung eines Vertreters zu bilden und diesen entsprechend zu instruieren. Nach der Beurteilung des Rekursgerichts ist er nicht in der Lage, einen Erwachsenenvertreter zu wählen. Er sei von seiner Ehegattin emotional abhängig; gerade auch die Beeinflussung durch sie führe zu massiven Streitigkeiten innerhalb der Familie im Zusammenhang mit dem Schicksal des Hofs, sodass ihre gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht komme. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.
4. Gemäß § 272 Abs 1 ABGB darf ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter nur für einzelne oder Arten von gegenwärtig zu besorgenden oder bestimmt zu bezeichnenden Angelegenheiten bestellt werden. Nach Erledigung der übertragenen Angelegenheiten ist die gerichtliche Erwachsenenvertretung einzuschränken oder zu beenden. Darauf hat der Erwachsenenvertreter unverzüglich bei Gericht hinzuwirken (§ 272 Abs 2 ABGB).
Der Betroffene ist aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage, die rechtlichen und vertraglichen Angelegenheiten seiner Landwirtschaft ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. In dieser Hinsicht besteht auch keine ausreichende familiäre oder anderweitige, geeignete Unterstützung. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass in Bezug auf die Vertretung bei Rechtshandlungen über bestehende Verträge und bei allen neuen Vertragsabschlüssen über das bestimmt bezeichnete Liegenschaftsvermögen des Betroffenen die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für diesen Wirkungsbereich erforderlich und notwendig ist, ist nicht korrekturbedürftig.
5. Ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (oder Rechtsanwaltsanwärter) ist nach § 274 Abs 5 ABGB vor allem dann zu bestellen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein Erwachsenenschutzverein vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Erwachsenenvertretung verbunden sind. Bei der Beurteilung, ob Angelegenheiten zu besorgen sind, für die vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, kommt dem Gericht stets ein Ermessensspielraum zu (RS0117452 [T2]). Im Mittelpunkt der Entscheidung über die Auswahl des Erwachsenenvertreters steht das Wohl der betroffenen Person (RS0123297; 7 Ob 6/19m mwN).
Wenn es die Vorinstanzen im Hinblick auf den festgelegten Wirkungsbereich für sinnvoll erachteten, für ihn einen Rechtsanwalt zum Erwachsenenvertreter zu bestellen, haben sie den ihnen eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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