OGH 9ObA93/21y

OGH9ObA93/21y28.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei A* K*, vertreten durch Dr. Markus Fidler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U*, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 2021, GZ 10 Ra 33/21b‑37, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 10. November 2020, GZ 25 Cga 90/19s‑32, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133115

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Urteile, die im Umfang der Abweisung des zu 9 Cga 57/20x des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien erhobenen Klagebegehrens auf Rechtsunwirksamkeitserklärung der Entlassung bestätigt werden, werden im Übrigen (Klagebegehren zu 25 Cga 90/19s des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien) aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der am * 1968 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 1. 3. 2004 als Gartenarbeiter im * beschäftigt. Er zählt mit einem Grad der Behinderung von 70 % aufgrund einer angeborenen Herabsetzung der geistigen Leistungsfähigkeit mittleren Grades, cerebraler Anfälle und einer Schielschwachsichtigkeit mit Sehverminderung zum Kreis der begünstigten Behinderten nach dem Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG). Der Kläger unterliegt ex contractu dem Angestelltengesetz.

[2] Im Jahr 2018 verweigerte der Kläger zunehmend die ihm von seinem Vorgesetzten T* B* aufgetragenen Arbeiten, sodass dieser im November 2018 seine Vorgesetztenfunktion gegenüber dem Kläger an den übergeordneten Vorgesetzten DI F* S*, dessen Vertreter A* S* war, abgab. Da der Kläger in der Folge meinte, er habe Blackouts und könne nicht gut sehen, zog DI F* S* den Kläger vom Rasenmähen und den Portiersdiensten ab und initiierte eine Stellungnahme bei der Arbeitsmedizinerin der Beklagten. Diese stammt von Dezember 2018 und lautete auszugsweise wie folgt:

Seit 6 Jahren verrichtet der Mitarbeiter u.a. folgende Tätigkeiten: Küchendienst (Instandhaltung der Küche und anliegender Räumlichkeiten); zwei‑ bis dreimal in der Woche Portierdienst; unterstützende Arbeiten und Hilfstätigkeiten bei der Pflege der Grünflächen sowie der allgemeinen Flächen um das EPA-Gebäude, hier erhält Herr K* bei Bedarf Hilfe….

Empfehlungen für den Einsatz von Herrn K * aufgrund von behinderungsbedingten Einschränkungen:

Arbeitseinteilung und Formulierung der Arbeitsaufgaben/psychische Belastbarkeit:

• Die Übermittlung von präzisen Arbeitsanweisungen sollte am besten persönlich erfolgen; klare Formulierungen sind notwendig.

• Es können maximal fünf Arbeitsanweisungen auf einmal übermittelt werden, der Mitarbeiter kann sich mehrere Aufgaben nicht merken; bei Kritik der Arbeitsqualität oder bei fehlender Ausführung fühlt dieser sich unfair behandelt, unverstanden.

• Eine Vorausplanung der Tätigkeiten und Aufgaben ist notwendig.

• Die Vermeidung von Druck jeglicher Art, zB durch für den Mitarbeiter unverständliche Formulierungen, Aussagen und Beschuldigungen; diese verursachen Orientierungslosigkeit.

• Ein forciertes Arbeitstempo ist nicht möglich.

• Tätigkeiten mit ständig wechselnden Bezugspersonen sowie wechselnden Arbeitskolleginnen wirken sich negativ auf die Arbeitsleistung aus …

• Bei sämtlichen beruflichen Tätigkeiten sollte auf eine gewisse Regelmäßigkeit geachtet werden – trägt zur Stabilisierung der Grunderkrankung bei.

• Geregelte und gleichbleibende Arbeitszeiten sind erforderlich.

Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen würde die arbeitspsychologische Betreuung der U * eine erhebliche Unterstützung darstellen. …

Es ist empfehlenswert, die oben erwähnte Art der Kommunikation mit dem Mitarbeiter zu beachten sowie die zugewiesene Arbeit unter diesen Aspekten einzuteilen.

 

[3] DI F* S* war bemüht, die Empfehlungen der Arbeitsmedizinerin umzusetzen. Allerdings wurde die arbeitsmedizinische Stellungnahme von T* B* und DI F* S* unterschiedlich interpretiert. Dies war auch dem Kläger bekannt, der damit nur schwer umgehen konnte. In einem Gespräch Anfang Mai 2019 wurde dem Kläger ua von DI F* S* die Idee der Arbeitsassistenz über die Wiener Integrationswerkstatt dargelegt. Der Kläger reagierte darauf jedoch eher ablehnend.

