OGH 10ObS7/21h

OGH10ObS7/21h26.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz und Mag. Klaus Oblasser (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Michael Brandauer, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2020, GZ 23 Rs 40/20h‑39, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00007.21H.0226.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der am Stichtag 1. 3. 2019 55‑jährige Kläger führte gemeinsam mit seiner Ehegattin einen gastgewerblichen Kleinbetrieb (Cafe‑ und Restaurant). Phasenweise wurde eine Abwäscherin beschäftigt.

[2] Mit Bescheid vom 24. 7. 2019 lehnte die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft den Antrag des Klägers auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension (nach § 133 Abs 2 GSVG) ab.

[3] Das Erstgericht wies das dagegen gerichtete Klagebegehren ab. Es stellt fest, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Stande ist, seinen bisherigen gastgewerblichen Betrieb weiter zu betreiben, er aber trotz seines eingeschränkten Leistungskalküls noch in der Lage ist, den Anforderungen einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Gastwirt bei Führung eines anderen Betriebs im Branchensegment Gastronomie nachzukommen. Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Kläger sei auf die Führung anderer gastronomischer Kleinbetriebe, etwa einer kleinen Imbissstube, eines Sportbuffets oder eines Würstelstands verweisbar. Diese Betriebe werden üblicherweise mit ein bis zwei Mitarbeitern geführt.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.

[5] Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Nach § 133 Abs 2 GSVG gilt der Versicherte als erwerbsunfähig, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebs notwendig war, wenn er infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat.

[7] 1.2 § 133 Abs 2 GSVG gewährt einen (eingeschränkten) Berufsschutz aber keinen Tätigkeitsschutz. Die Bestimmung stellt als Maßstab nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab, sondern auf jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die zuletzt durch mindestens 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren (vgl RS0086348; RS0086434).

[8] 1.3 Eine Verweisung auch auf eine Tätigkeit mit demselben Unternehmensgenstand in modifizierter Betriebsform ist daher zulässig (10 ObS 57/08t SSV‑NF 22/45; Urbanek, Die Erwerbsunfähigkeit bei Selbständigen, ZAS 2003, 203 [208]). Die Verweisungstätigkeit muss nicht der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen. Wie im Fall des § 255 Abs 1 ASVG ist auch die Verweisung auf eine selbständige Erwerbstätigkeit, die nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfasst, zulässig, wenn nur für diesen Teilbereich die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, die der Versicherte bisher benötigte. So wurde etwa die Verweisung einer Kaffeehausbetreiberin auf den Betrieb eines Buffets, einer Imbissstube oder eines Würstelstands als zulässig erachtet (10 ObS 423/01f; Neumann in SV‑Komm [177. Lfg] §§ 133, 133a GSVG Rz 46 zur Verweisung einer Gastwirtin auf Tätigkeiten einer Kantinenwirtin, Buffetinhaberin und Cafetiere). Ein verstärkter Berufsschutz („Tätigkeitsschutz“) ist erst für Versicherte normiert, die das 60. Lebensjahr vollendet haben (§ 133 Abs 3 GSVG; RS0109047 zur Vorgängerbestimmung des § 131c Abs 1 Z 3 GSVG idF der 19. GSVG‑Novelle).

[9] 2.1 Eine Fehlbeurteilung, die ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erforderlich macht, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

[10] 2.2 Während es sich bei der Frage der Verweisbarkeit innerhalb des durch § 133 Abs 2 GSVG abgesteckten Rahmens auf eine Tätigkeit mit demselben Unternehmensgegenstand um eine Rechtsfrage handelt, ist die Frage, ob eine Verweisungstätigkeit für den Kläger gesundheitlich noch in Frage kommt, eine Tatfrage. Das Berufungsgericht ist der Tatsachenrüge des Klägers, er sei aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, die in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten auszuüben, nicht gefolgt. Soweit in der außerordentlichen Revision erneut die dazu getroffenen Feststellungen angegriffen werden, ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig wird und keine Tatsacheninstanz ist (RS0123663).

[11] 2.3 Nach ständiger Rechtsprechung hat die Verweisung „abstrakt“, zu erfolgen, hier also abgestellt auf einen typischen Gastronomiebetrieb ohne Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Situation des vom Kläger geführten konkreten Betriebs. Entscheidend ist, ob abstrakt eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werden kann, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordert. Für den selbständigen Verweisungsberuf reicht aus, dass dessen wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung unter Berücksichtigung des Marktes möglich ist (RS0107668; ähnlich RS0105187). Zu kleinen Gastronomiebetrieben wie Buffets, Imbissstuben oder Würstelständen wurde bereits ausgeführt, es wäre lebensfremd anzunehmen, dass es keine derartigen Gastronomiebetriebe gibt, die wirtschaftlich lebensfähig mit einer Hilfskraft geführt werden können (10 ObS 423/01f). Ähnlich wie sich Unselbständige auf ihnen zumutbare Berufe am gesamten österreichischen Arbeitsmarkt grundsätzlich ohne Rücksicht darauf verweisen lassen müssen, ob ein entsprechender Arbeitsplatz zu finden ist, soll sich auch die Erlangung der Erwerbsunfähigkeitspension nicht daran orientieren, ob der Versicherte zum Stichtag noch oder bereits über einen geeigneten Betrieb verfügt, in dem er die objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben kann (10 ObS 23/06i SSV‑NF 20/17).

[12] 3. Soweit in der Revision vorgebracht wird, die persönliche Lage des Klägers bzw dessen subjektive (gesundheitliche und wirtschaftliche) Situation sei dennoch nicht ausreichend berücksichtigt worden, ist darauf zu verweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf ankommt, ob eine Verweisungstätigkeit im Einzelfall auch tatsächlich erlangt werden kann oder ob dem faktische oder rechtliche Gesichtspunkte, zum Beispiel gesundheitliche oder wirtschaftliche Gründe entgegenstehen (RS0105187 [T2]). Auch ob ein Versicherter bereit ist, das wirtschaftliche Wagnis eines Betriebs auf sich zu nehmen und ob er in der Lage oder gewillt ist, diese selbständige Erwerbstätigkeit zu finanzieren, ist nicht von Bedeutung. Konjunkturelle, regionale oder sonstige arbeitsmarktbedingte Kriterien sind generell auszublenden (10 ObS 248/98p, SSV‑NF 12/124).

[13] 4.1 Auch mit dem Revisionsvorbringen, es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob in der aktuellen COVID‑19‑Zeit einem Versicherten wie dem Kläger (objektiv) eine wirtschaftlich zukunftsreiche Umorganisation auf Verweisungstätigkeiten möglich und zumutbar sei, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt.

[14] 4.2 Ob die Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 2 GSVG gebührt, ist nach den Verhältnissen an dem durch den Pensionsantrag ausgelösten Stichtag zu prüfen (§ 113 Abs 2 GSVG; RS0084524). Infolge Antragstellung am 22. 2. 2019 liegt im vorliegenden Fall der Stichtag am 1. 3. 2019 – somit weit vor Beginn der COVID‑19‑Pandemie.

[15] 5. Das Revisionsvorbringen, die Pandemie verlange nach angepassten rechtlichen Maßstäben, weshalb die zwischenzeitig eingetretenen massiv nachteiligen gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen noch im Rechtsmittelstadium relevierbar sein müssten, scheitert an der abstrakten Konzeption des § 113 Abs 2 GSVG.

[16] 6. Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher als unzulässig zurückzuweisen.

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