OGH 10ObS57/08t

OGH10ObS57/08t26.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Dr. Rolf Gleißner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gebhard F*****, vertreten durch Dr. Sepp Manhardt und Dr. Meinrad Einsle, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Februar 2008, GZ 25 Rs 144/07y-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. September 2007, GZ 34 Cgs 152/06x-29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unzulässigen ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der am 1. 6. 1953 geborene Kläger absolvierte eine Bäckerlehre und führte ab 1982 als selbstständiger Bäckermeister eine Bäckerei in H***** mit einer Verkaufsstelle in F*****. Im Jahr 2000 modernisierte er den Betrieb und stellte ihn um. Am 1. 7. 2004 stellte er das Gewerbe aus gesundheitlichen Gründen ruhend. In seinem Unternehmen waren zuletzt dreizehn Personen beschäftigt (sechs Ladnerinnen, eine Aushilfsladnerin, eine Konditorin, ein Aushilfsbäckergeselle, ein Bäckereimitarbeiter, ein Bäckereilehrling, ein Fahrverkäufer und die Gattin des Klägers als Verkäuferin). Der Kläger selbst hat seine Arbeit täglich, außer Samstag und Sonntag, um 23 Uhr begonnen. Sein überwiegender Aufgabenbereich waren das Mischen und die Ofenarbeit. Dazwischen führte er auch Knetarbeiten durch. Er verfügte auch über eine Gewerbeberechtigung für den Handel, beschränkt auf den Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln.

Es ist nicht strittig, dass die Prüfung der Erwerbsunfähigkeit des Klägers nach § 133 Abs 2 GSVG zu erfolgen hat und dass seine persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung seines Betriebs notwendig war und er die manuellen Tätigkeiten als Bäcker, die er zuletzt durch mehr als 60 Kalendermonate als selbstständiger Bäckermeister ausgeübt hat, aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr verrichten kann.

Das Erstgericht erkannte dem Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension ab 1. 12. 2005 zu.

Das Berufungsgericht hingegen wies in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Es ging nach ausführlicher Wiedergabe der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu § 133 Abs 2 GSVG davon aus, dass der Kläger nicht erwerbsunfähig sei. Demnach sei das Verweisungsfeld nicht auf einen kleineren oder mittleren Betrieb eines selbstständigen Bäckers zu beschränken. Es seien vielmehr auch größere Betriebe in die Verweisungsmöglichkeiten einzubeziehen. Den Feststellungen zufolge sei ein Bäckermeister ab einer Betriebsgröße von mindestens 30 (eher 50) Mitarbeitern mit den Aufgaben im Bereich der Personalführung, Personal- und Warenkontrolle sowie mit den kaufmännischen Agenden allein zu 100 % ausgelastet. Diese Agenden seien vom Kläger nach den Feststellungen zu rund 30 % seiner Tätigkeit wahrgenommen worden. In Anbetracht des Leistungskalküls des Klägers sei es ihm möglich, einen Bäckereibetrieb mit rund 30 bis 50 Mitarbeitern zu führen. In einem derart personell ausreichend ausgestatteten Betrieb könne er sich von den schädlichen, kalkülsüberschreitenden Tätigkeiten als Bäckermeister fernhalten und sich auf die Aufgaben der Personalführung, Personal- und Warenkontrolle und die kaufmännischen Agenden konzentrieren. Dass es mehrere größere Bäckereibetriebe gebe, sei notorisch. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Frage, inwieweit die Verweisung von selbstständiger Arbeit in einem kleinen oder mittleren Betrieb auf eine solche in einem Betrieb, der die drei- bis vierfache Anzahl an Mitarbeitern habe, angezeigt sei, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch unter dem Gesichtspunkt einer in der Praxis nicht realisierbaren Verwirklichung - soweit überblickbar - nicht abschließend beantwortet worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete ordentliche Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a ZPO) mangels einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Der Revisionswerber macht geltend, die Verweisung habe zwar abstrakt zu erfolgen, es müsse jedoch im Fall des § 133 Abs 2 GSVG unter Berücksichtigung des (österreichischen) Marktes eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung gewährleistet sein. Der Versicherte habe nur Maßnahmen im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbareren Betriebsführung bzw einer rentablen Aufrechterhaltung des Betriebs zu setzen, um von der Notwendigkeit einer persönlichen Arbeitsleistung „wegzukommen". Es seien nur wirtschaftlich zumutbare Reorganisationsmaßnahmen zu treffen. Bei einer Umstrukturierung eines Betriebs sei die Rentabilität und Zumutbarkeit der Weiterführung des Betriebs zu prüfen. Im vorliegenden Fall sei eine Verweisung des Klägers als selbstständiger Bäckermeister in einem kleinen oder mittleren Betrieb auf eine Tätigkeit in einem Betrieb, der die dreibis vierfache Anzahl von Mitarbeitern habe, in der Praxis nicht realisierbar. Dem Versicherten dürfe auch nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben. Der Oberste Gerichtshof habe sich mit der relevanten Frage einer faktisch nicht möglichen Verweisung eines selbstständigen Bäckermeisters in einer Kleinbäckerei auf einen Großbetrieb nicht befasst.

