OGH 1Ob151/21v

OGH1Ob151/21v7.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions‑ und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Berufsgenossenschaft E*, Deutschland, vertreten durch Mag. Erik Focke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. e* GmbH, *, vertreten durch Dr. Harald Christandl, Rechtsanwalt in Graz, 2. W*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien und 3. Stadt Wien, Wien 8, Rathaus, vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, wegen 35.658,08 EUR sA und Feststellung, über die Revision und den Rekurs der drittbeklagten Partei gegen das (Teil-)Zwischenurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. April 2021, GZ 14 R 175/20p‑59, mit dem das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien in Ansehung der drittbeklagten Partei vom 28. September 2020, GZ 62 Cg 8/20g‑54, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132902

 

Spruch:

Der in der Revision enthaltene Rekurs sowie die Revision werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Drittbeklagte hatte durch ihre zuständige Behörde im Bewilligungsbescheid die Eignung einer Veranstaltungshalle für eine bestimmte Sportveranstaltung – verknüpft mit der Einhaltung etlicher Auflagen – bescheidmäßig festgestellt.

[2] Eine Versicherte der Klägerin wurde anlässlich dieser Veranstaltung durch das Umstürzen der Holzbande und einer 400 kg schweren LED‑Wand verletzt, als Besucher vom Zuschauerbereich in Richtung Spielfeld und damit gegen die das Spielfeld umgebende Holzbande drängten.

[3] Die Klägerin begehrt (auch) von der Drittbeklagten Schadenersatz für den ihrer Versicherten geleisteten Betrag sowie die Feststellung der Haftung für alle zukünftigen, ihr aus dem Vorfall am 23. 10. 2015 entstehenden Schäden.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren gegenüber der Drittbeklagten ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Mit (Teil-)Zwischenurteil sprach es aus, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe; hinsichtlich des Feststellungsbegehrens fasste es einen Aufhebungsbeschluss und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

[6] In ihrem (zwar nur) als „ordentliche Revision“ betitelten Rechtsmittelschriftsatz beantragt die Drittbeklagte, das Urteil dahin abzuändern, dass „das Klagebegehren (Leistungs‑ und Feststellungsbegehren)“ „zur Gänze abgewiesen wird“. Damit bekämpft sie (was auch anhand der Verzeichnung der Kosten auf Basis einer das Feststellungsbegehren inkludierenden Bemessungsgrundlage ersichtlich ist) auch den (deutlich als solcher ausgewiesenen) Beschluss des Berufungsgerichts („zu Recht erkannt und beschlossen“), mit dem der Ausspruch des Erstgerichts über die Abweisung des Feststellungsbegehrens aufgehoben wurde. Ein Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist aber nur dann in dritter Instanz bekämpfbar, wenn bei Beschlussfassung vom Gericht zweiter Instanz gleichzeitig ausgesprochen wurde, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist. Das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat vielmehr nur die ordentliche Revision gegen das Zwischenurteil für zulässig erklärt.

[7] Soweit sich die Drittbeklagte in ihrem Rechtsmittel auch gegen den Aufhebungsbeschluss wendet, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs aufgrund des unterbliebenen Zulassungsausspruchs aber absolut unstatthaft (vgl 2 Ob 181/20m).

[8] Die gegen das Teilzwischenurteil erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):

[9] Nach § 21 Abs 1 Wiener Veranstaltungsgesetz (Wr LGBl 1971/12, in der damals anzuwendenden Fassung) durften Veranstaltungen nur in hierfür geeigneten Veranstaltungsstätten durchgeführt werden. Voraussetzung für die (positive) Erklärung des Magistrats über die Eignung der Veranstaltungsstätte war nach Abs 6 und 7 leg cit, dass – bezogen auf die vorgesehene Verwendung (also in Ansehung der Veranstaltungsart und -dauer sowie der Teilnehmerzahl) – keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen besteht. Der die Eignung der Veranstaltungsstätte feststellende Bescheid hatte jene Auflagen und Bedingungen vorzuschreiben, durch deren Einhaltung diese Eignung gewährleistet wird.

[10] Der Bewilligungsbescheid verlangte im konkreten Fall (unter etlichen anderen Auflagen und Bedingungen) bei den als Absperrungen und Absturzsicherung wirkenden Wänden, Verglasungen und Bauteilen – zusammengefasst – deren stand- und betriebssichere Aufstellung. Die betreffende LED-Wand und Holzbande wiesen aber tatsächlich eine mangelnde Stabilität auf. Die als Abgrenzung zwischen Spielfeld und Besucherbereich aufgestellte Holzbande wurde nicht auf ihre Standfestigkeit hin kontrolliert. Entgegen der im Bescheid erteilten Auflage war zudem kein Gutachten über die Stand‑ und Betriebssicherheit von Holzbande und LED‑Wänden eingeholt worden (weswegen bei der Kontrolle der Unterlagen durch die Mitarbeiter der Drittbeklagten ein diese Teile umfassendes Gutachten nicht vorhanden war). Die Mitarbeiter der Beklagten prüften (nur), ob die vorgelegten Gutachten „positiv sind“, nicht aber, ob zu sämtlichen Aufbauten über die auflagengemäß ein Gutachten zu erstellen gewesen wäre, ein Gutachten vorhanden war. Die Berechnung eines Statikers hätte die fehlende Stand‑ und Betriebssicherheit der Holzbande ergeben.

