European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131222
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und die beklagte Partei haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger unterzog sich am 1. 3. 2019 einer Varizen‑Operation beidseits wegen eines seit Jahren bestehenden Varizenleidens. Zur Behandlung kann eine Operation in Vollnarkose durchgeführt werden, die allerdings beim Kläger wegen dessen COPD‑Erkrankung kontraindiziert ist. Weiters ist eine Behandlung in Lokalanästhesie möglich, und zwar entweder durch Venenstripping, durch Verödung der krankhaften Venen (durch Einspritzen eines Schaums), oder durch eine endoluminale Radiofrequenzobliteration (Anm: vom Sachverständigen im Verfahren auch als „Radiofrequenzablation“ bezeichnet).
[2] In der Ordination der niedergelassenen Fachärzte „H*ärzte *“ in K*, Deutschland, wurde tageschirurgisch in Lokalanästhesie eine Verödung der Venae saphenae magnae mittels Radiofrequenzablation an beiden Beinen durchgeführt. Die „H*ärzte *“ sind keine bettenführende Einrichtung und stehen in keinem Vertragsverhältnis zur Beklagten. Für die erbrachten Leistungen zahlte der Kläger am 3. 12. 2019 den Betrag von 1.835,65 EUR.
[3] In Österreich besteht die Möglichkeit, sich dieser Varizen‑Operation tageschirurgisch in Lokalanästhesie sowohl in einer Krankenanstalt als auch bei niedergelassenen Ärzten zu unterziehen. Im Wohnsitzbundesland des Klägers bieten drei Krankenanstalten diese Operation an. Darüber hinaus gibt es insbesondere im Raum Wien eine Anzahl niedergelassener Ärzte, die diese Operation anbieten und durchführen. Die Wartezeiten übersteigen in Österreich nirgends drei Monate.
[4] Der Kläger beantragte am 25. 1. 2019 bei der Beklagten die Kostenübernahme der für Anfang März 2019 geplanten Operation. Die Vorabgenehmigung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass zeitnahe, vergleichbare Behandlungsmöglichkeiten in Österreich bestehen.
[5] Der Kassentarif für die Varizen‑Operation bei einem niedergelassenen Arzt umfasst die Kostenpositionen „große Ordination“ (16,41 EUR), „Operation beidseits“ (194,40 EUR) und zwei Infiltrationsanästhesien (12,57 EUR), insgesamt daher 279,33 EUR. 80 % des Kassentarifs errechnen sich mit 223,38 EUR.
[6] Mit Bescheid vom 19. 3. 2019 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kostenerstattung gemäß § 7b Abs 6 SV‑EG für die Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung in Form einer endoluminalen Radiofrequenzobliteration in Deutschland ab. Die vom Kläger in Anspruch genommene Behandlung sei auch im Inland in vertretbarer Zeit möglich, sodass eine Vorabgenehmigung für die Behandlung in Deutschland nicht erteilt werden konnte.
[7] Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten – nach Einschränkung – die Zahlung von 1.835,65 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 3. 2019 für die ihm bei den „H*ärzten *“ entstandenen Kosten für die erbrachten Behandlungsleistungen laut Rechnung vom 1. 3. 2019. Die Beklagte habe unionsrechtswidrig, nämlich entgegen insbesondere Art 8 der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung („Patientenmobilitätsrichtlinie“, in der Folge: RL 2011/24/EU ) keine Vorabgenehmigung der vom Kläger beantragten ambulanten Behandlung in Deutschland erteilt. Keiner der Fälle des Art 8 Abs 1 und 2 RL 2011/24/EU liege vor, sodass die Beklagte auch ohne Erteilung der Vorabgenehmigung zur Erstattung der Kosten der Behandlung des Klägers verpflichtet sei. § 7b SV‑EG setze die unionsrechtliche Vorgabe insbesondere des Art 8 RL 2011/24/EU unzureichend um, weil es nach dieser Bestimmung irrelevant sei, ob die Behandlung innerhalb eines vertretbaren Zeitraums im Inland erbracht werden könne. Es sei unzulässig, bloß 80 % der Kosten zu ersetzen, die in Österreich bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes angefallen wären: Nach Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU seien 100 % zu ersetzen. Der Kläger könne seinen Anspruch auf die Richtlinie stützen.
[8] Dem hielt die Beklagte entgegen, dass keine Vorabgenehmigung für die vom Kläger geplante Varizen‑Operation zu erteilen gewesen sei, weil diese problemlos in Österreich innerhalb eines medizinisch vertretbaren Zeitraums durchführbar gewesen wäre. Die Beklagte habe ihre Sachleistungsverpflichtung erfüllt, weil sie im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stelle. Ein Anspruch auf Bewilligung einer Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat der Union bestehe nicht. Die Patientenmobilitätsrichtlinie werde in Österreich im extramuralen Bereich durch das Wahlarztsystem umgesetzt. Bei dessen Inanspruchnahme seien dem Versicherten 80 % des Kassentarifs zu erstatten, auch wenn die Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat erfolge.
[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Betrag von 223,38 EUR statt. In diesem Umfang erwuchs sein Urteil mangels Anfechtung in Rechtskraft. Das Mehrbegehren von 1.612,27 EUR und das Zinsenbegehren wies es hingegen ab. Die Varizen‑Operation des Klägers sei zweckmäßig und notwendig gewesen. Dem Kläger gebühre, weil er einen ausländischen Wahlarzt in Anspruch genommen habe, gemäß § 131 ASVG Kostenerstattung in Höhe von 80 % des Vertragstarifs, hier daher 223,38 EUR. Eine Vorabgenehmigung im Sinn des Art 20 VO 883/2004 für die vom Kläger geplante Operation in Deutschland habe die Beklagte zu Recht nicht erteilt, weil der Kläger die Operation auch in Österreich bei niedergelassenen Ärzten oder bettenführenden Vertragseinrichtungen der Beklagten in medizinisch vertretbarer Zeit durchführen lassen hätte können. Das Mehrbegehren sei daher abzuweisen. Für Leistungen nach den Sozialversicherungsgesetzen gebührten keine Zinsen.
[10] Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen die Abweisung des Mehrbegehrens erhobenen Berufung nicht Folge. Stelle der Krankenversicherungsträger wie hier eine ausreichende Krankenbehandlung im Inland als Sachleistung zur Verfügung, bestehe kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwändigeren Therapie im Ausland. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus der RL 2011/24/EU , die in Österreich durch § 7b SV‑EG umgesetzt worden sei. Dass die Voraussetzungen für eine Vorabgenehmigung gemäß § 7b Abs 4 SV‑EG vorlägen, behaupte der Kläger nicht mehr. Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU ermögliche zwar einen Kostenerstattungsanspruch auch ohne das Vorliegen einer Vorabgenehmigung des Versicherungsträgers. Dieser richte sich jedoch nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, sodass im vorliegenden Fall § 131 ASVG zur Anwendung gelange. Die darin geregelte Beschränkung auf den Ersatz von 80 % des Vertragstarifs sei nicht diskriminierend. Selbst wenn man aber von einer Diskriminierung ausgehen wolle, läge ein objektiver Rechtfertigungsgrund vor, weil eine Erhöhung der Kostenerstattung auf 100 % des Vertragstarifs das finanzielle Gleichgewicht der Krankenversicherung gefährde und das Gesamtsystem in Frage stelle. Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 ZPO nicht zulässig.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die gänzliche Stattgebung der Klage anstrebt.
