European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00070.21H.0625.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Vater ist aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 22. 10. 2012 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 408 EUR für seine minderjährige Tochter verpflichtet. Dabei handelte es sich um den (damaligen) doppelten Regelbedarf abzüglich eines Drittels für die Zurverfügungstellung von Wohnraum und für die Zahlung von Betriebskosten. Er ist weiters für eine bereits volljährige Tochter sorgepflichtig. Seit 14. 5. 2019 bezieht er ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit von zumindest monatlich durchschnittlich 5.900 EUR. Bis 31. 10. 2019 stellte er den beiden Töchtern und deren Mutter den Wohnraum zur Verfügung. Seit 1. 11. 2019 zahlt er für die Minderjährige einen Geldunterhalt von 850 EUR monatlich (zuvor 550 EUR monatlich). Zusätzlich bezahlt er weiterhin die Kosten der Privatschule von zumindest 500 EUR monatlich und eine Krankenzusatzversicherung für die Minderjährige mit einer Prämie von 53,37 EUR monatlich.
[2] Am 7. 10. 2019, eingeschränkt mit Schriftsatz vom 29. 1. 2020, beantragte die Minderjährige neben einer Unterhaltserhöhung, den Vater gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von 1.177,50 EUR monatlich sowie zur Zahlung der Schulkosten und der Kosten für die Krankenzusatzversicherung zu verpflichten. Da die Zahlungen des Vaters hinter ihrem gesetzlichen Unterhaltsanspruch zurückblieben, liege eine Unterhaltsverletzung vor. Zunächst brachte die Minderjährige vor, die Kosten für die (von ihr seit Beginn der Schulpflicht besuchte) Schule und die Krankenzusatzversicherung stellten einen mit Zustimmung des Vaters bestehenden Sonderbedarf dar. Aufgrund der Umstände, insbesondere Zahlung dieser Kosten, liege eine schlüssige Unterhaltsvereinbarung vor. Mit Schriftsatz vom 26. 8. 2020 stellte sie sich auf den Standpunkt, die Kosten für die Privatschule seien kein Sonderbedarf, sondern seien zusätzlich zu dem mit der Luxusgrenze gedeckelten (sonstigen) Geldunterhalt zuzusprechen. Eine Überalimentierung, die mit der Luxusgrenze vermieden werden solle, finde hierdurch nicht statt, da diese Beträge nicht für einen übermäßig aufwendigen Lebensstil verwendet würden, sondern für die schulische Erziehung und Bildung der Unterhaltsberechtigten zweckgewidmet seien. Sie könne diese Kosten nicht aus dem zu leistenden Geldunterhalt bestreiten. Die vom Vater bezahlten Prämien für die private Krankenversicherung seien nicht auf den Geldunterhalt anrechenbar, da dafür keine entsprechende Vereinbarung bestünde.
[3] Der Vater bestritt das Vorliegen einer Unterhaltsverletzung unter Berufung auf die von ihm regelmäßig erbrachten Geld- und Naturalunterhaltsleistungen. Insbesondere begehrte er die Anrechnung der Kosten für die Schule und die Krankenzusatzversicherung auf den zu zahlenden Geldunterhalt.
[4] Das Erstgericht wies den Antrag der Minderjährigen ab, den Vater ab 7. 10. 2019 zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts zu verpflichten. Da der Vater inklusive Schulkosten und Krankenzusatzversicherung einen monatlichen Unterhaltsbetrag in der Höhe des zweieinhalbfachen Regelbedarfs, also 1.185 EUR, leiste, sei der Unterhaltsanspruch der Minderjährigen ausreichend gedeckt und liege weder eine Unterhaltsverletzung noch eine Gefährdung vor.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Tochter, der nur mehr auf die Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von (unter Bedachtnahme auf den bereits titulierten Unterhalt insgesamt) 1.177,50 EUR monatlich abzielte, keine Folge. Unstrittig sei, dass der Vater einen monatlichen Unterhalt von 850 EUR und – wie sich aus den vom Vater vorgelegten Urkunden ergebe – Schulkosten von zumindest 500 EUR im Monat sowie die Prämien der Krankenzusatzversicherung von monatlich 53,37 EUR bezahle. Damit leiste der Vater einen monatlichen Unterhalt von zumindest 1.400 EUR, der den Unterhaltsanspruch der Tochter von monatlich 1.185 EUR deutlich übersteige.
