European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132553
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] K* wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 15. 4. 1991 ab dem 10. 8. 1990 eine Witwerpension nach dem Tod seiner damaligen Ehegattin zuerkannt. Mit diesem Bescheid erhielt K* ein Informationsblatt über die gesetzliche Meldepflicht, und er wurde darauf hingewiesen, dass Überzahlungen, die durch die Verletzung der Meldepflicht entstehen, zurückzuzahlen seien.
[2] Am 8. 9. 1994 heiratete K* die Klägerin.
[3] K* beantragte am 10. 5. 2014 bei der Beklagten die Zuerkennung von Pflegegeld. Im Antrag, der zur Gewährung von Pflegegeld der Stufe 2 führte, trug er seinen Familienstand mit „verheiratet“ ein und führte die Klägerin als pflegende Person an. Als solche wurde die Klägerin auch im Anstaltsgutachten vom 27. 5. 2014 genannt. Auch in den nachfolgenden Anträgen auf Erhöhung von Pflegegeld vom April 2015, März 2016 und August 2016 erhielt die Beklagte durch ähnliche Angaben K* und Vermerke in den Anstaltsgutachten Hinweise darauf, dass K* mit der Klägerin verheiratet war und diese ihn pflegte.
[4] Mit einem Schreiben vom Jänner 2016 verständigte die Beklagte K* über die Erhöhung der Witwerpension per 1. 1. 2016.
[5] K* starb am 12. 11. 2016. Im März 2017 wurde bei der Beklagten bemerkt, dass K* verheiratet war und eine Witwerpension bezogen hatte. Die Klägerin ist aufgrund der von ihr im Verlassenschaftsverfahren abgegebenen unbedingten Erbantrittserklärung Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten.
[6] Mit Bescheid vom 23. 9. 2019 verpflichtete die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten, den Überbezug an Witwerpension in Höhe von 27.826,10 EUR aufgrund dessen Meldepflichtverletzung zurückzuzahlen.
[7] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Rückersatzpflicht nicht zu Recht bestehe. Ihr verstorbener Ehegatte sei seiner Meldepflicht nachgekommen. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Klägerin nach ihrer Eheschließung bei ihrem Ehegatten mitversichert gewesen sei und 1994 und 1998 Wochengeld bezogen habe. Die Beklagte führe nur einen Verwaltungsakt über den Ehegatten der Klägerin. Aufgrund dessen Anträgen auf Zuerkennung und Erhöhung von Pflegegeld habe die Beklagte bereits 2014 die Informationen gehabt, dass er verheiratet gewesen sei. Sie habe diese Informationen jedoch ignoriert und daher kein Recht zur Rückforderung. Der Rückforderungsanspruch sei überdies verjährt, der Rückforderungsbescheid nicht innerhalb angemessener Frist erlassen worden.
[8] Die Beklagte wandte ein, erst nach dem Tod des Ehegatten der Klägerin infolge der Sterbeurkunde von dessen Verehelichung erfahren zu haben. Eine Meldung der Wiederverehelichung sei nicht erfolgt. Die in den Anträgen auf Zuerkennung und Erhöhung von Pflegegeld enthaltenen Informationen würden von der Meldepflicht ebenso wenig entbinden wie die Mitversicherung der Klägerin und ihr Wochengeldbezug.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Verstorbene habe seine Wiederverehelichung zumindest leicht fahrlässig nicht ausdrücklich gemeldet. Die dahingehenden Informationen seien der Beklagten nicht im Rahmen des Verfahrens über die Gewährung von Witwerpension zugekommen, sodass die Meldepflicht dadurch nicht aufgehoben worden sei. Die Rückforderung sei nicht verjährt.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der verstorbene Ehegatte der Klägerin sei mit Zustellung des Bescheids über die Zuerkennung der Witwerpension über die Meldepflichten belehrt worden. Der Beklagten sei der Nachweis gelungen, dass er die Pflicht zur Meldung seiner Wiederverehelichung verletzt habe. Dass ihn kein Verschulden an der Nichtmeldung der Wiederverehelichung getroffen habe, habe die Klägerin nicht behauptet. Das Rückforderungsrecht sei nicht gemäß § 107 Abs 2 lit a ASVG ausgeschlossen. Zwischen den Verfahren auf Zuerkennung einer Witwerpension und von Pflegegeld habe kein Zusammenhang bestanden, sodass der Beklagten nicht vorgeworfen werden könne, Informationen, die sie im Verfahren auf Zuerkennung von Pflegegeld erhalten habe, ignoriert zu haben. Da die Beklagte erst im März 2017 von der Wiederverheiratung des verstorbenen Ehegatten der Klägerin erfahren habe, sei auch keine Verjährung im Sinn des § 107 Abs 2 lit b ASVG eingetreten.
Rechtliche Beurteilung
[11] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[12] Auch im Revisionsverfahren hält die Klägerin an ihrem Standpunkt fest, dass die Beklagte lediglich einen Akt zur Sozialversicherungsnummer ihres verstorbenen Ehegatten geführt habe, sodass sie die in diesem Akt im Rahmen des Pflegegeldverfahrens erhaltenen Informationen über dessen Wiederverehelichung nicht ignorieren hätte dürfen. Die Meldeverpflichtung sei an keine Formvorschrift gebunden, sodass ihr auch die in den Anträgen auf Zuerkennung und Erhöhung von Pflegegeld erteilten Informationen genügten.