[12] In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise sie abzuweisen.
[13] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[14] Der Revisionswerber stützt seinen Anspruch zentral auf Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU . Diese Bestimmung stelle nicht darauf ab, welche Kosten der Krankenversicherungsträger an einen Vertragsarzt bezahlt hätte, sondern welche Kosten der Versicherungsmitgliedstaat übernommen hätte. Für die Durchführung einer endoluminalen Radiofrequenzobliteration in einer Krankenanstalt in Österreich hätte die Beklagte nach dem LKF‑System 2.641 EUR zahlen müssen, ein Selbstzahler hätte für den tageschirurgischen Eingriff gar 3.127,71 EUR zahlen müssen. Diese Beträge, die über den tatsächlich vom Kläger bezahlten Behandlungskosten lägen, seien gemäß Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU heranzuziehen. Dazu habe das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen, sodass das Verfahren sekundär mangelhaft geblieben sei. Zumindest aber hätte die Beklagte die Kosten eines Vertragsarztes im Inland zu 100 % in Höhe von 279,33 EUR erstatten müssen. Der Kläger könne seinen Anspruch direkt auf die RL 2011/24/EU stützen, weil deren Umsetzung ins österreichische Recht nicht korrekt erfolgt sei: Insbesondere sei nicht mit Art 56 AEUV und mit der RL 2011/24/EU vereinbar, dass die in § 7b SV‑EG normierte Kostenerstattung an eine Vorabgenehmigung gebunden sei und nur für genehmigungspflichtige Behandlungen gebühre. Die Erstattung von lediglich 80 % des „Kassentarifs“ gemäß § 131 ASVG widerspreche bereits dem Wortlaut des Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU . Ein ausländischer Arzt werde gegenüber einem inländischen diskriminiert, weil er keinen Vertrag mit dem inländischen Krankenversicherungsträger abschließen könne.
[15] Zur Klärung der Frage, ob die Vorgangsweise der Beklagten, dem Kläger lediglich 80 % des „Kassentarifs“ zu ersetzen, unionsrechtskonform sei, regte der Kläger in der Revision die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Auslegung des Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU an.
[16] Dem ist entgegenzuhalten:
[17] 1. Zur Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: VO 883/2004 )
[18] 1.1 Voranzustellen ist, dass der Anwendungsbereich der VO 883/2004 im vorliegenden Fall unstrittig eröffnet ist. Nach Art 20 Abs 1 VO 883/2004 muss ein Versicherter, der sich – wie der Kläger – zur medizinischen Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat begibt, grundsätzlich die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen. Wird die Genehmigung erteilt, erhält der Versicherte gemäß Art 20 Abs 2 Satz 1 VO 883/2004 Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob er nach diesen Rechtsvorschriften versichert wäre. Die Leistung erfolgt in diesem Fall nach den Grundsätzen der aushelfenden Sachleistungserbringung.
[19] 1.2 Im Anwendungsbereich des Art 20 VO 883/2004 hat der Versicherte in zwei Fällen einen Kostenerstattungsanspruch gegen den zuständigen Träger in Höhe dessen, was dieser Träger normalerweise übernommen hätte, wenn der Versicherte über eine solche Genehmigung verfügt hätte. Dieser Anspruch besteht erstens, wenn die Genehmigung unbegründet versagt wurde (EuGH C‑368/98 , Vanbraekel ua, ECL:EU:C:2001:400, Rn 34 zu Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71 ) und zweitens, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen oder wegen der Dringlichkeit einer Krankenhausbehandlung außerstande war, eine solche Genehmigung zu beantragen bzw die Entscheidung des zuständigen Trägers über den Genehmigungsantrag abzuwarten, die Voraussetzungen des Art 20 VO 883/2004 aber an sich vorliegen (EuGH C‑173/09 , Elchinov, ECLI:EU:C:2010:581, Rn 45). Art 20 Abs 2 VO 883/2004 verwehrt es dem Wohnsitzstaat des Versicherten nicht, diesem die Erteilung der in Art 20 Abs 1 VO 883/2004 vorgesehenen Genehmigung zu verweigern, wenn in diesem Mitgliedstaat eine Krankenhausbehandlung verfügbar ist, deren medizinische Wirksamkeit außer Frage steht (EuGH C‑243/19 , Veselibas ministrija, ECLI:EU:C:2020:872, Rn 56).
[20] 1.3 Darauf braucht im vorliegenden Fall nicht weiter eingegangen zu werden, weil der Kläger seinen Anspruch auf Kostenerstattung nicht (mehr) auf Art 20 VO 883/2004 stützt, sondern nur mehr auf Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU .
[21] 2. Zum Verhältnis der VO 883/2004 zur RL 2011/24/EU
[22] 2.1 Die Anwendbarkeit von Art 20 VO 883/2004 und Art 26 DVO 987/2009 auf einen bestimmten Sachverhalt schließt nicht aus, dass dieser auch in den Anwendungsbereich von Art 56 AEUV fällt und der Betroffene parallel einen Anspruch aus dieser Bestimmung auf Zugang zur Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat hat. Dieser Anspruch ist jedoch nach anderen Kostenübernahme‑ und Kostenerstattungsbedingungen als denen, die in Art 20 VO 883/2004 und Art 26 DVO 987/2009 vorgesehen sind, zu beurteilen (EuGH C‑368/98 , Vanbraekel ua,Rn 36 bis 53; C‑777/18 , Vas Megyei Kormányhivatal [Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung],ECLI:EU:C:2020:745, Rn 33, mwH).
[23] 2.2 Gemäß ErwGr 31 RL 2011/24/EU sollen die Patienten nicht die ihnen vorteilhafteren Ansprüche nach den VO 883/2004 und DVO 987/2009 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit verlieren, wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind. Deshalb sollte jeder Patient, der eine Vorabgenehmigung für eine auf seinen Gesundheitszustand abgestimmte Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat beantragt, stets diese Genehmigung erhalten, sofern die betreffende Behandlung nach dem Recht seines Heimatmitgliedstaats zu den Leistungen gehört, auf die er Anspruch hat, und wenn der Patient diese Behandlung in seinem Heimatmitgliedstaat nicht innerhalb eines – unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Krankheitsverlaufs – medizinisch vertretbaren Zeitraums erhalten kann.
