OGH 4Ob41/21i

OGH4Ob41/21i20.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan LL.M. als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L***** G*****, geboren am ***** 2014, wohnhaft bei der Mutter B***** G*****, diese vertreten durch Dr. Brigitte Birnbaum und Dr. Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Namensänderung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters C***** M*****, Italien, vertreten durch Dr. Barbara Pesce‑Cihlar, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Jänner 2021, GZ 45 R 381/20t‑46, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00041.21I.0420.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Mutter des Minderjährigen ist Deutsche, der Vater ist Italiener und lebt in Italien; die Eltern waren und sind nicht miteinander verheiratet. Der Vater erkannte die Vaterschaft zum Buben kurz nach dessen Geburt vor einem deutschen Standesamt an.

[2] Der Minderjährige ist deutsch‑italienischer Doppelstaatsbürger. Er lebte seit der Geburt im Haushalt der Mutter, anfangs in der BRD, bis sie im August 2019 mit ihm nach Wien zog; er ging hier in den Kindergarten und besucht seit September 2020 die Volksschule.

[3] Da die Eltern bei der Geburt nicht verheiratet waren, hatte gemäß § 1626a Abs 3 BGB (nur) die Mutter die elterliche Sorge. Da weiters die Eltern keinen Ehenamen führen und die elterliche Sorge nur einem Elternteil zustand, erhielt das Kind gemäß § 1617a Abs 1 BGB den Namen, den dieser Elternteil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes führte, hier somit den Familiennamen der Mutter „G*****“.

[4] Als der Bub viereinhalb Jahre alt war, fasste ein deutsches Amtsgericht einen Beschluss, mit dem es auf Antrag des Vaters die elterliche Sorge für den Buben gemäß § 1626a (Abs 2 Satz 1) BGB den Kindeseltern gemeinsam übertrug. Die Eltern schlossen in der Folge kurz vor der Übersiedlung nach Wien einen gerichtlichen Vergleich, mit dem sie unter anderem dieses gemeinsame Sorgerecht bestätigten und vereinbarten, dass die Mutter mit dem Kind nach Wien ziehe.

[5] Der Vater übt regelmäßig sein Kontaktrecht aus. Die Kontakte finden sowohl in Österreich als auch in Italien statt. Das Kind hat häufig Kontakt zu den väterlichen Verwandten, die in Italien leben. Der Bub identifiziert sich derzeit ausschließlich über seinen Vornamen „L*****“. Sein zweiter Vorname „*****“ und der Familienname des Vaters „M*****“ sind ihm nicht besonders geläufig. Der Vater wünscht sich für den Buben den Doppelnamen „M*****‑G*****“, die Mutter möchte den derzeitigen Familiennamen beibehalten. Eine Gefährdung des Kindeswohls im Fall der Beibehaltung des derzeitigen Familiennamens liegt nicht vor.

[6] Die Vorinstanzen wiesen die Anträge des Vaters ab, 1. ihm das Namensbestimmungsrecht bezüglich des Bubenzu übertragen, sowie 2. die Zustimmungserklärung der Kindesmutter zur Abänderung des Familiennamens des Buben in M*****‑G***** zu ersetzen; den Eventualantrag 3. den Nachnamen des Buben mit M*****, hilfsweise M*****‑G*****, zu bestimmen, wiesen sie zurück.

[7] Der Vater zeigt mit seinem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs keine erheblichen Rechtsfragen auf.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1.1. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz ist kein Grund für einen Revisionsrekurs (RIS‑Justiz RS0050037; RS0030748). Eine aus Gründen des Kindeswohls mögliche Durchbrechung dieses Grundsatzes (vgl RS0050037 [T4]; RS0030748 [T2]) ist hier nicht geboten, zumal das Rekursgericht einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel im Einklang mit dem klaren Wortlaut des § 105 Abs 1 Satz 2 AußStrG verneint hat: Das Gericht hat Minderjährige in Verfahren über Pflege und Erziehung oder das Recht auf persönlichen Verkehr grundsätzlich persönlich zu hören, es sei denn, das Kind hat – wie hier – das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, seine Entwicklung oder sein Gesundheitszustand erfordert dies, oder es ist sonst eine Äußerung der ernsthaften und unbeeinflussten Meinung des Minderjährigen nicht zu erwarten (vgl 9 Ob 90/16z).

[9] 1.2. Im außerstreitigen Verfahren sind Neuerungen nicht uneingeschränkt zulässig. Nova reperta sind nicht zu berücksichtigen, wenn die Partei die Neuerungen schon früher hätte vorbringen können, sofern keine entschuldbare Fehlleistung vorliegt (§ 49 Abs 2 AußStrG). Eine Änderung der rechtlichen Argumentation beziehungsweise die Geltendmachung eines neuen Gesichtspunktes bei der rechtlichen Beurteilung ist im Rechtsmittelverfahren zulässig, sofern die hierzu erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet oder festgestellt wurden (RS0016473 [T12]). Der Rechtsmittelwerber hat die Zulässigkeit der Neuerungen zu behaupten und schlüssig darzulegen, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt. So sind etwa „schlichtes Vergessen“ oder eine fehlende Anleitung durch das Erstgericht keine entschuldbaren Fehlleistungen (RS0120290 [T1]; RS0110773 [T6]; RS0079200 [T2]).

[10] Eine Missachtung zulässiger Neuerungen in zweiter Instanz begründet einen Verfahrensmangel; im Revisionsrekurs ist daher die Nichtberücksichtigung der im Rekurs enthaltenen Neuerungen als Mangel des Rekursverfahrens zu rügen und die Relevanz des Mangels darzutun (vgl 3 Ob 41/17a mwN).

[11] Der Vater hatte in der Beweisrüge seines Rekurses sein (zur Parteiaussage „erhobenes“) erstinstanzliches Vorbringen wiedergegeben, wonach das italienische Umfeld auf den Nachnamen seines Sohnes „mit Verwunderung und Konsternierung“ reagiere; aufgrund welcher tatsächlichen Umstände daraus eine sodann erstmals im Rekurs behauptete Diskriminierung des Buben und daraus wiederum konkret eine Gefährdung des Kindeswohls folgen sollte, ist aber weder dem erstinstanzlichen Vorbringen noch den Darlegungen im Rekurs oder im Revisionsrekurs zu entnehmen.

[12] 1.3. Verfassungsrechtliche Bedenken dahin, dass bei einem (wie hier) erst Sechsjährigen eine Anhörung nach § 105 Abs 1 Satz 2 AußStrG durch den Kinder- und Jugendhilfeträger dem Art 4 BVG über die Rechte von Kindern, BGBl I 2011/4, widersprechen könnte, zeigt der Revisionsrekurs nicht nachvollziehbar auf (vgl 5 Ob 106/20d [zu Art 12 UN‑Kinderrechtekonvention, BGBl 1993/7]).

[13] 2.1. Hier ist österreichisches Kollisionsrecht anzuwenden, weil das KSÜ 1996, BGBl III 2011/49, zufolge dessen Art 4 lit c auf Namen und Vornamen des Kindes nicht anzuwenden ist. Dies wird im Revisionsrekurs des Vaters auch nicht in Frage gestellt.

[14] 2.2. Nach § 13 Abs 1 IPRG ist die Führung des Namens einer Person nach deren jeweiligem Personalstatut zu beurteilen, auf welchem Grund auch immer der Namenserwerb beruht. Das Personalstatut einer natürlichen Person ist nach § 9 Abs 1 Satz 1 IPRG das Recht des Staates, dem die Person angehört. Für den Fall einer Doppelstaatsbürgerschaft – wie hier – sieht § 9 Abs 1 Satz 3 IPRG vor, dass dann die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend ist, zu dem die stärkste Beziehung besteht.

[15] Bei Bestimmung dieser „effektiven Staatsangehörigkeit“ muss im Einzelfall allen in Betracht kommenden Umständen und tatsächlichen Lebensverhältnissen Rechnung getragen werden, wie etwa dem Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt, der Muttersprache, den verwandtschaftlichen oder gesellschaftlichen Beziehungen, der nationalen Einstellung, dem Zeitpunkt des Erwerbs der einzelnen Staatsangehörigkeiten, dem ius sanguinis, dem Militärdienst, dem Beruf usw, aber auch auf die Zukunft weisenden Argumenten (vgl

RS0009222 [T1]; RS0117332).

[16] Die Frage nach der „stärksten Beziehung“ ist nur einzelfallbezogen zu beantworten (1 Ob 2/03f).

[17] 2.3. Der Revisionsrekurs zeigt nicht auf, warum die Ansicht des Rekursgerichts, wonach beim Minderjährigen angesichts seines bisher überwiegend in der BRD und im Haushalt der deutschen Mutter verbrachten Lebens seine deutsche als effektive Staatsangehörigkeit anzusehen ist, eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung sein sollte.

