OGH 8ObA66/21w

OGH8ObA66/21w22.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Ewald Hannes Grabner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei T* GmbH, *, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, wegen 107.400 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2021, GZ 10 Ra 32/21f‑44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133434

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der als Mitfahrer bei Sonder- bzw Gefahrenguttransporten eingesetzte Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 22. 6. 2017 schwerste Verletzungen, als ein von ihm abgeladenes Kunststofffass, das mit diversen Spraydosen und Feuerzeugen befüllt war, explodierte.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Gemäß § 333 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat („Dienstgeberhaftungsprivileg“).

[3] Vorsatz im Sinn des § 333 ASVG ist gleichbedeutend mit „böser Absicht“, die nach § 1294 ABGB nur gegeben ist, wenn der Schaden widerrechtlich mit Wissen und Willen des Schädigers verursacht worden ist. Der Vorsatz muss Eintritt und Umfang des Schadens umfassen (RIS‑Justiz RS0085680 [T3]). Zwar genügt bedingter Vorsatz. Es reicht jedoch nicht aus, wenn zB vorsätzlich Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten werden, solange nicht auch der Schadenseintritt vom Vorsatz umfasst ist (9 ObA 16/05a; 9 ObA 4/14z). Voraussetzung ist darüber hinaus, dass der Dienstgeber selbst vorsätzlich gehandelt hat. Eine Zurechnung des Verhaltens eines Dritten (etwa eines Erfüllungsgehilfen) scheidet somit auch dann aus, wenn dieser vorsätzlich gehandelt hat (9 ObA 4/14z).

[4] 2. Ausgehend von dieser Rechtslage verneinten die Vorinstanzen mangels Vorliegens der geforderten „bösen Absicht“ eine Haftung der beklagten Dienstgeberin für die Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers.

[5] Mit der Ansicht, der Vorsatz müsse sich, wenn es sich um die Übertretung eines Schutzgesetzes handle, nur auf den Verstoß gegen die Norm beziehen, der Vorsatz müsse nicht auch den Eintritt oder den Umfang des Schadens erfassen, setzt sich der Revisionswerber in Widerspruch zu der zitierten Rechtsprechung.

[6] Darüber hinaus lässt er auch im Unklaren, wer hier gegen welches konkrete Schutzgesetz wenigstens bedingt vorsätzlich verstoßen haben soll:

[7] Nach den bindenden Feststellungen gingen die Leiterin der Abteilung Labor und Problemstoffsammlung und der Leiter der zentralen Problemstoffsammelstelle (unter anderem aufgrund eines Gutachtens der Nebenintervenientin) irrig davon aus, dass bei Druckgaspackungen oben in den Fässern Löcher zum Entweichen des Überdrucks vorhanden sein müssten, bei der Lagerung keine explosionsgefährlichen Atmosphären entstehen könnten und deshalb ein Transport entsprechend dem ADR gegeben sei. Tatsächlich wäre nach dem vom Erstgericht zum Bestandteil der Feststellungen erklärten Sachverständigengutachten ./A eine bodennahe Entlüftung der Fässer notwendig gewesen, weil ein am Boden geschlossenes Kunststofffass den Aufbau eines explosionsgefährdeten Bereichs technisch nicht verhindern kann, da die Brennstoffe schwerer als Luft sind, egal wie viele Löcher im Bereich der Verdeckelung angebracht sind. Zwar schreiben die einschlägigen Vorschriften (insbesondere die PP 87) eine ausreichende Belüftung vor, um die Bildung einer entzündbaren Atmosphäre und einen Druckaufbau in den Verpackungen zu verhindern. Allerdings fehlt es an näheren Vorgaben, auf welche Art und Weise diese Belüftung zu bewerkstelligen ist.

[8] Worin angesichts dieser Feststellungen der Vorsatz der Beklagten bzw „ihrer verantwortlichen Mitarbeiter“ in Bezug auf die Übertretung eines Schutzgesetzes liegen soll, zeigt der Kläger nicht auf.

[9] 3. Soweit der Kläger damit argumentiert, dass die konkrete Belüftung überhaupt nur aus einem einzigen und nicht – wie von der Gesamtverantwortlichen für die Problemstoffsammlung vorgesehen – mehreren Löchern im Deckel bestanden hat, ist er auch auf die Feststellung zu verweisen, dass auch mehrere Löcher im Deckel unzureichend gewesen wären, sodass es insoweit auch an der Schadenskausalität dieses Umstands fehlt. Dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen wissentlich ein unzureichend belüftetes Fass verwendet hätten bzw verwenden hätten lassen, wie der Kläger meint, gibt es überdies keinerlei Anhaltspunkte.

[10] 4. Feststellungsmängel „unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen“ können schon deshalb nicht vorliegen, weil das Erstgericht das gesamte Sachverständigengutachten zum Bestandteil der Feststellungen erklärt hat. Auch daraus vermag der Kläger kein vorsätzliches Handeln der Beklagten bzw der für sie handelnden Personen abzuleiten.

[11] 5. Im Übrigen rügt der Kläger die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil sich das Berufungsgericht nicht ausreichend mit seiner Beweis- und Mängelrüge auseinandergesetzt habe. Damit versucht der Kläger allerdings nur in dritter Instanz unzulässigerweise die Feststellungen zu bekämpfen, dass niemand bei der Beklagten den Eintritt eines Unfalls wie den gegenständlichen für möglich hielt und sich mit dem Eintritt eines derartigen Unfalls abfand. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist schon dann mängelfrei, wenn es – wie hier – dazu nachvollziehbare Überlegungen anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS‑Justiz RS0043150 ua).

[12] 6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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