[24] 2.3 Wenn jedoch der Patient ausdrücklich verlangt, eine Behandlung nach Maßgabe der RL 2011/24/EU in Anspruch zu nehmen – wovon auch im vorliegenden Fall auszugehen ist –, so sollte sich die Kostenerstattung auf die Leistungen beschränken, die unter diese Richtlinie fallen (ErwGr 31 RL 2011/24/EU ). Denn die RL 2011/24/EU findet zwar auf die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung Anwendung, lässt jedoch wie ausgeführt den Rahmen unberührt, der durch die VO 883/2004 und DVO 987/2009 vorgegeben ist (Art 2 lit m und ErwGr 28 RL 2011/24/EU ). Bei der Umsetzung der RL 2011/24/EU in einzelstaatliche Rechtsvorschriften und bei deren Anwendung sollen Patienten nach der ausdrücklichen Intention der Richtlinie nicht dazu ermuntert werden, Behandlungen in einem anderen als ihrem Versicherungsmitgliedstaat in Anspruch zu nehmen (ErwGr 4 RL 2011/24/EU ).
[25] 3. Zur Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 56 AEUV
[26] 3.1 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH fallen entgeltliche medizinische Leistungen in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in oder außerhalb eines Krankenhauses erfolgt (EuGH C‑372/04 , Watts, ECLI:EU:C:2006:325, Rn 86 mwH). Dies gilt auch dann, wenn die Erstattung der Kosten für diese Versorgung nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats über die Krankenversicherung beantragt wird, die – wie hier – im Wesentlichen Sachleistungen vorsehen (EuGH C‑157/99 , Smits und Peerbooms, ECLI:EU:C:2001:404, Rn 55; ErwGr 11 der RL 2011/24/EU ).
[27] 3.2 Nach ebenso ständiger Rechtsprechung des EuGH sind als Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit alle Maßnahmen zu verstehen, die die Ausübung dieser Freiheit untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen (EuGH C‑339/15 , ECLI:EU:C:2017:335, Vanderborght, Rn 61; C‑500/06 , ECLI:EU:C:2008:421, Corporación Dermoestética, Rn 32, jeweils mwH).
[28] 3.3 Maßnahmen, die die Dienstleistungsfreiheit beschränken, sind nur unter vier Voraussetzungen zulässig: Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (sog „Gebhard“‑Formel, EuGH C‑55/94 , ECLI:EU:C:1995:411, Gebhard, Rn 37 uva; Budischowsky in Jaeger/Stöger, EUV/AEUV [Stand: 1. 10. 2018 rdb.at] Art 56 AEUV Rz 28 mwH).
[29] 4. Zur Kostenerstattung nach der RL 2011/24/EU
[30] 4.1 Die RL 2011/24/EU regelt in Kapitel II (Art 4–6) die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die grenzüberschreitende Gesundheitsvorsorge, in Kapitel III (Art 7–9) die Erstattung von Kosten für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und in Kapitel IV (Art 10–15) die Zusammenarbeit bei der Gesundheitsversorgung. Die Richtlinie zielt allgemein darauf ab, Regeln zu schaffen, die den Zugang zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in der Union erleichtern, die Patientenmobilität im Einklang mit den vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen gewährleisten und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Gesundheitsversorgung fördern (Art 1 Abs 1 und ErwGr 10 und 64 RL 2011/24/EU ). Zu diesem Zweck werden den Patienten die Kosten für Gesundheitsdienstleistungen im Einklang mit den vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten und in der RL 2011/24/EU kodifizierten Grundsätzen erstattet.
[31] 4.2 Gleichzeitig bleiben die Mitgliedstaaten nach wie vor für die Organisation und Bereitstellung ausreichender Gesundheitsdienstleistungen und medizinischer Versorgung in ihrem Hoheitsgebiet, für die Festlegung der gesundheitsbezogenen Sozialversicherungsleistungen, insbesondere im Krankheitsfall zuständig und verantwortlich (Art 1 Abs 1 sowie ErwGr 4 und 10 RL 2011/24/EU ).
[32] 4.3 Nach Art 5 lit a RL 2011/24/EU stellt der Versicherungsmitgliedstaat – hier unstrittig: Österreich gemäß Art 3 lit c sublit i RL 2011/24/EU – sicher, dass für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (Art 3 lit e RL 2011/24/EU ) entstehende Kosten gemäß den Bestimmungen des Kapitels III RL 2011/24/EU erstattet werden.
[33] 4.4 Kapitel III RL 2011/24/EU enthält in Art 7 allgemeine Grundsätze für die Kostenerstattung. Gemäß Art 7 Abs 1 RL 2011/24/EU stellt der Versicherungsmitgliedstaat unbeschadet der VO 883/2004 und vorbehaltlich der Art 8 und 9 RL 2011/24/EU sicher, dass die Kosten, die einem Versicherten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung entstanden sind, erstattet werden, sofern – was hier unstrittig der Fall ist – die betreffende Gesundheitsdienstleistung zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte im Versicherungsmitgliedstaat Anspruch hat.
[34] 4.5 Die Erstattung von Kosten für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung darf gemäß Art 7 Abs 8 RL 2011/24/EU nicht von einer Vorabgenehmigung abhängig gemacht werden. Ausgenommen davon sind nur die Fälle des Art 8 RL 2011/24/EU .
[35] 5. Zu den in Art 8 Abs 2 RL 2011/24/EU geregelten Fällen
[36] 5.1 Nach der Rechtsprechung des EuGH läuft es in Bezug auf Krankenhausbehandlungen und aufwändige Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern Art 56 AEUV grundsätzlich nicht zuwider, wenn das Recht eines Patienten, solche durch das System, dem er angehört, finanzierte Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu erhalten, von einer Vorabgenehmigung abhängig gemacht wird (EuGH C‑777/18 , Vas Megyei Kormányhivatal [Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung],Rn 61 mwH). Diese Fälle regelt Art 8 (iVm Art 9) RL 2011/24/EU .
[37] 5.2 Einen der in Art 8 Abs 2 RL 2011/24/EU genannten Fälle (deren Vorliegen vom nationalen Gericht zu beurteilen ist: EuGH C‑777/18 , Rn 80) behauptet der Revisionswerber jedoch gar nicht:
- Weder hat der Kläger eine Krankenhausbehandlung (mit mindestens einer Übernachtung im Krankenhaus) in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen (Art 8 Abs 2 lit a sublit i und ErwGr 40 RL 2011/24/EU ; vgl dazu 10 ObS 43/20a),
- noch hat der Kläger geltend gemacht, dass er eine ambulante Versorgung mit vergleichbarem Aufwand in Anspruch genommen habe, die den Einsatz einer hoch spezialisierten und kostenintensiven medizinischen Infrastruktur oder medizinischen Ausrüstung erfordert hätte (Art 8 Abs 2 lit a sublit ii und ErwGr 41 RL 2011/24/EU ),
- noch hat der Kläger eine Behandlung mit einem besonderen Risiko für ihn oder die Bevölkerung in Anspruch genommen (Art 8 Abs 2 lit b RL 2011/24/EU ),
- noch wurde die Behandlung des Klägers von einem Gesundheitsdienstleister erbracht, der im Einzelfall zu ernsthaften und spezifischen Bedenken hinsichtlich der Qualität oder Sicherheit der Versorgung Anlass geben könnte (Art 8 Abs 2 lit c RL 2011/24/EU ).