[6] Über Abänderungsantrag der Tochter ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu, da die Rechtsmittelwerberin eine Abweichung des Rekursgerichts von der ständigen Rechtsprechung zur Anrechnung von Naturalunterhalt auf den Geldunterhalt behaupte.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobene – vom Vater beantwortete – Revisionsrekurs de r Tochter ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Das Verfahren über einen Antrag auf Leistung einstweiligen Unterhalts unterliegt den Bestimmungen der EO iVm jenen der ZPO, auch wenn über den Hauptanspruch im Außerstreitverfahren abzusprechen ist (RIS‑Justiz RS0005716 [T14]). Demnach ist die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nach § 402 EO zu beurteilen. Gemäß § 402 Abs 4 und § 78 EO ist auch § 528 Abs 1 ZPO bzw § 526 Abs 2 ZPO anwendbar (1 Ob 97/99t).
[8] 1. Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, dass der durch Zahlung des Schulgeldes und der Krankenversicherungsprämien geleistete Naturalunterhalt (dessen Zulässigkeit grundsätzlich nicht bestritten wird) nicht auf den geschuldeten Geldunterhalt anzurechnen, sondern zusätzlich zu diesem zu erbringen sei, sodass eine Unterhaltsverletzung durch den Vater auf der Hand liege.
[9] 2. Voraussetzung für die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist die Verletzung der Unterhaltspflicht im Antragszeitpunkt oder doch zumindest bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag (RS0114824). Die gefährdete Partei hat daher den Unterhaltsanspruch und die Unterhaltsverletzung zu behaupten und zu bescheinigen (RS0114824 [T8]; RS0005940 [T1]). Eine Verletzung der Unterhaltspflicht liegt vor, wenn die freiwilligen Leistungen des Verpflichteten den gesetzlichen Unterhaltsanspruch nicht decken (RS0005592). Unterhaltsansprüche werden im Haupt- und im Provisorialverfahren nach denselben materiell-rechtlichen Grundlagen bemessen (RS0005261 [T16]).
[10] 3. Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Entscheidung über einen (an sich berechtigten) Antrag auf rückwirkende Unterhaltserhöhung grundsätzlich alle vom Unterhaltspflichtigen in der Vergangenheit erbrachten, die (ursprünglich titulierte Unterhaltspflicht übersteigenden) Naturalleistungen mit Unterhaltscharakter anspruchsmindernd anzurechnen (RS0047328), und zwar unabhängig von einer Zustimmung des anderen Elternteils (RS0047328 [T4]). Unterhaltscharakter haben vergangene Naturalleistungen in diesem Zusammenhang dann, wenn sie ohne Schenkungsabsicht, also in Alimentationsabsicht, die vermutet wird, erbracht wurden und zu einer ausgewogenen Deckung des angemessenen Lebensbedarfs des Kindes beigetragen haben (zuletzt etwa 5 Ob 28/14z mwN; 10 Ob 34/12s).
[11] Für die Zukunft hingegen sind Naturalleistungen nur zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltsberechtigte sich ausdrücklich oder doch schlüssig damit einverstanden erklärt und aufgrund eines stabilen Verhaltens des Unterhaltsschuldners die begründete Annahme besteht, dass dieser die Naturalleistungen auch künftig erbringen werde (RS0047258; 1 Ob 130/16y). Ob ein konkludentes Einverständnis vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RS0047258 [T3]). Die Zustimmung des Unterhaltsberechtigten zur teilweisen Deckung des Unterhaltsanspruchs durch Naturalunterhaltsleistungen ist dann nicht erforderlich, wenn der Unterhaltsberechtigte die Naturalunterhaltsleistungen weiterhin in Anspruch nehmen will (9 Ob 64/05k; Neuhauser in Schwimann/Kodek , ABGB 5 § 231 Rz 502).
