OGH 9ObA68/21x

OGH9ObA68/21x28.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Ganzert & Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 3.787,86 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. April 2021, GZ 12 Ra 26/21m‑11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00068.21X.0728.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der vorliegende Fall kann auf Basis der vorhandenen Rechtsprechung gelöst werden, sodass sich die Zurückweisung der außerordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO):

[2] 1.1 Art IV Z 1 des anzuwendenden Arbeiterkollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (im Folgenden nur: „Kollektivvertrag“), nach dem der erste Monat als Probemonat gilt, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits dahin ausgelegt, dass eine Probezeit mangels Einschränkung auf ein „erstes“ Arbeitsverhältnis auch bei jedem neuen Arbeitsverhältnis zum Tragen kommt (8 ObA 42/05t in Ablehnung der Meinung Schindlers, Arbeitskräfteüberlassungs-Kollektivvertrag, [zuletzt] 2018, 123 f; siehe auch 9 ObA 11/16g zu einer vergleichbaren Regelung im Kollektivvertrag für Arbeiterinnen/Arbeiter in der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung, im sonstigen Reinigungsgewerbe und in Hausbetreuungstätigkeiten).

[3] 1.2 Bei wiederholter Beschäftigung gilt daher kraft Kollektivvertrags grundsätzlich eine neue Probezeit (Schrattbauer, AÜG Kommentar [2020] § 11 Rz 51; Rothe, Arbeiter‑ und Angestellten-KV Arbeitskräfteüberlassung4, Art IV Rz 8).

[4] 2.1 Die neuerliche Probezeit im zweiten Arbeitsverhältnis setzt keinen besonderen sachlichen Grund voraus. § 11 Abs 2 Z 4 AÜG, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne sachliche Rechtfertigung für unzulässig ansieht, bezieht sich nur auf „vertragliche“ Vereinbarungen, nicht aber auf die von Art IV Z 1 des Kollektivvertrags normierte Probezeit (8 ObA 42/05t).

[5] 2.2 Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Kollektivvertrags geht die ständige Rechtsprechung davon aus, dass es den Parteien selbst dann, wenn zwischen ihnen vorher bereits ein Dienstverhältnis bestanden hat, grundsätzlich frei steht, zu Beginn eines weiteren Arbeitsverhältnisses eine Probezeit zu vereinbaren (9 ObA 11/16g; RS0028216; Krejci in Rummel, ABGB3 § 1159c Rz 25).

[6] 2.3 Die Grenze für die Zulässigkeit einer Probezeit im zweiten Arbeitsverhältnis ist aber immer dort zu ziehen, wo unter den gegebenen Umständen eine Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften zu befürchten ist, beispielsweise etwa die systematische Auflösung von Arbeitsverhältnissen in der Probezeit vorgenommen wird, um sie dann erneut zu begründen (8 ObA 42/05t; 9 ObA 68/12h; Schrattbauer, AÜG Kommentar [2020] § 11 Rz 51; Rauch, Probezeit bei weiteren Arbeitsverhältnissen, ASoK 2011, 347 [349]).

[7] 3. Mit dieser Rechtsprechung steht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts in Einklang, nach der im vorliegenden Fall keine Prüfung der besonderen Umstände für die Zulässigkeit der zweiten Probezeit vorzunehmen ist, jedoch keine Umstände gegeben sein dürfen, die für einen Rechtsmissbrauch sprechen könnten.

[8] 4.1 Ob für einen Rechtsmissbrauch ausreichende Anhaltspunkte gegeben sind, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Selbst unter Anlegung eines strengen Maßstabs bei der Prüfung rechtsmissbräuchlicher Vorgangsweisen (Schrattbauer, AÜG Kommentar [2020] § 11 Rz 51) stellt es keine Überschreitung des Ermessensspielraums dar, wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Fall dafür keine Anhaltspunkte angenommen haben:

[9] 4.2 Die außerordentliche Revision hebt hervor, dass der Kläger im Rahmen seines zweiten Arbeitsverhältnisses zur Beklagten an denselben Beschäftiger überlassen wurde, ohne dass sich am Inhalt seiner Tätigkeit (als angelernter Maler bzw Hilfsarbeiter) etwas geändert hat. Gegen eine rechtsmissbräuchliche Umgehung spricht aber vor allem der Umstand, dass der Kläger das erste Arbeitsverhältnis von sich aus gelöst hat (8 ObA 42/05t; vgl 8 ObS 3/11s). In diesem Fall soll es dem Arbeitgeber frei stehen zu prüfen, ob die Gründe, die den Arbeitnehmer bewogen haben, den ersten Vertrag zu beenden, nun nicht mehr vorliegen und der Entschluss des Arbeitnehmers zu einem Neuanfang ernsthaft ist (8 ObA 3/11s).

[10] Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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