[11] Hat die Gewerbebehörde eine Betriebsanlage zwar genehmigt, gleichzeitig aber Auflagen angeordnet, so hat sie deren Befolgung – jedenfalls aber soweit, als diese Auflagen, zur Vermeidung der Gefährdung der körperlichen Sicherheit von Personen angeordnet wurden – auf geeignete Weise zu überwachen. Hat sie die Überwachung ihrer Auflagen unterlassen, dann fällt dem dafür verantwortlichen Rechtsträger rechtswidriges Organverhalten zur Last (RS0049772; vgl auch 1 Ob 5/92; 1 Ob 25/93; 1 Ob 173/02a). Die bisherige Rechtsprechung des Höchstgerichts zur Überwachung von behördlichen Auflagen, die das Berufungsgericht in unbedenklicher Weise auf die Bewilligung einer Veranstaltung durch die Veranstaltungsbehörde übertragen hat, lässt in Bezug auf die den Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Menschen bezweckenden Auflagen – wie in der Ausgangsentscheidung 1 Ob 16/92 und im dazu gebildeten Rechtssatz durch Gedankenstriche optisch hervorgehoben und mit der Verwendung des Wortes „jedenfalls“ besonders deutlich gemacht wird – gerade keine Ansatzpunkte für die Annahme, bei einer Vielzahl von erteilten Auflagen könnten generell bloß stichprobenartige Kontrollen durch die Behörde ausreichen (die dem Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision zugrunde liegt), erkennen. Argumente, warum dies der Fall sein sollte, lassen sich auch den Ausführungen der Drittbeklagten in der Revision nicht entnehmen.

[12] Das – später auch tatsächlich erfolgte – Andrängen von Publikum in Richtung Bühne oder Spielfeld ist ein bei Veranstaltungen bekanntes, ja geradezu zu erwartendens Phänomen, das zu Gesundheitsschäden von Personen führen kann. Der Stand‑ und Betriebssicherheit dieser (an einer „neuralgischen“ Stelle positionierten) Abgrenzungen und sonstigen Einrichtungen kommt damit besonderes Gewicht im Hinblick auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Menschen zu. Dass die auf die Standsicherheit der in Rede stehenden Bauten abzielenden Auflagen den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Besucher, Spieler und in der Halle arbeitenden Menschen bezwecken, kann keinem Zweifel unterliegen. Diese Aufbauten wurden nach dem festgestellten Sachverhalt überhaupt nur optisch im Hinblick auf ihr Vorhandensein, nicht aber auf ihrer Standsicherheit hin – und zwar auch nicht stichprobenartig – überprüft. Auch das Fehlen der dazu angeordneten Gutachten, die für diesen Bereich gar nicht in Auftrag gegeben worden waren, wurde nicht bemerkt. Wenn die Revisionswerberin von „in den Gutachten abgenommenen Aufbauten“ spricht, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab.

[13] Wenn daher das Berufungsgericht den Organen der Drittbeklagten vorwirft, sie hätten die Vollständigkeit des vorgelegten Gutachtens überprüfen müssen, und zwar konkret auch daraufhin, ob die Statik der Abgrenzungen zum Spielfeld der Überprüfung durch einen Fachmann im Rahmen eines (positiven) Gutachtens unterzogen worden war, und diese Unterlassung als haftungsbegründend, weil rechtswidrig und schuldhaft erfolgt, ansah, bedarf dies keiner Korrektur. Dies umso weniger, als die Behörde gemäß § 21 Abs 8 Wiener Veranstaltungsgesetz (in der damals anzuwendenden Fassung) aufgerufen war, „die nach dem Stand der Technik zur Erreichung des Schutzes der gemäß Abs 7 [leg cit] wahrzunehmenden Interessen“ „erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen und Bedingungen zu erteilen“, wenn „sich nach der Eignungsfeststellung“ ergibt, dass diese „trotz Einhaltung aller erteilten Auflagen und Bedingungen nicht hinreichend geschützt sind“.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 iVm § 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Rechtsmittelbeantwortung weder auf die Unzulässigkeit des Rekurses, noch auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Beantwortung des Rechtsmittelschriftsatzes kann daher nicht als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme angesehen werden (RS0035962 [T16]; RS0035979 [T6, T9]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte