OGH 6Ob159/21g

OGH6Ob159/21g14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache M*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Betroffenen, vertreten durch F*****, als gesetzliche Erwachsenenvertreterin, diese vertreten durch Urbanek Lind Schmid Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 21. Juli 2021, GZ 23 R 266/21x‑14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Amstetten vom 21. Juni 2021, GZ 3 P 28/21g‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00159.21G.0914.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Für den Betroffenen, der sich nach einem Hinterwandinfarkt nach wie vor in intensivmedizinischer Krankenhausbehandlung befindet, ist seine Ehegattin F***** seit 26. 5. 2021 als gesetzliche Erwachsenenvertreterin registriert; der Umfang der Vertretung umfasst sämtliche in § 269 Abs 1 Z 1 bis 8 ABGB angeführten Vertretungsbereiche.

[2] Der Betroffene ist ebenso wie R***** mit 49,5 % an der M***** GmbH als Gesellschafter beteiligt, die als Beteiligungsholding zu 100 % Anteile an der operativ tätigen M***** G***** GmbH hält; zu 1 % ist die (Schweizer) G***** AG Gesellschafterin der M***** GmbH. Beide Genannten, somit der Betroffene und R*****, vertreten als Geschäftsführer gemeinsam diese Gesellschaften; sie dürfen gemäß Gesellschaftsverträgen nur gemeinsam zeichnen, die jeweilige Gesellschaft braucht zumindest zwei Geschäftsführer.

[3] Betreffend M***** GmbH wurde am 10. 10. 2019 zwischen der G***** AG, dem Betroffenen und R***** ein Syndikatsvertrag abgeschlossen. Vertragsgegenständlich sind Vereinbarungen von Rahmenbedingungen für die Ausübung der Verwaltungs-, Herrschafts- und Kontrollrechte in der Gesellschaft, zur Bestellung von Geschäftsführern der Gesellschaft und von Übertragungsbeschränkungen sowie Optionen und Bewertungsregeln hinsichtlich des Geschäftsanteils. Darüber hinaus ist festgelegt, dass die Gesellschaft über zumindest zwei Geschäftsführer verfügt, denen ausschließlich gemeinsam Vertretungsbefugnis eingeräumt wird.

[4] Das Erstgericht wies von der gesetzlichen Erwachsenenvertreterin gestellte Anträge auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Änderungsvereinbarung zum Syndikatsvertrag, einer Änderung des Gesellschaftsvertrags und von Stimmabgaben für den Betroffenen zur Änderung der Gesellschaftsverträge sowie zur Beschlussfassung über die Änderung der Zeichnungsbefugnisse eines Geschäftsführers in den beiden Gesellschaften ab.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Für die Beurteilung, ob ein Geschäft zum außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, sei auf das wirtschaftliche Risiko sowie darauf, ob es sich um eine vorläufige oder endgültige Maßnahme handelt, und auf deren Dauer abzustellen. Es sei eine Einzelfallbeurteilung, im vorliegenden Fall auf Grundlage der Gesellschaftsverträge, vorzunehmen. Bei sämtlichen beantragten Genehmigungen gehe es im Kern um eine Änderung der Vertretungsbefugnis des Betroffenen von einer laut Gesellschaftsvertrag vorgesehenen gemeinsamen Vertretung beider Geschäftsführer hin zu einer alleinigen Vertretung des nunmehr einzig handlungsfähigen Gesellschafters und Geschäftsführers. Die beabsichtigte Einräumung einer Einzelvertretungsbefugnis für diesen trotz bewussten Verzichts auf die Einräumung einer solchen Einzelvertretungsbefugnis im Syndikatsvertrag stelle eine Maßnahme des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs dar, die nicht im Interesse des Betroffenen liege, sodass die pflegschaftsbehördliche Genehmigung zu versagen sei.

[6] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil den „verfahrensgegenständlichen Rechtsfragen“ über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Ob die Voraussetzungen einer pflegschaftsbehördlichen Genehmigung vorliegen, kann immer nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (RS0048176 [T2]; 7 Ob 30/21f; vgl auch RS0112025; RS0048207; RS0048142).

[9] Zutreffend ging daher das Rekursgericht davon aus, dass auch schon die Frage, ob ein Geschäft zum ordentlichen oder außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, regelmäßig nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geklärt werden kann (vgl bereits 6 Ob 240/10b; 1 Ob 117/13g; Fischer‑Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON § 167 Rz 20), sodass im vorliegenden Fall daher eine Einzelfallbeurteilung auf Grundlage der konkreten Situation in den betroffenen Gesellschaften vorzunehmen war. Die Kasuistik des vorliegenden Einzelfalls schließt das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aus.

[10] 2.1. Der Revisionsrekurs strebt eine isolierte Prüfung der einzelnen Schritte des beabsichtigten Gesamtvorgangs an. Diese Vorgangsweise ist jedoch schon deshalb verfehlt, weil – wie auch der Revisionsrekurs selbst einräumt – ein „Maßnahmenpaket“ vorliegt, das einem gemeinsamen Zweck dient, wobei „selbstverständlich“ die zu beurteilende Zielrichtung und das begehrte Ergebnis nur dann erreicht werden, wenn alle Maßnahmen, an denen sich der Betroffene zu beteiligen hätte, auch umgesetzt werden können.

[11] Bei dieser Sachlage ist aber in der Auffassung der Vorinstanzen, das Maßnahmenpaket sei im Kern auf eine Änderung der Vertretungsbefugnis des Betroffenen in den verfahrensgegenständlichen Gesellschaften von einer laut Gesellschaftsverträgen vorgesehenen gemeinsamen Vertretung beider Geschäftsführer hin zu einer alleinigen Vertretung des nunmehr einzig handlungsfähigen Gesellschafters und Geschäftsführers nicht zu beanstanden.

[12] 2.2. Dies gilt in gleicher Weise für die weitere Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass Art, Ausgestaltung und Umfang der beabsichtigten Maßnahmen im konkreten Einzelfall nicht dem Wohl des Betroffenen dienen, wird doch damit dem Mitgesellschafter eine ganz überragende Stellung verschafft, die diesem nach den ursprünglichen Verträgen gerade nicht zukommen sollte.

[13] 3. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt nicht vor. In der Entscheidung 6 Ob 99/11v ist lediglich ausgeführt, dass die Stimmrechtsausübung „in der Regel“ zu den gewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen gehört. Dies schließt eine Differenzierung nach der Bedeutung der Angelegenheit nicht aus. Die Entscheidung 6 Ob 240/10d wiederum besagt, dass Angelegenheiten, die lediglich mittelbare Auswirkungen auf das Vermögen des Stifters mit sich brächten, keine gerichtliche Genehmigung erfordern. Diese Entscheidung lässt sich auf die vorliegende Konstellation, in der der Betroffene seine vertraglich verbriefte Geschäftsführerstellung (mag er diese auch derzeit nicht ausüben können) aufgibt und – in Abweichung von der bisherigen Vertragslage – dem Mitgesellschafter die Alleinvertretung überträgt, nicht übertragen.

[14] 4. Einem allfälligen Vertretungsmangel bei den betroffenen Gesellschaften kann im Wege des § 15a GmbHG begegnet werden. Nach dieser Bestimmung kann die Bestellung des Notgeschäftsführers auch in der Form erfolgen, dass dem (allein handlungsfähigen) verbleibenden Gesellschafter Alleinvertretungsbefugnis eingeräumt wird (Ratka in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG § 15a Rz 36).

[15] 5. Zusammenfassend vermag der Revisionsrekurs daher keine Rechtsfrage der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Bedeutung aufzuzeigen, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.

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