[18] 3.1. Soweit es um die Rechtsanwendung von fremdem Recht in seinem ursprünglichen Geltungsbereich geht, fehlt es an einer Leitfunktion des Obersten Gerichtshofs (vgl RS0042948 [T1]), dessen Aufgabe es nicht ist, für die Einheitlichkeit oder gar Fortbildung ausländischen Rechts Sorge zu tragen (RS0042940 [T2, T3, T8, T19]). Eine erhebliche Rechtsfrage kann daher bei Anwendbarkeit fremden Rechts nur dann vorliegen, wenn dieses unzutreffend ermittelt oder eine in dessen ursprünglichem Geltungsbereich in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht missachtet wurde oder dem Rechtsmittelgericht grobe Subsumtionsfehler unterlaufen sind, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssen (RS0042948 [insb T3, T4, T21, T23]; RS0042940 [T9]).

[19] 3.2. Solche aufzugreifende Fehler bei der Ermittlung deutschen Rechts sind nicht ersichtlich und werden auch vom Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

[20] 4.1. Der Kern dessen Argumentation liegt vielmehr darin, dass im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft des Minderjährigen im Lichte des Urteils des EuGH vom 2. 10. 2003, C‑148/02, Garcia Avello, die italienische Staatsbürgerschaft und die daraus folgenden Rechte des Minderjährigen bei der Beurteilung der Anträge des Vaters zu berücksichtigen gewesen wären.

[21] 4.2. Dem Urteil C‑148/02, Garcia Avello, lag der Sachverhalt zugrunde, dass

nach der im spanischen Recht verankerten Übung der Name der Kinder eines Ehepaares aus dem ersten (Familien-)Namen ihres Vaters, gefolgt vom ersten Namen ihrer Mutter, besteht. Nach belgischem Recht erhielten im Anlassfall aber die ehelichen Kinder einer belgischen Staatsbürgerin (mit dem Namen Weber) und eines Spaniers dessen Familiennamen „Garcia Avello“ (im Ergebnis also den ersten Namen des Vaters und den ersten Namen der väterlichen Großmutter). Die belgischen Behörden verweigerten – anders als zuvor die spanischen Behörden – die von den Eltern beantragte Eintragung des Namens ihrer Kinder (belgisch‑spanischen Doppelstaatsbürgern) mit „Garcia Weber“ und schlugen ihnen stattdessen die Eintragung mit (nur) „Garcia“ vor. Dazu sprach der EuGH aus:

„Die Art 12 und 17 EGV [nunmehr: Art 18 und 20 AEUV] sind dahin auszulegen, dass sie es den Verwaltungsbehörden eines Mitgliedstaats verwehren, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einen Antrag auf Änderung des Namens in diesem Staat wohnender minderjähriger Kinder mit doppelter Staatsangehörigkeit, derjenigen dieses Staates und derjenigen eines anderen Mitgliedstaats, abzulehnen, wenn dieser Antrag darauf gerichtet ist, dass diese Kinder den Namen führen können, den sie nach dem Recht und der Tradition des zweiten Mitgliedstaats hätten.“

[22] 4.3. Der Vater brachte hier jedoch selbst vor, dass nach italienischem Recht die Führung des Namens eines der Elternteile ebenso möglich ist wie die eines aus diesen Namen zusammengesetzten Doppelnamens. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die der deutschen Regelung folgende Namensgebung des Mutternamens nach italienischem Recht nicht möglich oder mit der italienischen Rechtslage unvereinbar wäre, oder dass die beiden Rechtsordnungen erst durch Anpassungen in Einklang im Sinne des Kindeswohls zu bringen wären. Die im Revisionsrekurs aufgezeigten vermeintlich erheblichen Rechtsfragen stellen sich daher nicht.

[23] Auch ein mögliches unionsrechtliches Gebot der Anerkennung eines außerhalb Deutschlands bereits gültig erworbenen Doppelnamens (vgl EuGH C‑353/06, Grunkin und Paul) ist hier nicht zu beurteilen, weil ein Namenserwerb nach italienischem Recht, der mit dem deutschen Recht in Konflikt geraten könnte, hier gerade nicht vorliegt.

[24] 4.4. Der Revisionsrekurs zeigt daher auch keine Erörterungsmängel oder rechtliche Feststellungsmängel in Bezug auf den Inhalt italienischen Rechts auf. Solche sind auch nicht in Ansehung des – vom Rekursgericht im Einzelfall zumindest vertretbar als nicht vom erstinstanzlichen Antrag des Vaters umfasst angesehenen (RS0044088 [T37]) – Doppelnamens „G*****‑M*****“ erkennbar; warum dieser Name gegenüber „M*****“ oder „M*****‑G*****“ eine bloße Einschränkung des darauf gerichteten ursprünglichen Antrags im Sinne eines Minus sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.

[25] 5. Dass im Fall der Beibehaltung des derzeitigen Familiennamens keine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, hat schließlich zumindest auch eine tatsächliche Komponente, von der sich das Rechtsmittel des Vaters entfernt.

[26] 6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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