OGH 2Ob32/21a

OGH2Ob32/21a26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** J*****, 2. H***** H*****, 3. M***** J*****, und 4. E***** J*****, Hohenems, alle vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. A***** N*****, 2. W***** GmbH, *****, und 3. U***** AG, *****, alle vertreten durch Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen 38.768,19 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2020, GZ 2 R 151/20b‑75, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 24. September 2020, GZ 56 Cg 1/19f‑67, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 5. Oktober 2020, GZ 56 Cg 1/19f‑69, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00032.21A.0526.000

 

Spruch:

I. Die außerordentliche Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung eines Teilbegehrens von 2.101,53 EUR (Begräbniskosten) samt 4 % Zinsen seit 31. 10. 2018 richtet, zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

II. Im Übrigen wird der außerordentlichen Revision Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang ihrer Entscheidungen über das bereits rechtskräftig abgewiesene weitere Teilbegehren von 19.384,11 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. 10. 2018 unberührt bleiben, werden im Umfang der Abweisung des verbliebenen Teilbegehrens von 36.666,66 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. 10. 2018 aufgehoben und die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Am 12. 2. 2018 ereignete sich um 18:47 Uhr in Götzis auf der Lustenauer Straße L 203 bei Dunkelheit, leichtem Schneefall und nasser Fahrbahn ein Verkehrsunfall, an dem W***** J***** als Fußgänger (in der Folge: Fußgänger) sowie der Erstbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Kleinlastkraftwagens beteiligt waren. Die Straße verläuft im Unfallbereich gerade in Nord-Süd-Richtung, die Sichtweite beträgt mehr als 300 m. Die Fahrbahn ist ca 7 m breit und durch eine Leitlinie in zwei jeweils 3,5 m breite Fahrstreifen geteilt. Die höchstzulässige Geschwindigkeit beträgt 60 km/h. Westlich von der Fahrbahn verläuft ein asphaltierter Gehweg mit einer Straßenlaterne auf Höhe der Unfallstelle, die jedoch nur den Gehweg und nicht den Fahrbahnbereich ausleuchtet.

[2] Der dunkel gekleidete Fußgänger wollte zum Unfallszeitpunkt die Fahrbahn überqueren, um auf der anderen Straßenseite den dort weiter Richtung Hohenems verlaufenden Geh- und Radweg zu benutzen. Er betrat daher etwa auf Höhe der Straßenlaterne die Fahrbahn und überquerte diese – aus Sicht des Erstbeklagten von links nach rechts – mit einer Geschwindigkeit von etwa 5 km/h in einem Winkel zur Fahrbahnlängsachse von etwa 90 °.

[3] Zur selben Zeit fuhr der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 55 km/h Richtung Norden, wobei er an seinem Fahrzeug das Abblendlicht eingeschaltet hatte. Die Scheinwerfer wären für den Fußgänger jedenfalls beim Betreten der Fahrbahn erkennbar gewesen. Ca 15,9 bis 17,3 m bzw 1,15 sec vor der Kollisionsstelle leitete der Erstbeklagte eine Vollbremsung ein und lenkte noch leicht nach links aus. Während der Vollbremsung wurde der LKW mit ca 6 m/sec² verzögert. Die Kollisionsgeschwindigkeit betrug ca 47 bis 52 km/h, wobei der LKW erst ca 0,15 sec bzw 2 m vor der Kollision eine Bremswirkung erzielte. Im Zeitpunkt 1,15 sec vor der Kollision befand sich der Fußgänger ca 1,6 m vor der Kollisionsstelle. Der LKW stieß mit der rechten Vorderfront gegen die rechte Körperseite des Fußgängers, die Überdeckung betrug ca 0,5 m.

[4] Die „theoretische Reichweite“ des Abblendlichts betrug ca 40 m. Grundsätzlich ist eine schwarz bzw dunkel gekleidete Person im Abblendscheinwerfer ohne zusätzliche künstliche Ausleuchtung, etwa durch Straßenlaternen, erst auf eine Entfernung von ca 20 m erkennbar. Um auf einer Wegstrecke von 20 m anhalten zu können, hätte der Erstbeklagte beim Erkennen der Gefahr lediglich eine Geschwindigkeit von 38,3 km/h einhalten dürfen.