[4] Ab Mai 2019 war der Kläger öfter krank und auch auf Urlaub. Bei Wiederantritt der Arbeit am 12. 9. 2019 kam er verschiedenen Anweisungen seines Vorgesetzten A* S* nicht nach, weil er diesen nicht als seinen Vorgesetzten akzeptierte. Am 1. 10. 2019 kam es daher im Büro von DI F* S* im Beisein des Betriebsrats zu einem Gespräch mit dem Kläger. DI F* S*erklärte dem Kläger, dass es nicht ginge, dass er Anweisungen der Vorgesetzten nicht befolge und insbesondere A* S* nicht als Vorgesetzten akzeptiere. Der Kläger meinte dazu, er müsse sich von A* S* nichts sagen lassen, dieser sei der Gewächshausleiter. Er wisse, was er zu tun habe und er mache die Reinigungsarbeit nicht. Der Kläger wurde laut und beschuldigte DI F* S*, er würde ihm schlecht nachreden und ihm Schlechtes wollen. Mehrfach wiederholte er, dass er ihn vor dem Arbeitsgericht verklagen würde. DI F* S* überreichte dem Kläger eine schriftliche Verwarnung, die der Kläger entgegen nahm, aber sie wieder zurück warf. Letztlich stand der Kläger auf und verließ den Raum, indem er die Tür zuschmiss.

[5] Nach dem Gespräch sagte der Kläger im Aufenthaltsraum zu einem Arbeitskollegen: „Am Liebsten ginge ich jetzt rauf und erschieße ihn.“ Für seinen Arbeitskollegen war klar, dass er damit DI F* S* meinte. Dem Hinweis seines Arbeitskollegen,er könne das so nicht sagen, das sei ja eine Morddrohung, entgegnete der Kläger: „Es ist halt so, am Liebsten ginge ich rauf und würde ihn erschießen.“ Diese Äußerung wurde auch von einem weiteren Arbeitskollegen wahrgenommen. Das über Anzeige des DI F* S* gegen den Kläger eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Drohung wurde eingestellt.

[6] Die Beklagte sprach am 3. 10. 2019 die Entlassung des Klägers aus. Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme zur Entlassung ab. Im Schlichtungsverfahren vor dem Sozialministeriumservice Wien konnte keine Einigung erzielt werden.

[7] Grund für die Entlassungsentscheidung der Beklagten war nicht das Einfordern der Überstundenauszahlung und auch nicht die Behinderteneigenschaft des Klägers, sondern der Vorfall vom 1. 10. 2019 und die Unmöglichkeit, mit dem Kläger weiter zu arbeiten.

[8] Beim Kläger findet sich lebensbegleitend und handlungsbestimmend eine Gemengelage von hochrelevanten schwerwiegenden neuropsychiatrischen Krankheitsgeschehen. Aufgrund der organischen Wesensänderung in Kombination mit der Intelligenzminderung hat er nicht die Ressourcen, seine Affekte zu zügeln und damit gedeihlich umzugehen. Aufgrund der für ihn so erlebten Belastungssituation am 1. 10. 2019, die den Höhepunkt einer ungünstigen Entwicklung davor darstellte, konnte er seine Impulse nicht steuern. Bei der zweimaligen Äußerung gegenüber Kollegen am Arbeitsplatz, dass er seinen Vorgesetzten am Liebsten erschießen würde, konnte er die Tragweite seines Verhaltens nicht erkennen und hat sie auch nicht erkannt. Vielmehr stellt seine Äußerung eine Art primitiver Reaktionsreflex dar.

[9] Der Kläger begehrt mit seinen zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbundenen Klagen (25 Cga 90/19s und 9 Cga 57/20x) die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 3. 10. 2019 hinaus, in eventu (und als Hauptbegehren im Verfahren 9 Cga 57/20x), dass die von der Beklagten am 3. 10. 2019 ausgesprochene Entlassung für rechtsunwirksam erklärt werde. Die Entlassung sei unberechtigt erfolgt. Da er als begünstigter Behinderter keinen Entlassungsgrund gesetzt habe, werde die Entlassung wegen eines unzulässigen Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG (Forderung auf Zahlung von Überstundenentgelt) und wegen Sozialwidrigkeit angefochten. Letztlich beruhe die Entlassung auf seiner Behinderung.

