OGH 7Ob81/21v

OGH7Ob81/21v28.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Parteien N***** R*****, vertreten durch Dr. Heinrich Oppitz, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Gegner der gefährdeten Partei E***** R*****, vertreten durch Mag. Ludwig Nowotny, Rechtsanwalt in Peuerbach, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382e, 382g EO, über den ordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 20. Jänner 2021, GZ 21 R 255/20d‑9, mit dem die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Wels vom 30. Oktober 2020, GZ 2 C 18/20y‑4, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00081.21V.0428.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 613,66 EUR (darin 102,28 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin stellte beim Amtstag des Erstgerichts einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382e, 382g EO gegen den Antragsgegner, ihren Ex‑Mann, weil er immer wieder vor ihrem Haus stehe, bei ihr anrufe und sie mit dem Umbringen bedrohe.

[2] Das Erstgericht trug dem Antragsgegner unter Anschluss des Antrags auf, sich dazu binnen drei Tagen schriftlich zu äußern, wobei es auf die Rechtsfolgen des § 56 Abs 2 und 3 EO hinwies; dieser Beschluss wurde dem Antragsgegner am 23. 10. 2020 zugestellt.

[3] Am 28. 10. 2020 erstattete der anwaltlich vertretene Antragsgegner im ERV eine Äußerung, die der Erstrichterin erst am 2. 11. 2020 – nach Erlassung der einstweiligen Verfügung – vorgelegt wurde.

[4] Das Erstgericht erließ am 30. 10. 2020 die beantragte einstweilige Verfügung, mit der es dem Antragsgegner den Aufenthalt in der Wohnung der Antragstellerin samt Umkreis von 50 Metern, das Zusammentreffen und die Kontaktaufnahme mit ihr auch über Telefon oder soziale Netzwerke sowie die Verfolgung der Antragstellerin und die Annäherung an sie bis auf 50 Meter verbot.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners Folge, hob die einstweilige Verfügung auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Beschlussfassung nach allfälliger Verfahrensergänzung auf. Die Rechtsprechung zu § 56 EO, wonach eine verspätete Äußerung unbeachtlich sei, stehe im (Wertungs-)Widerspruch zur Rechtsprechung zu § 17 AußStrG, wonach bis zur Beschlussfassung eingelangte Äußerungen sehr wohl zu berücksichtigen seien. Zur Klärung dieses Widerspruchs sei auch der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.

[6] Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Antragstellerin, die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen.

[7] Der Antragsgegner erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

[9] 1.1. Wenn der Verhandlung oder Einvernehmung ein Antrag einer Partei oder ein von Amts wegen in Aussicht genommenes Vorgehen des Gerichts zugrunde liegt, so sind nach § 56 Abs 2 EO, falls das Gesetz nichts anderes bestimmt, diejenigen Personen, die trotz gehöriger Ladung nicht erscheinen, als diesem Antrag oder diesem Vorgehen zustimmend zu behandeln; der wesentliche Inhalt des Antrags oder des von Amts wegen in Aussicht genommenen Vorgehens und die mit dem Nichterscheinen verbundenen Rechtsfolgen sind in der Ladung anzugeben. Diese Bestimmungen gelten nach § 56 Abs 3 EO auch für die Versäumung von Fristen, die für schriftliche Erklärungen oder Äußerungen der Parteien oder sonstigen Beteiligten gegeben werden.

[10] 1.2. Die mit der Versäumung der Tagsatzung bzw Einvernehmung oder der Frist zur Stellungnahme eingetretene Fiktion der Zustimmung kann nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Ansicht durch eine verspätet, sei es nach Beendigung der Tagsatzung oder Einvernehmung, sei es nach Ablauf der für die schriftliche Stellungnahme gesetzten Frist, abgegebene Äußerung nicht mehr rückgängig gemacht werden, und die mit dem fruchtlosen Ablauf der Äußerungsfrist eingetretenen Säumnisfolgen werden durch eine verspätete Stellungnahme nicht aufgehoben; andernfalls hätte die Erteilung einer Frist keine Bedeutung und würde es von der früheren oder späteren Erledigung des Antrags abhängen, ob auf Einwendungen des Gegners einzugehen ist (vgl RS0002096; Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 56 [2015] Rz 6: Rassi in Burgstaller/Deixler‑Hübner , EO § 56 [2019] Rz 15, jeweils mwN). Das gilt auch dann, wenn – wie hier – die Äußerung noch vor der Erlassung der einstweiligen Verfügung bei Gericht eingelangt ist (4 Ob 27/15x mwN).