[5] Wäre der LKW um 0,36 sec später zur Unfallstelle gekommen, wäre der Unfall unterblieben. Um dies aus einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h zu erreichen, hätte der Erstbeklagte 0,51 (oder 0,52) sec vor der Kollision das Bremspedal betätigen müssen. Zu diesem Zeitpunkt wäre er noch 6,3 m vor der Kollisionsstelle gewesen, die er mit 39 km/h erreicht hätte. Unter Berücksichtigung der Vorbremszeit erfolgte die Gefahrenerkennung 1,51 sec vor der Kollision. Dabei befand sich der LKW 20,2 m vor der Kollisionsstelle, während der Fußgänger zeitgleich 2,1 m vor dieser und bereits in der Fahrbahnhälfte des Erstbeklagten war.

[6] Der schwer verletzte Fußgänger erlitt durch die Kollision ein schlussendlich zu seinem Tod führendes Polytrauma mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma, Hirnödem, apallischem Syndrom, beidseitigen Schambeinfrakturen, Rippenfrakturen rechts mit Lungenkontusion und weiteren Verletzungen. Aus neurologischer Sicht hatte er in komprimierter Form 70 Tage starke, 173 Tage mittelstarke und 235 Tage leichte Schmerzen zu erleiden. Die aus unfallchirurgischer Sicht eingeschätzten Schmerzen sind in diesen Zeitperioden enthalten bzw überschneiden sich zur Gänze mit den neurologischen. Der Fußgänger verstarb am 20. 8. 2019, nachdem er bereits die Klage eingebracht hatte.

[7] Die Bestattungskosten beliefen sich auf insgesamt 6.304,60 EUR.

[8] Die Kläger, die mittlerweile jeweils zu einem Viertel als Erben des Fußgängers eingeantwortet sind, begehrten zuletzt – das halbe Mitverschulden des Fußgängers zugestehend – Zahlung von 58.152,30 EUR (55.000 EUR Schmerzengeld und 3.152,30 EUR Begräbniskosten) sA. Sie werfen dem Erstbeklagten eine überhöhte Geschwindigkeit, die Nichteinhaltung des Gebots des Fahrens auf Sicht in Bezug auf das eingeschaltete Abblendlicht und die nasse Fahrbahn sowie einen Beobachtungsfehler vor, aufgrund dessen er den Fußgänger nicht oder zu spät wahrgenommen habe. Der Erstbeklagte hätte den Kläger aufgrund der Ausleuchtung eines Großteils der Fahrbahn bereits weit vor dem Kollisionspunkt erkennen können.

[9] Die Beklagten verwiesen auf das Alleinverschulden des dunkel gekleideten Fußgängers, der ohne zu schauen die Fahrbahn betreten habe. Der Erstbeklagte habe keine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, sei auf Sicht gefahren und habe auch keine Reaktionsverspätung zu verantworten. Die Kollision sei für ihn unvermeidbar gewesen.

[10] Im ersten Rechtsgang gelangte das Erstgericht zu einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten des Fußgängers und wies ein Teilbegehren von 19.384,11 EUR sA – rechtskräftig – ab. Das Berufungsgericht hob das Urteil im Umfang des Zuspruchs von 38.768,19 EUR sA zur Verfahrensergänzung auf. Bei der Beurteilung der Frage, ob die vom Erstbeklagten eingehaltene Geschwindigkeit von 50 bis 55 km/h noch dem Gebot des Fahrens auf Sicht entsprochen habe, komme es ausschließlich darauf an, welche Strecke durch das Abblendlicht des LKW konkret ausgeleuchtet worden sei. Hiezu lag (im ersten Rechtsgang) noch keine Feststellung vor.

[11] Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren (wieder in Höhe von 58.152,30 EUR sA) ab, wobei es nun die oben bereits wiedergegebene zusätzliche Feststellung zur „theoretischen Reichweite“ des Abblendlichts von 40 m traf. Nach der ihm überbundenen Rechtsansicht des Berufungsgerichts habe der Erstbeklagte nicht gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen, weil der Anhalteweg des LKW aus 55 km/h bei einer witterungsbedingten Verzögerung von 6 m/sec² 34,7 m betrage. Da es auf die tatsächliche Erkennbarkeit nicht ankomme, sei für den Erstbeklagten auch ein unabwendbares Ereignis iSv § 9 EKHG vorgelegen.