[38] 5.3 Zwischenergebnis: Da der Kläger seinen Anspruch weder auf die für ihn günstigere VO 883/2004 stützt noch einen der Fälle des Art 8 Abs 2 RL 2011/24/EU geltend macht, bedarf es im vorliegenden Fall keiner näheren Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, für die vom Kläger in Anspruch genommene Behandlung in Deutschland eine Vorabgenehmigung zu erteilen.
6. Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU als Anspruchsgrundlage
[39] 6.1 Der Kläger stützt seinen Anspruch auf Art 7 Abs 4 Unterabs 1 RL 2011/24/EU , der lautet:
„(4) Der Versicherungsmitgliedstaat erstattet oder bezahlt direkt die Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung bis zu den Höchstbeträgen, die er übernommen hätte, wenn die betreffende Gesundheitsdienstleistung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden wäre, wobei die Erstattung die Höhe der tatsächlich durch die Gesundheitsversorgung entstandenen Kosten nicht überschreiten darf.“
[40] 6.2 Die von Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU vorgesehene Kostenerstattung kann nach der Rechtsprechung des EuGH einer doppelten Begrenzung unterliegen. Zum einen wird sie auf der Grundlage der für die Gesundheitsversorgung im Versicherungsmitgliedstaat geltenden Gebührenordnung berechnet. Zum anderen werden, wenn die Kosten der im Empfangsmitgliedstaat erbrachten Gesundheitsversorgung niedriger sind als die der im Versicherungsmitgliedstaat erbrachten Gesundheitsversorgung, nur die tatsächlich durch die Gesundheitsversorgung entstandenen Kosten erstattet. Da die Erstattung der Kosten dieser Gesundheitsversorgung gemäß der RL 2011/24/EU dieser doppelten Begrenzung unterliegt, wird der Versicherungsmitgliedstaat im Rahmen der RL 2011/24/EU – im Unterschied zu den von der VO 883/2004 geregelten Fällen – im Fall einer grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung grundsätzlich keiner zusätzlichen finanziellen Belastung ausgesetzt (EuGH C‑243/19 , Veselibas ministrija,Rn 75–77).
[41] 6.3 Eine Richtlinie kann nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH nicht gegenüber Einzelpersonen, wohl aber gegenüber einem Staat (EuGH C‑356/05 , ECLI:EU:C:2007:229, Farrell, Rn 40) oder einer Einrichtung, die der staatlichen Aufsicht untersteht und mit besonderen Rechten ausgestattet ist, geltend gemacht werden (vgl zB EuGH C‑614/11 , Kuso,ECLI:EU:C:2013:544, Rn 32). Die beklagte Österreichische Gesundheitskasse ist unzweifelhaft eine solche Einrichtung.
[42] 6.4 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kann sich der Einzelne jedoch nur in den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber einer staatlichen Einrichtung wie der Beklagten auf sie berufen, wenn die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt wurde (EuGH C‑585/16 , Alheto, ECLI:EU:C:2018:584, Rn 98 uva).
[43] 6.5 Diesen Anforderungen genügt Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU , auf den sich der Kläger zur Begründung seines Anspruchs beruft, schon deshalb nicht, weil sich die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs nicht aus dieser Bestimmung ergibt, sondern – hinsichtlich beider genannten Grenzen – nach den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften (des Versicherungsmitgliedstaats wie des Behandlungsstaats).
[44] 6.6 Zwischenergebnis: Unmittelbar auf Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU kann der Kläger seinen Anspruch daher nicht stützen.
[45] 7. Zur Frage der Kostenerstattung nach § 7b SV‑EG
[46] 7.1 § 7b SV‑EG, der mit Art 2 EU‑PMG, BGBl I 2014/32, in das SV‑EG eingefügt wurde, dient zwar der Umsetzung der RL 2011/24/EU . Diese Bestimmung ergänzt aber (nur) das österreichische System der Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung bzw der Anstaltspflege nach den §§ 131 und 150 ASVG, nach dem Kostenerstattung für weltweit „eingekaufte“ Sachleistungen ohne Erfordernis einer Vorabgenehmigung vorgesehen ist (Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [81. Lfg] § 7b SV‑EG Rz 11; zu § 150 ASVG vgl 10 ObS 49/12x SSV‑NF 26/50 = DRdA 2013/26, 299 [Marhold] = ZAS 2013/47, 284 [Mosler]).
[47] 7.2 § 7b Abs 3 SV‑EG ordnet an, dass – unbeschadet der Leistungsansprüche nach der VO 883/2004 oder nach (ua) § 131 ASVG – eine anspruchsberechtigte Person berechtigt ist, Leistungen der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung im Ausland in Fällen des § 7b Abs 4 SV‑EG im Wege der besonderen Kostenerstattung nach § 7b Abs 6 SV‑EG in Anspruch zu nehmen, sofern auch im Inland Anspruch auf diese Leistungen besteht (vgl dazu 10 ObS 43/20a).
[48] 7.3 Jene Fälle, für die besondere Kostenerstattung gemäß § 7b Abs 6 SV‑EG gebührt, sind in § 7b Abs 4 SV‑EG geregelt. Sie entsprechen den bereits dargestellten Fällen von Krankenhausbehandlungen und aufwändigen Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern nach Art 8 Abs 2 RL 2011/24/EU , in denen die RL 2011/24/EU den Mitgliedstaaten ein System der Vorabgenehmigung gestattet. Einen der Fälle des § 7b Abs 4 SV‑EG macht der Kläger jedoch – ebenso wenig wie die Fälle des Art 8 Abs 2 RL 2011/24/EU – geltend.
[49] 7.4 Ein Fall der besonderen Kostenerstattung gemäß § 7b Abs 6 SV‑EG ist im vorliegenden Fall daher nicht zu beurteilen.
[50] 8. Zum Anspruch auf Kostenerstattungsanspruch nach § 131 ASVG
[51] 8.1 Leistungen der Krankenversicherung werden gemäß § 133 Abs 2 ASVG grundsätzlich als Sachleistungen erbracht. Werden keine Vertragspartner zur Leistung der Krankenbehandlung in Anspruch genommen, richtet sich die Kostenerstattung nach § 131 ASVG (zum Pflegekostenzuschuss des Versicherungsträgers bei Anstaltspflege siehe § 150 ASVG). Dem Versicherten, der nicht die Vertragspartner (§ 338 ASVG), die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch nimmt, gebührt gemäß § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Voraussetzung ist, dass ein Anspruch auf Sachleistungen aus der Krankenversicherung besteht, was hier unstrittig der Fall ist. Auch ist der Kläger seiner Vorleistungspflicht nachgekommen.