[11] 2.1. Die Besonderheit des § 56 Abs 2 und 3 EO liegt darin, dass diese Bestimmung als Säumnisfolge ausdrücklich eine Zustimmungsfiktion vorsieht, der Antragsgegner nach dem Gesetzeswortlaut also im Säumnisfall als dem zu entscheidenden Antrag zustimmend zu behandeln ist (

Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 17 [2019] Rz 3 mwN).

[12] 2.2. Der vom Rekursgericht zum Vergleich herangezogene – hier nicht anwendbare – § 17 AußStrG normiert hingegen als Säumnisfolge keine Zustimmungs- oder Anerkenntnisfiktion zu Lasten des Antragsgegners und zu Gunsten des von der antragstellenden Partei erhobenen Begehrens oder der vom Gericht in Aussicht genommenen Entscheidung; Rechtsfolge der Säumnis ist dort vielmehr (nur) ein Einwendungsausschluss auf Tatsachenebene (7 Ob 103/06g; Höllwerth aaO Rz 82 mwN;

Schneider in Schneider/Verweijen, AußStrG § 17 [2018] Rz 36). Daraus folgt aber die Möglichkeit, ohne Beeinträchtigung des dem § 17 AußStrG innewohnenden Normzwecks der Verfahrensbeschleunigung auf eine Äußerung der dazu aufgeforderten Partei auch dann noch Bedacht zu nehmen, wenn jene – wenngleich erst nach Fristablauf – noch vor der Entscheidung bei Gericht einlangt bzw zumindest dem Entscheidungsorgan vorliegt (vgl Höllwerth aaO Rz 78 mwN; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, AußStrG3 [2021] § 17 Rz 6).

[13] 2.3. Der vom Rekursgericht angenommene Wertungswiderspruch zwischen § 56 EO und § 17 AußStrG liegt daher nicht vor; die unterschiedlichen Rechtsfolgen sind in der sich voneinander unterscheidenden positiven Rechtslage begründet.

[14] 2.4.  Die Anwendung der Grundsätze des § 17 AußStrG auf das Sicherungsverfahren nach §§ 382e, 382g EO durch das Rekursgericht erweist sich damit als verfehlt.

[15] 3.1.  Die dem Antragsgegner vom Erstgericht eingeräumte Äußerungsfrist endete hier mit 27. 10. 2020; die Stellungnahme wurde erst am 28. 10. 2020 und damit verspätet erstattet.

[16] 3.2.  Die Einwände des Antragsgegners in seinem Rekurs gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung sind nicht stichhaltig. Eine Frist zur Äußerung binnen drei Tagen ist – zumal im hier vorliegenden Verfahren zur Erlassung einer „Gewaltschutz‑EV“ – nicht zu beanstanden; eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt darin nicht begründet. Abgesehen davon, dass eine Anhörung in einer Fallkonstellation wie hier nicht zwingend geboten gewesen wäre (vgl G. Kodek in Burgstaller/Deixler‑Hübner , EO § 390 [2020] Rz 18b), waren die im Rekurs angeführten Gründe für die Verspätung der Stellungnahme (wie Berufstätigkeit des Antragsgegners und Personalprobleme seines Vertreters am Nachmittag des 27. 10. 2020) nicht geeignet, Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens aufzuzeigen. Warum die „Beischaffung von Beweisen“ – die sich in zwei jeweils einseitigen Telefontranskripten und einem mit 27. 10. 2020 datierten Schreiben der Tochter der Streitteile erschöpften – und deren rechtzeitige Vorlage nicht fristgerecht möglich gewesen sein sollte, wird im Rekurs ebenfalls nicht konkret ausgeführt.

[17] 3.3.  Da somit die Zustimmungsfiktion des § 56 Abs 2 und 3 EO zum Tragen kommt, war die vom Erstgericht zu Recht erlassene einstweilige Verfügung wiederherzustellen.

[18] 4.  Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 5041 ZPO. Der Streitwert im Sicherungsverfahren beträgt nach §§ 13, 14 lit c RATG 1.000 EUR; die Ansätze nach TP 3B bzw TP 3C für Rekursbeantwortung bzw Revisionsrekurs der Antragstellerin betragen daher 144,80 EUR bzw 173,50 EUR. Für die Rekursbeantwortung wurde keine Erhöhung nach § 23a RATG angesprochen.

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