OGH 4Ob134/21s

OGH4Ob134/21s21.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Gemeinde F*****, vertreten durch Dr. Michael Ruhdorfer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beklagten H***** N*****, vertreten durch Dr. Christof Herzog, Rechtsanwalt in Feldkirchen, wegen Feststellung, Unterlassung und Einverleibung (Gesamtstreitwert 8.000 EUR), über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 21. April 2021, GZ 1 R 44/21x‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00134.21S.1021.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte ist grundbücherlicher Alleineigentümer von Waldgrundstücken, über die ein Wanderweg führt, der zumindest seit den 1960er Jahren von Gemeindeangehörigen der Klägerin und Touristen benutzt wird. Weder der Beklagte noch dessen Rechtsvorgänger untersagten dies. Im Jahr 2011 ließ der Beklagte im Bereich der Grenze seiner Grundstücke zum öffentlichen Gut quer zum Wanderweg eine Eisenkette anbringen, die das Bewandern des Weges allerdings nicht nachhaltig behindert: In der Natur hat sich durch die häufige Nutzung ein Steig gebildet, der links und rechts an der Kette vorbei zur Wegtrasse zurückführt. Etwa im Jahr 2018 lagerte der Beklagte Holz und Gras hinter diese Absperrung und entfernte die von der Klägerin angebrachten Hinweisschilder und Markierungen.

[2] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Dienstbarkeit eines Wanderwegs, deren grundbücherliche Einverleibung und die Unterlassung des Entfernens von Wandermarkierungen und ‑beschilderungen. Ihre Gemeindebürger und Touristen hätten seit mehr als vier Jahrzehnten den Weg unbeanstandet zum Wandern benutzt. Die Maßnahmen des Beklagten hätten nur das Befahren, nicht aber das Bewandern des Weges verhindert.

[3] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, durch seine Absperrung habe er sich seit 2011 der Nutzung durch die Öffentlichkeit widersetzt; ein allfälliges Wegerecht sei daher erloschen. Der Klägerin fehle auch die Aktivlegitimation, zumal eines der betroffenen Grundstücke in der Nachbargemeinde gelegen sei.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Durch die ununterbrochene und unbeanstandete Nutzung des Weges über mehr als 40 Jahre zum Wandern sei die Dienstbarkeit ersessen worden. Das Anbringen der Eisenkette habe nur das Befahren des Wanderwegs, nicht aber das Wandern verhindert.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Eine Freiheitsersitzung durch den Beklagten habe nicht stattgefunden, da er kein beträchtliches Hindernis errichtet habe.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Beklagte beantragt mit seiner außerordentlichen Revision, die Klage abzuweisen, zeigt aber keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

[7] 1.1. Die Freiheitsersitzung ist ein Fall der Verjährung (RIS‑Justiz RS0034333). Sie erfolgt durch die Inanspruchnahme des Vollrechts durch den Eigentümer (Besitzer) der belasteten Liegenschaft in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts (RS0034288). Eine solche Beeinträchtigung einer Wegeservitut liegt regelmäßig in der Widersetzlichkeit des Dienstbarkeitsbelasteten (RS0034271) dadurch, dass dieser ein (wenngleich nicht unüberwindliches, so doch) die Servitutsausübung beträchtlich beeinträchtigendes Hindernis errichtet, das die ungehinderte Benützung des Dienstbarkeitswegs auf gewöhnliche und allgemein übliche Art unmöglich macht (RS0034309 [T6]; RS0034271 [T11]; RS0037141 [T1]). Ein letztlich erfolglos gebliebenes Widerstreben des Verpflichteten führt nicht zum Rechtsverlust (RS0034271 [T4, T6]; RS0034241 [T3]). Die Frage, ob sich der Belastete der Ausübung einer Servitut im Sinn des § 1488 ABGB widersetzt hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0034288 [T2]; RS0034241 [T9]; 4 Ob 184/19s).