[52] 8.2 Der EuGH sprach erstmals in den Entscheidungen C‑120/95 , ECLI:EU:C:1998:167, Decker und C‑158/96 , ECLI:EU:C:1998:171, Kohll, aus, dass eine Krankenkasse unter dem Regime der Dienstleistungsfreiheit bei einer Heilbehandlung bzw beim Erwerb eines Sehbehelfs in einem anderen Mitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen Kostenersatz gewähren muss, wie dies bei Inanspruchnahme einer solchen Dienstleistung im Inland der Fall wäre. Bereits damals unterschied § 131 ASVG jedoch – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall des § 131 Abs 3 ASVG – nicht zwischen In‑ und Auslandsbehandlung (Mosler in SV‑Komm [242. Lfg] § 131 ASVG Rz 3), was zur Folge hatte, dass diese Entscheidungen in Österreich mit „großer Gelassenheit aufgenommen“ wurden (R. Müller, Der Erstattungsanspruch nach Inanspruchnahme eines Wahlarztes, in FS Cerny [2001] 533 [549] mwH in FN 76). Auch in diesem Verfahren hat die Beklagte dem Kläger Kostenerstattung nach § 131 Abs 1 ASVG für die von ihm in Deutschland in Anspruch genommene Behandlung geleistet.
[53] 8.3 § 131 Abs 1 ASVG ist verfassungsgemäß (VfGH G 24/98 ua). Es ist zulässig, den durch die Inanspruchnahme eines Wahlarztes entstehenden Mehraufwand auch in pauschalierter Form den Verursachern (Wahlarztpatienten) anzulasten. Überdies ist die Sicherstellung der Beachtung ökonomischer Grundsätze bei der Leistungsabwicklung durch Wahlärzte für den Krankenversicherungsträger schwieriger. Wenn die mit der Reduktion der Kostenerstattung im Interesse der Systemerhaltung erzielte Kostenersparnis allenfalls auch eine gewisse Schranke des Zugangs zu Wahlärzten mit sich bringt, so ist dies hinzunehmen (R. Müller, Erstattungsanspruch,FS Cerny557).
[54] 8.4 Durch das Sachleistungsprinzip im österreichischen Krankenversicherungsrecht soll eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und gleichzeitig kostenschonende Versorgung der Versicherten erreicht werden: Sachleistung in einem weiteren Sinn bedeutet, dass bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht in erster Linie eine abstrakt nach dem Ausmaß des Gesundheitsschadens bzw den mutmaßlichen Kosten der Heilung bemessene Geldleistung erbracht wird, sondern nur die Kosten einer konkreten, tatsächlich stattgefundenen Heilbehandlung entstehen. Sachleistung im engeren Sinn bedeutet andererseits, dass die Sozialversicherungsträger ein Leistungssystem zu organisieren haben, welches den Versicherten ermöglicht, medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen, ohne mit Honorarforderungen der Leistungserbringer belastet zu sein (R. Müller, Erstattungsanspruch, FS Cerny 534). Eingebettet in dieses System der Gesamtversorgung ermöglicht es § 131 Abs 1 ASVG dem Versicherten, ärztliche Leistungen auch durch Ärzte in Anspruch zu nehmen, die nicht Vertragspartner der Beklagten sind. Grundgedanke und Zweck des § 131 ASVG ist, den Krankenversicherungsträger nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten zu belasten, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt oder eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte (RIS‑Justiz RS0073064).
[55] 8.5 Auch § 131 ASVG verfolgt daher die Intention, eine qualitativ hochwertige ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Dies ergibt sich deutlich auch aus § 131 Abs 6 ASVG, wonach eine Kostenerstattung bis zu 100 % des Kassentarifs in der Satzung des Krankenversicherungsträgers vorgesehen werden kann, wenn eine flächendeckende Versorgung der Versicherten durch Verträge nicht in ausreichendem Maß gesichert ist. Die flächendeckende Versorgung ist gemäß § 131 Abs 6 Satz 2 ASVG im Regelfall dann anzunehmen, wenn Gesamtverträge nach dem sechsten Teil des ASVG bestehen.
[56] 9. Zur behaupteten Unionsrechtswidrigkeit des § 131 Abs 1 ASVG
[57] 9.1 Der Revisionswerber macht geltend, dass die Regelung des § 131 Abs 1 ASVG insofern nicht unionsrechtskonform sei, als nur 80 % des Kassentarifs bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes ersetzt werden, während einem inländischen Vertragsarzt 100 % des Kassentarifs bezahlt werden.
[58] 9.2 Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU sieht (lediglich) vor, dass Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung bis zu den Höchstbeträgen ersetzt werden, die der Versicherungsmitgliedstaat bei gleicher Behandlung im Inland übernommen hätte. Eine Bestimmung, die es den Mitgliedstaaten erlauben würde, einen Verwaltungskostenabschlag einzuheben, existiert nicht (Prinzinger, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Hinblick auf das primäre und sekundäre Unionsrecht – Umsetzung der Patientenmobilitäts‑RL in nationales Recht, DRdA 2016, 19 [23]).
[59] 9.3 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verstößt jede nationale Regelung gegen Art 56 AEUV, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert (EuGH C‑444/05 , ECLI:EU:C:2007:231, Stamatelaki, Rn 25 mwH). Um festzustellen, ob eine solche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorliegt, dürfen die Voraussetzungen, unter denen die Beklagte die Kosten einer in einem anderen Mitgliedstaat beabsichtigten Krankenbehandlung übernimmt, nicht mit der im nationalen Recht vorgesehenen Kostenerstattungsregelung verglichen werden. Vielmehr sind sie mit den Voraussetzungen zu vergleichen, unter denen die Beklagte derartige Leistungen nach dem nationalen Krankenversicherungssystem (hier daher in der Regel: durch eigene Vertragsärzte) erbringt (so zu einer in einem anderen Mitgliedstaat beabsichtigten Krankenhausbehandlung EuGH C‑372/04 , Watts, ECLI:EU:C:2006:325, Rn 100).
[60] 10. Zum Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung durch die Kostenerstattungsregel des § 131 Abs 1 ASVG
[61] 10.1 Zur Prüfung der Frage, ob die Dienstleistungsfreiheit beschränkt wird, ist daher (auch) auf die Regelungen bei Inanspruchnahme der in Österreich an sich vorgesehenen Sachleistungen abzustellen, sodass insofern die Kosten maßgeblich sind, die der Beklagten bei Inanspruchnahme von Vertragsärzten entstehen (Auer‑Mayer, Mitverantwortung in der Sozialversicherung [2018] 297). Da ein Vertragsarzt für eine Behandlung, wie sie der Kläger in Anspruch nahm, 100 % des Kassentarifs von der Beklagten erhält, stellt sich die Frage, ob die Vergütung mit lediglich 80 % des Kassentarifs an einen Wahlarzt in einem anderen Mitgliedstaat gegen Art 56 AEUV verstößt.