[10] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Entlassung des Klägers berechtigt erfolgt sei. Die zweimal hintereinander gegenüber einem Kollegen am Arbeitsplatz erklärten Drohungen des Klägers, seinen direkten Vorgesetzten am Liebsten zu erschießen, seien nicht als bloße milieubedingte Unmutsäußerung abzutun, sondern im Kontext einer vorbelasteten Arbeitsbeziehung mit dem Kläger zu sehen, der zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten auch am Arbeitsplatz neige und in dieser Hinsicht für die Beklagte unberechenbar geworden sei. Der Kläger habe dadurch auch seine Dienstpflichten gröblich verletzt und ein für die Interessen der Beklagten abträgliches Verhalten gesetzt. Zudem habe der Kläger regelmäßig Arbeitsanweisungen verweigert und auf Kritik uneinsichtig und aggressiv reagiert. Es bestehe keine Möglichkeit, den Kläger so einzusetzen, dass er mit anderen Personen keinen Kontakt habe oder weisungsfrei gestellt werde. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei für die Beklagte nicht zumutbar. Grund für die Entlassung sei weder die Geltendmachung von Überstundenentgelt noch die Behinderung des Klägers gewesen, sondern dessen Verhalten gegenüber seinem Vorgesetzten und die ausgesprochene Drohung.

[11] Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab. Da dem Kläger das Unrecht seines Handelns nicht bewusst gewesen sei, seien die Entlassungstatbestände des § 27 Z 1 (Vertrauensunwürdigkeit), Z 4 (beharrliche Dienstverweigerung) und Z 6 AngG (Tätlichkeiten/Ehrbeleidigungen), welche ein schuldhaftes Verhalten voraussetzen würden, nicht vorgelegen. Allerdings sei der Entlassungsgrund der Arbeitsunfähigkeit nach § 27 Z 2 AngG oder ein sinngemäß im Gesetz nicht explizit genannter Entlassungsgrund verwirklicht. Der Klägersei am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr arbeitsfähig. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei der Beklagten spätestens durch den Vorfall vom 1. 10. 2019 nicht mehr zumutbar. Die Entlassung sei nicht wegen der Behinderung des Klägers erfolgt, sondern wegen seines Verhaltens, weshalb die Anfechtung auch nicht auf das Diskriminierungsverbot des BEinstG gestützt werden könne.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass die Entlassung des Klägers zu Recht erfolgt sei. Bei einem begünstigten Behinderten stelle die bloße Unfähigkeit zur Verrichtung der geschuldeten Arbeit nach § 8 Abs 4 lit b BEinstG (lediglich) einen Kündigungsgrund dar. Wenn aber der begünstigte Behinderte – wie hier der Kläger – aufgrund seiner mangelnden Leistungsfähigkeit, unabhängig davon, ob diese aus der Behinderung resultiere, am allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr arbeitsfähig sei, dann komme eine Entlassung wegen Dienstunfähigkeit in Betracht. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte aufgrund der Nichteingliederbarkeit des Klägers in eine Arbeitsorganisation und betriebliche Hierarchie und die Morddrohung des Klägers am 1. 10. 2019 aufgrund ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den anderen Arbeitnehmern zu einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil zur Dienstunfähigkeit eines geschützten Behinderten als Entlassungsgrund nur die Entscheidung 9 ObA 127/12k vorliegt und darin auch keine psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit zu beurteilen gewesen sei. Auch zur Verwirklichung eines verschuldensunabhängigen Entlassungsgrundes bei Drohungen gegen Arbeitskollegen habe der Oberste Gerichtshof erst einmal Stellung genommen (9 ObA 99/05g).

[13] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Die Beklagte beantragt in ihrerRevisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist zulässig und teilweise – im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags – auch berechtigt.

[16] I. Zu 9 Cga 57/20x des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien:

[17] Der Revisionswerber ficht zwar in seinem Revisionsantrag die klagsabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts zur Gänze an, führt im Rechtsmittel aber nicht aus, weshalb sein auf § 7f BEinstG (Diskriminierung wegen Behinderung) gestütztes Entlassungsanfechtungsbegehren berechtigt sein soll. Insofern war der Revision daher nicht Folge zu geben.

[18] II. Zu 25 Cga 90/19s des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien:

[19] 1. Das BEinstG sieht keinen besonderen Entlassungsschutz vor. Die Berechtigung der Entlassung eines begünstigten Behinderten ist nach den allgemeinen Bestimmungen des Entlassungsrechts zu beurteilen (RS0108889 [T2]). Wegen der Gefahr der Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter ist aber eine Entlassung ohne wichtigen Grund rechtsunwirksam, löst daher das Arbeitsverhältnis nicht auf (RS0052630).

[20] 2. Die Gründe, die einen Arbeitgeber zu einer Entlassung des Angestellten berechtigen, sind in § 27 AngG demonstrativ aufgezählt (Pfeil in ZellKomm³ § 27 AngG Rz 1; Heinz‑Ofner in Reissner in AngG³ Rz 1).