[8] 1.2. Eine solche wird in der Revision nicht aufgezeigt. Es trifft zwar zu, dass die Errichtung eines der zuvor zitierten Rechtsprechung entsprechenden Hindernisses die Freiheitsersitzung auch dann weiterlaufen lässt, wenn es von den Berechtigten durch rechtswidriges Betreten des Nachbargrundes oder Überklettern eines Zaunes umgangen wird (3 Ob 631/79; 4 Ob 501/89 mwN). Dass die Wanderer hier Nachbargrund betreten hätten, ist aber nicht festgestellt. Auch ist der vorliegende Fall nicht mit dem Überklettern eines Zaunes vergleichbar, denn die vom Beklagten gespannte Kette konnte von den Wanderern auf einfachste Weise überstiegen oder links und rechts umgangen werden, sodass sich an den entsprechenden Stellen sogar bereits Trassen gebildet hatten. Damit entspricht der Sachverhalt im Wesentlichen jenem der – ebenfalls eine Freiheitsersitzung von einer Gemeindedienstbarkeit betreffenden – Entscheidung 2 Ob 232/01h, in der die Freiheitsersitzung abgelehnt wurde.

[9] 1.3. Auch die Bezugnahme der Revision auf die Feststellungen, wonach der Beklagte Holzablagerungen hinter der Kette vornahm und die Hinweisschilder der Klägerin entfernte, erfordert keine Korrektur der Vorinstanzen durch gegenteilige Sachentscheidung. Diese Arbeiten ließ der Beklagte nämlich erst 2018 durchführen, während die Klage bereits im Jahr 2020 eingebracht wurde. Die dreijährige Frist des § 1488 ABGB wurde damit nicht erreicht.

[10] 2.1. Die Revision argumentiert, die „begehrte“ Dienstbarkeit sei für niemanden vorteilhaft „und schikanös“, weil der Weg „als Sackgasse“ mitten im Wald ende und keine Anbindung zu anderen Wanderwegen bzw ‑zielen bestehe. Das Erstgericht habe es unterlassen, dazu Feststellungen zu treffen.

[11] 2.2. Das ist unzutreffend. Das Erstgericht hat dazu sehr wohl Feststellungen getroffen, die Revision weicht jedoch von ihnen ab, sodass das Rechtsmittel insoweit nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt ist (vgl RS0069246 [T6]). Denn das Erstgericht stellte unbekämpft fest, dass der Weg als Anbindung zu diversen Gasthäusern und auch zur Anhöhe „S*****“ dient. Im Übrigen genügt es nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die Ersitzung einer Wegedienstbarkeit durch eine Gemeinde, wenn der Weg vom Publikum offenkundig zum allgemeinen Vorteil benützt wird. An die Notwendigkeit (vgl RS0011538 [T2]) sind keine strengen Anforderungen zu stellen; sie ist nicht mit Unentbehrlichkeit gleichzusetzen (RS0010120 [T3, T4, T7]). Für die Ersitzung von Wegedienstbarkeiten durch Gemeinden mit bedeutendem Fremdenverkehr genügt für das Erfordernis der Notwendigkeit eines Weges für die Allgemeinheit der Bedarf nach geeigneten Wanderwegen in ausreichender Zahl (RS0010120 [T9]; 9 Ob 16/15s mwN).

[12] 3.1. Für die Ersitzung eines Wegerechts zugunsten einer Gemeinde ist Besitzwille dieser Gemeinde erforderlich, der nach ständiger Rechtsprechung dann vermutet wird, wenn Gemeindeangehörige und/oder Touristen den Weg so benützen, als handelte es sich um einen öffentlichen Weg (RS0011698; 9 Ob 122/06s mwN). Es genügt, dass alle nach der räumlichen Nähe in Betracht kommenden Personen den Weg offenkundig zum allgemeinen Vorteil benutzen (RS0010120 [T6, T8]).

[13] 3.2. Dies ist hier hinsichtlich des (jedenfalls zum Teil auf Gemeindegebiet verlaufenden) Weges nach den Feststellungen gegeben. Die in der Revision vertretene Ansicht, der Klägerin fehle für den anderen Wegteil die Aktivlegitimation, geht möglicherweise davon aus, ein diesbezüglicher Besitzwille der klagenden Gemeinde sei nicht gegeben. Damit übergeht sie aber einerseits die Feststellung, dass sich die Klägerin durch ihre Bedienstete jahrelang um die Erhaltung des Weges kümmerte und Schilder anbringen ließ (vgl RS0118987); zum anderen lässt sie es bei einer bloßen Rechtsbehauptung bewenden. Zur Begründung ihres Standpunkts, der Klägerin fehle teilweise die Aktivlegitimation, verweist der Revisionswerber ausschließlich auf eine angeblich bestehende „herrschende Rechtsansicht“ und „gesicherte Rechtsprechung“, unterlässt es aber, diese zu benennen. Insoweit ist das Rechtsmittel daher ebenfalls nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt (RS0043650 [T1, T3]; RS0043654 [T5]).

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