[62] 10.2 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Umstand, dass ein Versicherter eine weniger günstige Erstattung erhält, wenn er sich einer Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat unterzieht, als wenn er die gleiche Behandlung im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit in Anspruch nimmt, geeignet, diesen Versicherten davon abzuschrecken oder ihn gar daran zu hindern, sich an Erbringer von medizinischen Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu wenden. Dies stellt sowohl für diesen Versicherten als auch für die Dienstleistenden eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar (EuGH C‑368/98 , Vanbraekel ua,Rn 45). Darüber hinaus hat der Gerichtshof festgehalten, dass es zwar sein mag, dass die (damals: niederländischen) Krankenkassen vertragliche Vereinbarungen mit Krankenanstalten außerhalb der Niederlande schließen könnten, und dass dann für die Übernahme der Kosten für die Versorgung in derartigen Anstalten keine vorherige Genehmigung erforderlich wäre. Abgesehen davon sei es aber – von Krankenanstalten in Grenznähe abgesehen – illusorisch anzunehmen, dass viele Krankenanstalten in den anderen Mitgliedstaaten einen Anlass dazu sehen, vertragliche Vereinbarungen mit den niederländischen Krankenkassen zu schließen, zumal ihre Aussichten, diesen Kassen angeschlossene Patienten aufzunehmen, vom Zufall abhängig und beschränkt blieben (EuGH C‑157/99 , Smits und Peerbooms,Rn 66). Dies lässt sich auch auf Ärzte in anderen Mitgliedstaaten übertragen, die – anders als inländische Ärzte – in der Regel von vornherein lediglich als Wahlärzte tätig werden können (Binder, Krankenbehandlung im Ausland [Teil II], DRdA 2001, 518 [527]; Karl, Die Auswirkungen des freien Waren‑ und Dienstleistungsverkehrs auf die Kostenerstattung, DRdA 2002, 15 [21]; Mayrhofer, Rückerstattung von Wahlarzthonoraren verfassungsrechtlich geboten? RdM 2017/151, 241 [247]).
[63] 10.3 In Lehre und Schrifttum wird zur Problematik der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die Kostenerstattungsregelung des § 131 ASVG unterschiedlich Stellung genommen (den Meinungsstand umfassend darstellend Mosler in SV‑Komm [242. Lfg] § 131 ASVG Rz 8; Auer‑Mayer, Mitverantwortung, 318 ff):
[64] Ein Verstoß der Kostenerstattungsregelung des § 131 Abs 1 ASVG gegen die Dienstleistungsfreiheit wird von Teilen der Lehre unter Verweis auf das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung bejaht. Dazu wird vertreten, dass die Differenzierung der Kostenregime zwischen genehmigungspflichtigen und genehmigungsfreien Behandlungen nicht in der Richtlinie vorgesehen sei (Prinzinger, Die grenzüberschreitende Inanspruchnahme medizinischer Leistungen als passive Dienstleistungsfreiheit [2016], 50). Die Versicherten würden durch diese Regelung von der Inanspruchnahme eines Wahlarztes abgehalten (Prinzinger, DRdA 2016 19 [23]; Karl, DRdA 2002, 15 [21 ff]). Ausländische Wahlärzte hätten (de facto) keine Möglichkeit, Verträge mit österreichischen Krankenversicherungsträgern abzuschließen (Kietaibl, Sozialversicherungsrechtliche Beschränkung für wahlärztliche Honorarbemessung? wbl 2006, 502 [506 f]). Die Finanzierung des Systems wäre aufgrund der wenigen zu erwartenden Fälle bzw auch im Hinblick darauf, dass ein „Verwaltungskostenabschlag“ von 20 % nach früherer Rechtslage (vor der Änderung des § 131 Abs 1 ASVG mit der 53. Novelle zum ASVG, [1.] SRÄG 1996, BGBl 1996/411) gar nicht vorgesehen gewesen sei, auch ohne diesen weiter möglich. Generell akzeptiere der EuGH bloß wirtschaftliche Gründe nicht als Rechtfertigung (Wallner in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht³ Kap II Rz 123). Zudem stünden auch andere, gleichmäßiger wirkende Kostendämpfungsmaßnahmen zur Verfügung (Binder, DRdA 2001, 518 [527]; Resch, Anspruch auf Kostenerstattung bei Wahlarzthilfe im Ausmaß von 100 %? VR 2007 H 4, 18 [23]; Windisch‑Graetz, Europäisches Krankenversicherungsrecht [2003] 61 f). Die reduzierte Kostenerstattung könne daher die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen in anderen Mitgliedstaaten potentiell weniger attraktiv machen (Mayrhofer, RdM 2017, 247).
[65] Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch § 131 Abs 1 ASVG wird hingegen von anderen Teilen der Lehre verneint. Als Argumente werden angeführt, dass der Marktzugang für ausländische Ärzte wohl kaum von einer Reduktion der Kostenerstattung von lediglich 20 % des inländischen Vertragstarifs beeinflusst werden könne (Grillberger in Grillberger/Mosler, Ärztliches Vertragspartnerrecht [2012] 249). Entscheidend seien vielmehr Sprachbarrieren, die gerade bei kranken Menschen eingeschränkte Mobilität, oder die Schwierigkeit der Organisation medizinischer Leistungen im Ausland (Pfeil, Europäische Grundfreiheiten und nationales Sozial‑[leistungs‑]recht, DRdA 2010, 12 [19]; eine Diskriminierung verneinen auch Herzig in Grillberger/Mosler, Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenversicherung [2003] 97, und Felten in Tomandl, System des SV‑Rechts, 2.2.3.2.1 [220 f]mwH). Einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit könne man daher nur dann annehmen, wenn man nicht von einer durchschnittlichen realitätsnahen Betrachtung, sondern vom seltenen Ausnahmefall ausgeht (Mosler, Die freie Arztwahl in der Krankenversicherung, DRdA 2015, 139 [144]). Darüber hinaus sei auch im ambulanten Bereich die Reduktion der Kostenerstattung auf 80 % des Vertragstarifs geeignet, das in der Rechtsprechung des EuGH anerkannte Ziel zu garantieren, eine qualitativ hochwertige, ausgewogene und allgemein zugängliche medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten. Sie diene nämlich dem Schutz des Sachleistungsprinzips. Auch im ambulanten Bereich könne sich nach der Rechtsprechung des EuGH (C‑169/07 , Hartlauer, ECLI:EU:C:2009:141, Rn 51) eine staatliche Planung als unerlässlich erweisen (Scholz, Beschränkung der Erstattung von Wahlarztkosten verfassungs‑ und unionsrechtswidrig? RdM 2018/80, 88 [92]).
[66] 10.4 § 131 Abs 1 ASVG unterscheidet nicht zwischen in‑ und ausländischen Wahlärzten, sodass diese Regelung nicht unmittelbar diskriminiert (Pfeil, DRdA 2010, 12 [19 f]). Zweifelsohne sprechen aber gute Gründe für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung von (Wahl‑)Ärzten in anderen Mitgliedstaaten, weil die reduzierte Kostenerstattung nach dieser Bestimmung die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen in anderen Mitgliedstaaten, wie die dargestellte Rechtsprechung des EuGH und die Argumente der Lehre zeigen, potentiell weniger attraktiv machen kann (Auer‑Mayer, Mitverantwortung 298). Wollte ein privater Anbieter medizinischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat seine Leistungen insofern besonders attraktiv machen, indem er bloß jenen Betrag als Honorar verlangt, den der Versicherte vom Krankenversicherungsträger rückerstattet erhalten würde, müsste er weniger verlangen als ein entsprechender Vertragspartner erhalten würde (Windisch‑Graetz, Europäisches Krankenversicherungsrecht 61).