[21] 3.1. In der Entscheidung 9 ObA 127/12k (krit S. Mayer, Entlassung von Menschen mit Behinderungen als unzulässige Diskriminierung?, wbl 2013, 430 und Gerhartl, Begünstigte Behinderte: Verfahrensfreie Entlassung bei dauernder Dienstunfähigkeit?, RdW 2013/289) hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage des Verhältnisses des § 8 Abs 4 lit b BEinstG zum allgemeinen Entlassungsrecht wegen Dienstunfähigkeit (ua § 27 Z 2 AngG) auseinandergesetzt. Unter Berücksichtigung auf die in der Literatur und Lehre unterschiedlich vertretenen Ansichten und unter Bezugnahme auf die Erläuterungen zur Novelle des BEinstG 1999 (RV 1518 BlgNR XX. GP  10) sowie unter Berufung auf die GleichstellungsrahmenRL 2000/78/EG gelangte er zur Auffassung, dass seit der Einführung der Kündigungsgründe der dauernden Dienstunfähigkeit (§ 8 Abs 4 lit b BEinstG) sowie der beharrlichen Pflichtverletzung (§ 8 Abs 4 lit c BEinstG) mit der Novelle BGBl I 1999/17 eine Entlassung eines begünstigten Behinderten nur mehr in Ausnahmefällen auf die entsprechenden Entlassungsgründe (insb § 82 lit b und f GewO 1859, § 27 Z 2 und 4 AngG) gestützt werden kann. In diesen Fällen steht dem Dienstgeber kein Wahlrecht zwischen Kündigung und Entlassung zu, sondern er kann das Dienstverhältnis nur durch Kündigung nach Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs 2 BEinstG beenden. Insbesondere unter Bedachtnahme auf die Wertung des Gesetzgebers bei Aufnahme der Dienstunfähigkeit des Dienstnehmers in die demonstrative Aufzählung der Kündigungsgründe des § 8 Abs 4 BEinstG, den Schutzzweck des BEinstG im Allgemeinen und den Diskriminierungsschutz begünstigter Behinderter im Besonderen ist das allgemeine Entlassungsrecht bei Vorliegen der Dienstunfähigkeit eines begünstigten Behinderten aber auf jene Fälle teleologisch zu reduzieren, in denen der begünstigte Behinderte nicht nur trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann (§ 8 Abs 4 lit b BEinstG), sondern der begünstigte Behinderte aufgrund seiner mangelnden Leistungsfähigkeit, egal ob diese aus der Behinderung resultiert oder nicht, überhaupt am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr arbeitsfähig ist. In diesen Fällen ist dem Arbeitgeber – nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der zu erwartenden Dauer des rechtskräftigen Abschlusses des nach § 8 Abs 2 BEinstG eingeleiteten Zustimmungsverfahrens beim Behindertenausschuss – die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses des dauernd dienstunfähigen begünstigten Behinderten bis zum Ende der Kündigungsfrist auch nicht zumutbar.

[22] 3.2. Überzeugende Argumente, die den Obersten Gerichtshof zu einer Änderung seiner Rechtsprechung veranlassen würden, bieten die Revisionsausführungen des Klägers nicht. Da eine Entlassung eines begünstigten Behinderten nur in Ausnahmefällen auf die entsprechenden Entlassungsgründe (insb § 82 lit b und f GewO 1859, § 27 Z 2 und 4 AngG) gestützt werden kann, steht dem Dienstgeber – entgegen der Ansicht der Revision – kein Wahlrecht zwischen Kündigung und Entlassung zu. Vielmehr kann er das Dienstverhältnis nur bei Vorliegen einer (bloßen) Unfähigkeit des begünstigt Behinderten, seine vertragliche geschuldete Leistung nicht mehr zu erbringen und der Unmöglichkeit, ihn trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden weiter zu beschäftigen, nur durch Kündigung nach Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs 2 BEinstG beenden. Das sogenannte „Restentlassungsrecht“ bezieht sich im Zusammenhang mit der Dienstunfähigkeit des begünstigten Behinderten nur auf die Fälle der Dienstunfähigkeit (auch) am allgemeinen Arbeitsmarkt. Dass es hinsichtlich der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers aus Sicht des Arbeitgebers keinen Unterschied macht, ob der begünstigte Behinderte nur bei ihm oder auch sonst nicht mehr arbeitsfähig ist (vgl S. Auer-Mayer, Behinderung und Arbeitsrecht, DRdA 2018, 183 [191]), vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Soweit die Revision ihre Argumentation auf Art 5 GleichstellungsrahmenRL 2000/78/EG stützt, ist sie auf die Entscheidung 9 ObA 165/13z (Pkt 5.6) samt den dortigen Nachweisen zu verweisen. Dort wurde festgehalten, dass es nicht das Ziel ist und nicht den Wertungen der RL 2000/78/EG entspricht, arbeitsunfähige Arbeitnehmer in Arbeitsverhältnissen zu halten. Die RL 2000/78/EG verlangt nach ihrem 17. Erwägungsgrund nicht die Weiterbeschäftigung einer Person, wenn diese für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen ihres Arbeitsplatzes nicht mehr fähig ist. Keine „angemessene Maßnahme“ im Sinne des Art 5 der RL 2000/78/EG ist daher die Weiterbeschäftigung einer Person, wenn diese für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.