[12] Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung aus Anlass der Berufung im Umfang der neuerlichen Abweisung von 19.384,11 EUR sA wegen Eingriffs in die Teilrechtskraft als nichtig auf und gab im Übrigen der Berufung der Kläger nicht Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[13] In der Sache führte das Berufungsgericht aus, dass die Wahl einer für das Gebot des Fahrens auf Sicht angemessenen Geschwindigkeit beim Fahren mit Abblendlicht nicht davon abhänge, in welcher Entfernung eine plötzlich auftretende Gefahrenquelle erkennbar sei, sondern ausschließlich davon, welche Strecke durch das Abblendlicht ausgeleuchtet werde. Der Lenker eines Kraftfahrzeugs müsse zwar bei der Wahl seiner Fahrgeschwindigkeit auch solche Hindernisse in Betracht ziehen, mit denen zu rechnen er bei Beachtung aller gegebenen Umstände triftige Veranlassung habe. Auf völlig unberechenbare Hindernisse und insbesondere auch auf Hindernisse, die aufgrund von nicht rechtzeitig erkennbaren Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer in die Fahrbahn gelangten, brauche er aber seine Geschwindigkeit nicht einzurichten. Wenn auch hier sowohl links als auch rechts der Straße ein Geh- und Radweg vorhanden gewesen sei, so müsse dennoch mit bloß abstrakt möglichen Gefahrenquellen bei der Wahl der Geschwindigkeit nicht gerechnet werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der iSd § 9 Abs 2 EKHG einzuhaltenden äußersten Sorgfalt sei die Geschwindigkeit des Erstbeklagten von 55 km/h nicht haftungsbegründend, sodass der Entlastungsbeweis gelungen sei.

[14] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger , in der sie im Wesentlichen ihren schon bisher vertretenen Standpunkt, der Erstbeklagte sei nicht auf Sicht gefahren und der Fußgänger sei für ihn bereits früher erkennbar gewesen, wiederholen.

[15] Die Beklagten beantragen in ihrer bereits vor einer Freistellung eingebrachten Revisionsbeantwortung , die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Zu I.:

[16] 1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0053096).

[17] 2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind die im Erbweg auf sie übergegangenen Ansprüche der Erben mit jenen, die gemäß § 1327 ABGB auf den Ersatz von Todfallskosten (hier: Begräbniskosten; vgl auch § 12 Abs 1 Z 5 EKHG) gerichtet sind, mangels rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhangs nicht nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen (vgl 2 Ob 53/92; 8 Ob 268/81 = RS0035470 [T3] = RS0035710 [T3] = RS0035588 [T4]; Gitschthaler in Fasching/Konecny I³ § 55 JN Rz 21/2). Während die im Erbweg übergegangenen Ansprüche als solche des Verstorbenen bereits zu dessen Lebzeiten entstanden sind (Anspruchsgrundlage für die vom Verstorbenen abgeleiteten Schmerzengeldansprüche ist daher § 1325 ABGB), entsteht der Anspruch auf Ersatz der Todfallskosten aus Anlass des Todes originär denjenigen, die sie zu tragen verpflichtet sind oder sie tatsächlich getragen haben (2 Ob 58/71 SZ 44/95; 2 Ob 190/71 SZ 45/25 [„wem immer sie erwachsen sind“]; vgl dazu ferner Reischauer in Rummel ³ II/2b § 1327 Rz 11; Koziol/Apathy/Koch , Haftpflichtrecht³ III Rz A/2/100 ff).

[18] 3. Wenn eine Zusammenrechnung nicht stattfindet, ist die Zulässigkeit der Revision für jeden Anspruch gesondert zu prüfen. Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Revision der Kläger im Umfang der im zweiten Rechtsgang vom Klagebegehren noch umfassten Begräbniskosten von 2.101,53 EUR sA jedenfalls unzulässig ist (§ 502 Abs 2 ZPO).

[19] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die absolute Unzulässigkeit nicht hingewiesen, weshalb ihre Revisionsbeantwortung insoweit nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente.