[13] Dazu wurde erwogen:
[14] 1.1 Nach § 107 Abs 1 ASVG hat der Sozialversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen (hier die trotz Wiederverheiratung des verstorbenen Ehegatten der Klägerin weitergezahlte Witwerpension) ua dann zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger den Bezug durch Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat. Es genügt die leicht fahrlässige Verletzung der Meldevorschrift (RS0083641 [T1]). Zu fragen ist, wie sich der maßstabsgerechte Durchschnittsmensch oder eine sorgfältige Person in der konkreten Lage verhalten hätte (RS0083641 [T4]).
[15] 1.2 Der verstorbene Ehegatte hat seine Wiederverehelichung im Jahr 1994 der Beklagten (bzw deren Rechtsvorgängerin) nicht gemeldet, obwohl er über die Meldepflichten belehrt wurde, sodass ihm dies als Verschulden anzulasten ist (10 ObS 129/87 SSV‑NF 1/69).
[16] Selbst wenn man zu seinen Gunsten annehmen wollte, dass er die Meldung seiner Wiederverehelichung deshalb unterließ, weil er glaubte, dass seine diesbezüglichen Angaben in den Anträgen auf Zuerkennung und Erhöhung von Pflegegeld dafür genügten (auf die Mitversicherung in der Krankenversicherung und ihren Wochengeldbezug kommt die Klägerin in der außerordentlichen Revision nicht mehr zurück), ist dies im Allgemeinen auf das Verschulden ohne Einfluss, weil dadurch die Meldepflicht nicht aufgehoben wird (10 ObS 104/90 SSV‑NF 4/91 ua).
[17] Nur wenn der Leistungsempfänger aus besonderen Gründen annehmen durfte, dass die Meldung auf das Vorgehen des Versicherungsträgers keinen Einfluss haben würde, wenn also etwa der Versicherungsträger schon zum Ausdruck gebracht hat, dass er die zu meldende Tatsache für nicht erheblich hält, oder wenn er schon ergänzende Erhebungen zu dem zu meldenden, ihm aber schon bekannten Sachverhalt veranlasst hat, müsste dem Leistungsempfänger zugebilligt werden, dass er seine Meldung für völlig bedeutungslos hält und er daher davon ausgehen darf, dass er dazu nicht mehr verpflichtet ist (RS0083623).
[18] Die Meldepflicht hat im Massenverfahren den Zweck, den Versicherungsträger verlässlich auf die Umstände aufmerksam zu machen und ihn davon zu entlasten, sich in zahllosen Fällen ständig Informationen beschaffen oder deren Kenntnis ihren Akten jeweils zuordnen zu müssen. Sie besteht daher auch dann, wenn dem Versicherungsträger die Information „beiläufig“ schon zugegangen ist (Feik in SV‑Komm [271. Lfg] § 40 ASVG Rz 5).
[19] Im konkreten Fall standen die Verfahren auf Zuerkennung (später auch: Erhöhung) einer Witwerpension und auf Zuerkennung und Erhöhung von Pflegegeld für den verstorbenen Ehegatten der Klägerin in keinem Zusammenhang, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat. Nach den Verfahrensergebnissen verfolgten die Anträge auf Zuerkennung und Erhöhung von Pflegegeld auch nicht den Zweck, einer Meldepflicht zu entsprechen, sondern vielmehr, eine zusätzliche Sozialleistung zu erreichen (vgl 10 ObS 273/91 SSV‑NF 5/118). Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass keine besonderen Gründe vorliegen, aus denen der verstorbene Gatte der Klägerin auch bei gebotener Sorgfalt schließen hätte können, dass eine Meldung seiner Wiederverehelichung an die Beklagte nicht erforderlich sei, im konkreten Fall nicht korrekturbedürftig.
[20] 2.1 Das Recht auf Rückforderung nach § 107 Abs 1 ASVG besteht nicht, wenn der Versicherungsträger zum Zeitpunkt, in dem er erkennen musste, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen hat (§ 107 Abs 2 lit a ASVG). Bei dieser Norm handelt es sich um ein im Interesse des Zahlungs‑ oder des Leistungsempfängers gegenüber § 1432 letzter Fall ABGB verschärftes Rückforderungsverbot, das schon dann besteht, wenn der Versicherungsträger erkennen musste, dass er Geldleistungen zu Unrecht erbracht hat; er ist ab dem Zeitpunkt, in dem er erkennen musste, dass seine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, verpflichtet, innerhalb angemessener Frist die für eine bescheidmäßige Feststellung dieser Leistung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Überbezüge zu verhindern (RS0084420). Ignoriert der Versicherungsträger eine – sei es durch eine Meldung des Leistungsempfängers, eine Mitteilung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger oder auf andere Art – zugekommene Information, aus der er erkennen musste, dass eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, und erbringt er diese Leistung weiter, dann besteht das Recht auf Rückforderung der zu Unrecht weiter erbrachten Leistung nicht (RS0084301).
[21] 2.2 Auch die Frage des Vorliegens des Tatbestands des Rückforderungsausschlusses kann nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden und bildet daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0084420 [T5]). Nur bei Verletzung einer gesetzlichen Pflicht oder einer allgemein bestehenden Übung wäre der Beklagten vorzuwerfen, dass sie aus den Angaben des verstorbenen Ehegatten im Verfahren über die Zuerkennung und Erhöhung des Pflegegeldes über seinen Familienstand und aus den Hinweisen, dass die Klägerin ihn pflege, nicht erkannte, dass diese Information auch seinen Anspruch auf Witwerpension berührt (10 ObS 104/90 SSV‑NF 4/91). Eine solche gesetzliche Pflicht oder allgemein bestehende Übung behauptet die Klägerin in ihrer Rechtsmittelschrift nicht, sodass sie auch insofern keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts aufzeigt.
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