[23] 3.3. Die Revision des Klägers zeigt aber zutreffend auf, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ergibt, dass der Kläger nicht nur im Betrieb der Beklagten, sondern darüber hinaus generell am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr arbeitsfähig ist. Beim Kläger findet sich zwar lebensbegleitend und handlungsbestimmend eine psychische Konstellation, aufgrund der er seine Affekte und Impulse nicht immer steuern kann. Ob der seit 1. 3. 2004 bei der Beklagten als Gartenarbeiter beschäftigt gewesene Kläger aber deshalb nur mehr auf einem therapeutisch betreuten Arbeitsplatz und nicht mehr unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einsetzbar ist, kann aufgrund des bislang festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beantwortet werden. In dieser Hinsicht liegen sekundäre Feststellungsmängel vor, weshalb sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist.

[24] 4.1. Aber auch soweit das Berufungsgericht die Entlassung des Klägers – gestützt auf die Entscheidung 9 ObA 99/05g – damit begründet, dass die Beklagte wegen des Vorfalls vom 1. 10. 2019 aufgrund ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den anderen Dienstnehmern und insbesondere gegenüber DI F* S* zu einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, wenn nicht sogar gehalten gewesen sei, liegen sekundäre Feststellungsmängel vor.

[25] 4.2. In der Entscheidung 9 ObA 99/05g hat der Oberste Gerichtshof zur Frage des – im dortigen Revisionsverfahren nicht mehr in Frage gestellten – Vorliegens eines Entlassungsgrundes auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen. Danach habe der schuldunfähige (später entlassene) Arbeitnehmer dadurch, dass er eine Mitarbeiterin nicht nur beschimpft und diese bedroht, sondern diese auch körperlich angegriffen habe, den „äußeren Tatbestand“ des § 27 Z 6 AngG verwirklicht und zwar in einer Weise, dass bei Berücksichtigung aller Umstände und objektiver Wertung derselben der Beklagten die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Zutreffend habe die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die ihr obliegende Fürsorgepflicht auch gegenüber den anderen Dienstnehmern verwiesen. Ungeachtet der der Beklagten bereits bekannten schwierigen Persönlichkeitsstruktur des Klägers habe sein Verhalten einen derart gravierenden Vorfall dargestellt, dass die Beklagte nicht mehr sicher sein konnte, ob sich Derartiges nicht weiter ereignen werde. Gelindere Mittel als die Entlassung seien nicht zu erkennen, zumal feststehe, dass der Kläger seine Probleme mit dem Alkohol nicht beherrsche und der Alkoholkonsum offenbar für derartige Vorfälle mitursächlich sei.

[26] 4.3. Auch im vorliegenden Fall hat der – beim Vorfall am 1. 10. 2019 schuldunfähige – Kläger durch seine Drohungen den „äußeren Tatbestand“ des § 27 Z 6 AngG verwirklicht. Ob dieser Vorfall aber so gravierend war, dass der Beklagten – auch unter Berücksichtigung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern – die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet hätte werden können, lässt sich derzeit aber noch nicht beantworten. Nach dem Sachverhalt handelte es sich bei der Drohung (bloß) um eine Art primitiven Reaktionsreflex auf die nach Ansicht des Klägers ungerechtfertigte Behandlung seines Vorgesetzten. Zum erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten, der Kläger neige zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten auch am Arbeitsplatz und sei in dieser Hinsicht für sie unberechenbar geworden, fehlen aber jegliche Feststellungen. Diese sind aber erforderlich, um beurteilen zu können, ob vom Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur aus objektiver Sicht in Zukunft eine Gefährdung anderer Arbeitnehmer der Beklagten zu erwarten ist.

[27] In teilweiser Stattgebung der Revision des Klägers waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.

[28] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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