OGH 4Ob170/21k

OGH4Ob170/21k21.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** S*****, vertreten durch Dr. Alexander Bosio, Rechtsanwalt in Zell am See, gegen die Beklagten 1. A***** D*****, und 2. E*****D***** beide *****, vertreten durch die Berger Daichendt Grobovschek Perfeller Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Entfernung, Wiederherstellung und Unterlassung (Gesamtstreitwert 8.500 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht vom 18. August 2021, GZ 22 R 174/21y‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00170.21K.1021.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revisionwird gemäߧ 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Alleineigentümer einer Liegenschaft, die an die Liegenschaft der Beklagten grenzt.

[2] Im Grenzbereich zwischen den Grundstücken wurde von E***** D***** (= Vater des Erstbeklagten und Bruder der Zweitbeklagten) ein Eisenzaun errichtet. Dieser befindet sich zum Teil auf dem Grundstück des Klägers. Ein Eisensteher und zwei Eisendorne des Zauns sind zwei cm, fünf cm bzw neun cm auf dem Grundstück des Klägers. Die drei bedeckten Betonfundamente an den Eisendornen bzw am Eisensteher befinden sich unterirdisch ungefähr 10 cm bis 20 cm auf dem Grundstück des Klägers.

[3] Der vom Zaun betroffene Teil des klägerischen Grundstücks dient als Zugangsweg zu den (meist vermieteten) Wohneinheiten im Haus des Klägers. Die engste Stelle zwischen dem Haus und der Grenze ist 1,44 m breit. Vom Kläger ist beabsichtigt, den Zugangsweg zu pflastern. Der Grenzverlauf ist in der Natur gut ersichtlich; die maßgeblichen Grenzpunkte sind mit einem lackierten Eisenrohr bzw einem Asphaltnagel markiert.

[4] Bereits nach Beginn der Errichtung des Zaunes wies der Kläger die Beklagten und E***** D***** darauf hin, dass sich die Steher und das Fundament auf seinem Grundstück befänden und forderte (auch schriftlich) die Entfernung. Dessen ungeachtet errichtete E***** D***** in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren nach den ersten Maßnahmen entlang der Grenze ein Eisengatter, das er an dem Steher befestigte und auf die dem Beklagtengrundstück zugewandten Eisendorne aufsteckte.

[5] Der Kläger begehrt die Entfernung der auf seiner Liegenschaft errichteten Zaunteile und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Weiters stellt er ein Unterlassungsbegehren. Die Klage wurde ca acht Jahre nach dem Beginn der Errichtung des Zauns eingebracht.

[6] Die Beklagten wandten – für das drittinstanzliche Verfahren noch von Relevanz – schikanöse Rechtsausübung ein.Die Klagsführung habe für den Kläger keinen „Mehrwert“, sondern sei bloß eine „Retourkutsche“ dafür, dass die Beklagten einen beabsichtigten Bau des Klägers auf seiner Liegenschaft aufgrund des unzulässigen Unterschreitens des gesetzlichen Mindestabstands verhindert hätten.

[7] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. In Anknüpfung an den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang wurde eine missbräuchliche Rechtsausübung verneint. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[8] In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[9] 1. Das Recht des Grundstückseigentümers wird durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt (RIS‑Justiz RS0010395). Rechtsmissbrauch (Schikane) ist nicht erst dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund steht und andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, oder wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (RS0026265; RS0025230). Im Allgemeinen geben selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil diesem grundsätzlich zugestanden werden kann, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0026205 [T9]; RS0026271 [T26]).

[10] 2. Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ist grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0110900; RS0025230 [T9]; RS0026265 [T3, T12]).

[11] 3. Dem angefochtenen Urteil haftet keine zu korrigierende krasse Fehlbeurteilung an, die die Zulässigkeit des Rechtsmittels stützen könnte (RS0110900 [T2]). Die Frage der rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung wurde vom Berufungsgericht jedenfalls vertretbar verneint.

[12] 3.1 Das Berufungsgericht wies darauf hin, dass der Kläger die Entfernung des Zauns unmittelbar nach dem Beginn seiner Errichtung gefordert habe, der Zaun dennoch danach weiter errichtet worden sei. Dass der Kläger nicht sofort zur Klagsführung geschritten sei, sondern etwa acht Jahre zuwartete, lasse noch nicht auf ein unlauteres Motiv des Klägers schließen. Ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands liege nicht vor, weil der Zaun trotz des in der Natur leicht ersichtlichen Grenzverlaufs und trotz der Entfernungsaufforderungen des Klägers einfach eigenmächtig unter Inanspruchnahme des Grundstücks des Klägers errichtet bzw fertiggestellt worden sei. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Zurückversetzung sämtlicher Zaunteile auf das Grundstück der Beklagten einen derart erheblichen Aufwand erfordere, dass von einem ganz krassen Missverhältnis zwischen den vom Kläger verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen der Beklagten auszugehen wäre. Die für die schikanöse Rechtsausübung beweispflichtigen Beklagten hätten auch nicht nachweisen können, dass der Kläger bei der geplanten Pflasterung seines Zugangswegs durch die Betonfundamente nicht beeinträchtigt wird. Seine Klagsführung könne auch dazu dienen, eine Servitutsersitzung zu verhindern, die wegen der räumlich äußerst beengten Verhältnisse und der nunmehr erforderlichen Neuplanung der Sanierung des Gebäudes des Klägers vermieden werden soll.

[13] 3.2 Das Rechtsmittel kann keine Fehlbeurteilung aufzeigen, die zur Wahrung der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifen wäre.

[14] 3.2.1 Insbesondere fehlen nähere Argumente zur Frage, ob eine Entfernung des Überbaus und die Wiederherstellung des vorherigen Zustands die Interessen der Beklagten unverhältnismäßig beeinträchtigen, sodass nicht geprüft werden kann, ob zwischen den vom Kläger verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen der Beklagten ein krasses Missverhältnis besteht.

[15] 3.2.2 Mit dem Hinweis, dass der Kläger mehrere Jahre untätig geblieben sei, können die Rechtsmittelwerber nicht begründen, dass deshalb eine Schädigungsabsicht als einziger oder überwiegender Grund der Rechtsausübung vorliege. Sie blenden nämlich die Negativfeststellung aus, wonach nicht feststeht, ob sie der Kläger auch in den letzten Jahren zum Entfernen des Zauns immer wieder aufgefordert habe. Diese Negativfeststellung geht zu Lasten der hier beweispflichtigen Beklagten, die sich auf Schikane gestützt haben (RS0026205; RS0038599 [T3]; RS0025230 [T8]; RS0026271 [T21, T26]).

[16] 3.2.3 Auch zur Frage, ob der Zaun den Kläger bei der geplanten Errichtung des Zugangswegs beeinträchtige, liegt nur eine Negativfeststellung vor. Es deckt sich mit der aufgezeigten Rechtsprechung zur Beweislast, wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass auch dieses non liquet zu Lasten der Beklagten geht.

[17] 3.2.4 Der Umstand, dass eine bloß geringe Fläche vom Überbau betroffen sei, reicht allein noch nicht aus, um schon deshalb Schikane zu bejahen (vgl zuletzt 5 Ob 231/20m mwN). Der Oberste Gerichtshof hat zwar mehrfach ausgesprochen, dass bei einem geringfügigen Grenzüberbau der Schikaneeinwand des Bauführers berechtigt sein kann, was allerdings voraussetzt, dass eine Verhaltensweise des Grundnachbarn vorliegt, die weit überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt, und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt (RS0115858). Dass im Anlassfall das Vorliegen einer derartigen Verhaltensweise des Klägers vom Berufungsgericht ua auch deshalb verneint wurde, weil der Überbau den Kläger bei der Nutzung seiner Liegenschaft (ua wegen der beengten Verhältnisse) einschränkt und dieser von den Beklagten die Entfernung vorzeitig bzw ohne Verzug gefordert hat, bedarf keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

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