Zu II.:

[20] Nach ständiger Rechtsprechung sind mehrere Miterben, die eine Forderung des Verstorbenen als – wie noch näher zu zeigen ist (unten Punkt 4.) – Quotengläubiger geltend machen, materielle Streitgenossen iSd § 11 Z 1 ZPO, sofern nicht von einem Erben weitere Tatsachen geltend gemacht werden, die den Bestand der ihn betreffenden Teilforderung berühren (2 Ob 9/87 mwN). Ihre Quotenforderungen sind daher für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN zusammenzurechnen (RS0035470 [T2]). Die Summe dieser Forderungen beläuft sich im vorliegenden Fall auch ohne die Begräbniskosten auf mehr als 30.000 EUR, weshalb die Kläger eine außerordentliche Revision erheben konnten (§ 505 Abs 4 ZPO).

[21] Die Revision ist auch zulässig und berechtigt , weil das Berufungsgericht in aufgreifenswerter Weise von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist.

[22] 1. Zum Verschulden des Erstbeklagten:

[23] 1.1. Der aus der Schutznorm des § 20 Abs 1 Satz 1 StVO abgeleitete Grundsatz des Fahrens auf Sicht bedeutet, dass ein Fahrzeuglenker seine Fahrgeschwindigkeit so zu wählen hat, dass er sein Fahrzeug beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zum Stehen bringen und zumindest das Hindernis umfahren kann (2 Ob 54/20k; RS0074750; RS0074808). Jeder Kraftfahrer muss daher seine Fahrweise so gestalten, dass der Weg des abzubremsenden Fahrzeugs in der Zeit vom Erkennen eines Hindernisses auf der Fahrbahn bis zum vollen Stillstand des Fahrzeugs nie länger als die durch ihn eingesehene Strecke ist (RS0074696; RS0074761). Fährt ein Kraftfahrer bei Dunkelheit mit Abblendlicht, dann hat er, soweit nicht besondere Umstände die Sicht über die vom Abblendlicht erleuchtete Strecke hinaus ermöglichen, grundsätzlich mit einer Geschwindigkeit zu fahren, die ihm das Anhalten seines Fahrzeugs innerhalb der Reichweite des Abblendlichts ermöglicht (2 Ob 54/20k mwN; RS0074769). Entspricht daher die eingehaltene Geschwindigkeit der durch das Abblendlicht ausgeleuchteten Sichtweite bzw der Anhalteweg der eingehaltenen Geschwindigkeit der ausgeleuchteten Strecke, dann liegt ein Verstoß gegen § 20 StVO nicht vor (2 Ob 77/01i = RS0074769 [T6]).

[24] 1.2. Zwar ist richtig, dass ein Fahrzeuglenker auch mit schwer wahrnehmbaren, also auch mit dunklen, unbeleuchteten Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen muss (2 Ob 54/20k mwN; RS0074714). Er braucht aber die Wahl seiner Geschwindigkeit nicht auf plötzlich, unvermutet und für ihn nicht vorhersehbar auftauchende Hindernisse einzurichten (RS0027564), weil mit bloß abstrakt möglichen Gefahrenquellen nicht gerechnet werden muss (RS0073490 [T1]). Auf völlig unberechenbare Hindernisse und insbesondere auf Hindernisse, die aufgrund von nicht rechtzeitig erkennbaren Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer in die Fahrbahn gelangen, braucht er seine Geschwindigkeit daher nicht einzurichten (2 Ob 54/20k; RS0074836).

[25] 1.3. Nach diesen Grundsätzen wäre dem Erstbeklagten ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht dann nicht vorwerfbar, wenn er mit dem verkehrswidrigen Verhalten des Fußgängers nicht zu rechnen brauchte. Denn er hat eine Geschwindigkeit eingehalten, die es ihm nach den Feststellungen erlaubte, innerhalb der vom Abblendlicht ausgeleuchteten Strecke anzuhalten.