Mit diesen Ausführungen wird eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht aufgezeigt. Dass noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt vorliegt, reicht für die Zulässigkeit einer Revision nicht aus (Kodek in Rechberger3, § 502 ZPO Rz 21 mwN).

1. Die vom Revisionswerber für seine Ansicht, es seien nur wirtschaftlich zumutbare Reorganisationsmaßnahmen zu treffen und eine Umstrukturierung eines Betriebs komme nur bei Zumutbarkeit und Rentabilität der Weiterführung in Betracht, ins Treffen geführte oberstgerichtliche Rechtsprechung betrifft das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung des Versicherten zur Aufrechterhaltung seines Betriebs.

2. Der Zweck des § 133 Abs 2 GSVG liegt darin, dass ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur noch eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, sowie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbstständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist (§ 255 Abs 1 und 2 ASVG). Ein Tätigkeitsschutz soll allerdings nicht gewährt werden (10 ObS 23/06i = SVV-NF 20/17 mwN; RIS-Justiz RS0086434 [T1], RS0086348 [T1]). Für eine Verweisung kommen daher nach ständiger Rechtsprechung alle selbstständigen Tätigkeiten in Betracht, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordern. Im Gegensatz zu § 133 Abs 3 GSVG stellt § 133 Abs 2 GSVG nicht auf die konkret ausgeübte selbstständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch mindestens 60 Monate ausgeübte selbstständige Tätigkeit erforderlich waren, wobei für diese Beurteilung die Erfordernisse in einem branchentypischen Betrieb maßgeblich sind (10 ObS 23/06i = SSV-NF 20/17 mwN; RIS-Justiz RS0086448 [T13]). Dem Versicherten soll also bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbstständigen Tätigkeit nachzugehen, die Verweisungstätigkeit muss aber keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen. Wie im Fall des § 255 Abs 1 ASVG ist auch die Verweisung auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit, die nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfasst, zulässig, wenn nur für diesen Teilbereich die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, die der Versicherte bisher benötigte (10 ObS 23/06i = SVV-NF 20/17 mwN). Entscheidend ist allein, ob abstrakt eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden kann, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordert, wobei eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung gewährleistet sein muss. Andernfalls würde sich die Erlangung der Erwerbsunfähigkeitspension danach orientieren, ob der Versicherte am Stichtag noch oder bereits über einen geeigneten Betrieb verfügt, in dem er die objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben kann (10 ObS 23/06i = SSV-NF 20/17 mwN).

Da es bei der Beurteilung des Verweisungsfelds nach § 133 Abs 2 GSVG nur auf die abstrakte Möglichkeit der Ausübung eines Gewerbes ankommt, muss vom Versicherten auch verlangt werden, dass er sein Gewerbe dort ausübt, wo ein entsprechender Bedarf besteht. Es kommt auch nicht darauf an, ob der selbstständig Erwerbstätige weiterhin geneigt ist, das wirtschaftliche Wagnis eines Betriebs auf sich zu nehmen oder in der Lage oder gewillt ist, diese selbstständige Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Unter Bedachtnahme darauf, dass die konkret ausgeübte selbstständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur keinen Einfluss auf die Verweisbarkeit haben, kann es auch nicht maßgeblich sein, ob zur tatsächlichen Ausübung des Verweisungsberufs Umorganisationsmaßnahmen notwendig sind, die soweit gehen, dass im Verweisungsberuf ein Betrieb neu gegründet oder ein bestehender Betrieb übernommen werden muss (RIS-Justiz RS0106377 [T8 und T9]). Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Verweisungstätigkeit im Einzelfall auch faktisch erlangt werden kann oder ob dem faktische oder rechtliche Gesichtspunkte entgegenstehen (10 ObS 23/06i = SSV-NF 20/17 mwN; RIS-Justiz RS0105187). Die Verweisung des Versicherten innerhalb des durch § 133 Abs 2 GSVG abgesteckten Rahmens ist daher auch auf eine Tätigkeit mit demselben Unternehmensgegenstand wie bisher in modifizierter Betriebsform zulässig (vgl Urbanek, Die Erwerbsunfähigkeit bei Selbständigen, ZAS 2003, 203 [208]). Mit dieser ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht die Entscheidung des Berufungsgerichts im Einklang. Dass die vom Berufungsgericht herangezogene Verweisungstätigkeit eine Tätigkeit ist, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie seine zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordert, bestreitet der Kläger ebensowenig, wie er nicht geltend macht, dass ein Bäckereibetrieb mit 30 bis 50 Mitarbeitern unter Berücksichtigung des Marktes eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung nicht ermöglichte.

Die Voraussetzungen für einen Zuspruch der Revisionskosten nach Billigkeit liegen nicht vor.

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