[67] 11. Zum Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes
[68] 11.1 Sekundärrechtlich werden die Vorgaben der schon dargestellten Rechtsprechung des EuGH zur bereits dargestellten „Gebhard“‑Formel (EuGH C‑55/94 ) in Art 7 Abs 9 und 11 RL 2011/24/EU (vgl dazu auch die ErwGr 11 und 12 RL 2011/24/EU ) umgesetzt. Diese Bestimmungen lauten (Hervorhebung durch den Senat):
„(9) Der Versicherungsmitgliedstaat kann die Anwendung der Vorschriften für die Kostenerstattung bei grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, wie etwa dem Planungsbedarf in Zusammenhang mit dem Ziel, einen ausreichenden, ständigen Zugang zu einem ausgewogenen Angebot hochwertiger Versorgung im betreffenden Mitgliedstaat sicherzustellen, oder in Zusammenhang mit dem Wunsch, die Kosten zu begrenzen und nach Möglichkeit jede Verschwendung finanzieller, technischer oder personeller Ressourcen zu vermeiden, beschränken.
…
(11) Die Entscheidung, die Anwendung des vorliegenden Artikels gemäß Absatz 9 einzuschränken, muss sich auf das beschränken, was notwendig und angemessen ist, und darf keine Form der willkürlichen Diskriminierung und kein ungerechtfertigtes Hindernis für die Freizügigkeit von Personen oder den freien Verkehr von Waren oder Dienstleistungen darstellen. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission jede Entscheidung mit, durch die die Erstattung von Kosten aus den in Absatz 9 genannten Gründen beschränkt wird.“
[69] 11.2 Nach der Rechtsprechung des EuGH zählen zu den Zielen, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können, im hier zu beurteilenden Zusammenhang – da die Kostenerstattung nach Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU wie ausgeführt aufgrund ihrer doppelten Begrenzung im Fall einer grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung grundsätzlich zu keiner zusätzlichen finanziellen Belastung führt (EuGH C‑243/19 , Veselibas ministrija,Rn 75–77) – unter anderem:
- eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten;
- einen bestimmten Umfang der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder ein bestimmtes Niveau der Heilkunde im Inland zu bewahren, sowie
- eine Planung zu ermöglichen, mit der bezweckt wird, zum einen im betreffenden Mitgliedstaat einen ausreichenden, ständigen Zugang zu einem ausgewogenen Angebot hochwertiger Versorgung sicherzustellen und zum anderen die Kosten zu begrenzen und nach Möglichkeit jede Verschwendung finanzieller, technischer oder personeller Ressourcen zu vermeiden (EuGH C‑777/18 , Rn 59 mwH; C‑243/19 , Rn 46, 47 mwH; für den Bereich ambulanter Versorgung EuGH C‑169/07 , Hartlauer,Rn 51).
[70] 11.3 Da solche Ziele als legitim anzusehen sind, ist es nach der Rechtsprechung des EuGH Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die nationalstaatliche Regelung – hier § 131 Abs 1 ASVG – im Hinblick auf die Erreichung dieser Ziele auf das notwendige und angemessene Maß begrenzt ist (EuGH C‑243/19 , Rn 71, 79, zu Art 8 RL 2011/24/EU und dem zu dessen Umsetzung geschaffenen lettischen System der Vorabgenehmigung). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des EuGH ist der Anregung des Klägers, ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH einzuleiten, in dem im Wesentlichen die Frage zu stellen sei, ob die von § 131 Abs 1 ASVG vorgesehene Einschränkung der Kostenerstattung auf 80 % des Kassentarifs mit Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU vereinbar sei, nicht zu folgen.
[71] 11.4 Der vom Revisionswerber für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung des EuGH C‑385/99 , ECLI:EU:C:2003:270, Müller‑Fauré und van Riet, liegt kein vergleichbarer Sachverhalt und keine vergleichbare Rechtslage zugrunde: Das damals zu beurteilende niederländische Krankenversicherungssystem sah nur die Gewährung von Sachleistungen vor. Nur im Ausnahmefall sollte Kostenerstattung gewährt werden, wenn eine Behandlung im Inland nicht verfügbar war und eine Vorabgenehmigung erteilt wurde, weil die medizinische Versorgung des Versicherten im Ausland notwendig war.
[72] 11.5 Generell lässt sich die Rechtsprechung des EuGH zu den Erfordernissen der Vorabgenehmigung von Auslandsbehandlungen nicht auf die hier zu beurteilende Kostenerstattungsregelung übertragen:
[73] 11.5.1 Auch ein finanzieller Zusatzaufwand kann nach dieser Rechtsprechung ein generelles Vorabgenehmigungssystem im ambulanten Bereich nicht rechtfertigen, zumindest soweit der Mitgliedstaat nichts anderes darlegen kann. Dies begründet der EuGH mit dem Verweis auf die voraussichtlich begrenzte Zahl an Auslandsfällen infolge von Sprachbarrieren, der räumlichen Entfernung, der Kosten eines Auslandsaufenthalts und dem erforderlichen Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zum behandelnden Arzt (EuGH C‑385/99 , Müller‑Fauré und van Riet, Rn 93 ff; C‑255/09 , Kommission/Portugal, ECLI:EU:C:2011:695, Rn 76 ff). Hinzu kommt die – gerade bei kranken Menschen, die im Inland keine aus ihrer Sicht adäquate Behandlung finden – eingeschränkte Mobilität (Pfeil, DRdA 2010, 12 [19]) und der Mangel an Information über die Art der im Ausland geleisteten Versorgung.
[74] Ein System, wonach die Kostenerstattung wegen Verfügbarkeit der Behandlung im Inland mangels Vorabgenehmigung zur Gänze entfällt, beschränkt die Dienstleistungsfreiheit jedoch wesentlich stärker als eine bloß um 20 % geringere Höhe der Kostenerstattung im Vergleich zum Vertragspartnertarif (Auer‑Mayer, Mitverantwortung 319). Hinzu kommt, dass der EuGH ausgesprochen hat, dass weniger einschneidende und den freien Dienstleistungsverkehr besser wahrende Maßnahmen ergriffen werden können, wie etwa die Festlegung von Tabellen für die Erstattung von Behandlungskosten (EuGH C‑444/05 , Stamatelaki,Rn 35).
[75] Auch im hier eröffneten Anwendungsbereich des § 131 Abs 1 ASVG sind die Versicherten – anders als bei einem System der generellen Vorabgenehmigung – nicht gehindert, jederzeit eine Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat der Union in Anspruch zu nehmen. Ihnen gebührt dafür derselbe Kostenersatz wie bei Inanspruchnahme eines inländischen Wahlarztes. Da die RL 2011/24/EU wie ausgeführt ausdrücklich nicht zur Inanspruchnahme einer Krankenbehandlung im Ausland ermuntern will und den Versicherten im Inland in einem Fall wie dem vorliegenden primär ein Sachleistungsanspruch zu‑ und offensteht, ist die Kostenerstattungsregelung des § 131 Abs 1 ASVG schon aus diesen Gründen als eine gerechtfertigte Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit anzusehen.
