OGH 2Ob216/20h

OGH2Ob216/20h25.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Mag. Michael Rettenwander, Rechtsanwalt in Saalfelden, gegen die beklagten Parteien 1. S***** N*****, 2. F***** H*****, beide *****, und 3. S***** Aktiengesellschaft, *****, alle vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 7.919,61 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 30. September 2020, GZ 53 R 138/20f‑19, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 19. Juni 2020, GZ 16 C 733/19a‑15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00216.20H.0225.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 720,12 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 120,02 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Klagsfahrzeug hatte auf einer Bundesstraße im Ortsgebiet mit nach links gesetztem Blinker, aber nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, angehalten. Die Erstbeklagte nahm an, dass der Lenker nach links abbiegen wollte, und fuhr mit ihrem Pkw in einem Abstand von etwa 50 cm rechts daran vorbei. Dafür nutzte sie eine rechts vom Fahrstreifen liegende, durch eine flache Rigole abgegrenzte Fläche, die einen anderen Belag als der Fahrstreifen aufwies und mit dem Verkehrszeichen „Halten und Parken verboten“ sowie einer Zusatztafel „ausgenommen Ladetätigkeit Congress“ gekennzeichnet war. Während sie vorbeifuhr, setzte der Lenker des Klagsfahrzeugs mit Einschlag nach links zurück, um rückwärts in einen auf der anderen Straßenseite gelegenen Querparkplatz einzuparken. Dadurch schwenkte die Vorderseite seines Fahrzeugs nach rechts und stieß seitlich in den Pkw der Erstbeklagten. Als die Erstbeklagte das Rückwärtsfahren bemerkte, konnte sie nicht mehr unfallverhindernd reagieren.

[2] Die Vorinstanzen wiesen die vom Eigentümer des Klagsfahrzeugs erhobene Schadenersatzklage ab. Die Erstbeklagte habe rechts am angehaltenen Klagsfahrzeug vorbeifahren dürfen, wobei es sich bei der von ihr befahrenen Fläche um einen Teil der Fahrbahn gehandelt habe. Angesichts der geringen Geschwindigkeit sei der Sicherheitsabstand ausreichend gewesen. Die Verkehrssituation sei nicht unklar gewesen, weil die Erstbeklagte nicht mit dem Rückwärtsfahren des Unfallgegners habe rechnen müssen. Diesen treffe das Alleinverschulden am Unfall.

[3] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil es im Hinblick auf die Entscheidung 2 Ob 121/89 erforderlich sei, die Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen Teilen der Straße und nicht zur Straße gehörenden Vorplätzen von Gebäuden zu verdeutlichen.

[4] Die Revision des Klägers ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass grundsätzlich alle befahrbaren Teile einer Straße, und zwar unabhängig von den daran bestehenden Eigentumsverhältnissen, zur Fahrbahn gehören (RS0073184). Dazu gehören insbesondere Park- oder Radfahrstreifen, nicht jedoch ein an die Fahrbahn anschließender Vorplatz eines Gebäudes (2 Ob 121/89). Ob eine Fläche – etwa als Parkstreifen – noch zur Fahrbahn gehört, ist eine Frage des Einzelfalls. Da die strittige Fläche im konkreten Fall als Ladezone ausgewiesen war, ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es sich dabei um einen Teil der Fahrbahn gehandelt habe, nicht zu beanstanden.

[6] 2. Auch sonst zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[7] 2.1. Ein Grund, weshalb die Erstbeklagte die strittige Fläche nicht hätte befahren dürfen, ist nicht erkennbar.

[8] Aus dem Umstand, dass eine Verkehrsfläche außerhalb einer Begrenzungslinie liegt und daher nicht als Fahrstreifen anzusehen ist, lässt sich nicht ableiten, dass diese Fläche nicht befahren werden dürfte (2 Ob 121/89 mwN). Nichts anderes kann gelten, wenn eine Verkehrsfläche nicht durch eine Begrenzungslinie, sondern – wie hier – (faktisch) durch eine Rigole vom Fahrstreifen abgegrenzt ist. Im konkreten Fall war es aufgrund des dort aufgestellten Verkehrszeichens nur verboten, auf der strittigen Fläche (außer zu Zwecken der Ladetätigkeit) zu halten oder zu parken, ein Befahren war damit nicht untersagt. Mit dem in der Revision genannten (unzulässigen) Befahren eines Pannenstreifens (RS0073208) ist das Verhalten der Erstbeklagten wegen des ausdrücklichen Verbots in § 46 Abs 4 lit d StVO nicht zu vergleichen. Auch aus der Entscheidung 2 Ob 278/06f lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten, da dort lediglich der Schutzzweck eines Halte- und Parkverbots zu beurteilen war.

[9] Es kann offen bleiben, ob die Erstbeklagte nach § 17 Abs 1 Satz 3 StVO zum Vorbeifahren auf der rechten Seite verpflichtet war, obwohl das Klagsfahrzeug nicht zur Straßenmitte hin eingeordnet war. Dass ein Vorbeifahren auf der rechten Seite unzulässig gewesen wäre, ergibt sich aus dieser Bestimmung jedenfalls nicht.

[10] 2.2. Ob eine unklare Verkehrssituation vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0044241 [T32]).

[11] Im konkreten Fall war das Klagsfahrzeug zwar nicht zur Straßenmitte hin eingeordnet. Der nach links gesetzte Blinker ließ allerdings auf ein beabsichtigtes Linksabbiegen schließen. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Erstbeklagte unter diesen Umständen nicht mit einem Rückfahrmanöver rechnen musste, das zu einem Ausschwenken nach rechts führen würde, ist jedenfalls vertretbar.

[12] Die in der Revision genannten Entscheidungen stehen dem nicht entgegen: Gegenstand von 8 Ob 73/76 (= RS0026980 [T1]) war das Überholen eines Fahrzeugs, das zwar nicht nach links eingeordnet war, aber den Blinker gesetzt hatte. Der Überholende musste daher – anders als hier – annehmen, dass sich das Fahrzeug auf jenen Teil der Fahrbahn hinbewegen würde, auf dem er es überholen wollte. In 2 Ob 146/78 (= RS0026980 [T5]) hatte der überholte Motorradfahrer zwar den linken Blinker gesetzt, war aber 45 m langsam weitergefahren, ohne sich nach links einzuordnen. Damit hatte er eine nach Auffassung des Senats unklare Verkehrssituation geschaffen, weil der Überholende damit rechnen konnte, dass der Motorradfahrer das Überholen vor dem Abbiegen zulassen würde. Daher sei der Motorradfahrer zu einem weiteren Kontrollblick verpflichtet gewesen. Auch diese Situation ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar.

[13] 3. Aus diesen Gründen ist die Revision mangels Vorliegens einer erhebliche Rechtsfrage zurückzuweisen. Da die Beklagten auf die Unzulässigkeit hingewiesen haben, hat der Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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