OGH 10ObS423/01f

OGH10ObS423/01f15.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Dr. Christoph Kainz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine K*****, vertreten durch Brandstetter, Pritz & Partner Rechtsanwälte KEG, Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84 - 86, 1051 Wien, vertreten durch Dr. Paul Bachmann und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. September 2001, GZ 8 Rs 294/01s-51, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. März 2001, GZ 9 Cgs 19/98g-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 18. 12. 1944 geborene Klägerin hat eine kaufmännische Lehre begonnen und war anschließend in verschiedenen kaufmännischen Berufen tätig. Seit 1971 besitzt sie eine Gewerbeberechtigung für eine Espressostube und für einen Kleinhandel mit Schokolade und Kanditen. Durch 20 Jahre, darunter auch in den letzten 60 Monaten vor dem Stichtag, war die Klägerin selbständig als Kaffeehausbetreiberin tätig, wobei sie bis zuletzt eine Serviererin vollzeitig beschäftigte. Im Kaffeehaus waren ca 35 Sitzplätze, eine Bartheke, eine Bierzapfsäule, eine Zapfsäule für alkoholfreie Getränke, ein Kühlschrank und eine kleine Küche zum Herrichten von Imbissen vorhanden. Die persönliche Arbeitsleistung der Klägerin war zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig.

Die Klägerin ist noch in der Lage, zu normalen Arbeitszeiten und mit üblichen Arbeitspausen leichte Arbeiten sowie gelegentlich mittelschwere Arbeiten in allen Körperhaltungen zu verrichten. Sie kann etwa ein- bis zweimal täglich eine Bierkiste tragen. Der Klägerin ist es nicht mehr möglich, der selbständigen Tätigkeit nachzugehen, die sie zuletzt überwiegend ausgeübt hat. Grund dafür sind die dabei immer wieder notwendigen nicht mehr delegierbaren Hebe- und Tragebelastungen. Bei Einsatz einer Hilfskraft und Ausschöpfung des Leistungskalküls ist die Klägerin jedoch in der Lage, ein Büffet oder eine Imbissstube oder einen Würstelstand zu betreiben. Eine Hilfskraft könnte sich ab einem Umsatz von etwa S 600.000,-- rechnen. Dabei ist aber die Kostenstruktur zu beachten. Mit Bescheid vom 12. 12. 1997 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 31. 7. 1997 auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab dem Stichtag 1. 8. 1997 gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei (im zweiten Rechtsgang) nicht Folge. Der Klägerin sei bei zumindest halbzeitigem Einsatz einer Hilfskraft das Führen einer Imbissstube oder eines Würstelstandes zumutbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgabe. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt. In ihrer Rechtsrüge vertritt die Klägerin den Standpunkt, dass sie nur auf solche selbständigen Tätigkeiten verwiesen werden könne, die sie alleine, also ohne Hilfskraft ausüben könne. Im Übrigen wäre eine wirtschaftliche Betriebsführung unter Bedachtnahme auf das eingeschränkte Leistungskalkül und das Erfordernis der Beiziehung einer Hilfskraft nicht mehr möglich.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Nach § 133 Abs 2 GSVG gilt eine Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet hat und deren persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, als erwerbsunfähig, wenn sie infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die die Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat.

Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die persönliche Mitarbeit der Klägerin, die zum Stichtag das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatte, zur Aufrechterhaltung ihres konkreten Betriebes notwendig war. Es stellt sich nun die weitere Frage, ob die Klägerin außer Stande ist, einer (nicht "jener"!) selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die sie zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat.

Der Novellierung der Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG durch die 19. GSVG-Novelle lag die Absicht zugrunde, dass ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Die Neuregelung lehnt sich daher an die Bestimmungen des ASVG über den Berufsschutz an. Im Hinblick auf die inhaltliche Nähe der Regelung des § 133 Abs 2 GSVG zu den Bestimmungen über den Berufsschutz nach dem ASVG kann für die Prüfung der Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG auf die entsprechenden Bestimmungen des ASVG zurückgegriffen werden (SSV-NF 9/22, 13/117).

Im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG wird somit ein Berufsschutz, nicht aber ein sogenannter "Tätigkeitsschutz" gewährt (SSV-NF 8/114, 10/56, 11/20, 11/25, 12/54, 13/26 ua). Gemäß § 133 Abs 2 GSVG wird das Verweisungsfeld durch die selbständigen Erwerbstätigkeiten gebildet, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die vom Versicherten zuletzt ausgeübten erfordern. Das Gesetz stellt nicht auf die konkret ausgeübten selbständigen Tätigkeiten und die bisherige Betriebsstruktur ab, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die zuletzt durch mindestens 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren. Der Verweisungsberuf gemäß § 133 Abs 2 GSVG muss keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen, sondern mit der ausgeübten Tätigkeit gleichartig oder artverwandt sein (10 ObS 2206/96a; 10 ObS 2275/96y = SSV-NF 10/87). Dem Versicherten soll aber bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, sich völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NF 9/22, 10/56, 11/25, 13/117 ua). Nicht relevant ist die Zahl jener Unternehmen, die die Verweisungstätigkeit ausüben; ausschlaggebend ist vielmehr, ob die selbständig ausgeübte Verweisungstätigkeit eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung ermöglicht (SSV-NF 11/26, 11/114), wobei - im Gegensatz zur Ansicht der Revisionswerberin - auch die Möglichkeit des Einsatzes von Hilfskräften zu berücksichtigen ist (SSV-NF 13/117).

Die Klägerin ist nach dem festgestellten medizinischen Leistungskalkül von Tätigkeiten in der Kleingastronomie nicht gänzlich ausgeschlossen. Insbesondere ist sie bei Einsatz einer Hilfskraft und Ausschöpfung des Leistungskalküls in der Lage, ein Büffet oder eine Imbissstube oder einen Würstelstand zu betreiben. Die zur Führung eines solches Betriebes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sind den Anforderungen sehr ähnlich, die im zuletzt geführten Betrieb gestellt werden. Der Klägerin steht die abstrakte Möglichkeit des Betriebs eines Buffets oder einer Imbissstube oder eines Würstelstands offen, da es lebensfremd wäre anzunehmen, dass es keine solchen Gastronomiebetriebe gibt, die wirtschaftlich lebensfähig mit einer Hilfskraft geführt werden können. Daraus folgt, dass die Klägerin unter zumutbaren gesundheitlichen Bedingungen noch eine artverwandte selbständige Erwerbstätigkeit ausüben kann, sodass die Voraussetzungen für die Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 2 GSVG nicht vorliegen. Auf die Frage, ob sie unter Einhaltung ihres Leistungskalküls in der Lage ist, größere gastronomische Betriebe mit mehreren Beschäftigten zu führen, muss daher nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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