[76] 11.5.2 Es erscheint fraglich, ob überhaupt eine Ungleichbehandlung vorliegt, trägt doch der Krankenversicherungsträger auch im Fall einer Auslandsbehandlung genau jene Kosten, die er im Fall der Inanspruchnahme einer inländischen Behandlung zu tragen hätte. Denn den in Höhe von 80 % des Kassentarifs zu erstattenden Kosten sind – unabhängig davon, ob ein in‑, oder ein ausländischer Wahlarzt in Anspruch genommen wurde – die vom Krankenversicherungsträger zu tragenden Verwaltungskosten von 20 % hinzuzurechnen (Auer‑Mayer, Mitverantwortung 320 f). Auch der EuGH hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass ein Mitgliedstaat nicht gehindert ist, pauschale Erstattungsbeträge für Auslandsbehandlungen festzulegen, soweit diese auf objektiven, nicht diskriminierenden und transparenten Kriterien beruhen (C‑385/99 , Müller‑Fauré und van Riet, Rn 107), wie etwa die bereits genannte Festlegung von Tabellen für die Erstattung von Behandlungskosten (C‑444/05 , Stamatelaki, Rn 35).
[77] 11.5.3 Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Einschränkung der Kostenerstattung auf 80 % des Kassentarifs einen wesentlichen Einfluss für die Entscheidung inländischer Versicherter hätte, eine Krankenbehandlung im Ausland in Anspruch zu nehmen. Neben den bereits genannten Kriterien (Sprachbarrieren, Kosten eines Auslandsaufenthalts, fehlende Information und fehlendes Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt, räumliche Entfernung) ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass selbst bei Ersatz von 100 % des Kassentarifs die tatsächlichen Behandlungskosten in der Regel auch im Fall einer Inlandsbehandlung zu einem nicht unwesentlichen Teil vom Versicherten selbst zu tragen sind. Dies gilt um so mehr bei einer schon wegen der Reise‑ und Aufenthaltskosten regelmäßig teureren Behandlung im Ausland.
[78] 11.5.4 Zusätzlich muss bedacht werden, dass die zukünftige Inanspruchnahme von Auslandsbehandlungen schwer prognostizierbar ist und das nationale Krankenversicherungssystem im Fall einer erheblichen quantitativen Zunahme von Auslandsbehandlungen durchaus vor einem Finanzierungs‑ und Versorgungsproblem stehen würde, würde eine Kostenerstattung von 100 %, gemessen am Vertragspartnertarif, zugelassen. Denn auch in diesem Fall sind ja immer noch die zusätzlich entstehenden Verwaltungskosten vom Krankenversicherungsträger zu tragen. Die Anhebung der Kostenerstattung auf 100 % des Kassentarifs würde daher einen von der RL 2011/24/EU nicht intendierten Anreiz schaffen, Behandlungen im – vor allem grenznahen – Ausland in Anspruch zu nehmen. Dort würden bisher günstigere Anbieter unter Umständen ihre Preise anheben, weil durch die österreichischen Krankenversicherungsträger eine höhere Erstattung zu leisten wäre.
[79] 11.5.5 Die Anhebung der Kostenerstattung auf 100 % des Kassentarifs würde überdies auch die Behandlung bei inländischen Wahlärzten betreffen. Denn es ist – schon zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (näher dazu Rebhahn, Krankenversicherung zwischen Leistungsanspruch und Selbstbestimmung – Verfassungsrecht, Unionsrecht und Ethik, in Pfeil/Prantner, Krankenversicherung zwischen Leistungsanspruch und Selbstbestimmung der Versicherten [2015] 1 [4 f]) – davon auszugehen, dass in diesem Fall die Kosten auch bei Inanspruchnahme inländischer Wahlärzte zu 100 % des Kassentarifs erstattet werden müssten. Dies würde einen problematischen Eingriff in die legitimen Planungs‑ und Steuerungsinteressen des Staates darstellen: Denn einerseits liegt es in der Kompetenz der Mitgliedstaaten, das Sozialversicherungssystem derart umzugestalten (vgl nur C‑385/99 , Müller‑Fauré und van Riet, Rn 98 iVm Rn 107), und eine solche Änderung beträfe eine Vielzahl von Behandlungen. Andererseits stellte sich für inländische Ärzte verstärkt die Frage nach der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit eines Vertragsabschlusses mit einem Krankenversicherungsträger: Denn auch ohne Abschluss eines Vertrags könnten sie als Wahlärzte (zumindest) genau den Kassentarif vom Patienten fordern und dabei eine erheblich größere Freiheit (etwa von Kontrollen der ökonomischen Behandlung) genießen. Letztlich würde dies die Versorgungsdichte gefährden, die der Krankenversicherungsträger zu gewähren hat und einem nicht gewünschten Sozialtourismus förderlich sein.
[80] 11.6 Ergebnis: Es liegen zwingende Gründe des Allgemeininteresses bezogen auf die öffentliche Gesundheit vor, die die Beschränkung der Kostenerstattung bei Inanspruchnahme von Wahlärzten auch in anderen Mitgliedstaaten der Union auf 80 % des Kassentarifs gemäß § 131 Abs 1 ASVG rechtfertigen.
[81] 12. Die behauptete sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor. „Entsprechende Vertragspartner“ im Sinn des § 131 Abs 1 ASVG wären, da der Kläger einen Wahlarzt aufgesucht hat, entsprechende Vertragsärzte gewesen, die auch vorhanden sind. Zwar können auch Krankenanstalten, insbesondere auch Ambulatorien, in denen Krankenbehandlung in Form ärztlicher Hilfe geleistet wird, „entsprechende Vertragspartner“ im Sinn des § 131 Abs 1 ASVG sein (RS0084817), wenn etwa von einem Wahlarzt eine Leistung erbracht wird, die in der entsprechenden Honorarordnung für die Vertragsärzte nicht vorgesehen ist (10 ObS 235/03m SSV‑NF 19/61). Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor, weil der Kläger die in Anspruch genommene Behandlung auch bei niedergelassenen Vertragsärzten der Beklagten in Österreich durchführen lassen hätte können. Die vom Kläger für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Kosten, die die Beklagte an eine Krankenanstalt nach dem LKF‑System zahlen hätte müssen (2.641 EUR) oder die ein Selbstzahler für einen tageschirurgischen Eingriff in einer Krankenanstalt zahlen hätte müssen (3.127,71 EUR), können schon aus diesem Grund nicht als Grundlage für seinen Anspruch dienen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus Art 7 Abs 4 RL 2011/24/EU , verweist doch diese Bestimmung – wie ausgeführt – ausdrücklich auf das innerstaatliche Recht.
[82] Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
[83] Die Beklagte hat die Verfahrenskosten gemäß § 77 Abs 1 Z 1 ASGG jedenfalls selbst zu tragen. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden vom Kläger nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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