[12] 4. Ausgehend von dieser Rechtslage zeigt die Revisionsrekurswerberin mit ihren Ausführungen keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf:
[13] 4.1 Sie führt ins Treffen, dass sie einer Anrechnung der Naturalleistungen auf den geschuldeten Geldunterhalt nicht zugestimmt habe, übergeht dabei aber, dass sie bzw ihre Mutter die Zahlung der Schulkosten und der Krankenzusatzversicherungsprämien nicht nur seit Jahren unbeanstandet angenommen hat (vgl 6 Ob 2362/96p), sondern sowohl in ihrem Unterhaltserhöhungsantrag als auch ihrem Antrag auf einstweiligen Unterhalt weiterhin – als Naturalunterhalt zusätzlich zum Geldunterhalt – einfordert.
[14] 4.2 Dass der Vater die Naturalleistungen in der Vergangenheit auch dann erbracht hätte, wenn er bereits zur Zeit deren Leistung von der ihn rückwirkend treffenden höheren Unterhaltsverpflichtung Kenntnis gehabt hätte, was nicht zu vermuten ist (RS0047334; 5 Ob 544/91), hat die Revisionsrekurswerberin im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht. Vielmehr steht ihre Behauptung, der Vater habe angekündigt, die Zahlung des Schulgeldes einzustellen, sollte ihm ein höherer als der bezahlte Geldunterhalt auferlegt werden, einer solchen Absicht des Vaters eher entgegen. Ebenso wenig hat die Minderjährige behauptet, dass sich der Vater zur Zahlung des Naturalunterhalts zusätzlich zu einem Geldunterhalt in Höhe des zweieinhalbfachen Regelbedarfs verpflichtete hätte. Soweit die Tochter erstmals im Revisionsrekurs aus Schriftsätzen des im Jahr 2012 geführten Unterhaltsverfahrens ableiten will, dass „ganz offenkundig“ der Geldunterhalt eben nicht besondere Aufwendungen wie die Kosten der Privatschule abdecken sollte, womit sie wohl auf eine entsprechende Vereinbarung abstellt, verstößt sie gegen das (auch im Rechtsmittelverfahren gegen einstweilige Verfügungen geltende) Neuerungsverbot (RS0002445). Nur ergänzend sei bemerkt, dass es einen Unterschied macht, ob der Unterhaltsstopp bei dem zwei- oder bei dem zweieinhalbfachen Regelbedarf eingezogen wird.
[15] 4.3 Das alles gilt unabhängig davon, ob die Kosten für den Schulbesuch bzw die Krankenzusatzversicherung – entgegen der zuletzt von der Minderjährigen vertretenen Meinung – als Sonderbedarf anzusehen sind (vgl RS0109906; 6 Ob 195/04a; 2 Ob 89/03g), weil dieser in der Differenz zwischen dem Regelbedarf (von derzeit 474 EUR) und der beträchlich über dem Regelbedarf liegenden monatlichen Unterhaltsverpflichtung (von 1.185 EUR), die der Leistungsfähigkeit des Vaters und gleichzeitig dem zweieinhalbfachen Regelbedarf entspricht, Deckung finden würde (vgl RS0047525).
[16] 4.4 Dem Vorwurf der Minderjährigen, dass es an Vorbringen und Feststellungen fehle, in welcher Höhe das Schulgeld auf den Geldunterhalt anzurechnen sei, ist zu erwidern, dass das Rekursgericht die vom Vater im Schriftsatz vom 22. 5. 2020 der Höhe nach konkretisierten Kosten für die Privatschule und die Krankenzusatzversicherung aufgrund der vorgelegten Urkunden ergänzend festgestellt hat und damit zu einem monatlichen Gesamtunterhalt des Vaters von 1.400 EUR gelangt ist. Die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, dass angesichts dieser Leistung die Tochter keine Unterhaltsverletzung aufgezeigt hat, ist nicht zu beanstanden.
[17] 5. Der Revisionsrekurs ist daher mangels der Voraussetzungen des § 402 Abs 4, § 78 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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