OGH 6Ob32/21f

OGH6Ob32/21f15.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei H*, vertreten durch Mag. Georg Zechbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte und gefährdende Partei D*, vertreten durch Dr. Christoph Völk, M.Jur. (Oxford), Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 8. Jänner 2021, GZ 4 R 163/20z‑14, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 3. November 2020, GZ 57 Cg 48/20i‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131227

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.332,54 EUR (darin 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs nicht zulässig:

[2] 1.1. Beim Bedeutungsinhalt einer Äußerung kommt es immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an; das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers, nicht aber der subjektive Wille des Erklärenden ist maßgebend (RS0031883 [T1]). Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RS0031883 [T6]). Dabei sind auch die nicht zum Gegenstand des Unterlassungsbegehrens gemachten Teile der Tatsachenbehauptung mitzuberücksichtigen (RS0079648 [T2]). Im Allgemeinen ist in der politischen Debatte kein streng juristisches Begriffsverständnis anzulegen (RS0031815 [T23]).

[3] 1.2. Zwar muss, wer eine mehrdeutige Äußerung macht, die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (RS0079648). Auch die Anwendung dieser Unklarheitenregel ist jedoch am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen: Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muss die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben (RS0121107; 4 Ob 132/09d).

[4] 2.1. Im vorliegenden Fall äußerte der Antragsgegner, der Antragsteller habe einen Betrug, einen Spesenbetrug, begangen; Geschädigte sei die Partei; Täter und Beschuldigter sei der Antragsteller. Der endgültige Schaden könne noch nicht beziffert werden; das Bundeskriminalamt ermittle, es sei ein laufendes Verfahren, in dem derzeit 50 Aktenordner durchleuchtet würden. Es „schaue so aus“, dass es nicht nur um einen Mietkostenzuschuss gehe, sondern der „Kriminalfall“ sei, dass sich jemand durch gefälschte Rechnungen sein Privatleben, sein Luxusleben, finanziert habe.

[5] 2.2. Das Erstgericht hat sich mit dem Bedeutungsinhalt dieser Äußerungen eingehend auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, der Antragsgegner habe nicht behauptet, dass der Antragsteller strafbare Handlungen im Sinne einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Täuschung, Betrug und/oder Urkundenfälschung begangen habe, sondern seine Äußerungen im Zuge eines Wahlkampfes vor dem Hintergrund des gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens gemacht. Ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt beruhten die inkriminierten Behauptungen des Antragsgegners jedenfalls auf einem ausreichenden Tatsachensubstrat. Durch diese Behauptungen werde hingegen nicht der Eindruck vermittelt, der Antragsteller sei bereits wegen Täuschung, Betrug, Untreue oder Urkundenfälschung verurteilt worden.

[6] 2.3. Dieser Auffassung tritt der Oberste Gerichtshof bei. Hier ist darauf zu verweisen, dass das Wort „Betrug“ viele Bedeutungen haben kann. So wird etwa auch die listige Irreführung nach § 870 ABGB als „zivilrechtlicher Betrug“ bezeichnet (etwa 9 Ob 40/14v), wobei kein „Betrug“ im strafrechtlichen Sinn vorliegen muss (vgl 3 Ob 75/06k). Im Duden ist „Betrug“ allgemein als „bewusste Täuschung, Irreführung einer anderen Person“ definiert. Als Synonyme werden dort unter anderem „Bauernfängerei“, „Gaunerei“ und „Prellerei“ angeführt. Zum Verb „betrügen“ wird als Bedeutung „bewusst täuschen, irreführen, hintergehen“, aber auch die Begehung eines Ehebruchs angeführt. Als Synonyme zu „betrügen“ werden „gaunern“, „hintergehen“, „irreführen“ und „täuschen“ angeführt. Nach der Rechtsprechung sind die Begriffe „Rechtsbrecher“ und „rechtswidriges Verhalten“ nicht als Vorwurf von Straftaten anzusehen (6 Ob 266/00m; 6 Ob 209/04k).

[7] 2.4. Die inkriminierten Äußerungen werden von einem Durchschnittsleser daher nicht dahin verstanden, dass der Antragsteller ein strafrechtliches Delikt verwirklicht habe, sondern vielmehr dahingehend, dass er seine (vormalige) Partei hintergangen und getäuscht und sich dabei einen finanziellen Vorteil verschafft habe, wie auch immer dies (straf‑)rechtlich zu subsumieren sei. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass der Antragsgegner in den festgestellten Interviews ausdrücklich „auf ein laufendes Verfahren“ und Ermittlungen des Bundeskriminalamts verwies, sodass er keine eindeutige Schuldannahme geäußert hat. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass der Öffentlichkeit im Zeitpunkt des Wiener Wahlkampfes 2020 bekannt war, dass gegen den Antragsteller in diesem Zusammenhang noch Ermittlungen laufen und dieser seine Schuld bestreitet.

[8] 2.5. Damit sind aber die Äußerungen des Antragsgegners als zulässige wertende Äußerungen anzusehen, die auf einem im Kern wahren Sachverhalt beruhen (vgl auch RS0054817; RS0082182). Weil Politiker erhöhter Kritik unterworfen sind, soweit sie in öffentlicher Funktion handeln, genügt im Rahmen politischer Auseinandersetzung bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung (RS0127027). Damit stellt sich aber die vom Rekursgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage des Gewichts der Unschuldsvermutung im Rahmen der Interessenabwägung nach § 1330 ABGB im vorliegenden Fall nicht. Der Antragsgegner hat nach dem Gesagten den Antragsteller nicht bereits als im strafrechtlichen Sinn überführt oder schuldig hingestellt, sondern lediglich Vorwürfe, die der breiten Öffentlichkeit damals ohnehin bereits bekannt waren, wiederholt und dabei auf die laufenden Ermittlungen hingewiesen. Dass die Vorwürfe inhaltlich im Wesentlichen zutreffen, konnte er im Verfahren vor dem Erstgericht bescheinigen.

[9] 3. Damit hängt die Entscheidung aber nicht von einer Rechtsfrage der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität ab, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.

[10] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 393 EO. Der Antragsgegner hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

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