[26] 1.4. Allerdings haben die Kläger dem Erstbeklagten auch einen Beobachtungsfehler insofern vorgeworfen, als er den Kläger „weit vor dem Kollisionspunkt“ hätte erkennen können. Wenn dies zutraf, hätte dies für den Erstbeklagten – je nach den konkreten Umständen – möglicherweise schon vor der festgestellten Gefahrenerkennung die Verpflichtung zu einer Verminderung seiner Fahrgeschwindigkeit ausgelöst. Diese Frage kann aber anhand der bisherigen Feststellungen noch nicht beurteilt werden:

a) Zwar steht fest, dass der dunkel gekleidete Fußgänger im Schein des Abblendlichts erst aus 20 m Entfernung für den Erstbeklagten erkennbar war. Es steht aber auch fest, dass der Fußgänger die Fahrbahn von einer Stelle des daneben verlaufenden Gehwegs aus betreten hat, die durch die dort angebrachte Straßenlaterne beleuchtet war. Es ist nicht auszuschließen, dass der Fußgänger in Annäherung an die Fahrbahn und beim Betreten derselben für den Erstbeklagten bereits aus größerer Entfernung erkennbar war.

b) Nach ständiger Rechtsprechung war der Erstbeklagte jedenfalls dazu verpflichtet, während der Fahrt nicht nur die vor ihm liegende Fahrbahn in ihrer ganzen Breite, sondern auch die beiden Fahrbahnränder und die daran anschließenden Verkehrsflächen im Auge zu behalten (RS0074923; RS0074948). Er hatte sein Augenmerk daher auch auf den links von ihm befindlichen Gehweg zu richten, jedenfalls aber auf den linken Fahrbahnrand.

c) Wäre das Betreten der Fahrbahn für den Erstbeklagten erkennbar gewesen, könnte er sich nicht mehr ohne weiteres darauf berufen, dass er mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Fußgängers nicht zu rechnen brauchte. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung, wonach ein Fahrzeuglenker auf einer – hier bereits als solche zu qualifizierenden (vgl 2 Ob 140/16a; 2 Ob 266/77 ZVR 1979/1) – „breiten“ Straße grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sich der Fußgänger bei Erreichen der Fahrbahnmitte von der Durchführbarkeit der weiteren Überquerung überzeugen wird, und nicht von vornherein damit rechnen muss, dass der Fußgänger eine unaufmerksame Gehweise über die Fahrbahnmitte hinaus ohne jede Berücksichtigung des Verkehrs fortsetzen wird (2 Ob 73/12t; 2 Ob 193/19z mwN; RS0075656 [T3 und T4]).

d) Geriet nämlich der Fußgänger während des Überquerens der – aus Sicht des Erstbeklagten – linken Fahrbahnhälfte vorübergehend aus dessen Sichtbereich, weil er ihn in diesem Teil der Fahrbahn nicht sehen konnte (worauf die Feststellungen hindeuten), bestand für das Vertrauen auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Fußgängers keine ausreichende Grundlage mehr (vgl 2 Ob 2380/96f; 2 Ob 73/12t).

e) In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass nach den Feststellungen der Kontakt vermieden hätte werden können, wenn der Erstbeklagte die Kollisionsstelle nur um 0,36 sec später erreicht hätte, was bereits bei einer rund 0,5 sec davor liegenden Bremsung aus einer – bei der Verschuldensprüfung zu unterstellenden – Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h auch der Fall gewesen wäre.

[27] 1.6. Zur Klärung der Verschuldensfrage bedarf es daher ergänzender Feststellungen zu den objektiven Sichtverhältnissen, insbesondere dazu, ob dem Erstbeklagten bei gehöriger Aufmerksamkeit die Sicht auf den Fußgänger möglich war, als dieser sich anschickte, die Fahrbahn zu überqueren, und bejahendenfalls, wie lange er sich dabei im Sichtbereich des Erstbeklagten befand.

[28] Erst auf der Grundlage eines derart vervollständigten Sachverhalts kann abschließend beurteilt werden, ob dem Erstbeklagten ein Verschulden an dem Unfall anzulasten ist. Sollte jedoch ein Verschulden des Erstbeklagten nicht erweisbar sein, bliebe es diesem gegenüber bei der Abweisung auch des restlichen Klagebegehrens. Gegenüber der Zweit- und der Drittbeklagten würde hingegen auf der Grundlage des ergänzten Sachverhalts die Gefährdungshaftung nach dem EKHG neuerlich zu prüfen und dabei das Nachstehende zu beachten sein.

[29] 2. Zur Gefährdungshaftung:

[30] 2.1.   Ein Fahrzeughalter kann sich von seiner Haftung nur dann befreien, wenn er unter Beweis stellt, dass ein unabwendbares Ereignis vorliegt, wobei Zweifel stets zu seinen Lasten gehen (RS0058926). Bei mehreren möglichen Versionen des Unfallgeschehens ist im Zweifel wegen der den Halter treffenden Beweislast von der für den Geschädigten günstigsten bzw für den Halter ungünstigsten Voraussetzung auszugehen (RS0058926 [T3]).

[31] 2.2. Unter dem Begriff „jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt“ ist die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt zu verstehen (RS0058317; RS0058326). Es muss daher bereits alles vermieden werden, was zur Entstehung einer gefahrenträchtigen Situation führen könnte. Die erhöhte Sorgfaltspflicht, deren Beachtung den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen lässt, setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, dass von vornherein vermieden wird, in eine Lage zu kommen, aus der Gefahr entstehen kann (RS0058411; RS0058326 [T6]), wenn auch keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen und diese Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf (RS0058411 [T3 und T4]).

[32] 2.3. Nach diesen Grundsätzen gingen allenfalls verbleibende Unklarheiten über die Sicht- und Reaktionsmöglichkeiten des Erstbeklagten, etwa wenn nicht festgestellt werden könnte, ob er den Fußgänger beim Betreten der Fahrbahn wahrnehmen und durch eine adäquate Geschwindigkeitsverminderung darauf reagieren konnte, zu Lasten der Zweit- und der Drittbeklagten. Diese könnten in diesem Fall nicht für sich in Anspruch nehmen, dass jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt iSd § 9 Abs 2 EKHG angewendet worden sei (vgl 2 Ob 73/12t [Bewertung der Betriebsgefahr mit einem Viertel in einem vergleichbaren Fall]).

[33] 3. Zur Höhe des Schmerzengeldes:

[34] 3.1. Die Beklagten haben in der Berufung im ersten Rechtsgang auch die Höhe des vom Erstgericht dort ausgemessenen Schmerzengeldes (110.000 EUR) bekämpft und im Hinblick auf den Tod des Unfallopfers rund 16 Monate nach dem Unfall sowie einen Vergleich mit anderen bisherigen Zusprüchen dessen Festsetzung mit nur 50.000 bis 70.000 EUR begehrt.

[35] 3.2. Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für alles Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen und ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls grundsätzlich global festzusetzen (2 Ob 175/14w; RS0031307 [T28]).

[36] 3.3. Wenngleich aber bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen; der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen bei der Bemessung darf nicht „gesprengt“ werden (RS0031075). Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen, wobei allein aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung die Zuerkennung von im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen höheren Beträgen gerechtfertigt ist (vgl RS0031075 [T4 und T10], zuletzt 1 Ob 31/20w).

[37] 3.4. Angesichts der besonders schweren Verletzungen des Fußgängers, die letztlich zu dessen Tod führten, und der in ihrer Intensität ganz außergewöhnlichen Schmerzen, die er bis zu seinem Tod praktisch täglich zu erleiden hatte, erscheint das begehrte und vom Erstgericht auch in dieser Höhe bemessene Schmerzengeld von (ungekürzt) 110.000 EUR angemessen.

[38] 4.   Kläger als Quotengläubiger:

[39] Sollte es zu einem Zuspruch an die Kläger kommen, wird weiters zu beachten sein, dass die hier geltend gemachte Schmerzengeldforderung als Geldforderung ihrer Natur nach teilbar ist (2 Ob 103/15h; RS0017289). Bei teilbaren Nachlassforderungen tritt die Aufhebung der Gemeinschaft ex lege ein, sodass mit Einantwortung eine teilbare Nachlassforderung in selbständige obligatorische Teilforderungen iSd §§ 888 f ABGB zerfällt, die keinen Gegenstand der Erbteilung bilden und von jedem Miterben unmittelbar nach Abschluss der Verlassenschaftsabhandlung und Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses (§ 178 AußStrG) geltend gemacht werden können (2 Ob 103/15h). Es würde daher jedem eingeantworteten Erben der seiner Quote entsprechende Teilbetrag zuzusprechen sein.

[40] 5. Ergebnis und Kosten:

[41] Der in Punkt II.1.6. aufgezeigte Feststellungsmangel führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen im noch streitverfangenen Umfang. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren nach der gebotenen Verfahrensergänzung die fehlenden Feststellungen nachzuholen und auf dieser Grundlage die Haftung der Beklagten neuerlich zu beurteilen haben.

[42] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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